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Dorfkirchen (Gotik)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Abbildung einer Dorfkirche auf einer Augenscheinkarte von 1513, Ausschnitt Wildsteig und Peiting. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Plansammlung 20141)

von Sandra Münzel

Dorfkirchen sind Kultbauten auf dem Land, die von der dörflichen Gemeinde, aber auch von Kirchenstiftungen oder Kirchenfabriken errichtet wurden. Es gibt sie bereits seit der Romanik, im engeren Sinne aber erst seit der Entstehung einer städtischen Kultur im 13. Jahrhundert. Als zeitlicher Abschluss lässt sich die Reformation im 16. Jahrhundert angeben. Dorfkirchen waren der häufigste sakrale Bautypus zur Zeit der Gotik. Ihre Hauptelemente sind Gemeinderaum, Altarhaus, Turm und Sakristei, die in verschiedenen Raumtypen ausgeprägt sein können. Zur typischen Ausstattung einer gotischen Dorfkirche gehörten der Hauptaltar, ein oder mehrere Nebenaltäre, ein Sakramentshäuschen, eine Sitznische und Heiligenfiguren. Die Kirchen waren auch Begräbnisstatten: Im Innenraum befanden sich oft Grabplatten, außerhalb wurden Friedhöfe und Beinhäuser angelegt. Die Kirchen mit ihrem Außenbereich bildeten einen meist ummauerten Kirchhof.

Begriffsbestimmung

Unter dem Begriff "Dorfkirche" versteht man sowohl kunstwissenschaftlich als auch volkskundlich den Kultbau einer Dorfgemeinde im ländlichen Raum, dessen Bauherren sowohl die dörfliche Gemeinde sein konnte, formell aber auch Kirchenstiftungen bzw. Kirchenfabriken. Der Anstoß zum Bau erfolgte in zahlreichen Fällen von Seiten der Patronats- oder Landesherren sowie Bischöfen oder Klöstern. Für die Begriffsbestimmung ist der kirchliche Rang (Pfarr-, Filial- oder Nebenkirche, Kapelle, Wallfahrtskirche) nicht entscheidend.

Baustil und Eingrenzung der Epoche

Obwohl sich der Baustil von Dorfkirchen meist an dem gleichzeitig oder vor der eigenen Bauzeit vorherrschenden, in der Stadt angewandten Stil orientiert, kann nicht von einer bloßen Vereinfachung der Hochkunst gesprochen werden. Ebenso wenig stellt sich die Dorfkirche ausschließlich als Produkt der ländlichen Volkskultur dar.

Die besonders innerhalb einer Region vorhandene Dauerhaftigkeit ihrer Typen ist kennzeichnend für Dorfkirchen. Bis in die vorromanische Zeit lassen sich die gebräuchlichsten Typen der Dorfkirchen zurückverfolgen. Im engeren Sinn gibt es sie im römisch-deutschen Reich nördlich der Alpen aber erst mit Ausbildung der städtischen Kultur. Die Epoche der Gotik begann im Raum des heutigen Bayern in etwa mit dem Bau der Zisterzienserabtei Ebrach (1200–1285) bzw. mit der Verbreitung von Deutschordenskirchen ab der Mitte des 13. Jahrhunderts, die sich an St. Elisabeth in Marburg (Würzburg, Rothenburg, Wolframs-Eschenbach) anlehnten. Sie kann mit dem Einsetzen der Reformation ab dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts im Wesentlichen als abgeschlossen betrachtet werden.

Ähnlich wie bereits in der Romanik waren Dorfkirchen die häufigste sakrale Bauaufgabe der Gotik. Sie entstanden nicht selten aus Umbauten romanischer Kirchen bzw. Weiterverwendung von deren Wandteilen. Oft wurde ein bestehendes Langhaus mit einem gotischen Chorraum ergänzt. Im ländlichen Raum hatten gotische Kirchengebäude auch nach Einzug der Reformation häufig eine lange Bestandszeit über die Frühe Neuzeit hinaus und auf die Gotik folgte so oft unmittelbar der Barock. Viele gotische Kirchen erfuhren im Zuge dessen eine Barockisierung, blieben aber in Ihrer Grundsubstanz erhalten.

Hauptelemente der regulären Dorfkirche sind Gemeinderaum, Altarhaus, Turm und Sakristei, die in verschiedenen Raumtypen ihre Gestaltung finden.

Einschiffige Saalkirchen mit ausgeschiedenem Altarraum

Der geläufigste Typus ist die einschiffige Saalkirche mit ausgeschiedenem Altarraum, der eine Vielzahl von Varianten aufweist. Sie gehört zu den ältesten Typen und ist vor allem im Süden, Westen und Südwesten Deutschlands und somit auch im heutigen Bayern weit verbreitet.

Innerhalb des Saalkirchentyps haben sich verschiedene Varianten ausgeprägt:

  • Die Chorquadratkirche zeichnet sich durch ein rechteckiges bzw. quadratisches Altarhaus aus, welches gegenüber dem Saalraum meist eingezogen ist (ein typisches, allerdings aus romanischer Zeit stammendes Beispiel in Hof (Oberviechtach) (12. Jahrhundert).
  • Im schwäbisch-fränkischen Raum erhebt sich über dem rechteckigen Altarraum oft ein Chorturm. Diese Chorturmkirchen waren besonders im 13., aber auch noch im 14. und 15. Jahrhundert weit verbreitet. Als Beispiele seien hier Katzwang (ab 1296), Bruck (um 1400), Ruffenhofen (2. Hälfte 14. Jahrhundert) und Biberbach (Mitte 15. Jahrhundert) genannt.
  • Der Chorturm kann aber auch die gleiche Breite wie der Saalraum einnehmen, wie in Kriegenbrunn (14.–15. Jahrhundert).

Saalkirchen mit polygonalem Schluß

Häufig sind Saalkirchen, bei denen der eingezogene Chorraum in einem polygonalen Schluss (3/8- oder 5/8-Schluss) endet, welchem oft noch ein rechteckiges Joch vorgeschaltet ist (z.B. Dormitz, um 1400; Heiligenstadt; Puschendorf, 1489-1491). Ebenso kann auch hier der Altarraum die volle Breite des Langhauses aufnehmen (wie Haselbach und Hohenlinden, um 1489; Mehring). Diese Variante, bei welcher der polygonale Schluss ohne Einziehung das Gemeindehaus fortsetzt, wird als Chorkirche bezeichnet.

Der Altarraum von einschiffigen Saalkirchen ist fast immer überwölbt. Das Langhaus kann flach gedeckt, aber auch mit einer Tonne oder einem Rippengewölbe überspannt sein.

Wandpfeilerkirchen

Vor allem in Niederbayern ist der im 15. Jahrhundert häufig erbaute Typus der Wandpfeilerkirche weit verbreitet. Charakteristisch sind hier die teilweise oder ganz nach innen gezogenen Strebepfeiler, die zur Widerlagerung des Gewölbes erforderlich sind und so gleichzeitig zur Gliederung der Wände genutzt werden. Sie umrahmen Nischen, die den weitläufigen Mittelraum säumen und finden sich z.B. in Berg (Ende 15. Jahrhundert), Elsenbach, Neumarkt a.d.Rott (Neumarkt-Sankt Veit, 2. Hälfte 15. Jahrhundert) oder Postmünster (um 1485) wieder.

Zweischiffige Hallenkirchen und Ein- bzw. Dreistützenräume

Der bereits in der Romanik bekannte Typus der zweischiffigen Hallenkirche ist ein weiterer, bei Dorfkirchen häufig vorkommende Raumtyp. In der Spätgotik verdrängt er im bayerisch-österreichischen Gebiet alle anderen Dorfkirchen-Typen, wobei sich die Mehrzahl jenseits der heutigen Landesgrenze in Oberösterreich befindet. Beispiele finden sich u.a. in Heiligkreuz (1434 begonnen) und St. Leonhard in Aigen a.Inn (ab Mitte 15. Jahrhundert).

Bei den Ein- und Dreistützenräumen gliedern Freistützen das Langhaus, wobei entweder eine zentrale Stütze oder drei ins Dreieck gestellte Stützen den Raum dominieren. Auch sie sind häufig im österreichisch-bayerischen Grenzgebiet anzutreffen. Oft wurden jedoch bei späteren Umbauten die als störend empfundenen Mittelstützen entfernt, so z.B. in Thalkirchen (Stadt München, ab 1400), in Anger (Weihe 1447, hier wurde nur die zentrale Mittelstütze der Dreistützenkirche entfernt) und Tacherting (um 1455). Ein Dreistützenraum ist sowohl in Tettenweis, als auch in Burgkirchen am Wald (Mitte 15. Jahrhundert) erhalten geblieben: ersterer wurde allerdings zu Beginn des 20. Jahrhunderts um das Doppelte verlängert.

Wehrkirchen

St. Georg in Kraftshof. (Foto: Derzno lizenziert durch CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons)

Nicht nur die räumliche Gestaltung prägt den Charakter einer Dorfkirche, sondern auch die Funktion kann ausschlaggebend für die Herausbildung eines bestimmten Dorfkirchentypus sein. Besonders im fränkischen Raum finden sich sogenannte "Wehrkirchen", die hauptsächlich eine Erscheinung des Spätmittelalters sind. Kennzeichnend sind befestigte Friedhöfe, Umfassungsmauern mit Wehrgang und teilweise auch Türmen sowie Torbau. Derartige Anlagen finden sich u.a. in Nürnberg-Kraftshof (Anlage des Kirchhofes maßgeblich zwischen 1505 und 1511 errichtet), Hannberg (Ende 15./Anfang 16. Jahrhundert), Mosbach (Turm 1489) und Obersulzbach (14./15. Jahrhundert). Sie sollten wohl hauptsächlich einen sicheren Ort für die Bevölkerung schaffen und im Notfall zu Verteidigungszwecken dienen, was aber nicht zwingend bedeutete, dass die dazugehörige Kirche selbst im Gegensatz zu anderen Dorfkirchen abweichende Gestaltungsmerkmale aufweist. Dennoch können z.B. am Kirchturm angebrachte Schießscharten oder Scharwachtürmchen (Fürth-Burgfarrnbach, Ende 14. – Ende 15. Jahrhundert) Hinweise auf eine Wehrkirche sein, wobei letztere dann als Ausguck interpretiert werden können.

Die Wehrhaftigkeit solcher Anlagen war zwar zum einen tatsächlich gegeben, sollte aber zum anderen in Ihrer Erscheinung auch schlichtweg eine Bedrohung gegenüber potentiellen Gegnern darstellen. Es gibt hierbei keinen einheitlichen Typus, da sich die Gestaltung auch nach individuellen Bedürfnissen und örtlichen Gegebenheiten richtete.

Der Turm – ein wesentliches Merkmal

Ein wesentliches Merkmal ist der Turm, den nahezu alle Dorfkirchen der Gotik besaßen. Ein ohnehin fest in den Baukörper integriertes Element ist er bei den bereits angesprochenen Chorturmkirchen, bei welchen das Turmerdgeschoss den Altarraum beinhaltet. Der Turm kann sich aber auch neben dem Chor befinden. Der Winkel auf der Süd- und etwas häufiger auf der Nordseite bildete bei Kirchen mit eingezogenen Chören einen beliebten Turmstandort und machte eine Nutzung des Turmerdgeschosses als Sakristei möglich. Typisch ist auch die Stellung vor der Westfront, bei der es sich anbot, auch den Eingang an diese Seite der Kirche zu verlegen und das Turmerdgeschoss als Vorraum zu nutzen.

Als Dachform finden sich bei den Türmen der gotischen Dorfkirchen das zweiseitig abgeschrägte Satteldach (St. Jakobus Jakobneuharting, Turm um 1500), das Pyramidendach (Kriegenbrunn, Turm 14. Jahrhundert) oder häufig die über einem Oktogon konstruierte Spitzhaube (Fürth-Burgfarrnbach). Welsche Hauben (Zwiebeltürme) treten erstmals in München bei der Frauenkirche auf, die jedoch keine Dorfkirche darstellt (Aufsetzen der Hauben 1525) und sind damit bereits an das Ende der Gotik anzusiedeln. Sie gelten dann später als verbreitetes Element des süddeutschen Barock.

Baumaterial, Technik und Ausstattung, Friedhöfe

Baumaterial und Mauertechnik können variieren und sind stark landschafts- und stilgebunden. Verschiedene Arten von Naturstein (z.B. Sandstein, Kalkstein etc.) aber auch Backstein fanden Verwendung und wurden in unterschiedlichen Mauertechniken verarbeitet (z.B. Quadermauer, Bruchsteinmauer etc.)

Zu typischen Ausstattungsstücken einer gotischen Dorfkirche gehörten außer dem Hauptaltar u.a. ein oder mehrere Nebenaltäre, ein Sakramentshäuschen (entweder in die Wand eingelassen oder als fialenartiger, vor die Wand gesetzter Turm), eine Sitznische sowie Heiligenfiguren in Skulptur und Malerei. Oft waren Dorfkirchen auch großflächig mit Wandmalereien ausgestaltet. Emporen konnten vorhanden sein (Bergham, 1523 erbaut), jedoch als optionales Bauteil mit unterschiedlicher Funktion. Erst mit Einzug der Reformation wurden Emporen ein programmatisches Merkmal in protestantischen Kirchen. Auch Kanzeln fanden erst durch die Reformation eine weite Verbreitung in Dorfkirchen, wenngleich sie im Spätmittelalter schon vorhanden sein konnten. Eine Blütezeit begann in Deutschland erst etwa um 1500. Die in dieser Zeit entstandenen, oft sehr kunstvoll verzierten Kanzeln befinden sich jedoch meist in städtischen Kirchen (z.B. St. Georg, Nördlingen, 1499).

Die Kirchengebäude waren zudem auch eine Begräbnisstätte, so dass sich häufig Grabplatten im Inneren bzw. auf den Fußböden finden. Der Wunsch nach einer Bestattung in der Nähe der Heiligen (Reliquien) bzw. des Altars, aber auch soziale Privilegien waren der Grund hierfür. Auch außerhalb des Gebäudes setzte sich dies fort, so dass die Kirche die Voraussetzung für die Anlage eines Friedhofes bildete und die Gräber anzog. Mit einer Mauer umgeben bildeten diese coemeterien bzw. so genannten Kirchhöfe zusammen mit der Dorfkirche oft die einzigen befestigten Bauten, die der Bevölkerung auch zum Schutz dienten (siehe die "Wehrkirchen"). Aufgrund von Kapazitätsgrenzen innerhalb des Friedhofes mussten Gebeine immer wieder exhumiert werden. Aus Glaubensgründen sollten diese eine Wiederbestattung erfahren, so dass hierfür Beinhäuser (Karner) geschaffen wurden. Diese befanden sich innerhalb des Kirchhofes, auch an das Kirchengebäude angebaut und waren ab dem 12. Jahrhundert entweder von rechteckiger Gestalt oder als Zentralbau ausgebildet. Im 13./14. Jahrhundert entstehen Karner mit einer Apsis, bzw. sechs- oder achteckige Polygone. In der Regel waren sie zweigeschossig, so dass im unteren Geschoss die Gebeine aufbewahrt werden konnten, im oberen Geschoss fanden kirchliche Handlungen statt.

Literatur

  • Art. "Dorfkirche", in: Harald Olbrich (Hg.), Lexikon der Kunst. 2. Band, Leipzig 1989, 196–197.
  • Erich Bachmann, "Dorfkirche", in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Band 4, Stuttgart 1958, 245–274.
  • Günther Binding, Was ist Gotik? Eine Analyse der gotischen Kirchen in Frankreich, England und Deutschland 1140 - 1350, Darmstadt 2000.
  • Tilmann Breuer, Die Kunst der Gotik, in: Andreas Kraus (Hg.)/Max Spindler (Begr.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Zweiter Band: Das Alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 2. Auflage 1988, 1025-1049.
  • Tilmann Breuer, Gotik in Franken, in: Max Spindler (Begr.)/Andreas Kraus (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. Band 3,1: Geschichte Frankens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 1997, 1270-1305.
  • Walter Haas, Kirchenbau und Kirchenausstattung, in: Walter Brandmüller (Hg.), Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte. Erster Band: Von den Anfängen bis zur Schwelle der Neuzeit. II. Das kirchliche Leben, Sankt Ottilien 1998, 1121-1197.
  • Gerhart Klamert (Hg.), Hauben und Zwiebeln. Europäische Turmauswüchse. Merkbilder bayerischer Architektur, München 1989.
  • Sebastian Mickisch, Kraftshof und die sogenannten Wehrkirchen im Umland von Nürnberg - das Phänomen der befestigten Kirchhöfe, Diss. phil. Erlangen 2009.
  • Reiner Sörries, Der mittelalterliche Friedhof. Das Monopol der Kirche im Bestattungswesen und der so genannte Kirchhof, in: Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal (Hg.), Raum für Tote. Die Geschichte der Friedhöfe von den Gräberstraßen der Römerzeit bis zur anonymen Bestattung, Braunschweig 2003.

Weiterführende Recherche

Empfohlene Zitierweise

Sandra Münzel, Dorfkirchen (Gotik), publiziert am 24.04.2025, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Dorfkirchen_(Gotik)> (19.05.2025)