• Versionsgeschichte

Das Bayerische Vaterland

Aus Historisches Lexikon Bayerns

(Weitergeleitet von Das Bayerische Vaterland)
Erste Ausgabe der neu begründeten Monatszeitung Das bayerische Vaterland, April 1962.
Porträt von Johann Baptist Sigl, nicht datiert (Bayerische Staatsbibliothek).

von Paul Hoser

Zeitung des Journalisten Dr. Johann Baptist Sigl (1839-1902), erschienen vom 1. April 1869 bis 26. September 1934. Ihre Tendenz war äußerst antipreußisch, antiliberal und dezidiert katholisch; ein weiteres Wesensmerkmal war ihr antiliberal bedingter Antisemitismus. Sigl schrieb in vulgärem Stil mit mundartlichen Einschlägen. Nach seinem Tod verlor die Zeitung, die 1934 verboten wurde, ihre frühere Bedeutung. Der Versuch einer Wiederbegründung zwischen 1962 und 1969 scheiterte.

Der Gründer Johann Baptist Sigl

Gründer der Zeitung war der Journalist Johann Baptist Sigl (1839-1902), der nach einem abgebrochenen Theologie- und einem zeitweiligen Jurastudium 1863 vier Monate als Novize im Benediktinerkloster St. Bonifaz in München verbracht hatte. Durch Abt Daniel Bonifacius von Haneberg (1816-1876) war er mit dem späteren Führer der Bayerischen Patriotenpartei, Dr. Joseph Edmund Jörg (1819-1901), in Verbindung gekommen, der ihm den Weg in wichtige katholische Kreise ebnete. Seit 1865 war er fester Mitarbeiter des Straubinger Tagblatts und des fundamental katholisch-konservativen Münchner Volksboten, bis er am 1. April 1869 seine eigene Zeitung mit dem Titel "Das Bayerische Vaterland" gründete.

Polemik gegen Preußen

Kontinuierlich polemisierte er gegen den preußischen Staat, dessen König und Regierung. Das bayerische Volk sah er als geknechtet an. Bayern dürfe nicht unter das "preußische Joch" geraten. Das Wort "Saupreuß" floss ihm leicht aus der Feder. Die Machthaber Preußens waren für ihn "die blutigen Mörder von 1866". So erklärte er auch zu Beginn des Krieges mit Frankreich 1870 offen seine Hoffnung auf einen französischen Sieg gegen den "Raubstaat" Preußen.

In der Folgezeit kämpfte Sigl gegen die Aushöhlung der Reste bayerischer Eigenständigkeit und gegen Preußen als Hort des Militarismus. Mehrmals wurde er wegen Beleidigung des Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815-1898) verurteilt, darunter 1875 zu zehn Monaten Gefängnis, ferner 1878 zu drei Monaten, weil er den deutschen Kaiser nur als preußischen König tituliert und das Reich eine "Heimsuchung" genannt hatte.

Verhältnis zu Bayerischer Patriotenpartei, Zentrumspartei und Katholischer Kirche

In den Mai- und Novemberwahlen des Jahres 1869 hatte Sigl Propaganda für die neue Bayerische Patriotenpartei gemacht. Danach war er jedoch über die kompromissbereite Haltung ihrer Abgeordneten enttäuscht, die 1871 teilweise für die Einigungsverträge stimmten. Im selben Jahr gründete er eine eigene "Katholische Volkspartei", die aber 1874 schon wieder verschwand. Das aus der Patriotenpartei hervorgegangene Zentrum bekämpfte er heftig und verschonte auch den katholischen Klerus nicht, wenn er der Ansicht war, dieser käme der liberalen Regierung zu weit entgegen. 1879 riet das Münchner Ordinariat wegen Angriffen Sigls auf den neuen Erzbischof Antonius von Steichele (1816-1889, reg. seit 1878) von der Lektüre seines Blatts ab. Der päpstliche Kardinalstaatssekretär entzog Sigl die Lizenz zur Sammlung des Peterspfennigs und rief die Gläubigen dazu auf, ihr Abonnement zu kündigen. Das Blatt überstand jedoch diese bedrohliche Krise.

Verhältnis zum Liberalismus

Neben dem Zentrum waren die Liberalen, die sich an Preußen orientierten und für das Sigl verhasste Staatskirchentum eintraten, ein zentraler Gegner. Der liberale bayerische Ministerratsvorsitzende Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1819-1901) strengte einen Beleidigungsprozess gegen ihn an. Außerdem denunzierte er die liberalen Münchner Neuesten Nachrichten und erreichte in einem Fall ihre Konfiszierung.

In der Krise nach dem Tod König Ludwigs II. (1845-1886, reg. 1864-1886) stellte sich Sigl zur allgemeinen Überraschung hinter das von ihm zuvor stark bekämpfte Ministerium unter Johann von Lutz (1826-1890). Von da an blieb er prinzipiell auf Seiten der bayerischen Regierungen.

Gegen Freimaurer und Juden als Kirchenfeinde

In der Frage des Unfehlbarkeitsdogmas stand er bedingungslos auf Seiten des Papstes und polemisierte gegen Ignaz von Döllinger (1799-1890) und die Altkatholiken, die er als von den Liberalen benutztes Werkzeug zur Spaltung der Kirche ansah. Für die Agitation gegen die Jesuiten machte er die atheistischen und liberalen Freimaurer verantwortlich. Hinter diesen aber standen nach Sigls Ansicht die Juden als "Preußen der Wirtschaft". Er publizierte laufend neben antipreußischen auch antisemitische Karikaturen, nahm allerdings die religiösen Juden von seiner Agitation ausdrücklich aus.

Organ des Bayerischen Bauernbundes

Im Interesse der Bauern verlangte das Bayrische Vaterland Schutzzölle. 1895 war Sigl einer der Mitbegründer des Bayerischen Bauernbundes. Seine Zeitung wurde dessen offizielles Organ in München. 1893 bis 1899 war er Reichs-, und 1897-1899 gleichzeitig Landtagsabgeordneter des Bauernbundes.

Auflagenentwicklung und wirtschaftlicher Erfolg

Die erste reguläre Nummer ging an 400 Abonnenten, die Leserzahl stieg nach einem Jahr auf 5.400 an. Im ersten Jahr seines Bestehens musste das Blatt 15 Beschlagnahmungen und 40 gerichtliche Untersuchungen über sich ergehen lassen. 1870 wurden sogar insgesamt 105 Nummern, d. h. ein Drittel der gesamten Jahresausgaben des Bayrischen Vaterlands, konfisziert. Überdies wurde ihm bei Kriegsbeginn 1870 für fast zwei Jahre das Recht des Straßenverkaufs entzogen. Von seinen damals 6.000 Lesern verlor das Blatt dadurch ein Drittel, sodass es an den Rand des wirtschaftlichen Ruins geriet. Doch stieg die Auflage noch vor der Wiederzulassung zum Straßenverkauf auf 8.000. Mit dem Misserfolg seiner Partei kränkelte zunächst auch Sigls Zeitung; die Auflage stieg jedoch von 2.000 im Jahr 1876 auf 7.000 bis 8.000 in den 1890er Jahren. Von sensationellen Nummern wurden im Straßenverkauf bis zu 10.000 und mehr abgesetzt. Anzeigenkunden waren vor allem Brauereien, Gaststätten und Münchner Geschäfte. Das Bayrische Vaterland war insgesamt ein sehr profitables Unternehmen und brachte Sigl ein Vermögen ein.

Besitzverhältnisse nach Sigls Tod

Sigl starb 1902 in geistiger Umnachtung. Für 20.000 Mark kauften der Geistliche Rat Hermann Sturm (geb. 1851) und der Expeditor Früchtl die Zeitung, die jedoch ihre frühere Bedeutung nie mehr erlangen konnte. Sie war auch kein offizielles Organ des Bayerischen Bauernbundes mehr.

1920 wechselte die Zeitung in den Besitz einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Geschäftsführer war der Landtagsabgeordnete und Generalsekretär des Christlichen Bauernvereins, Dr. Sebastian Schlittenbauer (1874-1936), Miteigentümer waren dessen Leiter Dr. Georg Heim (1865-1938) und vermutlich der Großkaufmann Eduard August Scharrer (1880-1932). 1921 wurde eine Kommanditgesellschaft Eigentümerin, hinter der Scharrer stand. 1921 übernahm das katholische Verlagsunternehmen Veduka in Dillingen die Zeitung, das sie 1926 an eine Gruppe um den Mörder Kurt Eisners (1867-1919), Graf Anton von Arco-Valley (1897-1945), verkaufte. Letzter Inhaber war Anton Fröhlich, der eine Buch- und Kunstdruckerei in München besaß.

Politische Haltung bis zur Auflösung 1934

Die Zeitung war weiter betont partikularistisch und antisemitisch und galt als Sprachrohr des rechten Flügels der Bayerischen Volkspartei (BVP). Sie bekämpfte Adolf Hitler (1889-1945) als Bedrohung der bayerischen Eigenstaatlichkeit und wurde am 26. September 1934 verboten.

Der Versuch eines Neubeginns 1962-1969

Von 1962 bis Juni 1969 erschien eine Zeitschrift Das Bayerische Vaterland, die an die alte Tradition Sigls anzuknüpfen versuchte. Alleiniger Inhaber und Herausgeber war der Rechtsanwalt Dr. Erich R. Bohrer. Er wandte sich gegen die Bonner Regierung als Wurzel allen Übels und plädierte für eine bayerische "Krondemokratie".

Literatur

  • Hans Zitzelsberger, Die Presse des bayerischen Partikularismus von 1848-1950, Diss. phil., München, Schloß Birkeneck 1937.
  • Charlotte Harrer, Die Geschichte der Münchener Tagespresse 1870-1890 (Zeitung und Leben 75), Würzburg-Aumühle 1940.
  • Karl Möckl, Die Prinzregentenzeit. Gesellschaft und Politik während der Ära des Prinzregenten Luitpold in Bayern, München/Wien 1972.
  • Rupert Sigl, Dr. Sigl. Ein Leben für das Bayrische Vaterland, Rosenheim 1977.
  • Friedrich Hartmannsguber, Die Bayerische Patriotenpartei 1868-1887 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 82), München 1986.
  • Paul Hoser, Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe der Münchner Tagespresse. Methoden der Pressebeeinflussung (Europäische Hochschulschriften III 447). 2 Bände, Frankfurt am Main 1990.
  • Anton Hochberger, Der Bayerische Bauernbund 1893-1914 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 99), München 1991.
  • Zeitungsgruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung (Hg.), CI. Attenkofer’sche Buch- und Kunstdruckerei von 1960 bis 2010. 150 Jahre Straubinger Tagblatt. Eine Chronik, Straubing 2010.

Quellen

Weiterführende Recherche

Verwandte Artikel

Empfohlene Zitierweise

Paul Hoser, Das Bayerische Vaterland, publiziert am 03.07.2006 (Aktualisierte Version 15.02.2022); in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Das Bayerische Vaterland> (19.04.2024)