Schlachtsteuer
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Verbrauchssteuer (bzw. Abgabe), die auf die Schlachtung von Vieh bzw. analog auf die Einfuhr von Fleisch erhoben wird (auch Fleischsteuer genannt). Ihre Einführung in Bayern führte im Jahr 1930 zum Scheitern der von der Bayerischen Volkspartei (BVP) geführten Regierungskoalition mit Bayerischem Bauernbund (BB) und Deutschnationaler Volkspartei (DNVP) unter Ministerpräsident Heinrich Held (BVP, 1868-1938). Die Regierung Held hatte keine parlamentarische Mehrheit mehr, blieb aber bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten im März 1933 geschäftsführend im Amt.
Gesetzgebungsverfahren 1930 mit Hindernissen
Dass die Regierung an der umstrittenen Einführung der Schlachtsteuer "nach dem Vorbilde Sachsens und Badens" (so Finanzminister Hans Schmelzle, 1874-1955) festhielt, begründete sie mit der desolaten Haushaltslage. Die Parlamentsmehrheit lehnte das Schlachtsteuergesetz am 15. Juli 1930 mit 67 Stimmen (SPD, KPD, NSDAP und Bauernbund) gegen 57 Stimmen (BVP, DNVP) ab. Am nächsten Tag trat der Bauernbund mit Landwirtschaftsminister Anton Fehr (1881-1954) aus der Koalition aus. Die Regierung Held erließ daraufhin am 1. August eine "Verordnung zur Behebung des finanziellen Notstandes des Staates", welche die abgelehnte Steuer wieder enthielt. Am 20. August erzwang der Landtag auch die Aufhebung dieser Verordnung; daraufhin machte das Kabinett Held den angedrohten Rücktritt wahr, führte aber weiter die Geschäfte (Schmelze gab sein Amt allerdings auf). Die nun geschäftsführende Regierung brachte die Schlachtsteuer ein weiteres Mal am 31. Oktober 1930 vor den Landtag – als Teil des "Gesetzes zur Abgleichung des ordentlichen Staatshaushaltes". Dieses Gesetz fand eine Mehrheit dank der Sozialdemokraten, die eine weitere Zuspitzung der Krise verhindern wollten. Damit konnte die Schlachtsteuer erhoben werden.
Art und Umfang der Steuer
Die Schlachtsteuer wird in den Haushaltsplänen als "Steuer vom Fleischverbrauch" aufgeführt. Sie erfasste
- die Schlachtung von Rindern, Schweinen und Schafen,
- die Einfuhr von Fleisch dieser Tiere und von Wurstwaren (Ausgleichssteuer),
- eine Abgabe auf erlegtes Wild.
Erhoben wurde die Steuer von der Person, auf dessen Rechnung die Tiere geschlachtet (oder eingeführt) wurden, doch auch der Lohnschlächter konnte gegebenenfalls herangezogen werden. Die Abgabe auf das Wild musste vom Jagdberechtigten oder Pächter abgeführt werden. Eingezogen wurde die Schlachtsteuer durch die Gemeindebehörden. Für Notschlachtungen gab es Sonderregelungen, für Hausschlachtungen ermäßigte Tarife.
Die Steuersätze staffelten sich nach Art und Gewicht der Tiere. So betrug die Schlachtsteuer auf einen Ochsen 15 (bis 750 Kilogramm) bzw. 18 (ab 750 Kilogramm) Reichsmark, nach einer 1931 erfolgten Erhöhung 30 bzw. 36 Reichsmark. Ein Schwein kam nach der Tariferhöhung je nach Gewicht auf 5 bis 8 Reichsmark (ab 75 Kilogramm). (GVBl, 1930, S. 327; Änderung durch Verordnung vom 26. August 1931, GVBl, 1931, S. 223).
Die Einnahmen aus der Schlachtsteuer betrugen für 1931 rund 15 Mio. Reichsmark. Nach der Erhöhung im September 1931 lagen sie für 1932 und 1933 bei rund 20 Mio. Reichsmark. Das entspricht in etwa dem Betrag, der zur Abgleichung des Haushalts 1930 gefehlt hatte, und zu dessen Deckung sie eingeführt worden war. Zum Vergleich: Die Erträge aus der Gewerbesteuer fielen im selben Zeitraum von 16 (1931) über 13 (1932) auf zehn Mio. (veranschlagt für 1933) Reichsmark. Die gesamten Einnahmen Bayerns "nach Abzug der durchlaufenden Posten" wurden für 1932 auf 540 Mio. RM angesetzt, wie Finanz-Staatsrat Fritz Schäffer (BVP, 1888-1967) am 12. Februar 1932 dem Landtag auseinandersetzte (Gesamtvolumen des ordentlichen Haushalts: 783 Mio. RM). Der Anteil aller Landessteuern daran war mit rund 153 Mio. Reichsmark veranschlagt.
Geschichte
Die Geschichte der Schlachtsteuer reicht bis ins Mittelalter. Als staatliche oder kommunale Abgabe wurde sie im 19. Jahrhundert in vielen deutschen Ländern und Städten erhoben. Gerechtfertigt wurde sie damit, dass sie - anders als eine Getreidesteuer - "die höhern Klassen" mehr belaste, "deren Fleischverbrauch ein verhältnismäßig größerer ist als bei den untern Klassen" ("Fleischsteuer", in: Meyers Konversationlexikon von 1889). Nach anderer populärer Auffassung belasten Verbrauchssteuern auf Lebensmittel Einkommensschwächere allerdings überproportional.
Diskussion über die Auswirkungen
Die mutmaßlichen Auswirkungen der Steuer waren auch der Grund für deren unterschiedliche Bewertung in Bayern 1930: Entweder konnte sie auf den Verbraucher überwälzt werden, dann stiegen die Lebensmittelpreise, und das in einer Zeit, in der große Teile der Bevölkerung aufgrund der Weltwirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit in finanzielle Not geraten waren; oder die Steuer konnte nicht auf den Verbraucher überwälzt werden, dann führte sie zu niedrigeren Erzeugerpreisen und Verkaufserlösen für die Bauern. Das wiederum gefährdete die Existenz vieler landwirtschaftlicher Betriebe, da sich das Land in einer der schlimmsten Agrarkrisen des Jahrhunderts befand.
So lehnte die Opposition aus SPD, Kommunisten und NSDAP die Einführung ab, weil die Schlachtsteuer vor allem die weniger Begüterten treffe, deren Lebensunterhalt dadurch verteuert würde. Die Kommunisten sprachen von einer "Hungersteuer". Die SPD schlug vor, zur Sanierung der Staatsfinanzen die "freiwilligen Leistungen des Staates an die Kirche" zu kürzen - ein Vorschlag, den die katholische BVP nicht unterstützen wollte. Die Nationalsozialisten nutzten die verfahrene Situation zusätzlich, um grundsätzliche Systemkritik zu betreiben und den Landtag als nicht rechtmäßig ("Landesabgeordnete", siehe Wahlrecht) und als nicht handlungsfähig vorzuführen.
Innerhalb der Regierungskoalition war die Schlachtsteuer vor allem wegen ihrer mutmaßlichen Auswirkungen auf Landwirtschaft und das Fleisch verarbeitende Gewerbe umstritten. Während sich in der Bayerischen Volkspartei jedoch die Regierungsposition durchsetzte, trug der Bayerische Bauernbund die Schlachtsteuer nicht mit und nutzte die Auseinandersetzung darüber zur Profilierung bei den als Wähler umkämpften Landwirten.
Die bayerische Schlachtsteuer führte auch in der Öffentlichkeit zu heftigen Diskussionen und Beschwerden über Fleischpreise und Metzger, die angeblich überhöhte Aufschläge berechneten. Empirisch-historische Forschungen zur Preiswirkung der preußischen "Mahl- und Schlachtsteuer" zeigen, dass indirekte Steuern unter bestimmten Bedingungen tatsächlich zu mehr als 100 % vom Steuerpflichtigen auf Dritte (in diesem Fall: die Verbraucher) abgewälzt werden können (Spoerer, Steuerlast).
Wiedereinführung nach 1945
Insgesamt hatte sich die Schlachtsteuer als eine für den Staat ergiebige Einnahmequelle erwiesen, die jedoch immer umstritten blieb. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine analoge Abgabe erhoben ("Verordnung des Bayer. Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die Erhebung von Abgaben im Bereich der Ernährungswirtschaft", GVBl 1949, 122 ff.). Das "Inventar der Steuern, die in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erhoben werden" (17. Ausgabe, Luxemburg 2000) führt für Deutschland aber mittlerweile keine Schlachtabgaben mehr auf (anders etwa als für Frankreich).
Dokumente
Literatur
- Franz Menges, Hans Schmelzle. Bayerischer Staatsrat im Ministerium des Äußeren und Finanzminister. Eine politische Biographie mit Quellenanhang, München 1972.
- Mark Spoerer, Steuerlast, Steurerinzidenz und Steuerwettbewerb. Verteilungswirkungen der Besteuerung in Preußen und Württemberg (1815-1913) (Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 6), München 2004.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Fleischsteuer
Empfohlene Zitierweise
Stefan Primbs, Schlachtsteuer, publiziert am 29.1.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Schlachtsteuer> (31.10.2024)