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Ellwanger Kreis: Unterschied zwischen den Versionen

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Am 1. März 1947 gegründeter loser Zusammenschluss von Politikern der Christlich Sozialen Union (CSU) und der Christlich Demokratischen Union (CDU) aus den im Süden Deutschlands liegenden Besatzungszonen. Anfangs befasste sich der Kreis mit programmatischen und christlichen Grundsätzen der neu gegründeten Unionsparteien und der Konsolidierung ihrer Politik; 1947/48 war er ein Forum für die Diskussion von Verfassungsfragen. Nach Gründung der Bundesrepublik 1949 widmete er sich Grundsatzproblemen der Staats- und Gesellschaftsordnung. 1972 löste sich der Kreis auf.
Am 1. März 1947 gegründeter loser Zusammenschluss von Politikern der Christlich Sozialen Union (CSU) und der Christlich Demokratischen Union (CDU) aus den im Süden Deutschlands liegenden Besatzungszonen. Anfangs befasste sich der Kreis mit programmatischen und christlichen Grundsätzen der neu gegründeten Unionsparteien und der Konsolidierung ihrer Politik; 1947/48 war er ein Forum für die Diskussion von Verfassungsfragen. Nach Gründung der Bundesrepublik 1949 widmete er sich Grundsatzproblemen der Staats- und Gesellschaftsordnung. 1972 löste sich der Kreis auf.
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Version vom 9. September 2021, 11:51 Uhr

Hans Ehard (1887–1980). (Foto: Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung)
Werner Hilpert (1897–1957). (Foto: Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung)
Dr. Heinrich Köhler (1878-1949). (Bundesarchiv B 102-05710/Foto: o. A.)
Heinrich Krone (1895–1889). (Foto: Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad-Adenauer-Stiftung)
Walter Strauß (1900–1976). (Bundesarchiv, B 145 Bild-F006740-0004/Fotograf: o. A.)
Beziehungsschema der Verfassungsorgane nach einem Verfassungsentwurf, den der Ellwanger Kreis am 13. April 1947 in Bad Brückenau (Lkr. Kissingen) präsentierte. Der Entwurf sah vor, dass auf die Dauer von vier Jahren Bundesrat und Bundestag den Bundespräsidenten wählen, der Bundestag sollte aus allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlen hervorgehen. Die Landesregierungen sollten je zwei weisungsgebundene Mitglieder in den Bundesrat entsenden. Ein Bundesverfassungsgerichtshof sollte zwischen Bund und Ländern sowie unter den Ländern als Schlichtungsstelle fungieren. (Grafik: Bernhard von Zech-Kleber)

von Günter Buchstab

Am 1. März 1947 gegründeter loser Zusammenschluss von Politikern der Christlich Sozialen Union (CSU) und der Christlich Demokratischen Union (CDU) aus den im Süden Deutschlands liegenden Besatzungszonen. Anfangs befasste sich der Kreis mit programmatischen und christlichen Grundsätzen der neu gegründeten Unionsparteien und der Konsolidierung ihrer Politik; 1947/48 war er ein Forum für die Diskussion von Verfassungsfragen. Nach Gründung der Bundesrepublik 1949 widmete er sich Grundsatzproblemen der Staats- und Gesellschaftsordnung. 1972 löste sich der Kreis auf.

Vorgeschichte

Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs bildeten sich in Deutschland unabhängig voneinander christlich-demokratische Gruppierungen, die eine Partei völlig neuen Typs anstrebten, nicht nur für Arbeiter, nicht nur für einzelne Wirtschaftsgruppen oder nur für Katholiken oder Protestanten – eine überkonfessionelle Volkspartei der Mitte. Zwar waren die Gründer durchdrungen von gleichen weltanschaulichen Überzeugungen und stimmten in programmatischen Grundsätzen und allgemeinen politischen Zielsetzungen weitestgehend überein, doch gab es in der Praxis, in der Alltagspolitik, ebenso viele Nahtstellen wie es Besatzungszonen und regionale Zusammenschlüsse gab.

Das erste überzonale Gremium der Unionsparteien, der Anfang 1946 gebildete "Zonenverbindungsausschuß", konnte eine integrative Wirkung nicht entfalten, da Konrad Adenauer (1876–1967, Bundeskanzler 1949–1963) als Vorsitzender der Christlich Demokratischen Union (CDU) der britischen Zone entschieden Einspruch gegen die Verbindlichkeit seiner Beschlüsse erhob. Auch der Anfang 1947 konstituierten "Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU Deutschlands" gelang es – aus unterschiedlichsten Gründen – nur bedingt, die heterogenen Landesverbände unter einem Dach zusammenzuführen.

Erste Zusammenkunft

Diesem unbefriedigenden Zustand verdankt der Ellwanger Kreis seine Entstehung. Der Wunsch, die Arbeit von CDU und Christlich Sozialer Union (CSU) in den Allparteienregierungen und im Länderrat der amerikanischen Zone, dem zentralen Organ der Länderchefs, besser aufeinander abzustimmen, war der Grund für eine erste Versammlung am 1. und 2. März 1947 im heute baden-württembergischen Ellwangen, das etwa in der Mitte zwischen den Hauptstädten München, Stuttgart und Wiesbaden liegt. Er war keine Organisation der Unionsparteien, vielmehr ein lockerer Zusammenschluss aus CDU- und CSU-Politikern, von Ministern und Staatssekretären aus den Ländern Bayern, Württemberg-Baden und Hessen, dessen Bildung auf praktisch-politischen Erwägungen beruhte.

Gründerkreis und Mitglieder

Initiatoren waren der bayerische Staatsminister Dr. Anton Pfeiffer (1888–1957), später Botschafter in Belgien, Werner Hilpert (1897–1957), Minister für Wirtschaft und später Finanzminister in Hessen, sowie Dr. Heinrich Köhler (1878-1949), in der Weimarer Republik Reichsfinanzminister, seit 1946 stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Wirtschaft in Stuttgart. Die Organisation oblag dem Staatssekretär des württemberg-badischen Staatsministeriums, Hermann Gögler (1887–1964), der aus Ellwangen stammte. Der gute Verlauf der ersten Tagung führte dazu, das Gremium beizubehalten und die Koordinationsmöglichkeit auf weitere Länder und Zonen auszuweiten. Schon in der zweiten Sitzung stießen aus der französischen Zone Gebhard Müller (1900–1990), Staatspräsident in Württemberg-Hohenzollern 1948-1952 bzw. Ministerpräsident in Baden-Württemberg 1953–1958, Paul Binder (1902–1981, Vizepräsident und Staatssekretär in Württemberg-Hohenzollern 1946), beide aus Tübingen, und Clemens von Brentano (1886–1965, Staatssekretär in Baden 1946–1950) aus Freiburg dazu, schließlich profilierte CDU-Vertreter aus der britischen Zone und nach 1949 auch aus der Bundespolitik. Zu ihnen zählten unter anderem:

Von 1947 bis 1972, als sich der Kreis in seiner traditionellen Form auflöste, fanden 57 Tagungen statt. Bis zuletzt bewahrte der Kreis seine lockere Organisationsform ohne Statuten. Mehr als 60 Mitglieder zählte der Kreis, der regelmäßig am Dreikönigsfest zusammentraf, zu keinem Zeitpunkt.

Vorarbeiten für das Grundgesetz

Anfangs behandelte der Ellwanger Kreis neben der zwischenzonalen Abstimmung Fragen der zukünftigen Gestaltung Deutschlands – bei der ersten Tagung referierte Hans Ehard (1887–1980, Ministerpräsident 1946–1954 und 1960-1962) über dieses Thema –, Grundlagen der neuen überkonfessionellen Volksparteien, Bodenreform- und Sozialisierungsfragen und diskutierte über einen künftigen Friedensvertrag. Ab Ende 1947 bis 1949 standen Fragen der Verfassung im Vordergrund. Ein "Arbeitskreis zur Vorbehandlung von Verfassungsfragen", den Walter Strauß, Staatssekretär im Hessischen Staatsministerium, vorgeschlagen hatte, erarbeitete "Grundsätze für eine deutsche Bundesverfassung". Dieser Titel deutete indirekt zwar schon die Bezeichnung "Bundesrepublik Deutschland" an, geprägt wurde sie aber durch eine Vorlage des Stuttgarter "Büros für Friedensfragen", die wiederum beeinflusst war von einer einschlägigen Formulierung aus der Verfassung von Württemberg-Hohenzollern. Mit ihrem klaren Bekenntnis zum Föderalismus gingen die "Grundsätze" indes nicht ins Detail, legten wohl aber die großen Linien einer zukünftigen Bundesverfassung fest. Nicht zuletzt sahen sie auch die Aufnahme der Menschenrechte in die Verfassung vor. Dieser Entwurf wurde am 13. April 1948 in Bad Brückenau (Lkr. Bad Kissingen), der am stärksten besuchten, einzigen Tagung außerhalb Ellwangens, bei Anwesenheit Konrad Adenauers, des fast vollzähligen bayerischen Kabinetts und von Vertretern aus der französischen Zone eingehend diskutiert. Vor allem an der vorgesehenen starken Stellung des Bundesrats entzündete sich Streit, wobei Adenauer die weitreichenden Kompetenzen des Bundesrats und die dagegen eher bescheidene Rolle des Bundestags heftig kritisierte. Trotz der Überarbeitung der "Grundsätze" kam eine einheitliche Stellungnahme der Unionsparteien nicht zustande. Die Differenzen zwischen denen, die eine zu starke Zentralgewalt fürchteten, und denen, die einen zu starken Bundesrat ablehnten, dauerten an, so dass die CDU/CSU in die Beratungen des Parlamentarischen Rats ohne eine von all ihren Mitgliedern akzeptierte Verfassungskonzeption ging. Damit zeichnete sich bereits ihre Uneinigkeit bei den kommenden Beratungen in Bonn ab. Immerhin aber lagen die Ellwanger Grundsätze neben dem überparteilichen Herrenchiemseer Entwurf – auf der Herreninsel im Chiemsee hatte im August 1948 ein Expertenkomitee für Verfassungsfragen getagt, das von den Ministerpräsidenten eingesetzt worden war – als offizielle Drucksache dem verfassunggebenden Gremium vor. Anders als die Ellwanger Grundsätze war der Entwurf der Experten von Herrenchiemsee, zu denen auch einige "Ellwanger" - wie Josef Beyerle (1881-1963) und Anton Pfeiffer - zählten, ein fast vollständiges Konzept eines Grundgesetzes. Dennoch erlangte auch der Ellwanger Entwurf nachhaltigen Einfluss, und im Prinzip setzten sich seine föderativen Vorstellungen durch, wozu maßgebliche Mitglieder des Kreises beitrugen, die im Parlamentarischen Rat an der Erarbeitung des Grundgesetzes beteiligt waren.

Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland

Noch bis zum Jahr 1952, dem Jahr der Bildung des Südweststaats Baden-Württemberg, standen verfassungsrechtliche Erörterungen im Vordergrund der Tagungen des Ellwanger Kreises. Danach wurde – weitestgehend losgelöst von tagespolitischen Erwägungen – eine Vielzahl von Themen behandelt: Grundfragen christlicher Politik und kulturpolitische Themen, in erster Linie Schulfragen, daneben Wirtschafts- und Finanzfragen, Außen- und Deutschlandpolitik, Sozialpolitik, Fragen der europäischen Integration, die Lage der Kirchen und ihr Verhältnis zum Staat. Eine ähnliche Initiativfunktion wie für das Grundgesetz erreichten die Ellwanger dennoch nicht mehr – bis auf eine Ausnahme: Beim Aufbau der Bundeswehr Mitte der 1950er Jahre befasste sich der Kreis, der sich stets der christlichen Programmatik der Gründerjahre verpflichtet fühlte, mit der Frage der Wehrmachtsseelsorge, d. h. der freien religiösen Beteiligung und der Ausübung der Seelsorge in der Bundeswehr. Diese Frage wurde im Vorfeld der entsprechenden Gesetzgebung so eingehend behandelt, dass Walter Strauß 1967 festhielt, "die hier erarbeiteten Gedankengänge (seien) im wesentlichen in die späteren verfassungsrechtlichen Regelungen eingegangen".

Nachlassende Resonanz

War das im Hintergrund bleibende und der Allgemeinheit kaum bekannte Gremium hochrangiger Unionspolitiker in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein bedeutender Impulsgeber und ein wichtiges Koordinationsorgan für die Unionsparteien, so zeigte sich jedoch zunehmend, dass der Anspruch dieser "in der deutschen Parteiengeschichte völlig neuartigen Erscheinung" (Walter Strauß/Paul Binder), auf der Basis gemeinsamer christlicher Grundüberzeugungen politische Grundlagenarbeit zu betreiben, mehr und mehr fragwürdig wurde, nachdem die ihn ursprünglich tragenden Personen aus dem aktiv-politischen Leben ausgeschieden waren, CDU und CSU sich in der deutschen Parteienlandschaft etabliert und die politischen und administrativen Strukturen der Bundesrepublik sich gefestigt hatten. Und nicht zuletzt war der nachlassende Einfluss darin begründet, dass sich der betont christliche Geist, der die "Ellwanger" getragen hatte, durch den spätestens in den 1960er Jahren spürbaren gesellschaftlichen Säkularisierungsprozess verflüchtigte, der auch vor den Unionsparteien nicht Halt machte.

Selbstverständnis

Dass der Kreis sich erst 1972 auflöste, während alle anderen zwischen 1945 und 1948 entstandenen Kreise - wie etwa der überparteiliche "Laupheimer Kreis" - bald wieder auseinandergefallen waren, kann aus seinem Selbstverständnis erklärt werden. Es war die "in ihm menschlich verkörperte Tradition" (Heinrich Krone [1895–1989, 1961–1966 Bundesminister für besondere Aufgaben]), die seinen Zusammenhalt begründete. Er hatte kein theoretisches Programm, war vielmehr getragen vom Geist der CDU/CSU-Gründergeneration, den historischen Erfahrungen seiner Mitglieder, ihrer Orientierung an den zeitgebundenen Erkenntnissen und Erfordernissen und von ihrem gemeinsamen Bestreben, eine angemessene Antwort auf die Fragen und Probleme der unmittelbaren Nachkriegszeit zu finden, die sich angesichts der Katastrophe des Naziregimes und des Zweiten Weltkriegs stellten.

Literatur

  • Günter Buchstab, Der Ellwanger Freundeskreis der CDU/CSU, in: Ellwanger Jahrbuch 36, Ellwangen 1996, 174-184.
  • Günter Buchstab, Ellwanger Kreis, in: Winfried Becker u. a. (Hg.), Lexikon der Christlichen Demokratie in Deutschland, Paderborn 2002, 505.
  • Utz Friedemann, Preuße, Protestant, Pragmatiker. Der Staatssekretär Walter Strauß und sein Staat (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 40), Tübingen 2003.
  • Karl-Ulrich Gelberg, Hans Ehard. Die föderalistische Politik des bayerischen Ministerpräsidenten 1946-1954 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 18), Düsseldorf 1992.
  • Peter Jakob Kock, Bayerns Weg in die Bundesrepublik (Studien zur Zeitgeschichte 22), München 2. Auflage 1988.
  • Richard Ley, Föderalismusdiskussion innerhalb der CDU/CSU: Von der Parteigründung bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes (Zusatzinformationen. Beiträge zu Wissenschaft und Politik 17), Mainz 1978.
  • Rudolf Vogel, Erinnerungen und Bemerkungen zum "Ellwanger Kreis", in: Ellwanger Jahrbuch 28, Ellwangen 1980, 171-180.

Quellen

  • Nachlass Anton Huber, in: Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), 01-469.
  • Nachlass Christian Krull, in: ACDP, 01-029.
  • Nachlass Hermann Gögler, in: ACDP, 01-144.
  • Nachlass Walter Strauß, in: ACDP, 01-050.

Weiterführende Recherche

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Ellwanger Freundeskreis

Empfohlene Zitierweise

Günter Buchstab, Ellwanger Kreis, publiziert am 19.04.2011; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ellwanger_Kreis> (31.10.2024)