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Liber illuministarum

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Diese Zeichnungen eines Destillierkolbens und eines alchemistischen Ofens sind die einzigen graphischen Darstellungen, die in der Handschrift enthalten sind. (Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 821, fol 218r und 219v)
Schriftproben der verschiedenen Schreiber der Handschrift. (aus: Bartl u. a., Der Liber illuministarum, 55)

von Anna Bartl

Im Kloster Tegernsee entstandene kunsttechnologische Sammelhandschrift, die heute in der Bayerischen Staatsbibliothek als Cgm 821 verwahrt wird. Der Liber illuministarum ist die umfangsreichste derzeit bekannte mitteleuropäische Quelle für Kunst- und Werktechniken im ausgehenden Spätmittelalter. Er entstand um 1500, maßgeblicher Schreiber war der Tegernseer Klosterbibliothekar Konrad Sartori (gest. 1531). Die Rezepte und Anleitungen der Handschrift dienten vor allem dem Gebrauch im Skriptorium. Bedeutsam ist ferner die nur hier überlieferte Beschreibung zur Herstellung von Pressbrokat. Der Liber illuministarum wurde ausschließlich im Kloster Tegernsee verwendet.

Entstehung und Überlieferung

Der Liber illuministarum ist eine Sammelhandschrift aus dem Benediktinerkloster Tegernsee. Seit dem 16. Jahrhundert aus verschiedenen Papierhandschriften zu einem einfachen Kopert (flexibler Bucheinband für Gebrauchsschrifttum) zusammengenäht, trägt es auf dem vorderen Buchdeckel den Titel "Liber illuministarum pro fundamentis auri et coloribus ac consimilibus collectus ex diversis": Ein Buch von und für Buchmaler, über Goldgrundierungen, Farben und Verwandtes, aus verschiedenen [Quellen] zusammengestellt.

Acht Schreiber, darunter der bekannte Bibliothekar des Klosters Konrad Sartori (gest. 1531), verfassten zwischen dem Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts zeitlich versetzt die Texte. Das Buch umfasst heute 231 Folios; einige Blätter und Lagen gingen sowohl vor als auch nach der Paginierung verloren. Die Sprachen sind Latein und Frühneuhochdeutsch in bairischen und schwäbischen Mundarten. Die Schriften sind verschiedene Bastarden (Bastarda = spätmittelalterliche Schriftform).

1803 kam der Codex infolge der Säkularisierung und Auflösung des Klosters in die Hofbibliothek, die heutige Bayerische Staatsbibliothek, nach München. Dort wird er heute unter der Signatur Cgm 821 verwahrt.

Aufbau und Inhalt

Die Handschrift enthält praktische Hinweise und Rezepte aus dem klösterlichen Alltagsleben, die in kurzer und nicht selten stichwortartiger Form wiedergegeben sind; abweichend davon finden sich im ersten Drittel eine Predigt und eine algebraische Rechenlehre als längere Texte. Ihre Anordnung ist auf das Ganze gesehen regellos und weist nur innerhalb der Corpora der einzelnen Schreiber eine lockere Systematik auf. Sie umfasst die Themen Medizin (Pestrezepte, Gicht- und Augenleiden, Verwundungen, Kopfschmerzen etc.), Hygiene (Milbenabwehr etc.), Kosmetik (Haut-, Haarpflege etc.), Haushalts- und Küchenwesen (Essigherstellung, Fischrezept etc.), Pyrotechnik (Feuerwerkskörper etc.), Venatorik (Fischfang etc.), Hortikultur (Baumpflege etc.), Kaufmännisches (Maße und Gewichte, Preise etc.) und Rezepturen mit magischem Inhalt (Edelsteinmagie, Liebesmagie etc.).

Der Schwerpunkt: Kunst- und Werktechniken

Gemäß dem Titel liegt der Schwerpunkt der Handschrift auf den Kunst- und Werktechniken, die Arbeiten im Skriptorium betreffen. Beschrieben werden die Herstellung von Tinten, Farben und Bindemitteln aus den jeweiligen Rohstoffen, außerdem die Zubereitung von Papier, Pergament und Leder, deren Färbung, die Beschreibgrundbereitung, Vergoldungen und Versilberungen sowie die Textausstattung durch hervorgehobene Schriften, farbige Miniaturen und das Randdekor (Fleuronnée). Es ist sogar ein Reinigungsrezept für alte und verschmutzte Bücher enthalten.

Daneben finden sich zahlreiche Anweisungen zur Mischung von Chemikalien für den Werkstattgebrauch, für die Metall-, Glas-, Edelstein-, Bein- und Hornbearbeitung sowie für die Herstellung von gefärbtem Wachs für die Kunstproduktion.

Am bedeutendsten für die kunsttechnologische Forschung ist die ausführliche Beschreibung der Herstellung des Pressbrokats, da sie die einzige schriftliche Quelle zu dieser Kunsttechnik ist. Diese Form der Imitation hochwertiger Brokatstoffe für die Tafel- und Fassmalerei war im süddeutschen Kunstraum im 15. Jahrhundert eine bevorzugte Dekorationstechnik. Durch ihre reliefierte Oberfläche erzeugte sie eine perfekte Illusion von Stofflichkeit. Nachteilig war die schlechte Haltbarkeit der angewandten Zinnfolien, weshalb die Generation um Albrecht Dürer (1471-1528) wieder davon abging und zu der älteren Technik des gemalten Brokats zurückkehrte. Trotz zeitlicher Differenz sind Bezüge zu den Pressbrokaten und Kunsttechniken der um 1444/45 von Gabriel Angler (gest. um 1462) geschaffenen Tabula Magna, des ehemaligen Hochaltars der Tegernseer Klosterkirche, augenscheinlich (heute verteilt auf Bayerisches Nationalmuseum, Bode-Museum Berlin, Pfarrkirche Bad Feilnbach). Sie wurden bislang jedoch durch technologische Analysen nicht verifiziert.

Quellen

Ein Vorläufer des Liber illuministarum findet sich in der Bayerischen Staatsbibliothek unter der Signatur Clm 20174 in Form einer ca. 30 Jahre früher entstandenen Sammelhandschrift des Klosters in Tegernsee. Aus ihm wurde eine Reihe von Rezepten, teilweise mit leichten Abwandlungen, übernommen. Allgemein stehen die kunsttechnologischen Rezepte des Liber illuministarum in der Tradition der Straßburger Textfamilie, in der das Straßburger Manuskript (um 1400) sowie das Amberger und Prager Malerbuch (2. Hälfte des 15. Jahrhunderts) zu den Bekanntesten zählen.

Darüber hinaus benennen die Kompilatoren verschiedene Zeitgenossen, d.h. Mönche, Maler, Apotheker und Händler als Gewährsleute für ihr Wissen. Durch ihre Reisen und Aufenthalte in anderen Klöstern – Tegernsee war ein Zentrum der Melker Klosterreform – kamen sie mit Gleichgesinnten in Verbindung und konnten so Kenntnisse austauschen. Häufiger werden daher als Quelle für ein Rezept ein (Benediktiner-) Kloster wie Scheyarn, Nürnberg oder Göttweig oder ein Mönch angegeben. So wird unter anderem ein Bruder Michael aus Melk für eine Liste von Farbharmonien genannt. Der Kaplan Johannes Purger aus Trient gab seine Kenntnisse zu einer polierbaren Goldgrundierung mit Hausenblasenleim preis. Auch weltliche Experten wurden befragt: Das Rezept, wie man Azurblau aus dem Mineral Azurit gewinnt, stammt von einem ungenannten Ulmer Juden; vermutlich war er Farbenhändler. Ein Maler Johannes aus Ettal wiederum beschrieb ausführlich die Herstellung des Pressbrokats; ein Johannes Höslin aus Augsburg steuerte ein Goldgrundrezept bei. Der Augsburger Miniaturmaler Claus Wolfstrigel (1440-1491) nennt ein Mengenverhältnis für eine Goldgrundierung. Er ist unter den Genannten einer der wenigen, die durch historische Daten identifiziert werden konnten.

Rezeption und Forschungsstand

Die Rezeption blieb vermutlich auf das eigene Kloster beschränkt. Nachweislich bekannt war der Liber illuministarum Wolfgang Seidel (Sedelius, 1492-1562), dem Tegernseer Mönch und Humanisten, der als Hofprediger in München bei den Augustinermönchen weilte und gegen die Reformation in Bayern predigte. Für seine drei Kunstbücher zitierte er einige Rezepte aus dem Liber illuministarum und kommentierte manches davon kritisch. Eine weiter reichende Rezeption innerhalb der Rezeptliteratur ist nicht bekannt.

Erst nach der Überführung in die Hofbibliothek wurden Teile der insgesamt ob ihrer zahlreichen Kürzel nur sehr schwer lesbaren Handschrift vom Münchner Archivar Ludwig Rockinger (1824-1914) durch seine Forschungen zum bayerischen Schriftwesen im Mittelalter der Fachwelt bekannt gemacht. Der Münchner Maler und Akademieprofessor Ernst Berger (1857-1919) edierte 1897 im Rahmen seiner Quellenforschung zur mittelalterlichen Malerei die bedeutenden Rezepte zur Herstellung des Pressbrokats und einige weitere Rezepte zur Maltechnik allgemein. 2005 legte ein interdisziplinäres Forschungsteam die Gesamtedition der kunst- und werktechnischen Rezepte mit ausführlicher Kommentierung vor.

Bedeutung

Durch die Fülle und Vielfalt seiner Rezepte und Materialangaben ist der Liber illuministarum die umfangreichste derzeit bekannte Quellenschrift für die Kunst- und Werktechnologien Mitteleuropas im ausgehenden Mittelalter. Zahlreiche Rezepte sind hier erstmals schriftlich überliefert. Die Handschrift gibt einen repräsentativen Querschnitt durch die zu der Zeit importierten Handelsprodukte für künstlerische Werkstätten, z. B. Bolus aus Armenien, Asa foetida aus Indien, Brasilholz aus Kalikut (ebenfalls Indien) und Süßholzwurzel aus dem Orient - Materialien, die durch die Erforschung der zeitgleichen Apothekertaxen den Handel der Zeit bestätigen.

Literatur

  • Anna Bartl u. a., Der "Liber illuministarum" aus Kloster Tegernsee. Edition, Übersetzung und Kommentar der kunsttechnologischen Rezepte (Veröffentlichung des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung im Germanischen Nationalmuseum 8), Stuttgart 2005.
  • Ernst Berger, Quellen und Technik der Fresko-, Öl- und Tempera-Malerei des Mittelalters von der byzantinischen Zeit bis einschließlich der Erfindung der Ölmalerei durch die Brüder van Eyck, München 1897.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Anna Bartl, Liber illuministarum, publiziert am 08.06.2009; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Liber_illuministarum> (12.12.2024)