Bürgerbräu-Attentat, 8. November 1939
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Unter den mehr als 40 Attentatsversuchen auf Adolf Hitler (1889-1945) ragt der von Georg Elser (1903-1945) am 8. November 1939 verübte Bombenanschlag hervor. Die gegen 21:20 Uhr im Münchner Bürgerbräukeller detonierte Bombe brachte die Decke des Saals zum Einsturz, tötete sieben Menschen auf der Stelle und verletzte 63 weitere. Hitler selbst entging dem Attentat knapp, da er den Bürgerbräukeller unvorhersehbar früh verließ. Trotz seines Scheiterns übertraf die technische Perfektion der Planung und Ausführung alle späteren Attentatsversuche, einschließlich des Attentats am 20. Juli 1944. Elser wurde noch am Tag des Attentats beim Versuch die deutsch-schweizerische Grenze zu überqueren festgenommen und kurz vor Ende des "Dritten Reichs" hingerichtet.
Der Bürgerbräukeller als nationalsozialistischer Gedenkort
Der Münchner Bürgerbräukeller war für die Nationalsozialisten ein wichtiger Gedenkort: Am 8. November 1923 war er Ausgangspunkt für den gescheiterten Marsch der Nationalsozialisten auf Berlin gewesen; am 27. Februar 1925 wurde die zwischenzeitlich verbotene Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) hier wiedergegründet. In der Mythologisierung zur Meistererzählung der NSDAP wurde der Hitlerputsch zur historischen Tat, die ab 1933 alljährlich symbolisch reinszeniert wurde. Die NS-Propaganda deutete das Geschehen vom kläglichen Misserfolg eines dilettantischen Staatsstreichversuchs zum triumphalen Heilsgeschehen um. Dessen wurde mit dem Ritual einer politischen Religion feierlich gedacht. Alljährlich am Abend des 8. Novembers trafen sich im Bürgerbräukeller die "Alten Kämpfer" der NSDAP, um des Putschversuchs von 1923 zu gedenken. Die dabei von Adolf Hitler (1889-1945) gehaltene Rede im Bürgerbräukeller war einer der Höhepunkte des nationalsozialistischen Feierjahrs.
Der Anschlag
Am 8. November 1939 war die Situation anders als in den Vorjahren. Am 1. September hatte mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begonnen, auf den Hitler seit seiner Ernennung zum Reichskanzler zielstrebig hingearbeitet hatte. Das übliche Ritual des Abends war verkürzt worden, der obligatorische Zug zur Feldherrnhalle fand nicht statt. Hitler beabsichtigte nach Ende der Veranstaltung schnellst möglich nach Berlin zurückzukehren. Wegen schlechter Wettervorhersagen konnte er nicht am Morgen des nächsten Tags fliegen, sondern musste auf die Eisenbahn ausweichen. Die Abfahrt seines Zuges war auf 21:32 Uhr festgesetzt. Deshalb verließ Hitler nach Beendigung seiner Rede, in der er hauptsächlich gegen Großbritannien als zentralen Kriegsgegner wetterte, mit seinem Gefolge aus Reichsministern und Parteigrößen um 21:07 Uhr unter den Klängen der Nationalhymne den Raum. Als die in unmittelbarer Nähe zum Rednerpult in einer ausgehöhlten Säule untergebrachte Zeitbombe planmäßig um 21:20 Uhr detonierte, waren noch etwa 160 Personen im Saal. Die Sprengstoffexplosion brachte die Saaldecke zum Einsturz. Acht Personen starben, 63 weitere wurden verletzt.
Der zerstörte Saal des Bürgerbräukellers nach der Explosion. Foto: Heinrich Hoffmann. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-28766)
Untersuchungen des Bombenattentats. Foto: Heinrich Hoffmann. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-28779)
Suche nach den Urhebern
Als Urheber des Attentats wurde der deutschen Öffentlichkeit schnell der Britische Geheimdienst präsentiert, der in den Augen Hitlers für den Anschlag auf sein Leben verantwortlich war. Um diese Behauptung zu untermauern, inszenierte das Reichssicherheitshauptamt einen Tag nach dem Attentat den sog. Venlo-Zwischenfall, bei dem an der niederländischen Grenze zwei Offiziere des britischen Secret Service in einen Hinterhalt gelockt und nach Deutschland entführt wurden. Sie sollten als "Zeugen" in einem Schauprozess nach dem "Endsieg" fungieren, in dem die britische Urheberschaft am Bürgerbräu-Attentat "bewiesen" werden sollte.
Ferner galt der Anführer der "Schwarzen Front" Otto Straßer (1897-1974) bei den Attentatsplänen als zentraler Verbindungsmann zum Britischen Geheimdienst. Straßer, der bis zu einem Zerwürfnis im Jahr 1930 ein enger Mitarbeiter Hitlers gewesen war, war nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ins Exil gegangen und lebte seit 1938 in der Schweiz.
Georg Elser, ein Mann aus dem Volk
Tatsächlich hatte ein ohne Hintermänner agierender Einzeltäter den Anschlag auf Hitler geplant und ausgeführt: Kurz vor der Explosion im Münchner Bürgerbräukeller hatten Zollbeamten um 20:45 Uhr in Konstanz (Baden-Württemberg) den Schreiner Georg Elser (1903-1945) beim Versuch, die Grenze zur Schweiz zu überschreiten, aufgegriffen. Er trug eine Ansichtskarte des Bürgerbräukellers, Zündkapseln und weiteres verdächtiges Material bei sich. Nach München überstellt, gestand er nach mehreren Tagen des Verhörs durch eine Sonderkommission aus Kripo und Gestapo am 14. November die Tat.
Johann Georg Elser war 1903 in Hermaringen bei Heidenheim (Baden-Württemberg) geboren und wuchs nahe der bayerischen Grenze in Königsbronn (Baden-Württemberg) auf, wo die Eltern eine kleine Landwirtschaft betrieben. Die Lehre als Schreiner schloss Elser als Jahrgangsbester ab; er arbeitete zunächst in seiner Heimatregion und von 1925 bis 1932 am Bodensee. Er gehörte keiner politischen Partei an, entwickelte aber früh eine starke Abneigung gegen den Nationalsozialismus, den er für den sozialen und ökonomischen Niedergang Deutschlands verantwortlich machte und der Kriegstreiberei beschuldigte.
Im Herbst 1938 gelangte Elser zur Erkenntnis, dass Hitler beseitigt werden müsse, um einen Krieg zu verhindern und den Frieden zu erhalten. Er machte sich am 8. November 1938 ein Bild des Ablaufs der Feierlichkeiten im Bürgerbräukeller und bereitete im folgenden Jahr das Attentat vor. Zu diesem Zweck beschaffte er sich an verschiedenen Arbeitsplätzen Sprengstoffe und siedelte im August 1939 nach München über. Dort finalisierte Elser seine selbstkonstruierte Bombe und baute sie in mehr als dreißig Nächten unentdeckt im Bürgerbräu-Saal in eine Säule hinter dem Rednerpult ein.
Die Öffentlichkeit wurde am 22. November über Georg Elser als Täter informiert, nachdem er nach Berlin überführt worden war und dort ein zweites Mal von der Gestapo verhört wurde. Er wurde als Werkzeug fremder Mächte dargestellt, da ein Alleintäter aus dem Volk propagandistisch unerwünscht war und als Ausdruck verbreiteter Unzufriedenheit gedeutet werden konnte.
Elser wurde im Weiteren als Sonderhäftling im Konzentrationslager (KZ) Sachsenhausen gefangen gehalten. Die Sonderhäftlinge – ausländische Politiker und hohe Offiziere, prominente Widerstandskämpfer, Angehörige des europäischen Hochadels –, die für das NS-Regime von Bedeutung waren als Geiseln oder aus politischem Kalkül, waren zwar im KZ interniert, teilten aber nicht das Schicksal gewöhnlicher Gefangener. Sie lebten, abgeschottet von ihrer Umgebung, im Arrestbau unter vergleichsweise guten Bedingungen. Für Georg Elser waren drei Zellen zusammengelegt worden, auch eine Schreinerwerkstatt wurde für ihn eingerichtet. Er durfte auf seiner Zither spielen. Der Attentäter war aber gegenüber anderen Gefangenen vollständig isoliert und hatte lediglich Kontakt zu Kalfaktoren (Hilfskräfte) und SS-Wachpersonal. Diese Situation trug erheblich zur Gerüchtebildung über das Attentat bei und nährte die Legende, Elser sei selbst SS-Mann gewesen und habe bei dem im Auftrag der obersten Führung inszenierten Schein-Attentat im Münchner Bürgerbräukeller lediglich eine Statistenrolle gespielt.
Nach vier Jahren wurde Elser an der Jahreswende 1944/1945 ins KZ Dachau verlegt und dort auf Befehl des Chefs der Gestapo Heinrich Müller (1900-1945) am 9. April 1945 ermordet.
Rezeption nach 1945
1951 kamen Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft München zum Ergebnis, dass Elser das Bombenattentat vom 8. November 1939 allein verübt hatte. Dennoch blieb die in der NS-Zeit verbreitete Propaganda noch lange nach 1945 in der Bevölkerung wirkmächtig, indem eine Alleintäterschaft Elsers weiterhin angezweifelt wurde.
Das entgegengesetzte Konstrukt, Elser sei SS-Mitglied gewesen, der im Auftrag der NS-Führung an einer Täuschung mitgewirkt habe, war noch wirkungsvoller. Die Unversehrbarkeit Hitlers, unter dem Schutz der "Vorsehung" sollte angeblich mit dem zum Schein ausgeführten Bürgerbräu-Attentat bewiesen werden. Diese Legende war umso effektiver, weil sie auch von einem Widerstandskämpfer und KZ-Häftling, dem Pastor Martin Niemöller (1892-1984), seit 1945 mit der Autorität des hochrangigen Geistlichen verbreitet wurde.
In der DDR wurde das Bürgerbräu-Attentat nicht gewürdigt, da Elser und seine Tat nicht in das offizielle antifaschistische Geschichtsbild der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) passten. Umgekehrt wurde Elser in der Bundesrepublik lange Zeit als Kommunist abgetan, da er im Verhör angegeben hatte, vor 1933 regelmäßig die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gewählt zu haben. Zwar leistete bereits 1969 der Historiker Anton Hoch (1914-1981) essentielle Forschungen zum Bürgerbräu-Attentat; sie fanden allerdings im Gegensatz zu den 1970 von Hochs Kollegen Lothar Gruchmann (1929-2015) publizierten Verhörprotokolle Elsers nur wenig Beachtung.
Eine umfassende öffentliche Rehabilitierung Elsers als Alleintäter des Bürgerbräu-Attentats setzte erst in den 1980er Jahren ein. Erstmals wurde er 1984 im Rahmen der Gedenkfeier zum 20. Juli 1944 durch Bundeskanzler Helmut Kohl (1930-2017) gemeinsam mit anderen Widerstandskämpfern, die bereits seit Langem geehrt wurden, gewürdigt. Breitenwirkung hatte dann der Kinofilm von Klaus Maria Brandauer (geb. 1943) 1989.
Im Folgenden wurden in ganz Deutschland Straßen und Plätze nach Elser benannt und ihm Denkmäler gesetzt, so 1989 am Standort des früheren Bürgerbräukellers in München oder 1998 in seinem Heimatort Königsbronn. Ausstellungen, Filme und Dokumentationen informierten auch breitere Bevölkerungsschichten über das Wirken Elsers.
1989 am Gasteig in München eingelassene Gedenktafel des Bürgerbräu-Attentats. (Foto: Richard Huber lizenziert durch CC BY-SA 3.0 Deed via Wikimedia Commons)
2010 errichtetes Denkmal in Georg Elsers Heimatgemeinde Königsbronn. (Foto: Gerd Leibrock lizenziert durch CC BY-SA 3.0 Deed via Wikimedia Commons, bearbeitet)
Literatur
Die Gedenkstätte Königsbronn gibt seit 2000 eine Schriftenreihe heraus, in der Dokumente und Studien zum Attentat veröffentlicht werden.
- Wolfgang Benz, Allein gegen Hitler. Leben und Tat des Johann Georg Elser, München 2023.
- Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.), "Ich habe es getan". Aspekte des Widerstands aus heutiger Sicht (Stuttgarter Symposion 14), Leinfelden-Echterdingen 2011.
- Anton Hoch, Das Attentat auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller 1939, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 17 (1969), 383–413.
- Anton Hoch/Lothar Gruchmann, Georg Elser: Der Attentäter aus dem Volke. Der Anschlag auf Hitler im Münchner Bürgerbräu 1939, Frankfurt a. M. 1980
- Hans Günther Hockerts, Mythos, Kult und Feste. München im nationalsozialistischen"Feierjahr", in: München – "Hauptstadt der Bewegung", Ausstellung des Münchner Stadtmuseums, Katalog/Begleitband, München 1993, 331-337.
- Ulrich Renz, Georg Elser. Allein gegen Hitler, Bonn 2020.
- Peter Steinbach/Johannes Tuchel, Georg Elser. Der Hitler-Attentäter, Berlin 2010.
Quellen
Außer den Verhörprotokollen gibt es keine schriftlichen Zeugnisse Georg Elsers. Im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte, München ist eine umfangreiche Materialsammlung, basierend auf den Recherchen Anton Hochs, verwahrt.
- Ernst Deuerlein (Hg.), Der Hitler-Putsch. Bayerische Dokumente zum 8./9. November 1923, Stuttgart 1962.
- Lothar Gruchmann (Hg.), Autobiographie eines Attentäters, Johann Georg Elser. Aussagen zum Sprengstoffanschlag im Bürgerbräukeller, München, am 8. November 1939, Stuttgart 1970.
- Georg Elser: Berliner Verhörprotokoll
Externe Links
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Empfohlene Zitierweise
Wolfgang Benz, Bürgerbräu-Attentat, 8. November 1939, publiziert am 26.02.2024; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bürgerbräu-Attentat,_8._November_1939> (6.12.2024)