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Augsburger Puppenkiste

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Erste erhaltene Darstellung von Marionetten aus dem Hortus deliciarum der Äbtissin Herrad von Landsberg um 1175. (aus: Christian Moritz Engelhardt, Herrad von Landsperg, Aebtissin zu Hohenburg, oder St. Odilien, im Elsaß, im zwölften Jahrhundert und ihr Werk Hortus deliciarum. Ein Beytrag zur Geschichte der Wissenschaft, Literatur, Kunst, Kleidung, Waffen und Sitten des Mittelalters. 2. Band: Systematische Auswahl vom Verfasser nach dem Codex verfertigter Nachbildungen, Stuttgart 1818, Tab. V.)
Walter Oehmichen mit dem kleinen Prinzen (etwa 1951). (aus: 50 Jahre Augsburger Puppenkiste, 1998, 9)
Besucher vor dem Theater (1948). (aus: 50 Jahre Augsburger Puppenkiste, 1998, 15)
Hannelore Marschall-Oehmichen bei der Produktion. (aus: 50 Jahre Augsburger Puppenkiste, 1998, 21)
Stars der Augsburger Puppenkiste. (Foto: Augsburger Puppenkiste)

von Michaela Hammerl

1948 von Walter Oehmichen (1901-1977) gegründetes Augsburger Marionettentheater (Vorläufer 1943/44). Bundesweite Bekanntheit erlangte die Augsburger Puppenkiste durch Fernsehproduktionen seit den 1950er Jahren.

Das Marionettentheater

Über Beginn und Ursprung des Puppenspiels herrscht bis heute Uneinigkeit in der Wissenschaft. Das älteste bildliche Zeugnis einer Marionette in Europa entstammt dem um 1175 entstandenen Kodex "Hortus deliciarum" der Äbtissin Herrad von Landsberg (1125-1195). Im Mittelalter waren es vor allem die Gaukler, die Puppen und mechanische Figuren in ihre Vorführungen miteinbezogen.

Von Puppen- bzw. Marionettentheater kann man erst seit Beginn der Neuzeit sprechen. Englische Komödianten brachten zu Beginn des 17. Jahrhunderts die ersten Marionetten nach Deutschland und machten dort das Marionettentheater bekannt. Im Laufe des 17. und vor allem im 18. Jahrhundert kristallisierten sich zwei große Marionettenzentren heraus: Sachsen und der süddeutsche Raum. Als charakteristische Figur des bayerischen Marionettentheaters tat sich schon bald der Kasperl hervor.

Bis ins 18. Jahrhundert gehörten Marionettenspieler zum "Fahrenden Volk", d. h. sie hatten keinen festen Wohnsitz, sondern zogen von Stadt zu Stadt, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts kamen die ersten stationären Marionettentheater auf. Das erste entstand 1772 in Ulm; es folgten Eisenstadt im Burgenland 1773 und Mannheim 1777. 1858 wurde das berühmte Marionettentheater des Joseph Leonhard Schmid (1822-1912) in München eröffnet. Es waren nun nicht mehr die großen Komödiantenensembles, die Marionettenspiele vorführten, sondern es bildeten sich regional professionelle Puppenspielertraditionen heraus, die auf privaten Bühnen spielten. Zugleich mit der Entstehung dieser festen Marionettentheater vollzog sich eine Wandlung vom traditionellen zum künstlerischen Marionettentheater.

Walter Oehmichen als Gründer der Puppenkiste

Im Gründer der Augsburger Puppenkiste, Walter Oehmichen (1901-1977), spiegelt sich der Wandlungsprozess des Marionettentheaters, der sich bis ins 20. Jahrhundert vollzog, wider. Er wurde am 30. Juli 1901 in Magdeburg geboren, wie aus dem Jahrbuch des Zirkus' Barnum & Bailey hervorgeht. Sein Vater war dort als Geschäftsführer und Clown engagiert. Oehmichen wuchs also noch im Umfeld der "Fahrenden Künstler" auf.

Doch Walter Oehmichen verabschiedete sich noch in jungen Jahren vom Zirkusleben und wandte sich seiner eigentlichen Leidenschaft, dem Theater, zu. Nach einer Ausbildung zum Fotografen besuchte er die Schauspielschule "Louise Dumont" in Düsseldorf.

1931 erhielt Oehmichen ein Engagement am Augsburger Stadttheater als Darsteller und Spielleiter. Bei Kriegsausbruch 1939 wurde er als unabkömmlich vom Wehrdienst freigestellt, trat der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) bei und übernahm auf Drängen seiner Kollegen das Amt des Landesleiters der Reichstheaterkammer. Während eines kurzen Fronteinsatzes bei Calais (Frankreich) fand Oehmichen ein Handpuppentheater und spielte damit vor seinen Kameraden. Von der Front zurückgekehrt eröffnete er 1943 mit seiner Familie einen Puppenschrein, der im Augsburger Stadttheater untergebracht war und bei einem Luftangriff am 26. Februar 1944 zerstört wurde.

Während eines Lazarettaufenthalts nach einem weiteren Fronteinsatz 1944 lernte Oehmichen schnitzen. Seine ersten Figuren waren ein Storch und der Tod. Aus der französischen Gefangenschaft zurückgekehrt, wandte er sich der Verwirklichung seines Traumes vom Puppentheater zu und eröffnete am 26. Februar 1948, genau vier Jahre nach der Zerstörung des Augsburger Stadttheaters, seine Puppenkiste in den Räumen des ehemaligen Heilig-Geist-Spitals.

Die Augsburger Puppenkiste

Walter Oehmichens langjährige Anstrengungen haben sich gelohnt: Die Premiere, bei der das Märchen "Der gestiefelte Kater" gespielt wurde, wie auch alle weiteren Vorstellungen waren ausverkauft; das Publikum war begeistert. Doch trotz des Erfolgs brachte die Währungsreform 1948 die Puppenkiste in große finanzielle Schwierigkeiten. Deshalb kam es 1950 zu ersten Planungen einer Reisebühne, die bis 1970 den ganzen schwäbischen Raum bereiste. Acht bis zehn Neuinszenierungen pro Jahr, die in den Anfangsjahren noch üblich waren, bedeuteten einen großen finanziellen und organisatorischen Aufwand.

In dieser Zeit entstanden auch die heute noch berühmten Inszenierungen für Erwachsene wie das "Kabarett" oder "Der kleine Prinz". Für alle Aufführungen entwarf und baute Walter Oehmichen die Puppen gemeinsam mit seiner Tochter Hannelore (1931-2003). Seine Frau Rose (1901-1985) nähte die Kostüme und fungierte als Sprecherin. Einen weiteren wesentlichen Beitrag zum Erfolg der Puppenkiste leistete der junge Schauspieler Manfred Jenning (1929-1979), der sich von Anfang an bei der Puppenkiste beteiligte und später maßgeblicher Autor und Regisseur wurde.

Das Nachmittagsprogramm für die Kinder umfasste neben etlichen Märchenaufführungen auch zahlreiche Geschichten von Ottfried Preußler (1923-2013), die von Manfred Jenning für die Puppenkiste umgeschrieben wurden. Dazu zählten "Der Räuber Hotzenplotz", "Das kleine Gespenst" sowie "Die kleine Hexe".

Die Augsburger Puppenkiste im Fernsehen

Um die finanzielle Lage der Puppenkiste zu verbessern, wurden auf der Augsburger Frühjahrsausstellung Werbevorführungen gegeben. Dabei beobachtete sie Hanns Farenburg (1900-1964), Leiter des Nordwestdeutschen Rundfunks in Hamburg, und nahm Inszenierungen der Augsburger Puppenkiste in das Kinderprogramm auf. Die erste Live-Produktion war "Peter und der Wolf" und wurde 1953 ausgestrahlt. Es folgten weitere Fernsehproduktionen, zunächst in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen und später mit dem Hessischen Rundfunk.

Dank der Fernsehproduktionen konnte sich die Augsburger Puppenkiste sanieren. In den Jahren 1960 bis 1969 entstanden die legendären Inszenierungen von "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" über "Kater Mikesch" und "Urmel aus dem Eis" bis hin zu "Räuber Hotzenplotz".

Mit der Dokumentation "Die Augsburger Puppenkiste und ihre Stars" sollte 1964 vielen begeisterten Fans in ganz Deutschland ein Blick hinter die Kulissen ermöglicht werden. 1976 wurde die beliebte Serie "Jim Knopf und Lukas" neu gedreht, und zwar diesmal in Farbe. Von 1986 bis 1990 wurde mit dem Hessischen Rundfunk weiterproduziert; es entstanden unter anderem "Schlupp vom grünen Stern" (1986), "Aladin und die Wunderlampe" (1988) sowie "Der Prinz von Pumpelonien" (1990). Im Frühjahr 2004 wurde der Puppenkiste für ihre Fernsehfilme die "Goldene Kamera" verliehen.

Generationenwechsel in der Augsburger Puppenkiste

Nach dem Tod von Walter Oehmichen 1977 und von Manfred Jenning 1979 übernahm der Schwiegersohn des Gründers, Hanns-Joachim Marschall (1927-1999), die Regie in der Puppenkiste. Das Marionettentheater war jetzt auch im Ausland bekannt geworden; einzelne Stücke wurden in bis zu 40 Sprachen übersetzt.

Als 1985 Rose Oehmichen starb, erbte ihre Tochter Hannelore zusammen mit ihrem Mann Hanns-Joachim Marschall die Puppenkiste. 1992 übernahm deren Sohn Klaus (geb. 1961) die Leitung der Puppenkiste.

Die Popularität der Puppenkiste konnte in den 1990er Jahren durch Vertonungen zweier Lieder durch die Gruppe Dolls United ("Urmellied" und "Eine Insel mit zwei Bergen", beide 1994) sowie durch den ersten Kinofilm der Puppenkiste ("Die Story von Monty Spinnerratz", 1997) weiter gesteigert werden. Nach ihrem 50. Geburtstag am 26. Februar 1998 ging die Puppenkiste für zwei Jahre auf Tournee durch ganz Deutschland und ließ so die alte Tradition des fahrenden Marionettentheaters wieder aufleben.

Im Jahr 2000 startete die Fernsehserie "Lilalu im Schepperland". Am 21. Oktober 2001 eröffnete das umgebaute Marionettentheater neu. Seitdem können die größten Stars der Puppenkiste auch im Augsburger Puppentheatermuseum, der "Kiste", bewundert werden.

Seit 2003 sorgen "Das kleine Känguru und der Angsthase" für Abwechslung in Kinderkrankenhäusern. Nach dem Tod von Hannelore Marschall-Oehmichen im selben Jahr übernahm ihr Sohn Jürgen Marschall das Schnitzen der Puppen.

In den letzten Jahren ging die Puppenkiste mehrfach auf Tournee, um auch Publikum zu erreichen, das nicht in das Augsburger Theater kommen kann. Neben weiteren Klinikaufführungen für Kinder stand 2009 eine dreiwöchige Tour durch Japan auf dem Programm. Für 2010 sind Auftritte unter anderem in Singapur und Malaysia sowie in Portugal geplant.

Die Popularität der Augsburger Puppenkiste ist also auch in den letzten Jahren ungebrochen. Vor allem aufgrund der beliebten Fernsehserien zählt es weltweit zu den bekanntesten Marionettentheatern. Es darf in keinem Augsburger Reiseführer fehlen und ist jedem Augsburg-Touristen ein Begriff. Obwohl sich in anderen Städten wie beispielsweise Lübeck, München, Schwäbisch Hall, Köln oder Salzburg ebenfalls feststehende Puppentheater etabliert haben, ziehen die Augsburger Stars wie Jim Knopf, Urmel oder Kater Mikesch nach wie vor die meisten Zuschauer an.

Literatur

  • Augsburger Puppenkiste (Hg.), 50 Jahre Augsburger Puppenkiste, Berlin 2. Auflage 1998.
  • Judith Gardner, Augsburger Puppenkiste, in: Harald Hollo (Hg.), Augsburg Stadtansichten, Augsburg 2007, 128-131.
  • Christa B. Geis (Hg.), 40 Jahre Augsburger Puppenkiste. Das Farbjournal zum Jubiläum. Ein herrliches Dokument über Augsburgs populärste Institution, Augsburg 1988.
  • Holger Jenrich, Von Titiwu bis Lummerland. 50 Jahre Augsburger Puppenkiste, Essen 1998.
  • Dorothee Löffler, Die "Augsburger Puppenkiste" und ihre Rezeption in den Medien. Dokumentation eines Traditionstheaters im Spiegel der Presse, Erlangen/Nürnberg 2003.
  • Monika Losher/Michaela Schwegler, Märcheninszenierungen in der Augsburger Puppenkiste, in: Augsburger volkskundliche Nachrichten 6 (2000), 62-86.
  • Hans-Günther Meile (Hg.), Die Augsburger Puppenkiste im Fernsehen, Bochum 1967.
  • Michaela Schwegler, Urmel, Jim Knopf, Kater Mikesch und Co. Kleine Geschichte der Augsburger Puppenkiste, in: Der Schwabenspiegel 4/5 (2004), 326-333.
  • Willy Schweinberger/Hanns-Joachim Marschall (Hg.), Stars an Fäden. Das große Farbbuch über die weltberühmte Augsburger Puppenkiste, Augsburg 1985.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Marionettentheater, Marionetten

Empfohlene Zitierweise

Michaela Hammerl, Augsburger Puppenkiste, publiziert am 23.11.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Augsburger_Puppenkiste> (20.04.2024)