Gottfried von Franken: Pelzbuch
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Gottfried von Franken verfasste wohl vor 1300 sein "Pelzbuch". Es wurde zum wirkungsmächtigsten Lehrbuch über den Obst- und Weinbau im Mittelalter. Der aus der Würzburger Gegend stammende Autor, vermutlich ein Kleriker, stützte sich auf eigene Erfahrungen, den Austausch mit anderen Praktikern sowie Schriftquellen. Sein gleichermaßen innovatives wie pragmatisches Werk unterteilte er in zwei Abschnitte, das "Baumbuch" und das "Weinbuch". Es fand weite Verbreitung und wurde in zahlreiche Volkssprachen übersetzt. Die philologische und historische Forschung richtete ihre Aufmerksamkeit erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf das Werk.
Der Begriff "Pelzbuch"
Die Bezeichnung "Pelzbuch" ist abgeleitet von mittelhochdeutsch "belzen/pelzen" = pfropfen (von lateinisch "propaginare"). Im engeren Sinn versteht man unter einem Pelzbuch eine Schrift, die vermittelt, wie man pelzen (lateinisch "impellitare"), d. h. bei der Obstbaumveredelung im Gartenbau pfropfen soll. Im weiteren Sinn ist ein Lehrbuch über die Obst-, Wein- und Blumengärtnerei insgesamt gemeint.
Mittelalterliche Pelzbücher
Sieht man vom allgemeinen landwirtschaftlichen Schrifttum ab, so steht am Anfang der mittelalterlichen Fachliteratur zum Obstbau ein biographisch bislang nicht näher greifbarer Meister Richard aus dem alemannischen Raum. Sein "Büchlein, wie man Bäume zweien soll" ist offenbar nur fragmentarisch überkommen. Es entstand vermutlich vor 1300. Auf mündliche Auskünfte von Richard sowie auf dessen "Büchlein" beruft sich Gottfried von Franken in seinem Pelzbuch, der mit Abstand wirkungsmächtigsten Lehrschrift zum Obst- und Weinbau im Mittelalter. Nur geringe handschriftliche Verbreitung fanden demgegenüber das Pelzbuch des Benediktiners Nikolaus Bollard (verfasst in Avignon 1334?) sowie zwei anonyme Pelzbücher des 14. Jahrhunderts aus dem monastischen Milieu, die beide in der Tradition Gottfrieds stehen: Der "Tractatus de plantatione arborum" (vornehmlich auf die Veredelung von Apfel- und Birnbäumen konzentriert) und das umfangreichere "Opusculum de plantationibus arborum" (eine wohl im Kloster Tegernsee entstandene Anleitung zur Obst- und Weingärtnerei).
Gottfried von Franken
Unser Wissen über Gottfried speist sich nur aus werkimmanenten Angaben seines Pelzbuches. Demnach stammte er aus der Würzburger Gegend, dürfte Kleriker gewesen sein, besaß zeitweise ein Haus in (oder ein Landgut bei) Bologna und scheint mehrere Fernreisen unternommen zu haben, die er zur Sammlung von Spezialwissen und zum Meinungsaustausch mit anderen Praktikern nutzte. In lateinischer Sprache verfasste er für seine geistlichen Standesgenossen wahrscheinlich noch vor 1300 in fortgeschrittenem Alter seinen agrartechnischen Ratgeber. Basis waren seine umfassende eigene Erfahrung, der mündliche Anschauungsunterricht durch diverse Gewährsmänner (Meister Richard, Meister Nikolaus, den Willy L. Braekmann für identisch mit Nikolaus Bollard hält, u. a.) sowie verschiedene Schriftquellen (v. a. Palladius' "Opus agriculturae" und Burgundio von Pisas "Liber de vindemiis").
Gottfried von Franken hat als einer der erfolgreichsten bayerischen Autoren des Mittelalters zu gelten. Die weite Verbreitung im westlichen Abendland erhebt sein Pelzbuch zu einem Werk von europäischer Geltung.
Gottfrieds Pelzbuch
Gottfried unterteilte sein Pelzbuch (nach einer der Hauptquellen "Palladius abbreviatus" oder auch "Tractatus de plantatione arborum" benannt) thematisch in zwei Großabschnitte. Das "Baumbuch" enthält praxisnahe Anweisungen für die Obstgärtnerei wie für die Rebenpflege samt Ratschlägen zur Konservierung der Ernte, das "Weinbuch" Hinweise zur Weinlese und Weinverbesserung mit angehängten Rezepten zur Herstellung von Essig, Würz- und Medizinalweinen.
Die lateinische Urfassung besteht aus einer kurzen Reimvorrede, einem Kapitelverzeichnis und dem eigentlichen Text, der in sieben "tractatus" gegliedert ist: Von der Pflanzung der Bäume ("De plantatione arborum"), von den Weinreben ("De vitibus"), von der Aufbewahrung der Früchte ("De conservatione fructuum"), von dem am Weinstock wachsenden Wein ("De vino crescente in vite"), auf wieviele Arten Essig gemacht wird ("Quomodo multipliciter fit acetum"), auf wieviele Weisen Kräuterwein nicht nur für die Gesunden, sondern auch für die Kranken gemacht wird ("Quomodo diversimode fit claretum non solum pro sanis, sed etiam pro infirmis") sowie vom Medizinalwein ("De vino medicinali").
Die meist knappen Unterweisungen sind in imperativischem Stil gehalten und inhaltlich vielfach originell. Nicht ohne Stolz über den eigenen Kenntnisreichtum bemühte sich Gottfried sichtlich, weniger bekannte Methoden vorzustellen und sein Publikum mit neuartigen Kunststücken zu überraschen, z. B. wie man Obst färbt und wie man kernlose oder geformte Früchte herstellt (etwa Kürbisse in Modeln mit menschlichen Gesichtern).
Der ebenso innovative wie pragmatische Charakter von Gottfrieds Pelzbuch sicherte dem Werk nachhaltigen Einfluss bis weit in die Neuzeit. Hiervon künden insgesamt rund 240 noch erhaltene handschriftliche Kopien in geographisch weiter Streuung, darunter etliche mittelalterliche Übersetzungen in die verschiedenen Volkssprachen: ins Deutsche (103 Handschriften), Englische (22 Handschriften), Tschechische (sechs Handschriften), Katalanische (zwei Handschriften) und ins Aragonesische (eine Handschrift). Das Angebot an Handschriften war so üppig, dass die gedruckte Erstausgabe aus der Zeit um 1530 offenbar keine Nachwirkung entfaltete. In landwirtschaftlichen bzw. weinkundlichen Druckschriften wurde das Werk breit rezipiert. Noch bis in das 19. Jahrhundert finden sich Exzerpte und Bearbeitungen von Gottfrieds Lehrbuch. Bemerkenswerterweise ist die anonyme Rezeptsammlung des sog. Biburger Weinbuchs, die im 15. Jahrhundert im niederbayerischen Kloster Biburg aufgezeichnet wurde, unabhängig von Gottfrieds Werk.
Forschungssituation
Erst 1872 ins Licht der Forschung gerückt, gilt Gottfrieds Pelzbuch seit den wegweisenden Arbeiten des Pioniers der deutschsprachigen Fachprosaforschung Gerhard Eis (1908-1982) als zentraler Vertreter dieser Literaturgattung und hat wiederholt Aufmerksamkeit von philologischer wie historischer Seite gefunden. Dass die Anzahl der bekannten Überlieferungszeugen von Gottfrieds Pelzbuch innerhalb der letzten Jahre trotzdem annähernd verdoppelt werden konnte, unterstreicht nachdrücklich die Bedeutung dieses Traktats und lässt auch zukünftig mit weiteren Manuskriptfunden rechnen.
Da das Pelzbuch ein Kompendium für die Praxis war, stößt man häufig auf Textänderungen bzw. -ergänzungen. Diese zu dokumentieren und auszuwerten, wäre wünschenswert. Schließlich liegen hier wichtige Indizien für die noch zu wenig untersuchte Gebrauchsfunktion und das Benutzerinteresse an diesem Fachtext vor, so im Zusammenhang mit der Einrichtung von "peltzschulen", wie sie etwa seit 1467 im Landshuter Hofgartenbereich unter einem Pelzmeister nachweisbar sind.
Textausgaben von Gottfrieds Pelzbuch existieren bislang nur für den mittelenglischen Zweig (Braekmann), für drei deutschsprachige Redaktionen (Eis) und die katalanische Übersetzung (Martí Escayol). Dringend notwendig wäre eine kritische Edition der lateinischen Urfassung, wobei auch zu fragen wäre, ob die frühe Übertragung ins Deutsche nicht vielleicht noch auf Gottfried selbst zurückgeht. Die von Eis 1944 auf (verglichen mit dem aktuellen Kenntnisstand) unzureichender Handschriftenbasis vorgenommene Klassifikation der deutschen Fassungen in drei Redaktionen überzeugt nicht mehr und bedarf einer Überprüfung.
Im Hinblick auf die überaus breite Wirkungsgeschichte von Gottfrieds Pelzbuch ist das Fortleben des "Baumbuches" erheblich besser erforscht als die Rezeption des "Weinbuches", das ebenso Eingang in önologische Schriften wie in Kompendien zur Kochkunst fand und als "Tractatus de vino et eius proprietate" bereits 1480 zum Druck kam.
Eine Textausgabe des erst 2005 entdeckten "Tractatulus magistri Richardi De plantatione arborum", vermutlich Meister Richards Pelzbuch, verspricht weiteren Aufschluss über Gottfrieds Vorlagenbenutzung. Das Werk war bislang nur auszugsweise in vier deutschsprachigen Handschriften bekannt.
Literatur
- Willy L. Braekman, Geoffrey of Franconia: his influence, his friend Nicolas and the mysterious master ‘Daniel’, in: Dominik Gross/Monika Reininger (Hg.), Medizin in Geschichte, Philologie und Ethnologie. Festschrift für Gundolf Keil, Würzburg 2003, 229-244.
- Lluís Cifuentes, Textes scientifiques en catalan (XIIIe-XVIe siècles) dans les bibliothèques de France, in: Médiévales 52 (2007), 89-118 (101 und 110 zur Handschrift Paris, Bibl. Nat., Esp. 291, die fol. 1r-30v Gottfrieds Pelzbuch auf Katalanisch enthält).
- Isabelle Draelants / Kévin Echampard, Le „Tractatus de plantatione arborum“. L’apport d’un nouveau témoin manuscrit du traité médiéval anonyme sur la greffe, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 142 (2013), S. 294-314 (bieten eine quellenkundliche Analyse des anonymen Traktats De plantatione arborum und dokumentieren die Textvarianten des Überlieferungszeugen Zeitz, Stiftsbibliothek, 2° DHB Ms. chart. 7).
- Isabelle Draelants / Kévin Echampard, Un traité médiéval de la greffe pour débutants: Le De plantatione arborum anonyme. Traduction et commentaire, in: Spicae. Cahiers de l’Atelier Vincent de Beauvais Nouvelle série 1 (2011), S. 5-37 (stellen eine fünfte Handschrift [Zeitz, Stiftsbibliothek, 2° DHB Ms. chart. 7] des anonymen Traktats De plantatione arborum vor und bieten eine moderne französische Übersetzung dieses Werkes).
- Martina Giese, Das Pelzbuch Gottfrieds von Franken. Stand und Perspektiven der Forschung, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur 134 (2005), 294-335. (mit Abriss der Forschungsgeschichte sowie Zusammenstellung der handschriftlichen Überlieferung und der Literatur)
- Martina Giese, Zur lateinischen Überlieferung von Burgundios Wein- und Gottfrieds Pelzbuch, in: Sudhoffs Archiv 87 (2003), 195-234.
- Konrad Goehl, Gottfried von Franken zitiert Guido Aretinus, in: Sudhoffs Archiv 90 (2006), 120-122.
- Konrad Goehl unter Mitwirkung von Johannes G. Mayer, Gottfried von Franken. Das älteste Weinbuch Deutschlands (DWV-Schriften zur Medizingeschichte 8), Baden-Baden 2009. (9-24 moderne hochdeutsche Übersetzung der nicht mit abgedruckten lateinischen Fassung von Gottfrieds Weinbuch in der Handschrift München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 615, fol. 95r-101r, 14. Jahrhundert)
- Johannes Gottfried Mayer, "Abbreviatio Palladii" oder "De plantatione arborum" – das "Pelzbuch" Gottfrieds von Franken. Entstehungszeit und Wirkung unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Fassungen, in: Scientiarum Historia 27 (2001), 3-25.
- Bernhard Schnell, Würzburg und die deutsche Sachliteratur im Spätmittelalter, in: Horst Brunner (Hg.), Würzburg, der Große Löwenhof und die deutsche Literatur des Spätmittelalters (Imagines medii aevi. Interdisziplinäre Beiträge zur Mittelalterforschung 17), Wiesbaden 2004, 337-358.
- Regina Wunderer, Weinbau und Weinbereitung im Mittelalter. Unter besonderer Berücksichtigung der mittelhochdeutschen Pelz- und Weinbücher (Wiener Arbeiten zur Germanistischen Altertumskunde und Philologie 37), Bern u. a. 2001.
Quellen
- Roswitha Ankenbrand, Das Pelzbuch des Gottfried von Franken. Untersuchungen zu den Quellen, zur Überlieferung und zur Nachfolge der mittelalterlichen Gartenliteratur, Heidelberg 1970 (69-77 mit Edition von Gottfrieds Baumbuch nach der Handschrift Stockholm, Königl. Bibl., Cod. Vu 82, 130-138, und 114-151 mit Edition einer Redaktion von Gottfrieds Weinbuch in der Handschrift Karlsruhe, Badische Landesbibl., Cod. Donaueschingen 787, fol. 181v-189r und 209r-211v, einer Parallelüberlieferung von Heidelberg, Universitätsbibl., Cod. Pal. germ. 169, fol. 216r-226v).
- Willy L. Braekman, Geoffrey of Franconia’s book of trees and wine (Scripta 24), Brüssel 1989.
- Hans Harings Pelzbüchl. Handschrift verfasst vom Kaplan der Herren von Annenberg, Dornsberg und der Burg Latsch zwischen 1497 und 1518 zu Latsch im Vinschgau, erläutert und kommentiert von Hermann Theiner und Hermann Oberdorfer, Lana 2004. (kommentierte Edition der Handschrift Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, FB 1126; den Hgg. ist entgangen, dass es sich um eine Bearbeitung der sog. Patzauer Fassung von Gottfrieds Werk handelt)
- Peter Hubáčka [Hubacek], O wěcech rybářských, ptáčtnických a štěpařských [Vom Fisch- und Vogelfang und vom Propfen der Bäume. Nach einer Handschrift von 1533], hg. von Jan Radwański, Wien 1857.
- Christian Hünemörder, Der ‘Tractatus de plantatione arborum’, eine mittelalterliche Lehrschrift des Obstbaus, in: Gundolf Keil (Hg.), Fachprosa-Studien. Beiträge zur mittelalterlichen Wissenschafts- und Geistesgeschichte, Berlin 1982, 143-171.
- Susanne Kiewisch, Obstbau und Kellerei in lateinischen Fachprosaschriften des 14. und 15. Jahrhunderts (Würzburger medizinhistorische Forschungen 57), Würzburg 1995. (mit Edition des "Opusculum de plantationibus arborum", 117-165, und Edition von Nikolaus Bollards "De modo plantandi arbores", 166-178)
- Martí Escayol, Maria Antònia, De re rustica, Edició, transcripció i textos, Vilafranca del Penedès 2012 (bietet S. 71-94 eine Transkription der katalanischen Übersetzung von Gottfrieds Pelzbuch nach Paris, Bibliothèque Nationale, ms. esp. 291; die dazugehörige Einleitung S. 13-37 erschien zuerst auf Englisch als: Martí Escayol, María Antònia, Two Iberian versions of Gottfried of Franconia’s Pelzbuch. Translations and copies in medieval and modern agricultural literature, in: Sudhoffs Archiv 95, 2 [2011], S. 129-157).
Weiterführende Recherche
Externe Links
Palladius abbreviatus
Empfohlene Zitierweise
Martina Giese, Gottfried von Franken: Pelzbuch, publiziert am 01.03.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Gottfried_von_Franken:_Pelzbuch> (5.10.2024)