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Mainz, Domkapitel

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Wappen des Mainzer Domkapitels. (Hs 92, Domsakristeibuch von 1518, Martinus-Bibliothek Mainz)
Siegel des Mainzer Domkapitels von einer Urkunde von 1480. (Staatsarchiv Würzburg, Erzstift Mainz Urkunden, Geistlicher Schrank L 1/35)
Die "Memorie" des Mainzer Doms, der Kapitelsaal des Domkapitels. Lithographie von Nicolas-Marie-Joseph Chapuy (1790-1858). (aus: Andreas Ludwig Veit, Mainzer Domherren vom Ende des 16. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Mainz 1924, Tafel 3)
Der Stiftschor im Mainzer Dom. Das bedeutende Rokoko-Chorgestühl fertigte 1760-1767 Franz Anton Hermann (1711–1770). (aus: Veit, Mainzer Domherren, Tafel 2)
Grabmal des Domherrn Salantin von Isenburg (gest. 1482) im Domkreuzgang. (Foto: Nichtweiß, Bistum Mainz)
Bildnis eines unbekannten Mainzer Domherrn in Jagdkleidung, 18. Jahrhundert. (Martinus-Bibliothek Mainz). (in: Felicitas Janson/Barbara Nichtweiß, Basilica nova Moguntina. 1000 Jahre Willigis-Dom St. Martin in Mainz, S. 227)

von Michael Hollmann

Das Mainzer Domkapitel entstand wohl schon im 6. Jahrhundert, ist urkundlich aber erst 970 bezeugt. Zwischen 961 (eigenes Kapitelvermögen) und 1170 (Siegelführung) verselbständigte sich das Domkapitel als Körperschaft. Im 12. Jahrhundert wurde auch das Gemeinschaftsleben ("vita communis") aufgegeben. Die vorher schwankende Zahl an Domherrenpfründen wurde 1405 auf 24 festgelegt. Die 1326 erstmals fixierte Regel, dass die Pfründen ausschließlich Adeligen vorbehalten waren, wurde im Laufe der Zeit noch weiter verschärft. Das Domkapitel besaß die klassischen Rechte wie Bischofswahl, Besetzung von Führungspositionen im Erzbistum und Vorbehalt wichtiger Pfründen, die seit 1233 die Erzbischöfe schriftlich garantierten. 1803 wurde das alte Mainzer Domkapitel zusammen mit der Mainzer Erzbischofswürde nach Regensburg übertragen.

Das Mainzer Domkapitel im frühen Mittelalter

Die Frühgeschichte des Mainzer Domkapitels liegt wegen der schlechten Quellenlage für das frühe Mittelalter weitgehend im Dunkeln; urkundlich belegt ist es erstmals für das Jahr 970. Man darf jedoch davon ausgehen, dass bereits seit der Neugründung der Mainzer Diözese unter Bischof Sidonius (um 560/580) an der Mainzer Domkirche - wie an anderen Bischofskirchen auch - eine Kanonikergemeinschaft die gottesdienstlichen Pflichten versah. Die Verfassung dieser Gemeinschaft dürfte seit der Aachener Reformsynode 816 der Institutio canonicorum (Aachener Regel) gefolgt sein, die den Kanonikern u. a. das Recht auf privaten Besitz zugestand.

Die korporative Entwicklung im hohen Mittelalter

Die Verselbständigung des Mainzer Domkapitels als Körperschaft eigenen Rechts und sein Aufstieg innerhalb des Mainzer Erzstifts vollzog sich in mehreren Etappen. Bis 961 erfolgte die Herauslösung des Kapitelsguts ("mensa capitularis") aus dem Gesamtvermögen der Erzdiözese und seine Separierung von der "mensa archiepiscopalis" (Bischofsgut). Die Verwaltung des Kapitelsguts oblag zunächst dem Dompropst und ging nach dessen faktischem Ausscheiden aus dem Domkapitel in die Verantwortung des Domdekans über. Spätestens um 1170 erlangte das Mainzer Domkapitel die volle korporative Rechtsfähigkeit und brachte dies durch ein eigenes Kapitelssiegel zum Ausdruck.

Von zentraler Bedeutung waren das Recht auf Selbstverwaltung, das Statutarrecht und – 1252 durch Papst Innozenz IV. (reg. 1243-1254) garantiert – das Recht der unbeeinflussten Selbstergänzung (Kooptation). Unter diesen Voraussetzungen konnte das Domkapitel im 12. Jahrhundert den Vorrang im Bischofsrat, einem seit 1122 zur Wahl des Erzbischofs berechtigten Gremium aus Vertretern der hohen Geistlichkeit und vornehmer Laien, erringen und den Einfluss sowohl der erzbischöflichen Lehns- und Dienstleute als auch der Stadt Mainz erfolgreich zurückdrängen. Seit 1230 besaß das Domkapitel das ausschließliche Recht der Erzbischofswahl, das im späten Mittelalter allerdings wiederholt durch päpstliche Bischofseinsetzungen durchbrochen wurde. Damit erlangte das Mainzer Domkapitel auch innerhalb der Diözesangeistlichkeit eine unangefochtene Führungsposition, die u. a. darin zum Ausdruck kam, dass die Propsteien der größeren Stiftskirchen des Erzbistums Mainz ausschließlich oder doch zumindest vorrangig mit Angehörigen des Domkapitels besetzt wurden, so z. B. die Propsteien der Stadtmainzer Stifte, des Frankfurter Bartholomäusstifts, des Stifts St. Peter und Alexander in Aschaffenburg, des Liebfrauenstifts in Erfurt und des Stifts St. Peter in Fritzlar.

Die Auflösung des gemeinschaftlichen Lebens

Nach der Auflösung des gemeinschaftlichen Lebens lebten die Domherren in eigenen Häusern - hier die 1898 abgebrochene Kurie "Zum Stecken". (aus: Friedrich Schneider, Kurmainzer Kunst. 1. Band, Wiesbaden 1913, 107)

Die Herausbildung separierter Kanonikerpfründen und die kirchenrechtliche Legalisierung des Erwerbs von Pfründen an mehreren Dom- und Stiftskapiteln, Pfarreien und anderen geistlichen Instituten führten auch in Mainz seit dem 12. Jahrhundert zur Auflösung des gemeinschaftlichen Lebens ("vita communis") und zur Bestellung von Domvikaren, die künftig die gottesdienstlichen Pflichten der nicht in Mainz residierenden Domherren übernahmen. Unter diesen Bedingungen entwickelte sich das Domkapitel weg von einer Gemeinschaft der Domgeistlichkeit hin zu einem adeligen Versorgungsinstitut.

Die Besetzung der Domherrenpfründen

Die Zahl der Kanonikate beim Mainzer Domkapitel war zunächst nicht abschließend definiert. Erst 1405 erließ Erzbischof Johann II. von Nassau (reg. 1397-1419) einen "Numerus clausus" und beschränkte die Zahl der Domherrenpfründen auf 24. Bereits 1326 bestimmte das Kapitel in einem "Adelsstatut" hinsichtlich der ständischen Herkunft seiner Mitglieder, dass alle vier Großeltern eines Kandidaten mindestens dem Ritterstand angehört haben mussten. Damit waren auch graduierte Bürgersöhne von der Mitgliedschaft ausgeschlossen. Im Laufe der Zeit wurde diese Bedingung verschärft, so dass für alle 16 Ururgroßeltern eine ritterliche Abstammung nachgewiesen werden musste. Eine Beschränkung des Domkapitels auf den hohen Adel wie in Köln und Straßburg fand in Mainz nicht statt. Weitere Voraussetzungen für den Erwerb einer Mainzer Domherrenpfründe waren die Weihe zum Subdiakon und ein zweijähriges Studium.

Die Besetzung der Domkanonikate erfolgte in Mainz seit 1337 auf der Grundlage eines "Turnus", einer an der Dauer der Mitgliedschaft orientierten Liste der zur Nomination berechtigten Domherren, die regelmäßig aktualisiert wurde. Seit dem Wiener Konkordat von 1448 wurde das Kooptationsrecht des Domkapitels insoweit beschränkt, als in geraden Monaten frei gewordene Pfründen der Nachbesetzung durch die Päpste unterlagen, die ihr Nominierungsrecht wiederum dauerhaft auf die Mainzer Erzbischöfe delegierten.

Domprälaten und Kapitelssitzungen

Die Verfassung des Mainzer Domkapitels sah die klassischen Kapitelsprälaturen (Dignitäten) des Propstes, des Dekans, des Kustos, des Scholasters und des Kantors vor, die über besonders einträgliche Pfründen verfügten. Die hohen Einkünfte der Mainzer Dompropstei machten diese auch für die Päpste interessant, welche die Propstei im späten Mittelalter regelmäßig an ihre Günstlinge verliehen. Die Pröpste schieden dadurch faktisch aus dem Domkapitel aus; ihre Position als Vorsteher des Kapitels und Inhaber der Disziplinargewalt ging auf die Domdekane über. Von Amts wegen waren Dekan und Scholaster verpflichtet, die Priesterweihe zu erwerben. Daneben sahen die Kapitelsstauten vor, dass mindestens vier der Mainzer Domherren Priester sein mussten, um die gottesdienstlichen Pflichten des Domkapitels erfüllen zu können. Um diese Verpflichtung zu erfüllen, wurden gegebenenfalls neue Kapitulare unter Umgehung der ordentlichen Kooptation berufen.

Die Wahl der Dignitäre und die gemeinschaftliche Regelung der Kapitelsangelegenheiten erfolgte während der regelmäßig stattfindenden Kapitelssitzungen, über die seit dem 15. Jahrhundert ausführlich Protokoll geführt wurde. Monatlich fanden Mensualkapitel, viermal im Jahr Generalkapitel statt.

Das Domkapitel und die Verwaltung von Erzstift und Diözese Mainz

Das Bischofswahlrecht und das Recht der Verwaltung von Diözese und Erzstift während der Sedisvakanzen begründeten die herausgehobene politische Stellung des Mainzer Domkapitels. Im Laufe des 13. Jahrhunderts konnte das Domkapitel das Konsensrecht, das wichtige Regierungsentscheidungen der Erzbischöfe in geistlichen und weltlichen Fragen an die Zustimmung der Diözesangeistlichkeit band, auf sich monopolisieren. Den damit gewonnenen Einfluss baute das Mainzer Domkapitel durch die Wahlkapitulationen aus. In Mainz gehen diese formellen Verpflichtungen neu gewählter Erzbischöfe auf das Steuerbewilligungsprivileg Erzbischof Siegfrieds III. (reg. 1230-1249) aus dem Jahr 1233 zurück. Seit 1328 mussten neue Erzbischöfe vor der Übernahme ihres Amtes einem Katalog von Forderungen des Domkapitels zustimmen, durch den dieses versuchte, dauerhaften Einfluss auf das Regierungshandeln der Erzbischöfe und die Besetzung zentraler Funktionen in Erzstift und Diözese zu gewinnen. Dieser Katalog wurde ständig erweitert und umfasste 1647 schließlich 108 Artikel. Der Versuch, dem Erzstift 1788 mit einer "Capitulatio perpetua" eine Art Staatsgrundgesetz zu geben, konnte wegen der Auflösung des Mainzer Kurstaates keine Wirksamkeit mehr entfalten.

Zwar entwickelten die Mainzer Domherren im Laufe der Zeit das Selbstverständnis von "Erbherren" des Kurstaates, Einfluss auf die Regierung des Erzstifts über die Zeit der Sedisvakanzen hinaus erlangte das Domkapitel aber vor allem durch die enge soziale und persönliche Bindung der Erzbischöfe, die in der Regel selbst zuvor dem Domkapitel angehörten und vielen Domherren verwandtschaftlich und persönlich verbunden waren. Von einer formellen Nebenregierung des Domkapitels kann wohl keine Rede sein.

Die regionale Herkunft der Mainzer Domherren

Regional entstammten die Mainzer Domherren während des Mittelalters weit überwiegend dem Niederadel des Mittelrheins, des Naheraums, der Wetterau, Oberhessens und der Pfalz. In der Frühen Neuzeit erwarben verstärkt auch Angehörige des fränkischen Adels Mainzer Dompfründen.

Das Mainzer Domkapitel als Landesherr

Der Besitz des Mainzer Domkapitels konzentrierte sich vor allem auf Rheinhessen und den Rheingau, die Wetterau und den unterfränkischen Raum um Miltenberg und Tauberbischofsheim (Main-Tauber-Kreis, Baden-Württemberg). Landesherrliche Rechte erwarb das Mainzer Domkapitel für Stadt und Amt Bingen am Mittelrhein.

Übergang nach Regensburg und Neugründung

Als Folge des Friedens von Campo Formio kam die Stadt Mainz 1797 dauerhaft in französische Hand. Das Domkapitel folgte Erzbischof Friedrich Karl Joseph von Erthal (reg. 1774-1802), der seinen Sitz nach Aschaffenburg verlegte. 1803 wurden im Reichsdeputationshauptschluss die Ämter und Rechte des Mainzer Erzbischofs auf den Bischofssitz Regensburg übertragen. Bereits 1802 war nach dem Tod Erthals in Mainz der Straßburger Bürgerssohn Joseph Ludwig Colmar (reg. 1802-1818) zum Bischof von Mainz ernannt und geweiht worden, der ein neues Domkapitel aus zwei Generalvikaren, acht Domkapitularen und zwei Ehrendomkapitularen einrichtete.

Literatur

  • Elard Biskamp, Das Mainzer Domkapitel bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts, Diss. phil. Marburg 1909.
  • Michael Hollmann, Das Mainzer Domkapitel im späten Mittelalter (1306-1476) (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 64), Mainz 1990.
  • Friedhelm Jürgensmeier (Hg.), Handbuch der Mainzer Kirchengeschichte. 2 Bände (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 6), Würzburg 1997-2000.
  • Wilhelm Kisky, Die Domkapitel der geistlichen Kurfürsten in ihrer persönlichen Zusammensetzung im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 1/3), Weimar 1906.
  • Irmtraud Liebeherr, Der Besitz des Mainzer Domkapitels im Spätmittelalter (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 14), Mainz 1971.
  • Günter Rauch, Das Mainzer Domkapitel in der Neuzeit. Zu Verfassung und Selbstverständnis einer adeligen geistlichen Gemeinschaft, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Kanonische Abteilung 92 (1975), 161-227; 93 (1976), 194-278; 94 (1977), 132-179.

Quellen

Die archivalische Überlieferung des Mainzer Domkapitels wird zum weit überwiegenden Teil im Bayerischen Staatsarchiv Würzburg verwahrt. Splitterüberlieferungen finden sich insbesondere in den Staatsarchiven in Darmstadt, Koblenz und Wiesbaden.

  • Fritz Herrmann/Hans Knies (Bearb.), Die Protokolle des Mainzer Domkapitels, Darmstadt/Paderborn 1930ff.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Empfohlene Zitierweise

Michael Hollmann, Mainz, Domkapitel, publiziert am 19.12.2011; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Mainz,_Domkapitel> (16.04.2024)