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Freie-Pfalz-Bewegung, 1918/19

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Volksversammlung vor dem Regierungsgebäude in Speyer nach dem missglückten Haas-Putsch am 1. Juni 1919 (aus: Pfälzische Rundschau [Hg.], Dokumente aus dem Befreiungskampf der Pfalz, Ludwigshafen 1930, 6).
Friedrich von Chlingensperg, Regierungspräsident des Regierungsbezirks Pfalz 1919-1923 (aus: Pfälzische Rundschau [Hg.], Dokumente aus dem Befreiungskampf der Pfalz, Ludwigshafen 1930, 10).
Regierungspräsident Theodor von Winterstein. (Abb. aus: Dokumente aus dem Befreiungskampf der Pfalz, Ludwigshafen 1930, 5 )
Flugblatt der Freien-Pfalzbewegung 1919. (Abb. aus: Dokumente aus dem Befreiungskampf der Pfalz, Ludwigshafen 1930, 8)
Mitgliedskarte des Bundes "Freie Pfalz". (Abb. aus: Dokumente aus dem Befreiungskampf der Pfalz, Ludwigshafen 1930, 30)

von Gerhard Gräber

Im Dezember 1918 gegründete Bewegung des Landauer Chemikers Eberhard Haas (geb. 1872) und des Ludwigshafener Journalisten Ludwig Emrich, die für eine selbständige, neutrale Pfalz eintrat. Massiv unterstützt von der französischen Besatzungsmacht unter General Gérard, unternahm die Freie Pfalz-Bewegung am 1. Juni 1919 in der Speyerer Kreisregierung einen Putschversuch, der scheiterte. Nach der Neuorientierung der französischen Besatzungspolitik im Herbst 1919 zog sich Haas Ende 1919 aus der Politik zurück.

Vorgeschichte: Pfälzische Zentrumspolitiker befürworten Loslösung von Bayern

Am 22. Februar 1919 fand im Hotel "Schwan" in Landau eine Versammlung sog. Pfälzer Notabeln statt. Wortführer der 45 in Anwesenheit eines französischen Besatzungsoffiziers Versammelten waren zwei führende pfälzische Zentrumspolitiker, die Reichstagsabgeordneten Hermann Hofmann (1880-1941) aus Ludwigshafen und Johann Sophian Richter (1875-1951) aus Landau. In einer Resolution an den für die Pfalz zuständigen französischen Besatzungsgeneral Gérard forderte die Versammlung die Loslösung der Pfalz von Bayern.

Die Initiative ist als Parallele zu vergleichbaren Vorstößen für eine Rheinische Republik im Rheinland zu betrachten – hier agitierte vor allem das Zentrumsorgan "Kölnische Volkszeitung" für eine Loslösung von Preußen. Sie speiste sich aus der Angst des Bürgertums vor einer möglichen sozialistischen deutschen Republik. Im Frühjahr 1919 waren weder Verfassung noch Friedensvertrag ausgearbeitet, die Kämpfe um eine parlamentarische Demokratie – zumal in Bayern – noch nicht entschieden, und die französischen Militärs förderten politische Ansätze zur Bildung selbständiger Staaten links des Rheins. Der Gedanke einer vom politischen Katholizismus dominierten linksrheinischen Republik war seit Kriegsende im pfälzischen Zentrum auf immer größere Sympathie gestoßen.

Proklamationsversuch am 1. Juni 1919 in Speyer

Die mögliche Führungsfigur in der Pfalz, Hermann Hofmann, sah sich von General Gérards Plänen der Bildung einer unabhängigen Pfalz getäuscht und zog sich im Laufe des März 1919 von dem Projekt zurück. Gleichwohl verfolgte die pfälzische BVP die Idee einer linksrheinischen Republik weiter.

Die Politik der Landauer Versammlung propagierte nur noch eine politisch unerfahrene Gruppe um den Landauer Weinchemiker Dr. Eberhard Haas (geb. 1872) und den Ludwigshafener Journalisten Ludwig Emrich: Sie hatten bereits im Dezember 1918 den Bund Freie Pfalz gegründet und forderten eine neutrale Pfalzrepublik außerhalb des Reiches mit der Perspektive einer Verbindung mit dem Saarland. Damit begaben sie sich in Konkurrenz zu den Bestrebungen für eine Rheinische Republik unter Einschluss der Pfalz, die im Rheinland, auch dort nach dem Rückzug politischer Prominenz, von dem Wiesbadener Staatsanwalt Dr. Hans Adam Dorten (1880-1963) geführt wurde. Dahinter standen rivalisierende Konzepte der jeweiligen französischen Befehlshaber, von General Gérard und General Charles Mangin (1866-1925).

Die Haas-Gruppe versuchte, die bayerischen Regierungspräsidenten für die Pfalz, Theodor von Winterstein (1861-1945) und – nach dessen Ausweisung durch die Franzosen – Friedrich von Chlingensperg (1860-1944), dazu zu bewegen, sich von der "kommunistischen Regierung in München" zu lösen. Gemeint war damit die Regierung des pfälzischen Sozialdemokraten Johannes Hoffmann (1867-1930), der gerade die Münchner Räterepublik niedergerungen hatte. Als Haas und seine Anhänger am 1. Juni 1919 im Speyerer Regierungsgebäude die "Freie Pfalz" ausrufen wollten, scheiterten sie vor allem an der Abwehrbereitschaft der organisierten Arbeiterschaft in der Pfalz (SPD und Gewerkschaften), die zu Tausenden von Ludwigshafen nach Speyer gereist waren. Auch die bürgerlichen Parteien hatten die Bevölkerung aufgerufen, gegen die Aktion zu protestieren. Es kam zu tumultartigen Szenen vor und im Regierungsgebäude. Haas und seine Mitstreiter konnten sich nur durch französischen Schutz ohne größere Blessuren aus der Affäre ziehen. Der in der Literatur immer wieder verwendete Begriff des "Putschversuches" für das Unternehmen ist allerdings etwas zu hoch gegriffen. Auf eine gewaltsame Übernahme der Kreisregierung waren die Haasisten in keiner Weise vorbereitet.

Auflösung der Bewegung bis Ende 1919

Mit dem Scheitern vom 1. Juni 1919 brach die Freie-Pfalz-Bewegung allerdings noch nicht zusammen. Der Bund Freie Pfalz wurde danach sogar organisatorisch fester gefügt, die Wochenzeitung "Freie Pfalz" gegründet, in Landau ein Büro mit zwei fest angestellten Schreibkräften eingerichtet. Auch die Mitgliederzahl stieg. Aber gleichzeitig organisierte Bayern vom Rande des besetzten Gebietes (Mannheim und Heidelberg), vor allem gestützt auf die pfälzische Sozialdemokratie, die Abwehrarbeit gegen separatistische Bestrebungen in der Pfalz und konnte auch den Bund Freie Pfalz erfolgreich unterwandern. Die Annahme von Friedensvertrag und Weimarer Verfassung entzogen der Freie-Pfalz-Bestrebung im Sommer 1919 den politischen Boden; auch ihr Förderer General Gérard wurde im Oktober 1919 von den Franzosen abgezogen. Der Bund zerfiel; gegen Ende des Jahres wurden die Angestellten entlassen und das Erscheinen der Zeitung eingestellt. Haas hatte sich schon früher zurückgezogen und trat nie wieder auf die politische Bühne.

Literatur

  • Helmut Gembries, Verwaltung und Politik in der besetzten Pfalz zur Zeit der Weimarer Republik, Kaiserslautern 1992.
  • Gerhard Gräber/Matthias Spindler, Revolverrepublik am Rhein. Die Pfalz und ihre Separatisten. Band 1: November 1918 - November 1923, Landau 1992.
  • Gerhard Nestler, Die Landauer Notabeln-Versammlung vom 22. Februar 1919 und die pfälzische BVP, in: Pfälzer Heimat 46 (1995), 17-24.
  • Gerhard Nestler, Freie Pfalz, Rheinische Republik oder blau-weiße Bayerntreue. Die territorialen Neuordnungskonzepte der pfälzischen BVP in den Jahren 1918 bis 1920 und die französische Besatzungspolitik, in: Wilhelm Kreutz/Karl Scherer (Hg.), Die Pfalz unter französischer Besetzung (1918/19-1930), Kaiserslautern 1999, 105-122.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Gerhard Gräber, Freie-Pfalz-Bewegung, 1918/19, publiziert am 09.10.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Freie-Pfalz-Bewegung,_1918/19> (19.03.2024)