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Reihengräber: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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# Die Gräber sind entsprechend einer Himmelsrichtung ausgerichtet, nämlich entlang einer Ost-West-Achse. Meist liegt der Kopf im Westen, so dass die Toten nach Osten, der aufgehenden Sonne entgegenblickten.  
# Die Gräber sind entsprechend einer Himmelsrichtung ausgerichtet, nämlich entlang einer Ost-West-Achse. Meist liegt der Kopf im Westen, so dass die Toten nach Osten, der aufgehenden Sonne entgegenblickten.  
# Die Bestattungen zeichnen sich durch relativ umfangreiche Grabausstattungen aus. In Männergräbern finden sich nicht selten Waffen, bei Frauen Schmuck. Zudem enthalten die Gräber beider Geschlechter häufig Kleidungszubehör aus Metall, z. B. Fibeln oder Gürtelbeschläge. Nur in seltenen Ausnahmefällen erhalten sind Ausstattungsteile aus organischen Materialien, vor allem Textilien und Objekte aus Holz, wie Betten, Truhen, gedrechselte Flaschen, Schalen, Leuchter, etc.
# Die Bestattungen zeichnen sich durch relativ umfangreiche Grabausstattungen aus. In Männergräbern finden sich nicht selten Waffen, bei Frauen Schmuck. Zudem enthalten die Gräber beider Geschlechter häufig Kleidungszubehör aus Metall, z. B. Fibeln oder Gürtelbeschläge. Nur in seltenen Ausnahmefällen erhalten sind Ausstattungsteile aus organischen Materialien, vor allem Textilien und Objekte aus Holz, wie Betten, Truhen, gedrechselte Flaschen, Schalen, Leuchter, etc.
# Reihengräberfriedhöfe können eine stattliche Größe erreichen, da sie bis zu 8-10 Generationen lang genutzt wurden. Ihre Größe variiert zwischen wenigen Dutzend bis zu vielen hundert Bestattungen. Sehr große Reihengräberfelder, wie z. B. Altenerding (Lkr. Erding), umfassen sogar mehr als tausend Bestattungen.
# Reihengräberfriedhöfe können eine stattliche Größe erreichen, da sie bis zu 8-10 Generationen lang genutzt wurden. Ihre Größe variiert zwischen wenigen Dutzend bis zu vielen hundert Bestattungen. Sehr große Reihengräberfelder, wie z. B. Altenerding, umfassen sogar mehr als tausend Bestattungen.


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Datei:Abb. 1 Uebersicht Reihengraeber in Baustrasse West von Sued.jpg|Reihengräberfeld von Rain am Lech (Lkr. Donau-Ries) während der Ausgrabung 2011. Bereits nach dem Abtrag des Oberbodens zeichnen sich die charakteristischen ost-west-orientierten Grabgruben ab. (Foto: Fa. Patzelt & Peter Büro für Archäologie, Sonthofen)
Datei:Abb. 1 Uebersicht Reihengraeber in Baustrasse West von Sued.jpg|Reihengräberfeld von Rain am Lech während der Ausgrabung 2011. Bereits nach dem Abtrag des Oberbodens zeichnen sich die charakteristischen ost-west-orientierten Grabgruben ab. (Foto: Fa. Patzelt & Peter Büro für Archäologie, Sonthofen)
Datei:Abb. 2 Rain Maennergrab.jpg|Rain am Lech (Lkr. Donau-Ries): Männergrab Befund 582 während der Ausgrabung 2011. (Foto: Fa. Patzelt & Peter Büro für Archäologie, Sonthofen)
Datei:Abb. 2 Rain Maennergrab.jpg|Rain am Lech: Männergrab Befund 582 während der Ausgrabung 2011. (Foto: Fa. Patzelt & Peter Büro für Archäologie, Sonthofen)
Datei:Abb. 3 Rain Frauengrab.jpg|Rain am Lech (Lkr. Donau-Ries): Frauengrab Befund 631 während der Ausgrabung 2011. (Foto: Fa. Patzelt & Peter Büro für Archäologie, Sonthofen)
Datei:Abb. 3 Rain Frauengrab.jpg|Rain am Lech: Frauengrab Befund 631 während der Ausgrabung 2011. (Foto: Fa. Patzelt & Peter Büro für Archäologie, Sonthofen)
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== Name ==
== Name ==
Die namensgebende ‚Reihung‘ der Gräber stellt kein notwendiges Merkmal der so benannten Friedhöfe dar und ist wissenschaftsgeschichtlich bedingt. Bei frühen Ausgrabungen von Reihengräbern im 19. Jahrhundert, z. B. in [[Ort:ODB_S00005222|Nordendorf]]{{#set:OID=ODB_S00005222}} (Lkr. Augsburg), wurde die Lage der einzelnen Bestattungen zueinander noch nicht genau eingemessen. Auf den schematischen Gräberfeldplänen dieser Zeit stellte man deshalb die Gräber in Reihen nebeneinander dar. Deshalb setzte sich in der deutschsprachigen Frühgeschichtsforschung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Bezeichnung ‚Reihengräber‘ bzw. ‚Reihengräberfelder‘ allgemein durch. Die Übersichtspläne modern ausgegrabener Friedhöfe zeigen dagegen, dass zwar gelegentlich Bestattungen in Reihen nebeneinander angelegt wurden, dies aber keineswegs vorherrschte.
Die namensgebende ‚Reihung‘ der Gräber stellt kein notwendiges Merkmal der so benannten Friedhöfe dar und ist wissenschaftsgeschichtlich bedingt. Bei frühen Ausgrabungen von Reihengräbern im 19. Jahrhundert, z. B. in [[Ort:ODB_S00005222|Nordendorf]]{{#set:OID=ODB_S00005222}}, wurde die Lage der einzelnen Bestattungen zueinander noch nicht genau eingemessen. Auf den schematischen Gräberfeldplänen dieser Zeit stellte man deshalb die Gräber in Reihen nebeneinander dar. Deshalb setzte sich in der deutschsprachigen Frühgeschichtsforschung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Bezeichnung ‚Reihengräber‘ bzw. ‚Reihengräberfelder‘ allgemein durch. Die Übersichtspläne modern ausgegrabener Friedhöfe zeigen dagegen, dass zwar gelegentlich Bestattungen in Reihen nebeneinander angelegt wurden, dies aber keineswegs vorherrschte.


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Datei:Abb. 4 Graeberfeldplan Nordendorf 1844.jpg|Auswahl von Funden aus dem Reihengräberfeld von Nordendorf. Links unten der schematische Gräberfeldplan. Illustration zu Johann Nepomuk von Raiser, Fundgeschichte einer uralten Grabstätte bei Nordendorf im Landgerichtsbezirk Wertingen.  Abb. aus: Jahres-Bericht des historischen Vereins für den Regierungs-Bezirk von Schwaben und Neuburg 10/11. 1844/45 (1846), Tab. III. ([https://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10333402-5  Bayerische Staatsbibliothek, 4 Bavar. 1013 sa-8/11])
Datei:Abb. 4 Graeberfeldplan Nordendorf 1844.jpg|Auswahl von Funden aus dem Reihengräberfeld von Nordendorf. Links unten der schematische Gräberfeldplan. Illustration zu Johann Nepomuk von Raiser, Fundgeschichte einer uralten Grabstätte bei Nordendorf im Landgerichtsbezirk Wertingen.  Abb. aus: Jahres-Bericht des historischen Vereins für den Regierungs-Bezirk von Schwaben und Neuburg 10/11. 1844/45 (1846), Tab. III. ([https://www.digitale-sammlungen.de/view/bsb10333402?page=136%2C137 Bayerische Staatsbibliothek, 4 Bavar. 1013 sa-8/11])
Datei:Abb. 5 Graeberfeldplan Rain am Lech.jpg|Plan des Reihengräberfelds von Rain am Lech (Lkr. Donau-Ries). (Grafik: Fa. Patzelt & Peter Büro für Archäologie, Sonthofen)
Datei:Abb. 5 Graeberfeldplan Rain am Lech.jpg|Plan des Reihengräberfelds von Rain am Lech. (Grafik: Fa. Patzelt & Peter Büro für Archäologie, Sonthofen)
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== Begriffliche Abgrenzung ==
== Begriffliche Abgrenzung ==
Die Übergänge zwischen Reihengräberfeldern und anderen zeitgleichen [[Bestattungsformen in Bayern (Frühmittelalter)|Friedhofsformen]] sind fließend, insbesondere zu kleineren Bestattungsplätzen mit nur wenigen frühmittelalterlichen Körpergräbern. Sie sind größer als sogenannte Hofgrablegen bzw. siedlungsinterne Bestattungen oder die Bestattungsplätze mit Beigabenausstattungen in oder um die frühesten Kirchen, wie z. B. in [[Ort:ODB_S00012529|Itzling]]{{#set:OID= ODB_S00012529}} (Lkr. Erding). Zudem sind sie die vorherrschende Bestattungsweise des ländlichen Raums. Von den fortbestehenden großen Friedhöfen bei den ehemaligen urbanen Zentren der Spätantike, wie dem Friedhof um St. Ulrich und Afra in [[Ort:ODB_S00008854|Augsburg]]{{#set:OID=ODB_S00008854}} oder dem sogenannten Großen Gräberfeld von Regensburg, unterscheiden sich die Reihengräber vor allem durch die deutlich höhere Beigabenfrequenz.
Die Übergänge zwischen Reihengräberfeldern und anderen zeitgleichen [[Bestattungsformen in Bayern (Frühmittelalter)|Friedhofsformen]] sind fließend, insbesondere zu kleineren Bestattungsplätzen mit nur wenigen frühmittelalterlichen Körpergräbern. Sie sind größer als sogenannte Hofgrablegen bzw. siedlungsinterne Bestattungen oder die Bestattungsplätze mit Beigabenausstattungen in oder um die frühesten Kirchen, wie z. B. in [[Ort:ODB_S00012529|Itzling]]{{#set:OID= ODB_S00012529}}. Zudem sind sie die vorherrschende Bestattungsweise des ländlichen Raums. Von den fortbestehenden großen Friedhöfen bei den ehemaligen urbanen Zentren der Spätantike, wie dem Friedhof um St. Ulrich und Afra in [[Ort:ODB_S00008854|Augsburg]]{{#set:OID=ODB_S00008854}} oder dem sogenannten Großen Gräberfeld von Regensburg, unterscheiden sich die Reihengräber vor allem durch die deutlich höhere Beigabenfrequenz.


Es handelt sich um neu gegründete Friedhöfe, die nicht aus spätrömischen Bestattungsplätzen heraus entstehen. Selbst in Kleinregionen, in denen aufgrund der Dichte der archäologischen Überlieferung lokal eine kontinuierliche Besiedlung von der Spätantike bis in das Frühmittelalter angenommen werden muss, wie etwa im Fall von Straubing und seinem unmittelbaren Umfeld, setzen die Reihengräber nicht die spätantiken Bestattungsplätze fort. In den seltenen Fällen, in denen an einem Ort sowohl spätantike als auch frühmittelalterliche Körpergräber auftreten, wie z. B. in [[Ort:ODB_S00016828|Burgheim]]{{#set:OID=ODB_S00016828}} (Lkr. Neuburg-Schrobenhausen), dürfte es sich eher um topographisch bedingte Zufälle bzw. Zwänge handeln. Zumindest indirekt belegen die Reihengräber Bayerns somit eine grundlegende Umstrukturierung der Besiedlung des ländlichen Raums nach dem Ende der Antike.   
Es handelt sich um neu gegründete Friedhöfe, die nicht aus spätrömischen Bestattungsplätzen heraus entstehen. Selbst in Kleinregionen, in denen aufgrund der Dichte der archäologischen Überlieferung lokal eine kontinuierliche Besiedlung von der Spätantike bis in das Frühmittelalter angenommen werden muss, wie etwa im Fall von Straubing und seinem unmittelbaren Umfeld, setzen die Reihengräber nicht die spätantiken Bestattungsplätze fort. In den seltenen Fällen, in denen an einem Ort sowohl spätantike als auch frühmittelalterliche Körpergräber auftreten, wie z. B. in [[Ort:ODB_S00016828|Burgheim]]{{#set:OID=ODB_S00016828}}, dürfte es sich eher um topographisch bedingte Zufälle bzw. Zwänge handeln. Zumindest indirekt belegen die Reihengräber Bayerns somit eine grundlegende Umstrukturierung der Besiedlung des ländlichen Raums nach dem Ende der Antike.   
Die typischen Merkmale der Reihengräberfelder sind nicht bei allen Friedhöfen durchgehend nachzuweisen. Der relative Beigabenreichtum etwa fehlt anfangs bei vielen bereits im 5. Jahrhundert gegründeten Bestattungsplätzen. Ab dem mittleren Drittel des 6. Jahrhunderts nahm die Beigabenhäufigkeit in den Reihengräbern Bayerns dann signifikant zu. Gewissermaßen entwickelten sich besonders früh einsetzende Friedhöfe erst allmählich zu Reihengräberfeldern im eingangs definierten Sinn, weshalb ihr Beginn archäologisch mitunter schwer zu fassen ist. Im Falle von [[Ort:ODB_S00016659|Aschheim-Bajuwarenring]]{{#set:OID=ODB_S00016659}} (Lkr. München) lieferte die detaillierte Analyse der Perlen das Ergebnis, dass dieser Friedhof bereits im ausgehenden 5. Jahrhundert angelegt wurde.
Die typischen Merkmale der Reihengräberfelder sind nicht bei allen Friedhöfen durchgehend nachzuweisen. Der relative Beigabenreichtum etwa fehlt anfangs bei vielen bereits im 5. Jahrhundert gegründeten Bestattungsplätzen. Ab dem mittleren Drittel des 6. Jahrhunderts nahm die Beigabenhäufigkeit in den Reihengräbern Bayerns dann signifikant zu. Gewissermaßen entwickelten sich besonders früh einsetzende Friedhöfe erst allmählich zu Reihengräberfeldern im eingangs definierten Sinn, weshalb ihr Beginn archäologisch mitunter schwer zu fassen ist. Im Falle von [[Ort:ODB_S00016659|Aschheim-Bajuwarenring]]{{#set:OID=ODB_S00016659}} lieferte die detaillierte Analyse der Perlen das Ergebnis, dass dieser Friedhof bereits im ausgehenden 5. Jahrhundert angelegt wurde.
   
   
In chronologischer Hinsicht sind merowingerzeitliche Reihengräberfelder zu unterscheiden von den sogenannten karolingisch-ottonischen Reihengräberfeldern Nordostbayerns, die sich hinsichtlich Zeitstellung und Verbreitung weitgehend gegenseitig ausschließen, d.h. die karolingisch-ottonischen Reihengräberfelder kommen in der nördlichen Oberpfalz sowie in Oberfranken in dem Zeitraum allmählich auf, in dem im restlichen Bayern die Reihengräberfelder endgültig aufgegeben werden.
In chronologischer Hinsicht sind merowingerzeitliche Reihengräberfelder zu unterscheiden von den sogenannten karolingisch-ottonischen Reihengräberfeldern Nordostbayerns, die sich hinsichtlich Zeitstellung und Verbreitung weitgehend gegenseitig ausschließen, d.h. die karolingisch-ottonischen Reihengräberfelder kommen in der nördlichen Oberpfalz sowie in Oberfranken in dem Zeitraum allmählich auf, in dem im restlichen Bayern die Reihengräberfelder endgültig aufgegeben werden.
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In Bayern kommen merowingerzeitliche Reihengräber in zwei geographisch voneinander getrennten Regionen vor: Einerseits in den ehemals römischen Gebieten Südbayerns, andererseits in Unterfranken und der nordwestlichen Ecke Mittelfrankens. In Südbayern zeichnen sich anhand der Reihengräberfelder bestimmte Regionen mit besonders dichter Besiedlung ab. Dies ist einerseits das gesamte südliche Oberbayern bis zum Alpenfuß, wobei sich die Münchner Schotterebene aufgrund der umfangreichen Grabungstätigkeit ab den 1980er Jahren besonders hervorhebt. Dicht belegt sind andererseits die Regionen entlang der Donau, die bereits in römischer Zeit intensiv besiedelt waren.
In Bayern kommen merowingerzeitliche Reihengräber in zwei geographisch voneinander getrennten Regionen vor: Einerseits in den ehemals römischen Gebieten Südbayerns, andererseits in Unterfranken und der nordwestlichen Ecke Mittelfrankens. In Südbayern zeichnen sich anhand der Reihengräberfelder bestimmte Regionen mit besonders dichter Besiedlung ab. Dies ist einerseits das gesamte südliche Oberbayern bis zum Alpenfuß, wobei sich die Münchner Schotterebene aufgrund der umfangreichen Grabungstätigkeit ab den 1980er Jahren besonders hervorhebt. Dicht belegt sind andererseits die Regionen entlang der Donau, die bereits in römischer Zeit intensiv besiedelt waren.
Dagegen fehlen Reihengräberfelder weitgehend im tertiären Hügelland südlich der Donau. Sie finden sich jedoch in den Flusstälern, die dieses von Süden nach Norden durchschneiden, von der Iller, über das Lechtal, die Isar bis zum Inn bzw. der Salzach. Aber auch die Täler kleinerer Gewässer, wie der Sempt, des Hachinger Bachs oder der Vils, zeichnen sich durch das Vorkommen von Reihengräberfeldern ab. Dieses Verbreitungsmuster setzt sich sowohl nach Westen, in die frühmittelalterliche Alamannia, als auch nach Osten, in die heute österreichischen Teile des frühmittelalterlichen bayerischen Herzogtums (Oberösterreich, Salzburg) grundsätzlich fort.
Dagegen fehlen Reihengräberfelder weitgehend im tertiären Hügelland südlich der Donau. Sie finden sich jedoch in den Flusstälern, die dieses von Süden nach Norden durchschneiden, von der Iller, über das Lechtal, die Isar bis zum Inn bzw. der Salzach. Aber auch die Täler kleinerer Gewässer, wie der Sempt, des Hachinger Bachs oder der Vils, zeichnen sich durch das Vorkommen von Reihengräberfeldern ab. Dieses Verbreitungsmuster setzt sich sowohl nach Westen, in die frühmittelalterliche Alamannia, als auch nach Osten, in die heute österreichischen Teile des frühmittelalterlichen bayerischen Herzogtums (Oberösterreich, Salzburg) grundsätzlich fort.
Damit entspricht die Verbreitung der Reihengräberfelder in diesem Raum dem Grundmuster der Besiedlung während der römischen Kaiserzeit; wo für diese Epoche archäologische Siedlungsanzeiger weitgehend fehlen wie im tertiären Hügelland, gilt dies auch für Reihengräber. Allerdings zeigen die Funde frühmittelalterlicher Wassermühlen im Paartal ([[Ort:ODB_S00004808|Dasing]]{{#set:OID=ODB_S00004808}}, [[Ort:ODB_S00004781|Oberbernbach]]{{#set:OID=ODB_S00004781}} [beide Lkr. Aichach-Friedberg] und [[Ort:ODB_S00016983|Schrobenhausen]]{{#set:OID=ODB_S00016983}} [Lkr. Neuburg-Schrobenhausen]), dass die Verbreitung der Reihengräberfelder im tertiären Hügelland sicher nicht das vollständige Bild der frühmittelalterlichen Besiedlung wiedergibt.
Damit entspricht die Verbreitung der Reihengräberfelder in diesem Raum dem Grundmuster der Besiedlung während der römischen Kaiserzeit; wo für diese Epoche archäologische Siedlungsanzeiger weitgehend fehlen wie im tertiären Hügelland, gilt dies auch für Reihengräber. Allerdings zeigen die Funde frühmittelalterlicher Wassermühlen im Paartal ([[Ort:ODB_S00004808|Dasing]]{{#set:OID=ODB_S00004808}}, [[Ort:ODB_S00004781|Oberbernbach]]{{#set:OID=ODB_S00004781}} und [[Ort:ODB_S00016983|Schrobenhausen]]{{#set:OID=ODB_S00016983}}), dass die Verbreitung der Reihengräberfelder im tertiären Hügelland sicher nicht das vollständige Bild der frühmittelalterlichen Besiedlung wiedergibt.


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Nördlich der Donau zeigt sich in Bayern dagegen eine echte Verbreitungsgrenze der Reihengräber: Östlich des ehemaligen Limesendes bei [[Ort:ODB_S00023874|Hienheim]]{{#set:OID=ODB_S00023874}} (Lkr. Kelheim) fehlen sie im Raum nördlich der Donau fast vollständig. Im westlichen Bayern finden sich dagegen im Gebiet zwischen der Donau und dem ehemaligen raetischen Limes zahlreiche Reihengräber. Hier markiert der Verlauf des raetischen Limes noch im 7. Jahrhundert die nördliche Verbreitungsgrenze der Reihengräber – ein Befund, der sich auch in der westlich angrenzenden Alamannia fortsetzt. Lediglich im mittleren Altmühltal treten nördlich des Limes vereinzelt Friedhöfe des Reihengräbertypus auf; von hier aus deuten einige Fundpunkte im Thalach- und im Schwarzachtal eine Verkehrslinie an, die in die westliche Oberpfalz bis zum lange völlig isoliert erscheinenden Reihengräberfundort von [[Ort:ODB_S00035449|Lauterhofen]]{{#set:OID=ODB_S00035449}} (Lkr. Neumarkt i. d. Oberpfalz) verläuft.
Nördlich der Donau zeigt sich in Bayern dagegen eine echte Verbreitungsgrenze der Reihengräber: Östlich des ehemaligen Limesendes bei [[Ort:ODB_S00023874|Hienheim]]{{#set:OID=ODB_S00023874}} fehlen sie im Raum nördlich der Donau fast vollständig. Im westlichen Bayern finden sich dagegen im Gebiet zwischen der Donau und dem ehemaligen raetischen Limes zahlreiche Reihengräber. Hier markiert der Verlauf des raetischen Limes noch im 7. Jahrhundert die nördliche Verbreitungsgrenze der Reihengräber – ein Befund, der sich auch in der westlich angrenzenden Alamannia fortsetzt. Lediglich im mittleren Altmühltal treten nördlich des Limes vereinzelt Friedhöfe des Reihengräbertypus auf; von hier aus deuten einige Fundpunkte im Thalach- und im Schwarzachtal eine Verkehrslinie an, die in die westliche Oberpfalz bis zum lange völlig isoliert erscheinenden Reihengräberfundort von [[Ort:ODB_S00035449|Lauterhofen]]{{#set:OID=ODB_S00035449}} verläuft.
    
    
Die Reihengräber des bayerischen Mainfrankens binden über das Maintal nach Westen an die Kernzone des Reihengräbergebiets an. Tendenziell setzen die Bestattungen auf mainfränkischen Reihengräberfeldern später ein als auf ihren südbayerischen Pendants, zudem erreichen sie in der Regel nicht deren Größe. Während das noch auf ehemals römischem Boden gelegene Gräberfeld von [[Ort:ODB_S00002873|Wenigumstadt]]{{#set:OID=ODB_S00002873}} (Lkr. Aschaffenburg) bereits in der Mitte des 5. Jahrhunderts gegründet wird, beginnt die Anlage der Friedhöfe des unteren Maindreiecks erst in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Mainaufwärts der Linie Haßberge/Steigerwald folgen nur noch wenige Bestattungen dem Modell der Reihengräber. Allerdings zeigen etwa die verhältnismäßig reich ausgestatteten Bestattungen von [[Ort:ODB_S00000918|Steinsfeld-Endsee]]{{#set:OID=ODB_S00000918}} (Lkr. Ansbach), dass auch an der Peripherie des Reihengräbergebiets wohlhabende, überregional vernetzte Personengruppen ansässig sein konnten.
Die Reihengräber des bayerischen Mainfrankens binden über das Maintal nach Westen an die Kernzone des Reihengräbergebiets an. Tendenziell setzen die Bestattungen auf mainfränkischen Reihengräberfeldern später ein als auf ihren südbayerischen Pendants, zudem erreichen sie in der Regel nicht deren Größe. Während das noch auf ehemals römischem Boden gelegene Gräberfeld von [[Ort:ODB_S00002873|Wenigumstadt]]{{#set:OID=ODB_S00002873}} bereits in der Mitte des 5. Jahrhunderts gegründet wird, beginnt die Anlage der Friedhöfe des unteren Maindreiecks erst in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Mainaufwärts der Linie Haßberge/Steigerwald folgen nur noch wenige Bestattungen dem Modell der Reihengräber. Allerdings zeigen etwa die verhältnismäßig reich ausgestatteten Bestattungen von [[Ort:ODB_S00000918|Steinsfeld-Endsee]]{{#set:OID=ODB_S00000918}}, dass auch an der Peripherie des Reihengräbergebiets wohlhabende, überregional vernetzte Personengruppen ansässig sein konnten.


== Grundmuster der historischen Interpretation ==
== Grundmuster der historischen Interpretation ==
Bis weit in das 20. Jahrhundert bestimmten die zeitgenössischen Interpretationen der Schriftquellen maßgeblich die historische Deutung der Reihengräber. Dies galt nicht nur für die Zuweisung zu historisch überlieferten ‚Stämmen‘, sondern sogar für die Chronologie. Im altbayerischen Gebiet datierte man bis in die 1960er Jahre den Beginn der Reihengräber in die Zeit ab 530 n. Chr., und nahm an, dass zu diesem Zeitpunkt die Baiern aus Böhmen eingewandert seien. Zu dieser Zeit bereits bekannte, früher datierende Fundkomplexe in Altbayern, wie z. B. die beiden Grabgruppen von [[Ort:ODB_S00033366|Irlmauth]]{{#set:OID=ODB_S00033366}} (Stadt [[Ort:ODB_S00033360|Regensburg]]{{#set:OID=ODB_S00033360}}), wies man dagegen u. a. nach Osten versprengten alemannischen Gruppen zu.
Bis weit in das 20. Jahrhundert bestimmten die zeitgenössischen Interpretationen der Schriftquellen maßgeblich die historische Deutung der Reihengräber. Dies galt nicht nur für die Zuweisung zu historisch überlieferten ‚Stämmen‘, sondern sogar für die Chronologie. Im altbayerischen Gebiet datierte man bis in die 1960er Jahre den Beginn der Reihengräber in die Zeit ab 530 n. Chr., und nahm an, dass zu diesem Zeitpunkt die Baiern aus Böhmen eingewandert seien. Zu dieser Zeit bereits bekannte, früher datierende Fundkomplexe in Altbayern, wie z. B. die beiden Grabgruppen von [[Ort:ODB_S00033366|Irlmauth]]{{#set:OID=ODB_S00033366}} (Stadt [[Ort:ODB_S00033360|Regensburg]]{{#set:OID=ODB_S00033360}}), wies man dagegen u. a. nach Osten versprengten alemannischen Gruppen zu.
[[Datei:Burgweinting Almandinscheibenfibel.jpg|thumb|Almandinscheibenfibel aus Grab 3700 von Regensburg-Burgweinting mit farbig hervorgehobenem Kreuzmotiv. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege) Da sich im Grab der um 580 bestatteten Dame auch noch ein Goldblattkreuz fand, darf die Fibel als Ausdruck eines persönlichen Bekenntnisses zum Christentum verstanden werden. ]]
   
   
Durch systematische Ausgrabungen von Reihengräberfriedhöfen während der 1960er Jahre erwies sich diese Datierung als nicht mehr haltbar. Neben dem Friedhof von [[Ort:ODB_S00016913|Bittenbrunn]]{{#set:OID=ODB_S00016913}} bei [[Ort:ODB_S00016909|Neuburg an der Donau]]{{#set:OID=ODB_S00016909}} (Lkr. Neuburg-Schrobenhausen) zeigte insbesondere die Ausgrabung des großen Gräberfelds von [[Ort:ODB_S00012520|Altenerding]]{{#set:OID=ODB_S00012520}}, dass auch in Bayern frühmittelalterliche Reihengräber bereits im 5. Jahrhundert einsetzten. Spätestens damit war die These einer Einwanderung der Baiern als geschlossener Stamm im mittleren Drittel des 6. Jahrhunderts auch aus archäologischer Sicht obsolet.
Durch systematische Ausgrabungen von Reihengräberfriedhöfen während der 1960er Jahre erwies sich diese Datierung als nicht mehr haltbar. Neben dem Friedhof von [[Ort:ODB_S00016913|Bittenbrunn]]{{#set:OID=ODB_S00016913}} bei [[Ort:ODB_S00016909|Neuburg an der Donau]]{{#set:OID=ODB_S00016909}} zeigte insbesondere die Ausgrabung des großen Gräberfelds von [[Ort:ODB_S00012520|Altenerding]]{{#set:OID=ODB_S00012520}}, dass auch in Bayern frühmittelalterliche Reihengräber bereits im 5. Jahrhundert einsetzten. Spätestens damit war die These einer Einwanderung der Baiern als geschlossener Stamm im mittleren Drittel des 6. Jahrhunderts auch aus archäologischer Sicht obsolet.
   
   
Die Modelle zur sogenannten [[Ethnogenese / ethnische Identität|Ethnogenese]] frühmittelalterlicher Gruppen seit den 1980er Jahren fanden ihren Widerhall auch bei der Erforschung der Reihengräber. Vor allem anhand des weiblichen Kleidungszubehörs, insbesondere den Bügelfibeln, wurde versucht, einzelne Bestattungen bestimmten, aus den Schriftquellen bekannten frühmittelalterlichen Gruppen zuzuweisen. Auf diese Weise hoffte man, die verschiedenen ethnischen Komponenten zu identifizieren, aus denen sich die Baiern gebildet hätten. Allerdings zeigte sich nach der Jahrtausendwende, dass auch dieser Ansatz in die Irre führte. Kleidungsbestandteile wie Fibeln erwiesen sich keineswegs als Teil vermeintlich stammesspezifischer ‚Trachten‘. Zwar lassen die Reihengräber hinsichtlich Bestattungsformen, Ausstattungsmustern oder einzelner Beigabentypen durchaus regionaltypische Eigenheiten erkennen; allerdings decken sich diese Verbreitungsmuster in der Regel nicht mit vermeintlichen oder tatsächlichen politischen bzw. ethnischen Grenzen.
Die Modelle zur sogenannten [[Ethnogenese / ethnische Identität|Ethnogenese]] frühmittelalterlicher Gruppen seit den 1980er Jahren fanden ihren Widerhall auch bei der Erforschung der Reihengräber. Vor allem anhand des weiblichen Kleidungszubehörs, insbesondere den Bügelfibeln, wurde versucht, einzelne Bestattungen bestimmten, aus den Schriftquellen bekannten frühmittelalterlichen Gruppen zuzuweisen. Auf diese Weise hoffte man, die verschiedenen ethnischen Komponenten zu identifizieren, aus denen sich die Baiern gebildet hätten. Allerdings zeigte sich nach der Jahrtausendwende, dass auch dieser Ansatz in die Irre führte. Kleidungsbestandteile wie Fibeln erwiesen sich keineswegs als Teil vermeintlich stammesspezifischer ‚Trachten‘. Zwar lassen die Reihengräber hinsichtlich Bestattungsformen, Ausstattungsmustern oder einzelner Beigabentypen durchaus regionaltypische Eigenheiten erkennen; allerdings decken sich diese Verbreitungsmuster in der Regel nicht mit vermeintlichen oder tatsächlichen politischen bzw. ethnischen Grenzen.


Seit der Jahrtausendwende setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass das Aufkommen der Reihengräber keineswegs primär als Niederschlag einer Zuwanderung barbarischer Gruppen während der Völkerwanderung auf ehemals römischem Boden anzusehen ist. Dagegen spricht schon die Tatsache, dass mehrere ihrer wesentlichen Merkmale wie Körperbestattung und Orientierung von spätantiken provinzialrömischen Friedhöfen herzuleiten sind. Von den vorherrschenden Brandbestattungen im völkerwanderungszeitlichen Barbaricum, also außerhalb des Römischen Reichs, unterscheiden sie sich dagegen markant. Vereinzelt, z. B. im Fall von [[Ort:ODB_S00024553|Essenbach-Altheim]]{{#set:OID=ODB_S00024553}} (Lkr. Landshut), wurden die Gründer der Reihengräber unter der spätantiken provinzialrömischen Bevölkerung angenommen.
Seit der Jahrtausendwende setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass das Aufkommen der Reihengräber keineswegs primär als Niederschlag einer Zuwanderung barbarischer Gruppen während der Völkerwanderung auf ehemals römischem Boden anzusehen ist. Dagegen spricht schon die Tatsache, dass mehrere ihrer wesentlichen Merkmale wie Körperbestattung und Orientierung von spätantiken provinzialrömischen Friedhöfen herzuleiten sind. Von den vorherrschenden Brandbestattungen im völkerwanderungszeitlichen Barbaricum, also außerhalb des Römischen Reichs, unterscheiden sie sich dagegen markant. Vereinzelt, z. B. im Fall von [[Ort:ODB_S00024553|Essenbach-Altheim]]{{#set:OID=ODB_S00024553}}, wurden die Gründer der Reihengräber unter der spätantiken provinzialrömischen Bevölkerung angenommen.


[[Datei:Abb. 8 Goldblattkreuz Spoetting.jpg|thumb|Goldblattkreuz aus dem Reitergrab 19 von Spötting (Stadt Landsberg a. Lech). ([https://www.bavarikon.de/object/bav:ASM-OBJ-0000000000000053?lang=de bavarikon]) (S. Friedrich, Archäologische Staatssammlung München)]]
[[Datei:Abb. 8 Goldblattkreuz Spoetting.jpg|thumb|Goldblattkreuz aus dem Reitergrab 19 von Spötting (Stadt Landsberg a. Lech). ([https://www.bavarikon.de/object/bav:ASM-OBJ-0000000000000053?lang=de bavarikon]) (S. Friedrich, Archäologische Staatssammlung München)]]
[[Datei:Burgweinting Almandinscheibenfibel.jpg|thumb|Almandinscheibenfibel aus Grab 3700 von Regensburg-Burgweinting mit farbig hervorgehobenem Kreuzmotiv. Da sich im Grab der um 580 bestatteten Dame auch noch ein Goldblattkreuz fand, darf die Fibel als Ausdruck eines persönlichen Bekenntnisses zum Christentum verstanden werden. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)  ]]


Im gleichen Zuge verabschiedete sich die archäologische Forschung von der Vorstellung, die Beigabenausstattungen in den Reihengräbern seien auf heidnisch-germanische Jenseitsvorstellungen zurückzuführen. Da die Bewohner des heutigen Südbayerns spätestens seit der Eingliederung in das Merowingerreich in der Mitte des 6. Jahrhunderts zumindest nominell Christen waren, ist auch bei den Reihengräbern ganz überwiegend mit christlichen Bestattungen zu rechnen.
Im gleichen Zuge verabschiedete sich die archäologische Forschung von der Vorstellung, die Beigabenausstattungen in den Reihengräbern seien auf heidnisch-germanische Jenseitsvorstellungen zurückzuführen. Da die Bewohner des heutigen Südbayerns spätestens seit der Eingliederung in das Merowingerreich in der Mitte des 6. Jahrhunderts zumindest nominell Christen waren, ist auch bei den Reihengräbern ganz überwiegend mit christlichen Bestattungen zu rechnen.
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Datei:Abb. 7 Fibel Wehringen.jpg|Bügelfibel aus Wehringen (Lkr. Augsburg). (Zeichnung: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, S. Köglmeier; Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege,  H. Langewellpott)
Datei:Abb. 7 Fibel Wehringen.jpg|Bügelfibel aus Wehringen. (Zeichnung: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, S. Köglmeier; Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege,  H. Langewellpott)
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Version vom 3. November 2025, 11:39 Uhr

von Hubert Fehr

Als Reihengräber bezeichnet die frühgeschichtliche Archäologie eine in weiten Teilen Mittel- und Westeuropas verbreitete Bestattungsform der Zeit zwischen der zweiten Hälfte des 5. und dem 8. Jahrhundert. Die Gräberfelder aus west-ost-ausgerichteten Körpergräbern wurden oft über mehrere Generationen belegt und können von beachtlicher Größe sein, doch kommen auch kleine Grabgruppen vor. Typischerweise enthielten die Gräber teils reiche Ausstattungen an Kleidung, Waffen und Schmuck, aber auch Gegenständen des täglichen Bedarfs. In Bayern finden sich Reihengräber vor allem auf ehemals römischem Boden zwischen Alpen und Donau, mit zeitlicher Verzögerung auch in Unterfranken und der Nordwestecke Mittelfrankens. Entgegen älteren Theorien, die das Auftreten von Reihengräbern mit der Zuwanderung barbarischer („germanischer“) Gruppen verband, erkannte die jüngere Forschung, dass es sich um eine Weiterentwicklung der spätrömischen Körpergräberfelder handelte. Trotz der Beigaben sind die Bestattungen vielfach als christlich anzusehen.

Definition

Unter Reihengräbern versteht die archäologische Frühgeschichtsforschung einen Typus von Bestattungen bzw. ganzen Friedhöfen, der in weiten Teilen Mittel- und Westeuropas zwischen der zweiten Hälfte des 5. und dem 8. Jahrhundert n. Chr. geläufig war. Vor allem vier Merkmale zeichnen die Reihengräber aus:

  1. Es handelt sich um Körpergräber, in denen die Toten unverbrannt beigesetzt wurden.
  2. Die Gräber sind entsprechend einer Himmelsrichtung ausgerichtet, nämlich entlang einer Ost-West-Achse. Meist liegt der Kopf im Westen, so dass die Toten nach Osten, der aufgehenden Sonne entgegenblickten.
  3. Die Bestattungen zeichnen sich durch relativ umfangreiche Grabausstattungen aus. In Männergräbern finden sich nicht selten Waffen, bei Frauen Schmuck. Zudem enthalten die Gräber beider Geschlechter häufig Kleidungszubehör aus Metall, z. B. Fibeln oder Gürtelbeschläge. Nur in seltenen Ausnahmefällen erhalten sind Ausstattungsteile aus organischen Materialien, vor allem Textilien und Objekte aus Holz, wie Betten, Truhen, gedrechselte Flaschen, Schalen, Leuchter, etc.
  4. Reihengräberfriedhöfe können eine stattliche Größe erreichen, da sie bis zu 8-10 Generationen lang genutzt wurden. Ihre Größe variiert zwischen wenigen Dutzend bis zu vielen hundert Bestattungen. Sehr große Reihengräberfelder, wie z. B. Altenerding, umfassen sogar mehr als tausend Bestattungen.

Name

Die namensgebende ‚Reihung‘ der Gräber stellt kein notwendiges Merkmal der so benannten Friedhöfe dar und ist wissenschaftsgeschichtlich bedingt. Bei frühen Ausgrabungen von Reihengräbern im 19. Jahrhundert, z. B. in Nordendorf, wurde die Lage der einzelnen Bestattungen zueinander noch nicht genau eingemessen. Auf den schematischen Gräberfeldplänen dieser Zeit stellte man deshalb die Gräber in Reihen nebeneinander dar. Deshalb setzte sich in der deutschsprachigen Frühgeschichtsforschung im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Bezeichnung ‚Reihengräber‘ bzw. ‚Reihengräberfelder‘ allgemein durch. Die Übersichtspläne modern ausgegrabener Friedhöfe zeigen dagegen, dass zwar gelegentlich Bestattungen in Reihen nebeneinander angelegt wurden, dies aber keineswegs vorherrschte.

Begriffliche Abgrenzung

Die Übergänge zwischen Reihengräberfeldern und anderen zeitgleichen Friedhofsformen sind fließend, insbesondere zu kleineren Bestattungsplätzen mit nur wenigen frühmittelalterlichen Körpergräbern. Sie sind größer als sogenannte Hofgrablegen bzw. siedlungsinterne Bestattungen oder die Bestattungsplätze mit Beigabenausstattungen in oder um die frühesten Kirchen, wie z. B. in Itzling. Zudem sind sie die vorherrschende Bestattungsweise des ländlichen Raums. Von den fortbestehenden großen Friedhöfen bei den ehemaligen urbanen Zentren der Spätantike, wie dem Friedhof um St. Ulrich und Afra in Augsburg oder dem sogenannten Großen Gräberfeld von Regensburg, unterscheiden sich die Reihengräber vor allem durch die deutlich höhere Beigabenfrequenz.

Es handelt sich um neu gegründete Friedhöfe, die nicht aus spätrömischen Bestattungsplätzen heraus entstehen. Selbst in Kleinregionen, in denen aufgrund der Dichte der archäologischen Überlieferung lokal eine kontinuierliche Besiedlung von der Spätantike bis in das Frühmittelalter angenommen werden muss, wie etwa im Fall von Straubing und seinem unmittelbaren Umfeld, setzen die Reihengräber nicht die spätantiken Bestattungsplätze fort. In den seltenen Fällen, in denen an einem Ort sowohl spätantike als auch frühmittelalterliche Körpergräber auftreten, wie z. B. in Burgheim, dürfte es sich eher um topographisch bedingte Zufälle bzw. Zwänge handeln. Zumindest indirekt belegen die Reihengräber Bayerns somit eine grundlegende Umstrukturierung der Besiedlung des ländlichen Raums nach dem Ende der Antike. Die typischen Merkmale der Reihengräberfelder sind nicht bei allen Friedhöfen durchgehend nachzuweisen. Der relative Beigabenreichtum etwa fehlt anfangs bei vielen bereits im 5. Jahrhundert gegründeten Bestattungsplätzen. Ab dem mittleren Drittel des 6. Jahrhunderts nahm die Beigabenhäufigkeit in den Reihengräbern Bayerns dann signifikant zu. Gewissermaßen entwickelten sich besonders früh einsetzende Friedhöfe erst allmählich zu Reihengräberfeldern im eingangs definierten Sinn, weshalb ihr Beginn archäologisch mitunter schwer zu fassen ist. Im Falle von Aschheim-Bajuwarenring lieferte die detaillierte Analyse der Perlen das Ergebnis, dass dieser Friedhof bereits im ausgehenden 5. Jahrhundert angelegt wurde.

In chronologischer Hinsicht sind merowingerzeitliche Reihengräberfelder zu unterscheiden von den sogenannten karolingisch-ottonischen Reihengräberfeldern Nordostbayerns, die sich hinsichtlich Zeitstellung und Verbreitung weitgehend gegenseitig ausschließen, d.h. die karolingisch-ottonischen Reihengräberfelder kommen in der nördlichen Oberpfalz sowie in Oberfranken in dem Zeitraum allmählich auf, in dem im restlichen Bayern die Reihengräberfelder endgültig aufgegeben werden.

Verbreitung

Reihengräberfelder sind in weiten Teilen West- und Mitteleuropas verbreitet. Eine Kernzone reicht von Nordfrankreich, den Beneluxstaaten, dem Rheinland über Süddeutschland bis nach Oberösterreich. Ähnliche Friedhöfe finden sich jedoch auch in anderen Teilen des frühmittelalterlichen Europas, wie dem angelsächsischen England, dem westgotenzeitlichen Spanien, dem langobardenzeitlichen Italien oder Teilen der Balkanhalbinsel. Im Wesentlichen sind die Reihengräber somit ein Phänomen, das in den ehemaligen Randzonen des Römischen Imperium in West- und Mitteleuropa verbreitet ist.

In Bayern kommen merowingerzeitliche Reihengräber in zwei geographisch voneinander getrennten Regionen vor: Einerseits in den ehemals römischen Gebieten Südbayerns, andererseits in Unterfranken und der nordwestlichen Ecke Mittelfrankens. In Südbayern zeichnen sich anhand der Reihengräberfelder bestimmte Regionen mit besonders dichter Besiedlung ab. Dies ist einerseits das gesamte südliche Oberbayern bis zum Alpenfuß, wobei sich die Münchner Schotterebene aufgrund der umfangreichen Grabungstätigkeit ab den 1980er Jahren besonders hervorhebt. Dicht belegt sind andererseits die Regionen entlang der Donau, die bereits in römischer Zeit intensiv besiedelt waren. Dagegen fehlen Reihengräberfelder weitgehend im tertiären Hügelland südlich der Donau. Sie finden sich jedoch in den Flusstälern, die dieses von Süden nach Norden durchschneiden, von der Iller, über das Lechtal, die Isar bis zum Inn bzw. der Salzach. Aber auch die Täler kleinerer Gewässer, wie der Sempt, des Hachinger Bachs oder der Vils, zeichnen sich durch das Vorkommen von Reihengräberfeldern ab. Dieses Verbreitungsmuster setzt sich sowohl nach Westen, in die frühmittelalterliche Alamannia, als auch nach Osten, in die heute österreichischen Teile des frühmittelalterlichen bayerischen Herzogtums (Oberösterreich, Salzburg) grundsätzlich fort. Damit entspricht die Verbreitung der Reihengräberfelder in diesem Raum dem Grundmuster der Besiedlung während der römischen Kaiserzeit; wo für diese Epoche archäologische Siedlungsanzeiger weitgehend fehlen wie im tertiären Hügelland, gilt dies auch für Reihengräber. Allerdings zeigen die Funde frühmittelalterlicher Wassermühlen im Paartal (Dasing, Oberbernbach und Schrobenhausen), dass die Verbreitung der Reihengräberfelder im tertiären Hügelland sicher nicht das vollständige Bild der frühmittelalterlichen Besiedlung wiedergibt.

Nördlich der Donau zeigt sich in Bayern dagegen eine echte Verbreitungsgrenze der Reihengräber: Östlich des ehemaligen Limesendes bei Hienheim fehlen sie im Raum nördlich der Donau fast vollständig. Im westlichen Bayern finden sich dagegen im Gebiet zwischen der Donau und dem ehemaligen raetischen Limes zahlreiche Reihengräber. Hier markiert der Verlauf des raetischen Limes noch im 7. Jahrhundert die nördliche Verbreitungsgrenze der Reihengräber – ein Befund, der sich auch in der westlich angrenzenden Alamannia fortsetzt. Lediglich im mittleren Altmühltal treten nördlich des Limes vereinzelt Friedhöfe des Reihengräbertypus auf; von hier aus deuten einige Fundpunkte im Thalach- und im Schwarzachtal eine Verkehrslinie an, die in die westliche Oberpfalz bis zum lange völlig isoliert erscheinenden Reihengräberfundort von Lauterhofen verläuft.

Die Reihengräber des bayerischen Mainfrankens binden über das Maintal nach Westen an die Kernzone des Reihengräbergebiets an. Tendenziell setzen die Bestattungen auf mainfränkischen Reihengräberfeldern später ein als auf ihren südbayerischen Pendants, zudem erreichen sie in der Regel nicht deren Größe. Während das noch auf ehemals römischem Boden gelegene Gräberfeld von Wenigumstadt bereits in der Mitte des 5. Jahrhunderts gegründet wird, beginnt die Anlage der Friedhöfe des unteren Maindreiecks erst in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts. Mainaufwärts der Linie Haßberge/Steigerwald folgen nur noch wenige Bestattungen dem Modell der Reihengräber. Allerdings zeigen etwa die verhältnismäßig reich ausgestatteten Bestattungen von Steinsfeld-Endsee, dass auch an der Peripherie des Reihengräbergebiets wohlhabende, überregional vernetzte Personengruppen ansässig sein konnten.

Grundmuster der historischen Interpretation

Bis weit in das 20. Jahrhundert bestimmten die zeitgenössischen Interpretationen der Schriftquellen maßgeblich die historische Deutung der Reihengräber. Dies galt nicht nur für die Zuweisung zu historisch überlieferten ‚Stämmen‘, sondern sogar für die Chronologie. Im altbayerischen Gebiet datierte man bis in die 1960er Jahre den Beginn der Reihengräber in die Zeit ab 530 n. Chr., und nahm an, dass zu diesem Zeitpunkt die Baiern aus Böhmen eingewandert seien. Zu dieser Zeit bereits bekannte, früher datierende Fundkomplexe in Altbayern, wie z. B. die beiden Grabgruppen von Irlmauth (Stadt Regensburg), wies man dagegen u. a. nach Osten versprengten alemannischen Gruppen zu.

Durch systematische Ausgrabungen von Reihengräberfriedhöfen während der 1960er Jahre erwies sich diese Datierung als nicht mehr haltbar. Neben dem Friedhof von Bittenbrunn bei Neuburg an der Donau zeigte insbesondere die Ausgrabung des großen Gräberfelds von Altenerding, dass auch in Bayern frühmittelalterliche Reihengräber bereits im 5. Jahrhundert einsetzten. Spätestens damit war die These einer Einwanderung der Baiern als geschlossener Stamm im mittleren Drittel des 6. Jahrhunderts auch aus archäologischer Sicht obsolet.

Die Modelle zur sogenannten Ethnogenese frühmittelalterlicher Gruppen seit den 1980er Jahren fanden ihren Widerhall auch bei der Erforschung der Reihengräber. Vor allem anhand des weiblichen Kleidungszubehörs, insbesondere den Bügelfibeln, wurde versucht, einzelne Bestattungen bestimmten, aus den Schriftquellen bekannten frühmittelalterlichen Gruppen zuzuweisen. Auf diese Weise hoffte man, die verschiedenen ethnischen Komponenten zu identifizieren, aus denen sich die Baiern gebildet hätten. Allerdings zeigte sich nach der Jahrtausendwende, dass auch dieser Ansatz in die Irre führte. Kleidungsbestandteile wie Fibeln erwiesen sich keineswegs als Teil vermeintlich stammesspezifischer ‚Trachten‘. Zwar lassen die Reihengräber hinsichtlich Bestattungsformen, Ausstattungsmustern oder einzelner Beigabentypen durchaus regionaltypische Eigenheiten erkennen; allerdings decken sich diese Verbreitungsmuster in der Regel nicht mit vermeintlichen oder tatsächlichen politischen bzw. ethnischen Grenzen.

Seit der Jahrtausendwende setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass das Aufkommen der Reihengräber keineswegs primär als Niederschlag einer Zuwanderung barbarischer Gruppen während der Völkerwanderung auf ehemals römischem Boden anzusehen ist. Dagegen spricht schon die Tatsache, dass mehrere ihrer wesentlichen Merkmale wie Körperbestattung und Orientierung von spätantiken provinzialrömischen Friedhöfen herzuleiten sind. Von den vorherrschenden Brandbestattungen im völkerwanderungszeitlichen Barbaricum, also außerhalb des Römischen Reichs, unterscheiden sie sich dagegen markant. Vereinzelt, z. B. im Fall von Essenbach-Altheim, wurden die Gründer der Reihengräber unter der spätantiken provinzialrömischen Bevölkerung angenommen.

Goldblattkreuz aus dem Reitergrab 19 von Spötting (Stadt Landsberg a. Lech). (bavarikon) (S. Friedrich, Archäologische Staatssammlung München)
Almandinscheibenfibel aus Grab 3700 von Regensburg-Burgweinting mit farbig hervorgehobenem Kreuzmotiv. Da sich im Grab der um 580 bestatteten Dame auch noch ein Goldblattkreuz fand, darf die Fibel als Ausdruck eines persönlichen Bekenntnisses zum Christentum verstanden werden. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Im gleichen Zuge verabschiedete sich die archäologische Forschung von der Vorstellung, die Beigabenausstattungen in den Reihengräbern seien auf heidnisch-germanische Jenseitsvorstellungen zurückzuführen. Da die Bewohner des heutigen Südbayerns spätestens seit der Eingliederung in das Merowingerreich in der Mitte des 6. Jahrhunderts zumindest nominell Christen waren, ist auch bei den Reihengräbern ganz überwiegend mit christlichen Bestattungen zu rechnen.

Plausibler als die traditionelle Interpretation als „germanische“ Bestattungsform erscheint die Deutung des Aufkommens der Reihengräber als Ausdruck einer kulturellen Neuorientierung in der turbulenten Umbruchszeit des 5. und beginnenden 6. Jahrhunderts. Reihengräberfriedhöfe werden als Orte interpretiert, an denen lokale Gruppen um soziale Anerkennung wetteiferten. Die Bestattungsfeierlichkeiten auf den Friedhöfen werden dabei als performative Inszenierungen aufgefasst, bei denen die Grabbeigaben dazu dienten, das Selbstverständnis und den Status der bestattenden Gemeinschaft zu verdeutlichen.

Noch offen ist die Frage nach dem Ende der Reihengräber in der späten Merowinger- bzw. frühen Karolingerzeit. Mittlerweile zeigt sich in dieser Phase eine große Vielfalt an Friedhofstypen und Bestattungsformen, die die großen Reihengräberfelder ablösten. Archäologisch fassbar sind nun häufig kleinere Grabgruppen, wie Separat- oder Hofgrablegen. Selbst archaisch anmutende Bestattungsformen wie Grabhügel kamen in der Auflösungsphase der Reihengräber in Bayern wieder auf: Die Entwicklung von den Reihengräbern bis zur regelhaften Bestattung auf dem Kirchfriedhof war also komplex. Dort bestattete man die Toten in aller Regel ohne Beigaben, wodurch sie sich grundlegend von den Reihengräbern unterschieden. Insgesamt dürfte die allmähliche Institutionalisierung christlicher Kirchenstrukturen zum endgültigen Ende der Reihengräber beigetragen haben.

Erkenntnispotentiale der Reihengräberforschung

Die besondere Bedeutung der Reihengräber für die Frühgeschichte Bayerns besteht seit jeher darin, dass sie umfangreiche Quellen aus einer Zeit liefern, zu der nur vereinzelte schriftliche Nachrichten vorliegen. Bei der wissenschaftlichen Bearbeitung der Reihengräber sind seit der Jahrtausendwende verschiedene allgemeine Tendenzen zu beobachten.

Die Restaurierungswissenschaft liefert Erkenntnisse zu jenem umfangreichen Teil der frühmittelalterlichen Sachkultur, der aus organischen Materialien bestand. Durch die sorgfältige restauratorische Untersuchung der kleinen bis kleinsten Gewebereste, die sich in den Korrosionsschichten der Metallfunde aus den Reihengräbern erhalten haben, konnte beispielsweise das Wissen um das Aussehen, die verwendeten Textilien sowie die Verarbeitung frühmittelalterlicher Kleidung auf neue Grundlagen gestellt werden. In Bezug auf die Trageweise der Bügelfibeln im Rahmen der Frauenkleidung zeigte sich, dass ältere Überlegungen, die von der Lage der Objekte ausgingen, obsolet sind. Anders als früher vermutet, wurden die Bügelfibeln nicht als Zierde an einem Gürtel oder einer Schärpe getragen, sondern sie verschlossen ein vorne offenes mantelartiges Gewand.

Die sorgfältigere Dokumentationstechnik bei der Ausgrabung von Reihengräbern ermöglichte z. B. neue Erkenntnisse zum Phänomen der Graböffnungen, die besonders in der jüngeren Merowingerzeit häufig vorkamen. Dabei wurde deutlich, dass die Interpretation als ‚Grabraub‘ zu kurz greift. Vielmehr zeigte sich, dass Reihengräber in der Regel recht bald nach der Beisetzung, maximal innerhalb einer Generation, wieder geöffnet und die Beigaben entnommen wurden. Vieles deutet darauf hin, dass dafür die Angehörigen der Verstorbenen selbst verantwortlich waren. Offenbar sahen es die Angehörigen in diesen Fällen zwar als notwendig an, die Toten bei der Bestattungsfeier mit Beigaben auszustatten, hielten es aber nicht für zwingend erforderlich, dass die Beigaben auch dauerhaft bei den Toten im Grab verblieben.


Eine immer bedeutendere Rolle bei der wissenschaftlichen Bearbeitung der Reihengräberfunde spielen naturwissenschaftliche Analysen. Als ergebnisreich erwiesen sich beispielsweise Untersuchungsmethoden, mit deren Hilfe die Herkunft der verwendeten Rohstoffe bestimmt und damit Fernhandelsbeziehungen nachgewiesen werden konnten. So stammen etwa die Almandine, mit denen die Schmuckstücke aus den Reihengräbern gerne verziert wurden, nach mineralogischen Analysen aus dem heutigen Indien oder Sri Lanka. Auch die Funde von afrikanischem Elefantenelfenbein oder Gehäusen von Meeresschnecken (Cypreen) aus dem Roten Meer verdeutlichen die Einbindung des bayerischen Reihengräbergebiets in überregionale Austauschnetzwerke.

Seit jeher sind die Reihengräber nicht nur für die Archäologie von großem Interesse, sondern auch für die physische Anthropologie. Aus keiner anderen Epoche der Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas liegen so viele archäologisch verhältnismäßig präzise datierte Skelettfunde vor, weshalb neue Analyseansätze häufig an Material aus Reihengräbern erprobt werden. Isotopenuntersuchungen an Skelettmaterial liefern etwa Informationen zu Ernährungsgewohnheiten und Umweltbedingungen, in eingeschränktem Maße auch zur Mobilität einzelner Personen. Seit den 2010er Jahren gewinnt die Analyse der aDNA an Bedeutung. Die genetischen Daten lassen nicht nur biologische Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Individuen deutlich werden, auch der Nachweis von Epidemien, insbesondere der sogenannten Justinianischen Pest in der Mitte des 6. Jahrhunderts gelang anhand von alter DNA. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die größte Herausforderung für die Reihengräberforschung seit der Jahrtausendwende darin besteht, dass die Fülle an Neufunden und Grabungsergebnissen mittlerweile kaum noch zu überschauen ist.

Literatur

Allgemein

  • Sebastian Brather, Ethnische Interpretationen in der frühgeschichtlichen Archäologie. Geschichte, Grundlagen und Alternativen (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 42), Berlin/New York 2004.
  • Sebastian Brather, Identity, performance and representation. On the social interpretation of Early Medieval row grave cemeteries, in: Kerstin P. Hofmann (Hg.), Antike Identitäten und moderne Identifikationen. Raum, Wissen und Repräsentation (Kolloquien zur Vor- und Frühgeschichte 27), Wiesbaden 2023, 193-203.
  • Susanne Brather-Walter/Christina Peek/Antje Gillich, Kleidung im Frühen Mittelalter. Am liebsten schön bunt! (Portrait Archäologie 3), Stuttgart 2008.
  • Hermann Dannheimer, Die germanischen Funde der späten Kaiserzeit und des frühen Mittelalters in Mittelfranken (Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 7), Berlin 1962.
  • Hubert Fehr, Germanische Einwanderung oder kulturelle Neuorientierung? Zu den Anfängen des Reihengräberhorizontes, in: Sebastian Brather, Wilhelm Heizmann u. Steffen Patzold (Hg.), Germanische Altertumskunde im Wandel. Teil 1 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 100/1), Berlin, Boston 2021, 319-350.
  • Hubert Fehr, Der Ducatus Baioariorum aus archäologischer Sicht, in: Sebastian Brather (Hg.), Die Dukate des Merowingerreichs (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 139), Berlin, Boston 2023, 361-396.
  • Marlies Franken, Die Alamannen zwischen Iller und Lech (Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit 5), Berlin 1944.
  • Matthias Friedrich, Archäologische Chronologie und historische Interpretation. Die Merowingerzeit in Süddeutschland (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde 96), Berlin/Boston 2016.
  • Anja Gairhos, Späte Merowingerzeit im Ingolstädter Raum (Beiträge zur Geschichte Ingolstadts 6), Ingolstadt 2010.
  • Sebastian Gairhos, in civitate Augusta. Archäologie des frühmittelalterlichen Augsburg, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 114 (2022), 139-162.
  • Michaela Harbeck/Kristin von Heyking, Die Ernährung menschlicher Bevölkerungen in Spätantike und Mittelalter auf dem Gebiet der ehemaligen Raetia secunda und des Herzogtums Baiern. Welche Hinweise können Isotopenanalysen geben?, in: Jörg Drauschke/Roland Prien/Alexander Reis (Hg.), Küche und Keller in Antike und Frühmittelalter (Studien zu Spätantike und Frühmittelalter 6), Hamburg 2014, 197-222.
  • Robert Koch, Bodenfunde der Völkerwanderungszeit aus dem Main-Tauber-Gebiet (Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 8), Berlin 1967.
  • Ursula Koch, Die Grabfunde der Merowingerzeit aus dem Donautal um Regensburg (Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 10), Berlin 1968.
  • Christian Later, Zur archäologischen Nachweisbarkeit des Christentums im frühmittelalterlichen Baiern. Methodische und quellenkritische Anmerkungen, in: Hubert Fehr/Irmtraut Heitmeier (Hg.), Die Anfänge Bayerns. Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria (Bayerische Landesgeschichte und europäische Regionalgeschichte 1), St. Ottilien 2012, 567-611.
  • Christian Later, Frühmittelalterliche Grabhügel in Altbayern – ein vielgestaltiges Phänomen, in: Fines Transire 29 (2020), 139-184.
  • Christoph Lobinger, Hofgrablegen und Separatfriedhöfe des frühen Mittelalters aus dem Isarmündungsgebiet. Grabgruppen der Jüngeren und Späten Merowingerzeit aus dem Landkreis Deggendorf (Beiträge zur Archäologie in Niederbayern 5), Büchenbach 2015.
  • Kathrin Müller, Siedlungsinterne Bestattungen im frühmittelalterlichen Süddeutschland, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 45 (2017), 33-102.
  • Anja Pütz, Merowingerzeitliche Gräberfelder am Unteren Maindreieck (Materialhefte zur Bayerischen Archäologie 111), Kallmünz/Opf. 2019.
  • Andreas Rott u. a., Family graves? The genetics of collective burials in early medieval southern Germany on trial, in: Journal of Archaeological Science 92 (2018), 103-115.
  • Johannes Sebrich, Das römische Erbe der Reihengräberkultur, in: Bayerische Archäologie Heft 2 (2017), 40-43.
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Fundorte

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  • Hubert Fehr/Manfred Woidich, Neue Ausgrabungen in der frühmittelalterlichen Siedlung „Am Hitzipoint“ in Burgheim, in: Das Archäologisches Jahr in Bayern 2022, 144-146.
  • Hubert Fehr, … die Hauptfrage, welcher Zeit und welchem Volke dieser Leichenacker zu attribuieren sey …“. Nordendorf und die Entwicklung der Frühmittelalterarchäologie im Lechtal, in: Ursula Ibler, Volker Babucke u. Alice Arnold-Becker (Hg.), Zwischen Baiern und Schwaben. Das Lechtal im Frühen Mittelalter (Friedberg 2023) 28-43.
  • Doris Gutsmiedl-Schümann, Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Aschheim-Bajuwarenring (Materialhefte zur Bayerischen Vorgeschichte 94), Kallmünz/Opf. 2010.
  • Brigitte Haas-Gebhard/Britt Nowak-Böck, The Unterhaching grave finds. Richly dressed burials from sixth-century Bavaria, in: Medieval clothing and textiles 8 (2012), 1-23.
  • Sophie Hüdepohl/Johannes Sebrich u. Silvia Codreanu-Winderauer, Spätantike und Frühmittelalter in Regensburg – Pilotstudie Großes Gräberfeld, in: Bericht der Bayerischen Bodendenkmalpflege 63 (2022), 221-320.
  • Ursula Koch, Das Reihengräberfeld bei Schretzheim (Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 13), Berlin 1977.
  • Christian Later, Der spätmerowingisch-karolingische Friedhof von Itzling bei Altenerding. Ein Beitrag zur Genese mittelalterlicher Kirchhöfe in Altbayern, in: Bericht der Bayerischen Bodendenkmalpflege 61 (2020), 457-492.
  • Hans Losert, Altenerding in Oberbayern. Struktur des frühmittelalterlichen Gräberfelds und „Ethnogenese“ der Bajuwaren I, Berlin, Bamberg, Ljubljana 2003.
  • Günther Moosbauer/Veronika Fischer, Römer und frühe Baiern in Straubing. Archäologie, Geschichte, Topographie, Regensburg 2022.
  • Christian Pescheck, Das fränkische Reihengräberfeld von Kleinlangheim, Lkr. Kitzingen (Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 17), Mainz 1996.
  • Walter Sage, Das Reihengräberfeld von Altenerding in Oberbayern (Germanische Denkmäler der Völkerwanderungszeit A 14), Berlin 1984.
  • Johannes Sebrich, Das spätantik-frühmittelalterliche Gräberfeld von Essenbach-Altheim (Materialhefte zur Bayerischen Archäologie 110), Kallmünz/Opf. 2019.
  • Eva Stauch, Wenigumstadt. Ein Bestattungsplatz der Völkerwanderungszeit und des frühen Mittelalters im nördlichen Odenwaldvorland (Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 111), Bonn 2004.
  • Matthias Tschuch/Katharina Buchholz, Höhlenbär und Klappstuhl. Archäologisches Archiv vom Paläolithikum bis Frühmittelalter in Endsee. Das Archäologische Jahr in Bayern 2022, 9-11.

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Empfohlene Zitierweise

Hubert Fehr, Reihengräber, publiziert am 30.09.2025; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Reihengräber> (6.12.2025)