Versorgungskrise (nach 1945)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam es in Bayern aufgrund der zerstörten Infrastruktur, der Kappung der (Energie-)Rohstoffversorgung und des daraus resultierenden starken Rückgangs vor allem der industriellen und gewerblichen Produktion bei einem gleichzeitigen Zustrom von rund zwei Mio. Flüchtlingen zu gravierenden, lange anhaltenden Versorgungsengpässen. Vor allem die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln, Brennstoff und Bekleidung schrumpfte auf ein Minimum, so dass diese Güter rationiert wurden und ihre Verteilung strikt überwacht werden musste, um ein Überleben aller gewährleisten zu können. Mit der Währungsreform im Juni 1948 kam diese Ära schlagartig zum Abschluss, da die Existenz einer neuen, stabilen Währung dazu führte, dass bis dahin zurückgehaltene Vorräte auf den Markt geworfen wurden und man die Produktion sehr rasch stark steigerte.
Hintergrund
Die Versorgung der bis Ende 1946 um rund zwei Mio. Menschen angewachsenen Bevölkerung Bayerns stellte Politik und Verwaltung vor kaum zu bewältigende Probleme. Die Menschen nahm der tägliche Kampf ums Überleben derart in Anspruch, dass sich viele weder mit der jüngsten Vergangenheit noch mit dem demokratischen Neubeginn beschäftigten. Aufmerksamkeit fanden allenfalls die Auseinandersetzungen um die Verfügung über und die Verteilung von Lebensmitteln und anderen lebenswichtigen Gütern. Diese wurden nicht nur innerhalb Bayerns, sondern auch zwischen den Ländern der westlichen Zonen ausgetragen; hierbei fanden auch die alten Ressentiments gegen die "Preußen" neue Nahrung. Dass die Versorgungskrise über drei Jahre anhielt – sie fand erst mit der Währungsreform im Juni 1948 ein jähes Ende –, trug dazu bei, dass deren eigentliche Ursachen, die NS-Politik und der Zweite Weltkrieg, aus dem Blick gerieten und stattdessen die Besatzungsmächte und die neue, demokratische Regierung dafür verantwortlich gemacht wurden. Viele sahen sich nur noch als Opfer und betrachteten etwaiges Fehlverhalten in der Vergangenheit nun als abgegolten. Aus diesem Grunde hat die Versorgungskrise auch eine eminent wichtige sozialpolitische Bedeutung.
Ausgangslage
Die Ursachen der Versorgungskrise waren vielfältig und reichten teilweise bis in die Vorkriegszeit zurück. Schon im Zuge der Aufrüstung, vollends dann während des Krieges hatte die Produktion kriegswichtiger Güter absoluten Vorrang vor Konsumgütern genossen, weshalb letztere knapp wurden. Solange große Teile Europas besetzt waren und ausgebeutet werden konnten, machten sich diese Defizite jedoch noch nicht so stark bemerkbar. Mit dem Fortschreiten des Krieges verschlechterte sich die Versorgung der Bevölkerung jedoch rapide; schließlich brach sie wegen der durch systematische Bombardierungen verursachten Zerstörung der Verkehrsinfrastruktur vollends zusammen. Die Instandsetzung der Bahnstrecken, vor allem aber der zahllosen Brücken – die auch die Wasserwege blockierten – erforderte viel Zeit, ebenso der Ersatz bzw. die Reparatur des rollenden Materials. Das hatte zur Folge, dass man lange Zeit im Wesentlichen auf die Rohstoffe und Produkte angewiesen war, die man im Land selbst zur Verfügung hatte bzw. herstellen konnte.
Nahrungsmittelversorgung
Als besonders problematisch erwies sich die Lebensmittelversorgung. Bereits vor dem Krieg war die bayerische Landwirtschaft nicht in der Lage, den gesamten Bedarf der Bevölkerung an Nahrungsmitteln zu decken. Während des Krieges waren die Anbauflächen zusätzlich deutlich geschrumpft, so dass der Gesamtumfang des Ackerlandes 1946 um 7,8 % geringer war als 1939. Noch weitaus stärker waren der Anbau von Getreide und Kartoffeln zurückgegangen. Hinzu kam, dass wegen des nahezu vollständigen Ausfalls der Mineraldüngerversorgung auch die Ernteerträge pro Hektar beträchtlich geschrumpft waren. Verschärft wurde die Versorgungslage 1947 durch eine Missernte "wie sie in diesem Ausmaße seit Jahrzehnten nicht mehr beobachtet wurde." Beim Getreide lag der Ertrag bei kaum mehr als einem Drittel der Ernte eines normalen Jahres, und bei den Kartoffeln sah es kaum besser aus. In den Jahren 1945 bis 1948 gab es auffällige Wetterabläufe. Der Dezember 1945 war sehr kalt; die Kälte steigerte sich rasch weiter und dauerte lange an. In Berlin z. B. fiel der Februar 1946 gegenüber dem vieljährigen Mittel um über 8 Minusgrade zu kalt aus. Der Sommer des Jahres 1947 war dann ein ausgesprochen trockener "Hitzesommer". In Potsdam beispielsweise wurde eine Sonnenscheindauer von 2.111 Stunden registriert; das war die höchste Stundenzahl in der 100-jährigen Reihe von 1893 bis 1992. Im Sommer 1948 gab es dagegen außergewöhnlich heftige Niederschläge.
Die Folge davon war, dass die Tagesration eines Normalverbrauchers, die vom Herbst 1946 bis zum März 1947 etwas vergrößert werden konnte - nämlich von ca. 1.200 Kalorien auf 1.546 -, im Sommer 1947 auf ein neues Rekordtief von nur mehr 1.085 Kalorien abgesenkt werden musste. Die Ration bestand jetzt noch aus 205 g Kohlehydraten, 32 g Eiweiß und 12 g Fett. Vor dem Krieg hatte die durchschnittliche Tagesration 3.190 Kalorien umfasst und sich aus 461 g Kohlehydraten, 88 g Eiweiß und 101 g Fett zusammengesetzt.
Zur Verschlechterung der Versorgungslage trug bei, dass Bayern Lebensmittel an andere Länder der westlichen Besatzungszonen liefern musste. So machte Ministerpräsident Hans Ehard (1887-1980) in einer Regierungserklärung am 24. Oktober 1947 für die Absenkung der Rationen den Umstand verantwortlich, dass Bayern in großem Umfang Lebensmittel nach Württemberg, Baden, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Berlin hätte liefern müssen. Tatsächlich hatte Bayern 1946 Waren im Wert von 25 Mio. Reichsmark ausgeführt, wovon 15 Mio. auf Produkte der Ernährungswirtschaft entfielen. 1947 - nach Schaffung des gemeinsamen Wirtschaftraums der englischen und amerikanischen Besatzungszone (sog. Bizone) - hatten die Lebensmittellieferungen einen Umfang von 21 Mio. bei einer Gesamtausfuhr im Wert von 95 Mio., im ersten Halbjahr 1948 dann 26 Mio. bei insgesamt 86 Mio.
Energieversorgung
Ähnlich katastrophal war die Situation bei der Brennstoffversorgung. Nicht nur, dass der Kohleimport ausfiel, auch die inländische Kohleförderung war 1945 nahezu völlig zum Erliegen gekommen. Den Großteil der Vorräte benötigte die Besatzungsmacht. Der Brennstoffbedarf der Bevölkerung, für den Winter auf mindestens 639.000 Tonnen Kohle berechnet, sollte deshalb vor allem durch Holz gedeckt werden. Der dazu erforderliche Einschlag des Holzes war jedoch wegen des Mangels an Werkzeugen und dessen Verteilung wegen fehlender Transportmittel nicht zu bewerkstelligen. In den folgenden Jahren wurde der Holzeinschlag sehr stark ausgeweitet, und auch die Kohleförderung kam wieder in Schwung: Schon 1946 übertraf sie mit 2,7 Mio. Tonnen etwas die der Vorkriegszeit. Angesichts eines jährlichen Bedarfs von mindestens 12 Mio. Tonnen reichte aber auch diese Menge bei Weitem nicht aus, und der Kohleimport lief nur sehr langsam wieder an. Im Winter 1946/47 standen deshalb pro Einwohner nur 37 kg Kohle zur Verfügung. 1947/48 sollten es 72 kg werden; auch das hätte erst einem Viertel der Vorkriegsmenge entsprochen.
Angesichts dieser Lage war der durch Wasserkraft erzeugte Strom von umso größerem Wert. Aber bereits vor dem Krieg hatten die Wasserkraftwerke nicht ausgereicht, den Strombedarf zu decken, weshalb immer mehr Kohlekraftwerke betrieben worden waren; diese aber fielen jetzt weg. Zudem hatte Bayern vornehmlich im Winter große Strommengen von mitteldeutschen Braunkohlekraftwerken bezogen; auch das war nun nicht mehr möglich. Hinzu kam, dass sowohl im strengen Winter 1946/47 als auch im folgenden, sehr trockenen Sommer die Stromproduktion aus Wasserkraft stark absank. So war die elektrische Energie nicht annähernd imstande, die Lücke zu schließen, die der Ausfall der Kohleimporte gerissen hatte. Man unternahm zwar Anstrengungen zur Steigerung der Stromgewinnung aus Wasserkraft, doch zeitigten diese erst nach 1948 größere Erfolge.
Gewerbe und Industrie
Schon wegen dieses Mangels an Energie musste die gewerbliche und industrielle Produktion sehr stark eingeschränkt werden. Hatte die bayerische Industrie 1936 rund 3,45 Mio. Tonnen Kohle verbraucht, so standen ihr 1946 noch 1,7 Mio. Tonnen zur Verfügung. An Strom hatte sie 1936 noch 2,8 Mio. kWh und 1944 sogar über 4 Mio. kWh verbraucht; 1946 waren es hingegen nur 1,56 Mio. kWh. Entsprechend war die Produktion gesunken. Besonders betroffen davon war die energieintensive Industrie, zu der auch die Baustoff- und die Glasindustrie zählten. Deshalb war an eine Wiederherstellung oder gar den Neubau von Wohnraum nicht zu denken. Nicht nur in den Städten, auf die sich die kriegsbedingten Zerstörungen von Wohnraum konzentrierten, sondern auch auf dem Lande, das die Flüchtlinge und Vertriebenen aufzunehmen hatte, herrschten deshalb vielfach katastrophale Wohnverhältnisse. In Kombination mit der unzureichenden Ernährung und Beheizung führte dies zu einer deutlichen Zunahme von Krankheits- und Todesfällen.
Zusammenfassung
Obwohl sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nur langsam wandelten, zeigt die schlagartige Verbesserung der Versorgungslage nach der Währungsreform, dass die Produktion weitaus umfangreicher war, als es das offizielle Warenangebot suggerierte. Solange aber das Geld wertlos war, versuchten die Produzenten, ihre Waren gegen Sachwerte einzutauschen oder zu horten, was auch die Zwangsbewirtschaftung nicht verhindern konnte. Unter der unzureichenden Versorgung litten deshalb vor allem die Teile der Bevölkerung, die über keine Sachwerte verfügten, wie Evakuierte, Ausgebombte, Flüchtlinge und Vertriebene.
Literatur
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Quellen
- Bayern in Zahlen. Monatshefte des Bayerischen Statistischen Landesamtes, Jahrgänge 1-3, 1947-1949.
Weiterführende Recherche
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Ernährungskrise , Schwarzmarkt
Empfohlene Zitierweise
Dirk Götschmann, Versorgungskrise (nach 1945), publiziert am 14.08.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Versorgungskrise_(nach_1945)> (2.11.2024)