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Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß, 1980

Aus Historisches Lexikon Bayerns

"Franz Josef Strauß Kanzler für Frieden und Freiheit". Wahlplakat der CSU für die Bundestagswahl. (Foto: Bundesarchiv, Plat 104-OM0289-011; Grafiker: o. A./1980)
"f ü r Strauß". Plakat der Bürgeraktion Demokraten für Strauß. (Foto: Bundesarchiv, Plak 104-PM0297-001; Grafiker: o. A./1980)
Wahlwerbung für die CDU/CSU. Wahlplakat der Bürgeraktion Demokraten für Strauß. (Foto: Bundesarchiv, Plak 006-022-005; Grafiker: o. A./1980)
Franz Josef Strauß spricht Sonntag, 14. September, 20 Uhr, VS-Villingen, Münsterplatz. (Foto: Bundesarchiv, Plak 104-PM0289-019; Grafiker: o. A./1980)

von Saskia Richter (†)

Franz Josef Strauß (1915-1988) war 1980 der erste Kanzlerkandidat der Christlich-Sozialen Union (CSU). Seine Kanzlerkandidatur war insofern äußerst bemerkenswert, weil er sich innerhalb der Unionsfraktion gegen die Landesverbände der Christlich Demokratischen Union (CDU) durchsetzen konnte. Strauß hatte zuvor damit gedroht, die CSU bundesweit als Vierte Partei rechts der CDU etablieren zu wollen. Als Kanzlerkandidat war Strauß sehr polarisierend. Trotz eines guten Wahlergebnisses gelang es ihm nicht, die FDP als Koalitionspartner zu gewinnen und eine Regierung zu bilden. Bis zu seinem Tod 1988 blieb Strauß Ministerpräsident in Bayern und Vorsitzender der CSU.

Der erste Kanzlerkandidat der CSU

Franz Josef Strauß (CSU, 1915-1988) wurde am 2. Juli 1979 von der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages als erster Kanzlerkandidat der CSU für die Unionsparteien nominiert. Seine Kanzlerkandidatur war deshalb von großer Bedeutung für die Unionsparteien, weil sich die CDU als größere Schwesterpartei der Fraktionsgemeinschaft seit der Kanzlerschaft von Konrad Adenauer (CDU, 1876-1967, Bundeskanzler 1949-1963) ein gewohnheitsmäßiges erstes Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur gesichert hatte. Kanzler waren neben Adenauer die CDU-Regierungschefs Ludwig Erhard (CDU, 1897-1977, Bundeskanzler 1963-1966) und Kurt Georg Kiesinger (CDU, 1904-1988, Bundeskanzler 1966-1969), gescheiterte Kandidaten Rainer Barzel (CDU, 1924-2006, CDU-Vorsitzender 1971-1973, CDU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag 1996-1973) und Helmut Kohl (CDU, 1930-1998, CDU-Vorsitzender 1973-1998, Bundeskanzler 1982-1998). Die Kanzlerkandidatur eines CSU-Politikers gilt daher eher als Ausnahme. Zudem war der Erfolg eines bayerischen Politikers auf Bundesebene wenig wahrscheinlich.

Die Krise der Unionsparteien

In den späten 1970er Jahren befanden sich CDU und CSU in einer Krise. Obwohl die CDU die Oppositionszeit für eine grundlegende Modernisierung genutzt und ihre Mitgliederzahlen mehr als verdoppelt hatte, seit 1978 bei Landtagswahlen hinzugewann und auf eine Mehrheit im Bundesrat verweisen konnte, war nach wie vor ungeklärt, wie es der Union gelingen konnte, die mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) regierende Freie Demokratische Partei (FDP) als Koalitionspartner zurückzugewinnen oder bei der Bundestagswahl eine absolute Mehrheit zu erzielen. Die Mehrheit der Delegierten der FDP und 75 % der FDP-Anhänger wünschten sich eine Fortsetzung der sozialliberalen Koalition. Der seit 1973 bzw. 1976 amtierende Partei- und Fraktionsvorsitzende Helmut Kohl hatte bei der Bundestagswahl 1976 zwar 3,7 % hinzugewonnen, aber mit 48,6 % der Zweitstimmen keine Regierung bilden können. Seitdem befand er sich in Partei und Parlament in einer eher schwachen Position; ihm wurde mangelnde Sachkompetenz und fehlende Schlagfertigkeit in der parlamentarischen Debatte vorgeworfen. Die CSU selbst konnte im Vergleich zur CDU auf relativ gute Werte verweisen, doch Franz Josef Strauß hatte es sich schon in den frühen Jahren der Bundesrepublik mit der FDP verscherzt, weil er sich für ein Mehrheitswahlrecht eingesetzt hatte, das der Untergang für die Liberalen gewesen wäre. So stand der Kanzlerkandidat ohne Koalitionspartner dar.

Die Stärke des bayerischen Ministerpräsidenten

Im Gegensatz zu Kohl befand sich Franz Josef Strauß als Ministerpräsident des Freistaates Bayern in einer relativ komfortablen (Macht-)Position. Er liebäugelte bereits seit den 1960er Jahren damit, Konrad Adenauers Nachfolger zu werden. Strauß war zunächst Bundesminister für besondere Aufgaben (1953-1955), Bundesminister für Atomfragen (1955-1956), Bundesminister für Verteidigung (1956-1962) und Bundesfinanzminister (1966-1969) in der Großen Koalition. Dabei hatte er seine Ämter stets mit einem starken Sendungsbewusstsein und großen rhetorischen Fähigkeiten ausgeübt. Zudem war er dazu in der Lage, sich innerhalb der CSU und der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU eine starke Hausmacht aufzubauen. 1978 wurde Strauß Ministerpräsident in Bayern, als der er auch bundespolitisch wirken konnte: Er fokussierte sich einerseits darauf, den Wirtschaftsstandort Bayern weiterzuentwickeln. Gleichzeitig wetterte er gegen die sozialliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik. Er positionierte sich gegen Helmut Schmidt (SPD, 1918-2015, Bundeskanzler 1974-1982) und gleichermaßen als Staatsmann, indem er Staaten wie China, Chile und Südafrika Staatsbesuche abstattete, ohne die dortigen Systeme in Frage zu stellen.

Die Nominierung in der Unionsfraktion

Da die Kanzlerkandidatur kein Parteiamt ist, fehlt ein festgelegtes Auswahlverfahren für einen Kanzlerkandidaten. Dennoch behielt sich der Parteivorsitzende der CDU das erste Zugriffsrecht auf diese Position vor. So schlug Helmut Kohl den niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht (CDU, 1930-2014, Ministerpräsident von Niedersachsen 1976-1990) für die Position des Kanzlerkandidaten vor. Dieser regierte zwar seit 1976 in Niedersachsen mit großem Erfolg, ihm fehlte aber eine nachhaltige bundespolitische Verankerung innerhalb der CDU. Er stellte keine wirkliche Gefahr für den Parteivorsitzenden dar. Als Entscheidungsgremium einigten sich die Parteien auf die Fraktion, in der seinerzeit bereits über die Nominierungen Ludwig Erhards und Kurt Georg Kiesingers entschieden worden war.

Eine Vierte Partei auf Bundesebene?

Doch innerhalb der Unionsparteien drohte Strauß damit, die CSU bundesweit als eine Vierte Partei rechts der CDU auszubauen. Mit dieser Drohung - und im Grunde einer Erpressung - gelang es der gesamten CSU mit Friedrich Zimmermann (gen. "Manschetten-Fritze", CSU, 1925-2012) als damaligem Landesgruppenvorsitzenden wiederum, die Position von Franz Josef Strauß auch auf Bundesebene zu stärken. Der Kreuther Trennungsbeschluss war ursprünglich im Dezember 1976 zurückgenommen worden, doch die CSU-Strategen aktivierten diese Auseinandersetzung, um Franz Josef Strauß gegen den CDU-Kandidaten Ernst Albrecht durchzusetzen.

Die Nominierung von Ernst Albrecht wurde von Walther Leisler Kiep (CDU, 1926-2016, Finanzminister von Niedersachsen 1979-1980), Richard Freiherr von Weizsäcker (CDU, 1920-2015), Heiner Geißler (CDU, 1930-2017, CDU-Generalsekretär 1977-1989) und Bernhard Vogel (CDU, geb. 1932, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz 1976-1988) unterstützt. Sie alle standen für eine christlich-soziale, liberale und ausgleichende Politik und für all das, was Ernst Albrecht als unionsinterner Gegenpol zu Strauß verkörperte. Gleichzeitig befürchteten viele CDU-Politiker in den Ländern, dass eine Vierte Partei die dortigen starken Stellungen der CDU wie beispielsweise in Baden-Württemberg gefährden würde. Bei der Abstimmung erreichte Franz Josef Strauß letztlich 135 von 237 Stimmen.

Der Bundestagswahlkampf 1980

Auch der Bundestagswahlkampf im Jahr 1980 war nach innen und nach außen sehr polarisierend. Mitglieder der Jungen Union bezeichneten das Ergebnis der Fraktionsabstimmung, die über Strauß' Nominierung entschieden hatte, öffentlich als eine Farce; ihr Pressesprecher kündigte seine CDU-Mitgliedschaft; der Vorsitzende des Bremer Landesverbandes gab sein Amt ab und langjährige Bundestagsabgeordnete verzichteten auf eine erneute Kandidatur. Die Wahrnehmung in der Presse war nicht freundlicher; man befürchtete, dass mit dem "ultrakonservativen" Strauß ein "Rechtsruck" einhergehen würde.

So kam es auch, dass hinter der Person Strauß wichtige Themen des Wahljahres 1980 in den Hintergrund traten: Der Umgang mit dem Linksterrorismus, Reaktionen auf das Aufkommen der neuen Partei Die Grünen, die Zuspitzung des Ost-West-Konfliktes. Strauß thematisierte den Wirtschaftsstandort Deutschland, die Zukunft der Renten und ein friedliches Europa. Doch letztlich blieb er und blieb auch die Auseinandersetzung um seine Person im Vordergrund. Helmut Schmidt konnte seine Amtszeit durch die Wahl noch einmal bis 1982 verlängern, um letztlich an der Wirtschaftspolitik innerhalb der Koalition mit der FDP zu scheitern.

In Bezug auf die Wähler versuchte der Kandidat Strauß nach seiner Nominierung sein Image zu ändern und trat als Vertreter einer gemäßigten Politik in die Öffentlichkeit. Dennoch gab es Störungen bei den Wahlkampfauftritten, so dass der Kandidat von einem Polizeiaufgebot umgeben werden musste. Inhaltlich distanzierte sich Strauß von der von ihm formulierten Sonthofen-Strategie, in der er 1974 die Oppositionsarbeit der Union auf Kosten der Bundesregierung hatte reduzieren wollen. Strategisch wurden Strauß mit Gerhard Stoltenberg (CDU, 1928-2001, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein 1971-1982) und Walther Leisler Kiep liberale Politiker an die Seite gestellt, die auch in den norddeutschen Landesverbänden Wähler ansprechen sollten, was aber letztlich nur bedingt gelang.

In der direkten Auseinandersetzung mit Helmut Schmidt konnte sich Franz Josef Strauß nicht durchsetzen. Helmut Schmidt verfügte zum Ende der 1970er Jahre über eine sehr hohe Popularität: Er war konsensfähig, führungsstark und hatte Krisenmanagement (RAF-Terrorismus) sowie Wirtschaftskompetenz (Arbeitslosigkeit) unter Beweis gestellt. Vor dem Hintergrund einer international angespannten Lage (Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan) konnte der seit 1974 regierende Bundeskanzler mit der Koalition mehr Stimmen auf sich vereinen als die Unionsparteien.

Das Ergebnis der Bundestagswahl

Verteilung der Sitze im deutschen Bundestag, Bundestagswahlen 1980. (Grafik erstellt anhand der Daten des Bundeswahlleiters)

Die Union erreichte letztlich mit dem Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß mit 44,5 % ein sehr gutes Ergebnis, das allerdings einen Verlust von 4,1 Prozentpunkten bedeutete und daher nicht zur Regierungsbildung reichte. Vorab war es zudem nicht gelungen, einen Koalitionspartner zu finden bzw. die FDP von einer Regierungsbildung zu überzeugen. Die FDP war im damaligen Drei-Parteien-System noch sehr eng an die SPD unter Bundeskanzler Helmut Schmidt gebunden. Die Grünen hatten sich nach mehreren erfolgreichen Landtagswahlen 1980 erstmals zur Wahl gestellt, aber nur 1,5 % der Stimmen bekommen; sie waren damals als Koalitionspartner indiskutabel.

Nach der Bundestagswahl blieb Franz Josef Strauß Ministerpräsident in Bayern und Vorsitzender der CSU. Innerhalb der Union konnte sich Helmut Kohl nun durchsetzen und nach einem erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotum 1982 und den vorgezogenen Neuwahlen 1983 mit der FDP eine schwarz-gelbe Bundesregierung bilden.

Literatur

  • Ernst Albrecht, Erinnerungen, Erkenntnisse, Entscheidungen. Politik für Europa, Deutschland und Niedersachsen, Göttingen 1999.
  • Wolfram Bickerich, Franz Josef Strauß. Die Biografie, Düsseldorf 1996.
  • Ursula Feist/Klaus Liepelt, Stärkung und Gefährdung der sozial-liberalen Koalition. Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 5. Oktober 1980, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 1/1981, 34-58.
  • Stefan Finger, Franz Josef Strauß. Der verhinderte Kanzler, Bonn 2005.
  • Martin Huber, Die Bundestagswahlkämpfe der CDU/CSU als Oppositionsparteien 1972, 1976, 1980, 2002 (Beiträge zur Politikwissenschaft 10), München 2008.
  • Hans-Otto Kleinmann, Geschichte der CDU. 1945-1982, Stuttgart 1993.
  • Peter Koch, Das Duell: Franz Josef Strauß gegen Helmut Schmidt, Hamburg 2. Auflage 1980.
  • Saskia Richter, Franz Josef Strauß. Das Scheitern eines Siegers, in: Daniela Forkmann/Saskia Richter (Hg.), Gescheiterte Kanzlerkandidaten. Von Kurt Schumacher bis Edmund Stoiber (Göttinger Studien zur Parteienforschung), Wiesbaden 2007, 202-235.
  • Saskia Richter, Die Kanzlerkandidaten der CSU, Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber als Ausdruck christdemokratischer Schwäche? (Politica 59), Hamburg 2004.
  • Reinhold Roth, Der Konflikt um die Strategie und den Kanzlerkandidaten in der CDU/CSU, in: Heino Kaack/Reinhold Roth, Handbuch des deutschen Parteiensystems. Struktur und Politik in der Bundesrepublik zu Beginn der achtziger Jahre, Opladen 1980, 119-145.
  • Hans-Peter Schwarz, Helmut Kohl. Eine politische Biographie, München 2012.

Quellen

  • Franz Josef Strauß, Die Erinnerungen, Berlin 1989.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Empfohlene Zitierweise

Saskia Richter, Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß, 1980, publiziert am 25.09.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kanzlerkandidatur_von_Franz_Josef_Strauß,_1980 (14.12.2024)