Hauptstadt der Bewegung, München
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Der Begriff "Hauptstadt der Bewegung" ist ein Ehrentitel, den Adolf Hitler (NSDAP, 1889-1945, Reichskanzler 1933-1945) der bayerischen Landeshauptstadt München für deren Bedeutung als Gründungsort der NSDAP verlieh. Bereits in seiner zentralen politisch-ideologischen Programmschrift "Mein Kampf" wies er auf die Bedeutung der Stadt für den Aufstieg des Nationalsozialismus hin. Offiziell wurde der Titel bei einem Treffen mit Münchens Oberbürgermeister Karl Fiehler (NSDAP, 1895-1969) am 2. August 1935 verliehen. Damit reihte er München in die Gruppe der "Führerstädte" ein, zu denen auch Linz (Österreich), Berlin, Nürnberg und Hamburg zählten.
München und die NSDAP (bis 1933)
Wie kaum eine andere deutsche Stadt ist die bayerische Landeshauptstadt München mit der Entstehung und dem Aufstieg des Nationalsozialismus verbunden. Hier liegen die geistigen und organisatorischen Ursprünge der NS-Bewegung. München ist der Ort, an dem sich die NSDAP als politisch wirkungsvolle Kraft formieren, entwickeln und konsolidieren konnte. Von einer Splittergruppe im unübersichtlichen rechtsradikal-völkischen Spektrum Münchens entwickelte sich die NSDAP mit den Reichstagswahlen 1932 zur stärksten Partei in Deutschland, die 1933 ohne nennenswerte Widerstände die brüchig gewordenen Fundamente der Weimarer Republik zerstören konnte.
Der britische Privatier Richard Barlow (1826–1882). 1876 erwarb er das zwischen Karolinenplatz und Königsplatz gelegene Adelspalais, von da ab "Palais Barlow" genannt. 1882 vererbte er es seinem Sohn, dem Industriellen Willy Barlow (1869–1928). Dessen Witwe verkaufte die Liegenschaft für 805.864 Goldmark am 26. Mai 1930 an die NSDAP. Das Palais Barlow wurde zum "Braunen Haus" umgewidmet und war Ausgangspunkt der zahlreichen Parteibauten in der näheren und weiteren Umgebung. (aus: Hugo Helbing [Hg.], Sammlung Barlow †, München 1911, Frontispiz, Universitätsbibliothek Heidelberg)
Im Zentrum der zahlreichen Parteibauten stand an der Brienner Straße, unweit des Münchner Königsplatzes, das sog. "Braune Haus", in dem ab 1931 die Parteizentrale der NSDAP untergebracht war. Der Architekt Paul Ludwig Troost (1878-1934), einer der bevorzugten Baumeister Adolf Hitlers (1889-1945, Parteivorsitzender der NSDAP 1921-1945) gestaltete insbesondere die Innenräume entsprechend der neuen Nutzungsabsichten um. Unter anderem beherbergte die neue Parteizentrale die sog. "Fahnenhalle" und den sog. "Standartensaal", in denen kultische, pseudoreligiöse Inszenierungen stattfanden. Das Gebäude verlor seit 1937 zwar nicht an Bedeutung, doch wurden zahlreiche Nutzungseinheiten in die beiden neuen Parteibauten an der Arcisstraße (sog. "Führerbau" und sog. "Verwaltungsbau") umquartiert. Nach starken Kriegsbeschädigungen wurde das Gebäude 1947 abgerissen. Foto, Dez. 1931. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-7118)
Wiederholt hatte Adolf Hitler (NSDAP, 1889-1945, Reichskanzler 1933-1945) die herausgehobene Rolle Münchens für seine politische Sozialisation, für seinen Werdegang und für die Entwicklung des Nationalsozialismus betont. Hitlers striktes Festhalten an München als Sitz der Parteileitung war eine wesentliche Komponente dieser Wertschätzung. Zwar gab es innerhalb der Partei immer wieder Bemühungen, die Parteizentrale an andere Orte zu verlegen – sei es aus Gründen der Machtarithmetik, sei es aus logistisch-organisatorischen Überlegungen. Hitler wehrte derartige Versuche stets ab, meist unter Verweis auf Münchens Sonderrolle für Entstehung und Aufstieg der Bewegung. Auf der Landesvertreterversammlung der sächsischen NSDAP am 12. Juni 1925 machte Hitler mit großer rhetorischer Geste deutlich, warum für ihn ein Verzicht auf München als Zentrale der Partei nicht in Frage kam: "Rom – Mekka – Moskau! Jeder der drei Orte verkörpert eine Weltanschauung. Bleiben wir bei der Stadt, die die ersten Blutopfer unserer Bewegung sah: sie muß das Moskau unserer Bewegung werden!" (Hitler, Reden, Band 1, 99.) Und wenige Wochen später, anlässlich einer Rede in Stuttgart (Baden-Württemberg), untermauerte er diese Haltung und betonte die Unauflösbarkeit der symbiotischen Verbindung zwischen dem Nationalsozialismus und der bayerischen Hauptstadt: "Die Bewegung ist auch schon deshalb mit München unzertrennbar verbunden, weil dort die Bewegung begründet wurde und weil dort die ersten Opfer für die Bewegung gefallen sind. Deshalb ist diese Stadt für mich und auch für die Bewegung geheiligter Boden." (Hitler, Reden, Band 1, 116).
Verleihung des Titels "Hauptstadt der Bewegung"
Anlässlich der Grundsteinlegung für das "Haus der Deutschen Kunst" am 15. Oktober 1933 wurde München von Hitler zur "Hauptstadt der deutschen Kunst" gekürt. Knapp zwei Jahre später, am 2. August 1935, ernannte Hitler anlässlich einer Besprechung mit dem Münchner Oberbürgermeister Karl Fiehler (NSDAP, 1895-1969, Oberbürgermeister 1933-45) auf dessen Drängen München zur "Hauptstadt der Bewegung". Dieses Label war keineswegs neu, sondern hatte sich informell bereits zuvor eingebürgert. Bemerkenswert ist, dass die Vergabe des Titels abweichend von der üblichen Inszenierungsfreudigkeit der NS-Propaganda ohne großes Zeremoniell und fast am Rande erfolgte. Weder Verleihungsurkunde noch umfangreiche Schriftsätze sind überliefert. Aber auch wenn sich die Benennung lediglich auf eine mündliche Anweisung des "Führers" stützte, so besaß diese beiläufige Deklaration gewissermaßen gesetzgeberische Qualität.
Blieb der Verleihungsakt des Titels durch Hitler en passant, so wurde die Ehrung in München selbst als "großer Feiertag" zelebriert. Die städtischen Gebäude wurden beflaggt, die Straßenbahnen mit Wimpeln dekoriert wie sonst nur zu besonderen Festtagen. Die Münchner Gemeinderäte (die späteren Ratsherren) trafen sich am 6. August 1935 vor ihrer üblichen Sitzung zu einer Feierstunde, die Karl Tempel (NSDAP, 1904-1940) als Stellvertreter von Oberbürgermeister Fiehler Gelegenheit gab, in einer pathetischen Rede nicht nur den Geist der "Kampfzeit" und die "Liebe zum Führer" zu beschwören, sondern auch die Dankbarkeit Münchens für die Auszeichnung der Stadt zu betonen (Münchener Gemeinde-Zeitung, 8.8.1935).
Kommunale Ehrentitel im NS-Staat
Die Wirkung des Nationalsozialismus beruhte auch auf der geschickten Anwendung performativer und inszenatorischer Techniken. Neben der Überwältigungsästhetik von durchchoreographierten Massenveranstaltungen im öffentlichen Raum und der Stilisierung des "Führers" Adolf Hitler zur heilsgeschichtlich überhöhten messianischen Figur gebrauchte das Regime auch Orte als symbolische Bezugsgröße, um innerparteiliche Loyalitäten zu festigen und propagandistische Außenwirkungen zu beschleunigen. Ebenso bildeten Titel und Namen im Nationalsozialismus eine Ressource der Stilisierung und Inszenierung. Der Erfindungsreichtum der NS-Propaganda in diesem Bereich war enorm und führte schließlich zur Verknüpfung von Orten und Zuschreibungen. Zahlreiche Städte erhielten nach 1933 Zusatzbezeichnungen, die ihnen spezielle Alleinstellungsmerkmale zuwiesen: Berlin führte den Titel "Reichshauptstadt", Frankfurt am Main durfte sich "Stadt des deutschen Handwerks" (1935) nennen, Nürnberg wurde zur "Stadt der Reichsparteitage" (1936) und Leipzig zur "Reichsmessestadt" (1937). Der ultimative Spitzenplatz im Ranking der kommunalen Beinamen gebührte jedoch dem Titel "Hauptstadt der Bewegung". In der kommunalen Konkurrenz mit anderen Groß- und "Führerstädten" besaß dieser Titel einen kaum zu bemessenden Mehrwert, durch den München einen uneinholbaren Bedeutungsvorsprung hatte.
Die Vergabe der kommunalen Ehrentitel folgte herrschaftstechnischem Kalkül. Die Zentralisierung des politischen Machtapparats in Berlin, die Aufhebung der Länderhoheit und die Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung hatten zu einem Bedeutungsverlust der regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften geführt. Durch die Vergabe von exklusiven Etiketten an zahlreiche Städte erfolgte eine graduelle Kompensation dieses Bedeutungsverlustes.
Für die bayerische Landeshauptstadt gilt darüber hinaus, dass mit der nationalsozialistischen Vereinnahmung als "Hauptstadt der Bewegung" und "Hauptstadt der deutschen Kunst" das separatistische und monarchistisch geprägte Epizentrum Bayern geschwächt werden sollte. Die neuen Ehrentitel waren der Versuch, dem traditionellen, von der Wittelsbacher Monarchie geprägten Münchner Selbstverständnis einer europäischen Haupt- und Residenzstadt eine gleich- oder gar höherwertige nationalsozialistische Konnotation entgegenzusetzen - unmittelbar nach der Taufe Münchens als "Hauptstadt der Bewegung". Diesen Anspruch konnte man in der gleichgeschalteten NS-Presse nachlesen: "Die ehemalige Hochburg des Föderalismus und Partikularismus unseligen Angedenkens soll nach dem Willen des Führers für alle Zeit als Hauptstadt der Bewegung gelten, die sich zum Ziel gesetzt hat, die stärkste innere Klammer des Reiches und die sicherste Bürgschaft für eine immer engere Volksgemeinschaft zu sein." (Deutsche Allgemeine Zeitung, 4.8.1935)
Gestärkt wurde Münchens hervorgehobene Rolle im Ranking der nationalsozialistischen Bedeutungen schließlich durch die Tatsache, dass Hitler höchstpersönlich die Funktion des in der Gemeindeordnung vorgeschriebenen kommunalen Beauftragten der Partei übernahm und der Stadt durch diese Führer-Unmittelbarkeit einen weiteren singulären Mehrwert verschaffte. Äußerlich sichtbar wurde die strategische Umdeutung Münchner Traditionslinien in der heraldischen Neugestaltung des Stadtwappens, wo seit 1936 – unter Reichsadler und Hakenkreuz – ein weltliches Münchner Kindl an die Stelle des christlichen Mönchs trat. Konsequent wurde die Kindlfigur durch braune Applikationen auf dem schwarzen Gewand auch optisch nach der nationalsozialistischen Farbenlehre eingekleidet.
München als Bühne für die pseudoreligiöse Inszenierung des NS-Regimes
Der Nationalsozialismus kann auch als politische Religion gedeutet werden, hatte er sich doch von Beginn an wichtige Versatzstücke einer säkularen Theologie angeeignet: Es gab Märtyrer und Opfer, eine diesseitige Sendung und jenseitige Heilsbestimmung, eine exklusive Deutungsmacht, signifikante Reliquien (etwa die "Blutfahne"), den messianischen Erlöser, eine wirkungsstarke Liturgie mit festen Ritualen, schließlich manischen Verfolgungseifer gegenüber Andersdenkenden und "Häretikern". Als eine Art Rom des Nationalsozialismus war München der zentrale "Bischofssitz" der Bewegung. Mit einer einzigartigen Verdichtung von NS-Kultorten wurde aus der Stadt nach 1933 ein mythologisch verformtes Zentrum, das nicht nur einer historisch gebundenen, sondern auch einer überzeitlichen, transzendenten Legitimation des Nationalsozialismus dienen sollte. München war der sakrale Mittelpunkt dieser Theokratie von Hitlers Gnaden. Die ganze Stadt wurde zur Ikone des Nationalsozialismus verklärt. Im Mittelpunkt des pseudoreligiösen NS-Kults standen die beiden "Ehrentempel" am Königsplatz, in die man am 9. November 1935 die zu "Blutzeugen" stilisierten Toten des gescheiterten Putsches umgebettet hatte. Hier war das eigentliche "Heiligtum" des Nationalsozialismus, hier wurden die sterblichen Überreste der "Märtyrer" des 9. November 1923 in einem gespenstischen Totenkult heroisiert und wie Staatsreliquien verehrt. An diesem topographischen Nukleus des Nationalsozialismus endeten und kulminierten die zu pathetischen Fackel- und Fahnenspektakeln aufdekorierten Gedenkveranstaltungen zum Hitlerputsch. Das penibel durchorganisierte Schauspiel am Königsplatz war der Höhepunkt im nationalsozialistischen Festkalender – und München war der Sakralraum für das beklemmende Spektakel. Neben der Heilsfigur des "Führers" war dieser moderne Märtyrerkult um die "Blutzeugen" das Herzstück der nationalsozialistischen Theologie. München formte den Altar, auf dem der neuheidnische Ritus nach allen Regeln der Massenwirksamkeit zelebriert wurde. Angesichts dieser rituellen Aufwertung der bayerischen Hauptstadt ergab sich der Nimbus einer "Hauptstadt der Bewegung" im Sinne eines pseudoreligiösen Hauptorts fast von selbst.
Wie für andere "Führerstädte" hatte Hitler auch für München umfangreiche Neugestaltungspläne im Sinn. Ein mit weitreichenden Vollmachten ausgestatteter Generalbaurat wurde mit dem Umbau der Stadt beauftragt. Kernstück der monströsen Pläne war die Vision einer "Großen Achse", einer monumentalen Prachtstraße mit überdimensionalen Kultur- und Repräsentationsbauten, die den Stadtraum wie eine gigantische Schneise von der historischen Stadtmitte bis in die westlichen Randbezirke teilte. Der Münchner Hauptbahnhof sollte in einen gewaltigen, rund 265 Meter im Durchmesser messenden Kuppelbau nach Westen, in den Stadtteil Laim verlegt werden. Als zentrale städtebauliche Dominate im Innenstadtbereich wurde ein mehr als 200 Meter hohes "Denkmal der Bewegung" projektiert, in dessen Sockel die mystisch verklärte "Blutfahne" vom Novemberputsch 1923 aufbewahrt werden sollte. Erst der Krieg brachte das Aus für diese Vorhaben. Wären sie verwirklicht worden, hätten sie die gewachsene topographische Struktur und das Stadtbild Münchens bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.
Allerdings veränderte der Krieg das Gesicht Münchens auf andere Art. Die Stilisierung zum nationalsozialistischen Zentralort erhöhte die Anziehungskraft für die alliierten Luftstreitkräfte. Diesen galt die Zerstörung der Repräsentationsbauten des Regimes als symbolische Demonstration der Stärke und unmissverständliche Geste der militärischen Überlegenheit, die auch die deutsche Bevölkerung zur Kenntnis nehmen sollte. Seit 1942 legten englische und amerikanische Flieger große Teile der "Hauptstadt der Bewegung" nach und nach in Schutt und Asche.
Die "Hauptstadt der Bewegung" als Faktor machtpolitischer und ökonomischer Wertschöpfung
Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass München trotz der Kanzlerschaft Hitlers, der nun seine Zelte und die seines Hofstaates in Berlin aufschlug, keineswegs zu einer hierarchisch nachrangigen Nebenstelle des Nationalsozialismus degradiert wurde, denn das operative Geschäft des Nationalsozialismus wurde in starkem Umfang von München aus betrieben. Die Stadt besaß im Kräftemessen mit Berlin nach wie vor einen gewichtigen Standortvorteil, weil hier ein nicht unerheblicher Teil der Entscheidungs- und Verwaltungsstrukturen der Parteiorganisation verblieben war. 1936 brachte der NSDAP-Gauleiter von München Adolf Wagner (NSDAP, 1890-1944, Gauleiter 1928-1944) diese Situation lapidar aber stimmig auf den Punkt: "Der Führer hat verfügt, daß München als Hauptstadt der Bewegung für alle Zeiten Sitz der Reichsleitung der NSDAP bleiben soll. Berlin wird für alle Zeiten Sitz der Reichsregierung bleiben. Von Berlin aus wird das Reich, von München aus wird die nationalsozialistische Bewegung geführt." (zit. nach Bauer, Geschichte, 176)
Das Parteiviertel in der Münchner Maxvorstadt blieb bis Kriegsende das geistige und politische Zentrum des Nationalsozialismus. Neben der unmittelbaren NSDAP-Reichsleitung, dem Stellvertreter des Führers, dem Reichsorganisationsleiter und dem Reichsschatzmeister, waren in diesem engräumlichen Umfeld auch die Leitungsinstanzen zahlreicher NS-Organisationen vertreten, darunter die Reichsjugendführung der NSDAP, die Reichskassenverwaltung der NS-Frauenschaft, die Reichsführung des NS-Studentenbundes, Teile der Reichsführung SS (Verwaltungsamt und SS-Gericht), die Oberste SA-Führung und andere Parteieinrichtungen wie z. B. die Reichspropagandaleitung oder die Reichspressestelle der NSDAP. Mit diesen von München aus gesteuerten Ämtern und Parteigliederungen erreichte der NS-Staat einen hohen Wirkungsgrad bei der Gleichschaltung und Durchdringung der Gesellschaft. Die in München prominent angesiedelte Parteibürokratie war keine redundante Verwaltung, sondern ein realer Machtfaktor mit erheblichem innergesellschaftlichem Gestaltungspotential. Die Architektur der totalitären NSDAP-Herrschaft wurde von München aus organisiert.
Das Reichsrevisionsamt und Rechnungsamt der NSDAP waren zwei von unzähligen Dienststellen der Partei, die die Bedeutung Münchens als sog. "Hauptstadt der Bewegung" nach außen hin verdeutlichten. Ihren Sitz hatten sie im sog. "Parteiviertel" rund um den Münchner Königsplatz. Seit 1941 waren Reichsrevisionsamt und Rechnungsamt im ehemaligen "Palais Lotzbeck", benannt nach Ferdinand Freiherr von Lotzbeck (1786-1883), der das bis dahin als "Palais Asbeck" bekannte Gebäude im 19. Jh. grundlegend umgestalten ließ, untergebracht. Nach teilweiser Kriegszerstörung wurde das Gebäude 1955 abgebrochen. Im Jahr 1957 wurde auf dem prominent gelegenen Grundstück das Amerikahaus errichtet. Foto um 1942. (aus: Fritz Maier-Hartmann, Die Bauten der NSDAP in der Hauptstadt der Bewegung, München 1942, 58)
Über das gesamte Stadtgebiet Münchens waren diverse Parteigliederungen und -dienststellen verteilt. Ansicht der "Reichszeugmeisterei" (RZM) der NSDAP, ab 1935 wurde in München-Giesing in Stahlskelettbauweise errichtet. Die "Zeugmeistereien" stellten reichsweit die Versorgung der Parteimitglieder und -gliederungen mit allen denkbar möglichen Gegenständen sicher, darunter v. a. Uniformen. Nach Kriegsende nutzte die US-Army den weitläufigen Gebäudekomplex (McGraw-Kaserne). (aus: Fritz Maier-Hartmann, Die Bauten der NSDAP in der Hauptstadt der Bewegung, München 1942, 63)
Der Titel einer "Hauptstadt der Bewegung" besaß für die Stadt München letztlich auch konkrete Bedeutung im Sinne einer ökonomischen Wertschöpfung. Insbesondere die strategisch kluge Vermarktung des Zentralort-Nimbus sorgte für eine Belebung des Fremdenverkehrs und sicherte Stadt und Stadtbevölkerung bis in die Kriegszeit lukrative Zusatzeinnahmen. Auch die großformatigen Inszenierungen und Festveranstaltungen in der "Hauptstadt der Bewegung" waren wichtige Wirtschaftsfaktoren. In München konnte sich beispielsweise eine boomende Festzugindustrie etablieren, die nicht nur von der Herstellung der Umzugswagen und der Ausstattung der Komparserie profitierte, sondern auch einen opulenten Häuser- und Straßenschmuck fertigte. Schreiner, Maler, Schneider, Schuster, Gestalter und andere Gewerke profitierten von diesen Unternehmungen, die von der NS-Propaganda als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und touristische Attraktionen gefeiert wurden. Ein von der Gauleitung eigens gegründeter Verein "Münchener Großveranstaltungen e. V." beschäftigte allein für den jährlich stattfindenden "Tag der Deutschen Kunst" an die 300 Mitarbeiter. Die zahlreichen prachtvoll ausstaffierten Großereignisse sorgten dafür, dass München als Stadt des schönen Scheins zum wichtigsten topographischen Werbeträger des nationalsozialistischen Deutschland wurde, in der sich das gewalttätige Regime auch dem Ausland von seiner besten Seite zeigen konnte.
Münchens Umgang mit der eigenen Geschichte nach 1945
Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes tat sich München schwer, die eigene unheilvolle Rolle für Entstehung und Aufstieg des Nationalsozialismus angemessen zu thematisieren und dauerhaft sichtbar in die kommunale Erinnerungskultur zu integrieren. Vor allem der Umgang mit den baulichen Hinterlassenschaften des NS-Regimes führte zu scharfer Kritik. Ein zentraler Vorwurf lautete, München sei daran interessiert, die Präsenz von NS-Bauwerken im "Stadtbild zu marginalisieren – und damit auch die der NS-Vergangenheit im kollektiven Gedächtnis der Stadt" (Rosenfeld, Architektur, 509). Auch deshalb wurde die bayerische Metropole als "Hauptstadt der Verdrängung" gekennzeichnet (SZ, 17.11.2001). Erst spät konnte sich die Stadt dazu durchringen, gemeinsam mit Freistaat und Bund, ein NS-Dokumentationszentrum am historischen Ort des früheren "Braunen Hauses" zu errichten. Seit 1. Mai 2015 wird an diesem Lern- und Erinnerungsort die Geschichte des nationalsozialistischen München thematisiert und durch Sonder- und Wechselausstellungen kontextualisiert. Das Ausstellungs- und Bildungskonzept orientiert sich an den Leitfragen "Was hat das mit mir zu tun?" und "Was geht mich das heute noch an?". Ziel des NS-Dokumentationszentrums ist nicht nur die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Diktatur, sondern auch die Auseinandersetzung mit ihren Ursachen, Ausprägungen und Folgen bis in die Gegenwart.
Literatur
- Richard Bauer, Geschichte Münchens. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2003.
- Andreas Heusler, Das Braune Haus. Wie München zur "Hauptstadt der Bewegung" wurde, München 2008.
- Andreas Heusler, Von der "Hauptstadt der Bewegung" zur "Weltstadt mit Herz". Münchens kommunale Erinnerungskultur im Wandel, in: Zeitgeschichte 39/4 (2012), 245-256.
- Hans Günter Hockerts, Warum war München die "Hauptstadt der Bewegung"?, in: Stefanie Hajak/Jürgen Zarusky (Hg.), München und der Nationalsozialismus. Menschen, Orte, Strukturen, Berlin 2008, 23-40.
- Landeszentrale für politische Bildung (Hg.), München. Hauptstadt der Bewegung, München 2003.
- David Clay Large, Hitlers München. Aufstieg und Fall der Hauptstadt der Bewegung, München 1998.
- Münchner Stadtmuseum (Hg.), München - "Hauptstadt der Bewegung". Bayerns Metropole und der Nationalsozialismus, München 1993.
- Winfried Nerdinger (Hg.), München und der Nationalsozialismus. Katalog des NS-Dokumentationszentrums München, München 2., durchgesehene Auflage 2015.
- Gavriel Rosenfeld, Architektur und Gedächtnis. München und Nationalsozialismus. Strategien des Vergessens, München/Hamburg 2004.
- Margit Szöllösi-Janze (Hg.), München im Nationalsozialismus. Imagepolitik der "Hauptstadt der Bewegung". Unter Mitarb. v. Juliane Hornung (München im Nationalsozialismus. Kommunalverwaltung und Stadtgesellschaft, 4), Göttingen 2017.
Quellen
- Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 358/359, 4.8.1935
- Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933. 1. Band, hg. und kommentiert von Clemens Vollnhals, München u. a. 1992.
- Münchener Gemeinde-Zeitung Nr. 63, 8.8.1935.
- SZ, 17.11.2001: Winfried Nerdinger, "München - Hauptstadt der Verdrängung. Gedenken auf Sparflamme: Wie in der bayerischen Landeshauptstadt mit den Bauten aus der Zeit des Nationalsozialismus umgegangen wird".
Weiterführende Recherche
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Empfohlene Zitierweise
Andreas Heusler, Hauptstadt der Bewegung, München, publiziert am 23.01.2018; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Hauptstadt_der_Bewegung,_München> (6.12.2024)