Freisinger Rechtsbuch
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Das Freisinger Rechtsbuch wurde um 1328 von Ruprecht von Freising verfasst. Es ist in den Kontext der im 13. Jahrhundert entstandenen "Spiegelrechte" zu stellen. Das Freisinger Rechtsbuch ist vor allem mit dem Schwabenspiegel und dem Augsburger Stadtbuch verwandt. Im Wesentlichen sind in dem Buch straf- und verfahrensrechtliche Bestimmungen enthalten.
Begriffsbestimmung
Mit Freisinger Rechtsbuch wird die nach heutigen Begriffen schwerpunktmäßig straf- und verfahrensrechtlich orientierte Zusammenstellung bezeichnet, die traditionell einem Ruprecht von Freising (Lebensdaten unbekannt, urkundlich erwähnt 1319) zugeschrieben wird, der sie um 1328 niedergeschrieben haben soll. Die Hinweise auf den Autor entstammen einem Geleitgedicht, das dem eigentlichen Rechtsbuch beigegeben ist und in welchem Ruprecht seine Freisinger Herkunft nennt und Hinweise auf seinen Lebenslauf gibt. Auch die Jahresangabe 1328 für die Vollendung des Rechtsbuches, das seinen traditionellen Namen letztlich von der Herkunft seines mutmaßlichen Autors hat, wird aus den Angaben des Geleitgedichtes gewonnen. Inwieweit dessen Aussagen belastbar sind, lässt sich mangels alternativer Quellen nicht weiter überprüfen. Eine Urkunde vom 14. August 1319 nennt Ruprecht lediglich namentlich als Schiedsrichter in einer lehnsrechtlichen Streitsache.
Die ältere Literatur zur bayerischen Rechtsgeschichte fasste unter die Bezeichnung "Freisinger Rechtsbuch" auch ein Landrechtsbuch, das in überkommenen Handschriften aus den Jahren 1436 und 1473 neben dem hier behandelten Text überliefert ist und das zunächst ebenfalls Ruprecht von Freising zugeschrieben wurde. Es geht wohl aber auf einen anderen Zusammenhang zurück und stellt eine gekürzte Bearbeitung der entsprechenden Passagen des Schwabenspiegels dar.
Kontext
Das Freisinger Rechtsbuch gehört in den Kontext jener Schriftdokumente juristisch-normativen Inhaltes des Hochmittelalters, unter die namentlich auch die "Spiegelrechte" wie etwa der Sachsenspiegel (um 1220 bis um 1230) oder der Schwabenspiegel (um 1275) zu rechnen sind oder auch das Stadtbuch von Augsburg (1276). Als "Spiegelrechte" bezeichnet die Rechtsgeschichte traditionell die Verschriftlichung regional gewachsenen Gewohnheitsrechts, wie sie in Mitteleuropa um die Mitte des 13. Jahrhunderts gehäuft aufscheint. Diese meist von rechtskundigen Privatleuten zusammengestellten Schriften verstehen sich selbst als "Spiegel des Rechts", als verschriftlichte Widergabe gewachsener Rechtstraditionen, dabei eine Literaturform fortführend, die bereits dem Kirchenvater Augustinus (354-430) geläufig war ("Speculum quis ignorat", wohl 427). Das Stadtbuch von Augsburg stellt allerdings eine gewisse Anomalie in dieser Reihe dar, da es - anders als Sachsen- und wohl auch Schwabenspiegel in ihrer jeweiligen Urform, anders auch als das Freisinger Rechtsbuch - keine Zusammenstellung von Rechtssätzen von privater Hand, sondern königlich bestätigtes Recht enthält.
Verwandtschaft mit Schwabenspiegel und Augsburger Stadtbuch
Das Freisinger Rechtsbuch weist enge inhaltliche Verwandtschaften mit dem Schwabenspiegel und dem Stadtbuch von Augsburg auf. So sind von den insgesamt 278 Artikeln des Rechtsbuches 36 nahezu wörtlich und weitere 48 sinngleich aus dem Schwabenspiegel übernommen worden, während das Stadtbuch von Augsburg neben anderem die Artikel des Rechtsbuches über das Vogtgericht, über das Vorgehen bei der Wahrheitsfindung in Notzuchtfällen, über Maßnahmen gegen Beutelschneider, über Verfahren bei Streitigkeiten zwischen Klerikern und Laien, über die Folgen des Wiegens mit unrechtem Gewicht oder über das Sanktionieren von Scheltworten nachhaltig geprägt hat.
Von inhaltlicher Bedeutung für das Freisinger Rechtsbuch war zudem der Bayerische Landfriede des Jahres 1300, der Rechtssätze über Vergehen in Wald und Flur ebenso angeregt und materiell beeinflusst hat wie das Straßen- und Wegerecht oder grundsätzlich gehaltene Vorschriften zur Wahrung des allgemeinen Friedens.
Keine belastbaren Hinweise gibt es für eine vertiefte Bekanntschaft des Verfassers mit den Materien des seinerzeit bereits rezipierten römisch-kanonischen (gemeinen) Rechtes. Die im Freisinger Rechtsbuch anzutreffenden Anklänge dürften durch den Schwabenspiegel vermittelt worden sein. Zudem weist Ruprecht von Freising im Reimnachwort des Rechtsbuches ausdrücklich darauf hin, dass das Rechtsbuch "geschriben aus eines layen munde" sei. Dies lässt vermuten, dass er kein gelehrter Jurist war, der das römisch-kanonische Recht an einer der frühen abendländischen Universitäten studiert hätte.
Entstehung
Das Freisinger Rechtsbuch entstand wohl in Zusammenhang mit der - laut Geleitgedicht - mehr als 36 Jahre ausgeübten Tätigkeit Ruprechts als in der Gerichtspraxis erfahrene, professionelle Gerichtsperson, als "Fürsprech" - eine Funktion, auf die im weiteren historischen Fortgang zumindest in Teilen der professionelle gerichtliche Rechtsbeistand zurückgeht. Ihre Funktion lag gemeinhin darin, der eigentlichen Prozesspartei dadurch beizustehen, dass sie vor den Schranken des jeweiligen Gerichtes als mit den Abläufen des Prozesses und den dort zu gebrauchenden Formulierungen vertraute Person für sie auftrat und sprach.
Überlieferung
Überliefert ist uns das Freisinger Rechtsbuch durch insgesamt neun Handschriften, von denen jedoch keine sicher den Urtext bietet. Ihm dürfte die im Stadtarchiv München verwahrte Handschrift am nächsten kommen. Beim Münchner Exemplar handelt es sich mutmaßlich um jene Abschrift, welche die Stadt München bei Ruprecht bestellt und wofür sie ausweislich einer ebenfalls erhaltenen Kammerrechnung 216 Pfennige in vier Raten entrichtet hat. Die übrigen Exemplare sind Abschriften des Werkes aus dem 15. und 16. Jahrhundert, was auf eine fortgesetzte Rezeption des Rechtsbuches deutlich über die Lebensspanne seines Autors hinaus hindeutet. Sie haben als Säkularisationsgut ihren Weg in die staatlichen Bibliotheken Bayerns, namentlich in die Staatsbibliothek München, gefunden.
Inhalt
Inhaltlich stellt das Freisinger Rechtsbuch wesentliche Aspekte heute als strafrechtlich zu qualifizierender Rechtssätze zusammen. Es folgt dabei einer recht grundsätzlich gehaltenen, unvollkommenen Aufbausystematik und gliedert sich sachlich von besonders verwerflichen Delikten hinunter bis zu nachrangigen Vergehen, verfahrensrechtlichen Vorgaben und tendenziell zivilrechtlichen Normen. So beginnt das Buch mit (modern so zu bezeichnenden) Delikten wie Totschlag, Mord und Körperverletzungen, behandelt Raub, Diebstahl und Sachbeschädigung, kommt zu Taten, die nur durch Juden begangen werden konnten, geht hier aber im zeitgenössischen Vergleich von relativ milden Sanktionen aus. Diese Tatbestände knüpfen an religiös-personale Tatbestandsvoraussetzungen an und gehören in den weiteren Umkreis des Religionsfrevels, wobei Gegenstand des Frevels ausschließlich das Christentum ist. Einige wenige, eher zivilrechtlich orientierte Rechtssätze befassen sich in diesem Bereich mit spezifischen - modern gesprochen - Wirksamkeitsvoraussetzungen für Rechtsgeschäfte, insbesondere im Bereich des Darlehensrechtes. Wieder die gesamte Rechtsgemeinschaft betreffen die ebenfalls aufgezeichneten Tatbestände im Bereich Ketzerei, Brandstiftung und Notzucht, Fälschungen, Schadensverursachungen, Vermögensdelikte, strafwürdiges Verhalten im Kontext gewerblicher Tätigkeit und schließlich Meineid. Auch allgemeine Lehren zu Helfern, Anstiftern oder zum Versuch wurden niedergeschrieben.
Im Bereich des Verfahrensrechtes ist die Rolle des Fürsprechen mit einem deutlichen Akzent versehen; es wird der gerichtliche Zweikampf ebenso behandelt wie die Bahrprobe, also die Unschuldsprobe an der Bahre des Erschlagenen, der dazu unter Umständen gar exhumiert werden sollte.
Bedeutung
Ruprecht stellt die einzelnen Sachzusammenhänge in einer ungewöhnlichen Durchdringung, Klarheit und Deutlichkeit dar, die vergleichbaren zeitgenössischen Werken in dieser Ausprägung abgeht. Die Vielzahl an Einzelfällen und Fallvarianten, die er beschreibt, deutet auf eine nachhaltige Prägung der Inhalte des Rechtsbuches durch die alltägliche, praktische Erfahrung Ruprechts hin, sofern dieser nicht – wofür Anhaltspunkte fehlen – eine uns unbekannte schriftliche Vorlage benutzt hat. In jedem Fall stellt das Rechtsbuch des Ruprecht von Freising eine bemerkenswert eigenständige Zusammenstellung und Bearbeitung von Rechtssätzen im Gefolge des Schwabenspiegels dar, die freilich noch eines zuverlässigen Editors harrt, denn keine der drei zwischen 1839 und 1941 entstandenen Druckausgaben kann als vollkommen belastbar angesehen werden.
Literatur
- Anna Hedwig Benna, Freisinger Rechtsbuch, in: Adalbert Erler/Ekkehard Kaufmann, Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte. 1. Band: Aachen–Haussuchung, Berlin 1971, Sp. 1247-1248.
- Hans-Kurt Claußen, Das Freisinger Rechtsbuch, in: Germanenrechte. Neue Folge. Deutschrechtliches Archiv. Abteilung Beihefte. 1. Heft (Schriften des Deutschrechtlichen Instituts in Verbindung mit der Forschungs- und Lehrgemeinschaft), Weimar 1940, 1-66.
- Hans-Georg Hermann, Freisinger Rechtsbuch, in: Albrecht Cordes u. a., Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 1. Band: Aachen–Geistliche Bank, Berlin 2. Auflage 2008, Sp. 1779-1780.
- Carl Gustav Homeyer, Die Deutschen Rechtsbücher des Mittelalters und ihre Handschriften. Im Auftrage der Savigny-Stiftung und mit Unterstützung der Forschungs(not)gemeinschaft der deutschen Wissenschaft neu bearbeitet von Conrad Borchling, Karl August Eckhardt und Julius von Gierke, Weimar 1931/1934.
- Hermann Knapp, Das Rechtsbuch Ruprechts von Freising (1328) in seiner Bedeutung als strafrechtliche Quelle des Mittelalters, in: Archiv für Strafrecht und Strafprozess 61 (1914), 219–272.
- Dietlinde Munzel, Ruprecht von Freising, in: Adalbert Erler/Ekkehard Kaufmann, Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte. 4. Band: Protonotarius Apostolicus–Strafprozeßordnung, Berlin 1990, Sp. 1210-1211.
- Ulrich Dieter Oppitz, Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, Köln - Wien 1990. 1. Band: Beschreibung der Rechtsbücher, 58-59.
- Ulrich Dieter Oppitz, Ruprecht von Freising, in: Die Deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. 6. Band, Berlin u. a. 1992, Sp. 416-418.
- Lorenz von Westenrieder, Akademische Rede über das Rechtbuch des Ruperts von Freysing, München 1802.
Quellen
- Hans-Kurt Claußen, Freisinger Rechtsbuch (Germanenrechte Neue Folge. Abteilung Stadtrechtsbücher), Weimar 1941.
- Hermann Knapp, Das Rechtsbuch Ruprechts von Freising (1328), Leipzig 1916.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Rechtsbuch des Ruprecht von Freising
Empfohlene Zitierweise
Peter Kreutz, Freisinger Rechtsbuch, publiziert am 25.10.2011; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Freisinger_Rechtsbuch (5.12.2024)