Rote Armee, 1919
Aus Historisches Lexikon Bayerns
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Militäreinheiten, die während der Münchner Räterepublik im April 1919 nach sowjetrussischem Vorbild gebildet wurden und die die Räterepublik und ihre Errungenschaften verteidigen sollten. Gegenstück waren die regierungstreuen "Weißen" Truppen, gebildet aus regulären Militäreinheiten und rasch formierten Freikorpsverbänden. Von Anfangserfolgen bei Dachau abgesehen, gelang es der Roten Armee nicht, den Regierungstruppen ernsthaften Widerstand entgegenzusetzen. Gleichwohl prägten die bürgerkriegsartigen Kämpfe im Großraum München die politische Lage im Freistaat auf lange Zeit und trugen maßgeblich zur Entstehung der "Ordnungszelle Bayern" bei.
Die Bildung der Roten Armee
Bereits zwei Tage nach Ausrufung der Münchner Räterepublik beschloss der Revolutionäre Zentralrat in München die Bildung einer Roten Armee (9. April 1919). Konkrete Gestalt nahm diese freilich erst an, nachdem Teile der in München stationierten regulären Militäreinheiten zusammen mit der Republikanischen Schutztruppe versucht hatten, im "Palmsonntagsputsch" am 13. April 1919 München unter Kontrolle zu bringen und so das Räteexperiment zu beenden. Die unter kommunistischer Führung zur Verteidigung der Räterepublik aufgebotenen roten Truppen rekrutierten sich vor allem aus demobilisierten Soldaten sowie aus Mitgliedern der auf Betriebsebene gebildeten Arbeiterwehren. Unter Verstoß gegen völkerrechtliche Bestimmungen wurden auch kriegsgefangene Russen und Italiener in die Rote Armee aufgenommen. Motive und soziale Herkunft der Rotarmisten sind bislang aber noch nicht systematisch untersucht worden.
Die Struktur der Roten Armee
Die Angaben über die zahlenmäßige Stärke der Roten Armee schwanken. Zeitgenössische Schätzungen kamen auf bis zu 60.000 Angehörige. Jüngere Untersuchungen gehen dagegen von 9.000 bis 10.000 Mitgliedern aus. Allerdings dürften diese kaum gleichzeitig und kontinuierlich unter Waffen gestanden haben. Zu den Charakteristika der Roten Armee gehörte nämlich auch eine hohe Fluktuation und damit einhergehend eine geringe Stabilität und Durchschlagskraft.
Die Befehlshaber – zu nennen sind insbesondere der Oberkommandierende Rudolf Egelhofer (1896-1919), der Chef des Generalstabs Erich Wollenberg (1892-1973), der Kommandant der Dachauer Truppen Ernst Toller (1893-1939) und sein Stellvertreter Gustav Klingelhöfer (1888-1961) - waren nur unzureichend auf ihre Aufgabe vorbereitet. Ihre Autorität innerhalb der Truppe war gering. Dazu kam, dass die einfachen Truppenangehörigen praktisch nach eigenem Gutdünken an den Einsätzen teilnahmen oder ihnen fernblieben.
Die Verteidigung der Räterepublik gegen die Weißen Truppen
Ihre ersten nennenswerten Einsätze hatte die Rote Armee in dem als strategisch wichtig angesehenen Dachau. Am 16. April gelang es, die bis dorthin vorgerückten Regierungstruppen aus der Stadt zu vertreiben. Deren Rückzug wurde von kommunistischer Seite als Triumph gefeiert. Er hatte seine Ursache letztlich wohl darin, dass die Regierungstruppen zu schnell und zu weit vorgestoßen waren, gleichzeitig aber die wahre Stärke der Roten Armee erheblich überschätzten.
Als Reichswehr und Freikorps Ende April erneut auf München vorrückten, mussten die meisten Außenposten der Roten Armee rasch geräumt werden. Dachau wurde am 30. April aufgegeben. Kolbermoor kapitulierte hingegen erst am 3. Mai. Im Häuserkampf, der die am 1. Mai einsetzenden kriegerischen Auseinandersetzungen in München kennzeichnete, trat die Rote Armee nicht mehr als geschlossener Kampfverband in Erscheinung.
Das weitere Schicksal der Rotarmisten
Zahlreiche Angehörige der Roten Armee fanden in den Auseinandersetzungen den Tod oder wurden – wie ihr Oberkommandierender Egelhofer - ohne Gerichtsverfahren hingerichtet. Zu den Rotarmisten, die unter dem Deckmantel des Kriegszustandes exekutiert wurden, gehörten auch 52 Russen, die in einer Kiesgrube bei Gräfelfing erschossen wurden.
Nach Einstellung der Kampfhandlungen oblag die Strafverfolgung der Rotarmisten den zur Aburteilung von Hoch- und Landesverrat eingesetzten Standgerichten sowie den bereits in der Ära Eisner geschaffenen, nun aber mit weiteren Zuständigkeiten ausgestatteten Volksgerichten. Das Münchner Standgericht, vor dem sich nahezu alle Rädelsführer der Münchner Räterepublik zu verantworten hatten, verhängte neben einem Todesurteil (Eugen Leviné, 1883-1919) eine Vielzahl drakonischer Haftstrafen. Unter anderem wurden Egelhofers Adjutant, Eugen Maria Karpf, zu zwölf, Klingelhöfer zu fünfeinhalb, Toller zu fünf und Wollenberg zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt.
Literatur
- Rudolf Herz/Dirk Halfbrodt, Revolution und Fotografie. München 1918/19, Berlin 1988.
- Paul Hoser, Dachau in der Münchner Revolution und Räterepublik von 1918/1919, in: Amperland 41 (2005), Heft 4, 147-171.
- Walter Roos, Die Rote Armee der Bayerischen Räterepublik in München 1919, Heidelberg 1998.
- Michael Seligmann, Aufstand der Räte. Die erste bayerische Räterepublik vom 7. April 1919, Grafenau 1989.
Quellen
- Erich Wollenberg, Als Rotarmist vor München. Reportage aus der Münchener Räterepublik (Arbeiterdichtungen III), Berlin 1929. [Bericht des Generalstabschefs der Roten Armee, 1929 Offizier der Roten Armee der UdSSR]
Weiterführende Recherche
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Empfohlene Zitierweise
Bernhard Grau, Rote Armee, 1919, publiziert am 16.08.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Rote_Armee,_1919> (3.12.2024)