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Verlagssystem (vor 1600)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Grafische Darstellung zum System des Sachverlages. (Grafik: Stefan Schnupp)
Grafische Darstellung zum System des Geldverlages. (Grafik: Stefan Schnupp)

von Rudolf Holbach

Beim Verlagssystem handelt es sich um eine Organisationsform der dezentralen gewerblichen Produktion. Die Verleger stellten den sog. Verlegten Kredite in Form von (Geld für) Rohwaren und z. T. auch Produktionsmittel zu Verfügung, im Gegenzug produzierten diese in Heimarbeit die geforderten Waren und erhielten nach Fertigstellung von den Verlegern hierfür einen Stücklohn. Die Verleger vertrieben dann die Produkte. Dieses System ermöglichte die vorindustrielle Produktion von Gütern in großen Stückzahlen. Auf dem Gebiet des heutigen Bayerns ist das Verlagswesen ab dem 14. Jh. nachweisbar. Es kam v. a im Textil- und Metallsektor zum Einsatz und erstreckte sich insbesondere auf Oberschwaben, die Oberpfalz und Nürnberg. Als Verleger betätigten sich hauptsächlich Kaufleute, Handwerker und Handelsgesellschaften bzw. Handelshäuser.

Definition und allgemeine Bedeutung

Der Begriff "Verlagssystem" bezeichnet eine vorindustrielle Kredit- und Organisationsform in der Produktion. Sie bildete sich seit dem 13. Jahrhundert speziell in Städten Nordwesteuropas und Oberitaliens heraus, verbreitete sich in der Folgezeit und wurde erst im Zeitalter der Industrialisierung weitgehend durch das Fabriksystem ersetzt. Bei dieser arbeitsteiligen Form von Gütererzeugung und -vertrieb gewährten die Verleger - in erster Linie Kaufleute (bis hin zu großen Handelsgesellschaften) und reichere Handwerker - bestimmten rechtlich mehr oder weniger selbständigen Produzenten Vorschüsse unterschiedlicher Art zur Gewinnung oder Herstellung von Waren, die sie nach Prüfung übernahmen und mit oder ohne Weiterverarbeitung verkauften.

Aufzeichnung über einen Verlagsvertrag zwischen dem Nürnberger Kaufmann Hainrich Fuchslin und Nördlinger Webern im Pfandbuch der Stadt Nördlingen. Edition bei: Wolfgang von Stromer, Die Gründung der Baumwollindustrie in Mitteleuropa, Stuttgart 1978, 164-165. (Stadtarchiv Nördlingen, Pfandbuch I, pag. 9)

Das Verlagssystem bot mit einem geringen Anteil an dauerhaft gebundenem unternehmerischem Kapital die Chance zur wirtschaftlichen Nutzung fremder Arbeitskraft ohne feste Beschäftigung und zur Zusammenfassung, Koordinierung und Standardisierung kleinbetrieblicher Fertigung auf Marktbedürfnisse hin. Die Verleger reduzierten ihre Transaktionskosten, weil sie nicht den gesamten Arbeitsablauf, sondern nur dessen Ergebnis zu kontrollieren brauchten. Sie bezahlten nicht die Arbeitszeit, sondern das Produkt (Stücklohn). Dies gewährte den Beteiligten Spielräume bei der Zeiteinteilung, bot einen Anreiz zu größerem Fleiß und führte offenbar zu weniger Arbeitsplatzkonflikten.

Das Verlagssystem erstreckte sich auf verschiedene Wirtschaftszweige, speziell im Textil- und Metallsektor (im Gebiet des heutigen Bayerns vor allem Oberschwaben, Oberpfalz, Nürnberg). Die Kreditgewährung erfolgte in unterschiedlicher Form: Wo Produzenten sich selbst leicht den Rohstoff verschaffen konnten, dominierte der Geldverlag. Der sog. Sachverlag mit Lieferung von Rohstoffen findet sich eher in Gewerbezweigen mit teurerem Material, das eventuell wie die Baumwolle aus der Ferne bezogen werden musste (versorgungsbedingter Verlag). Der Begriff des Sachverlags lässt sich aber ebenso auf verlegerisches Eigentum an Werkzeugen und Geräten bzw. auf Vorschüsse in Form von Naturalien beziehen.

Ein wichtiger Ansatzpunkt für den Aufbau verlegerischer Organisation konnte außer der Rohstoffbeschaffung die Notwendigkeit händlerischer Vermittlung zwischen Produzenten ohne Marktnähe und ihren entfernten Kunden sein (absatzbedingter Verlag). Von arbeitsteilungs- oder technisch bedingtem Verlag lässt sich hingegen sprechen, wenn bei einem stark zerlegten Fertigungsprozess wichtige Berufsgruppen, z.B. Weber-Verleger im Textilsektor, andere von sich abhängig machen konnten bzw. wenn größere Investitionen für Anlagen wie Mühlen eine Kontrolle und Produktionslenkung nach sich zogen.

Textilsektor

Wollweberei

Im Wolltuchgewerbe lässt sich Verlag in Oberdeutschland oft nur indirekt aus Zunftordnungen erschließen. Probleme in Regensburg seit dem 13. Jahrhundert mit der Beschäftigung von Umlandhandwerkern (Gäuwebern) könnten jedoch ein Indiz für entsprechende Abhängigkeiten sein. Im 14. Jahrhundert übernahmen hier die sog. Wollwirker, in München die Lodzeuger gegenüber städtischen Lohnwebern Auftraggeber- und eventuell Verlegerfunktionen. In Nürnberg scheinen sich im 15. Jahrhundert die Färber verstärkt als Unternehmer in der Tuchherstellung betätigt zu haben, z.T. auch im näheren Umland (Wöhrd, Gostenhof).

Der Zyklus der Weberinnen an der Nordwand der Kammer im zweiten Obergeschoss im Haus zur Kunkel in Konstanz, entstanden um 1320. (Franz-Josef Stiele-Werdermann, © Kulturbüro der Stadt Konstanz/Universität Konstanz 2014)

Im späten Mittelalter fungierten oberdeutsche Handelshäuser in größerem Stil als Abnehmer von Handwerkern in der Region wie in weiterer Entfernung. So bezogen die Welser 1491-1524 die Produkte der Wollweber von Freising über den dortigen Rat. Nördlinger Weber verlegte im späten 16. Jahrhundert die Firma Imhof, die ebenfalls die Loderhandwerke von Memmingen, Harburg und Rain am Lech (beide Lkr. Donau-Ries) vertraglich an sich band. Kollektive Lieferungsverträge über die gesamte Jahresproduktion (sog. Zunftkauf) zwischen Kaufleuten und Loderern waren in München spätestens im 16. Jahrhundert üblich, wo es ebenso Anzeichen für innerzünftigen Verlag gibt. Die Sonderform eines halboffiziellen Verlags mit Gewerbeförderung durch den Rat findet sich in Nürnberg 1527 und später bei der Einführung einer Arrasweberei (benannt nach der Stadt im nordfranzösischen Artois).

Leinenweberei

Abwicklung eines Liefervertrags vom 10. November 1399 über 10 7/8 Barchente, halb Memminger Ochsen- und halb Traubenzeichen, zwischen dem Weber Hans Mairhofer auf der einen und Hans Mangmeister und Hermann Nördlinger auf der anderen Seite. Die Edition dieses Textes findet sich in Stromer, Wolfgang: Die Gründung der Baumwollindustrie in Mitteleuropa. Wirtschaftspolitik im Spätmittelalter, Stuttgart 1978, 169-170. (Staatsarchiv Augsburg, Reichsstadt Memmingen, Urkunden 120)

Verlegerische Organisationsformen beim vor allem in Oberschwaben bedeutenden Leinengewerbe reichten über die urbanen Zentren hinaus. Dabei lässt sich ein möglichst von Webern freigehaltenes engeres von einem weiteren städtischen Umland mit Gäuwebern sowie Herstellern von Wepfen (d.h. gezetteltem, für den Webstuhl vorbereitetem Garn) und einer punktuell zugeordneten Außenzone unterscheiden. Spannungen zwischen Stadtwebern und auf die städtische Schau wirkenden, verlegten Landwebern sind mehrfach belegt, deren Produktion je nach Situation kontrolliert zugelassen oder behindert wurde. Auch Probleme durch Vorwegkauf (Fürkauf) und Aufkauf bzw. Zwischenhandel bei Flachs, Garn und Leinwand sowie durch verlegerische Konkurrenz bei dicht aneinander liegenden Zentren führten zu Konflikten. Zur Abgrenzung von "Revieren" zur Versorgung städtischer Weber mit Halbfertigwaren traf man überlokale Vereinbarungen, so 1476 unter Beteiligung von Memmingen und Kempten.

Verlegerfunktionen übernahmen im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit vor allem Kaufleute. In schlechteren Zeiten gewährte Memmingen sogar Gesellschaften wie den Besserer, Zangmeister oder Mendler Kredite, um Leinwand- bzw. Barchentweber ins Werk zu setzen. Damit erhielt der Verlag im Einzelfall einen halboffiziellen Charakter.

Barchentherstellung

Barchentstück Conrad Fuggers von 1461 im Schlossmuseum Babenhausen (Lkr. Unterallgäu). (© Fürst Fugger Zentralverwaltung)

Die oberdeutsche Herstellung von Barchent als Mischgewebe aus Baumwolle und Leinen war vom Verlag durch baumwollliefernde kaufmännische Unternehmer geprägt. Dies gilt ebenso für die in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts "gegründeten" Zentren in Nördlingen (Lkr. Donau-Ries), Augsburg, Ulm, Memmingen, Regensburg oder Lauingen (Lkr. Dillingen a. d. Donau) wie für die im 15. Jahrhundert hinzutretenden Produktionsstätten, so in München, Dinkelsbühl (Lkr. Ansbach) oder in oberfränkischen Orten. Regensburger Handwerker belieferte um 1400 das Handelshaus der Runtinger im Sachverlag mit Baumwolle aus Venedig und erhielt hierfür Webwaren zurück. In Nördlingen traten ab dem endenden 14. Jahrhundert Nürnberger, Augsburger, Lauinger und Ulmer Kaufleute als Verleger auf, übernahmen dann aber mehr und mehr örtliche Händler die Führungsrolle. In Augsburg waren ebenso die Versorgung mit Baumwolle gegen spätere Barchentlieferung wie Bargeldvorschüsse an Weber gang und gäbe. Augsburger Kaufmanns-Verleger schalteten sich ferner in die Produktion anderer Orte ein, so bereits 1399 in Memmingen. Einen besonderen Stellenwert besaß für die Fugger im 16. Jahrhundert die von ihnen kontrollierte Weberei in Weißenhorn (Lkr. Neu-Ulm), wo die Familie 1507 Herrschaftsrechte erworben hatte.

Spezielle Formen des Verlags im Rahmen planmäßiger Gewerbeförderung finden sich in München, wo sich 1423-26 der Rat zunächst selbst als Organisator und Verleger betätigte, sowie in Dinkelsbühl. Im oberfränkischen Kulmbach hingegen scheint es 1414 ein verlegerisches Zusammenwirken von Johann III. (1369-1420, seit 1397 Burggraf) von Nürnberg mit seinem Geheimschreiber Johann Imhoff d.J. und Kaufleuten gegeben zu haben, um aus Schwaben angeworbene Weber ins Werk zu setzen.

Zur Gruppe der Verlegten zählten auch im Barchentgewerbe Gäuweber, soweit deren Mitwirkung zur Deckung der Nachfrage zugelassen wurde. Die mit Verlag verbundene Arbeitsteilung von Stadt und Land bezog sich außerdem auf Garn und Wepfen.

Metallsektor

Bergbau, Hütten, Hämmer und Schmieden

Im beträchtliche Investitionen erfordernden Bergbau ist eine Trennung von Kapital und Arbeit früh festzustellen. Wie im Hütten- und Hammerwesen ist eine verlegerische Organisation mit lokalen, spezialisierten Handwerker- und z.T. entfernt sitzenden Kaufleute-Unternehmern charakteristisch. Im Alpenraum und anderen Bergbauregionen spielten oberdeutsche Handelsgesellschaften aus Augsburg, Nürnberg und weiteren Orten als Verleger eine führende Rolle. Die Weiterverarbeitung der Erze war gleichfalls verlegerisch geprägt, was nicht zuletzt mit kostspieligen technischen Neuerungen zusammenhing. So wurden bereits die frühen Seigerhütten zur Trennung von Kupfer und Silber auf nürnbergischem Boden im 15. Jahrhundert von Kaufleute-Unternehmern kontrolliert.

Im Oberpfälzer Eisenrevier wird für das 14. Jahrhunderts eine "kapitalistische" Arbeitsweise unter Kontrolle von reichen Gewerken und Hammermeistern angenommen. Nach Eisenhandelsbriefen von 1379-1389 schlossen Amberger Kaufleute Lieferungskontrakte, z.T. unter Vorauszahlung, mit ärmeren Betreibern von Hämmern ab, die durch Verschuldung der Besitzer mehrfach ihre Selbständigkeit verloren. Die große oberpfälzische Hammereinung von 1387 als Kartell stärkte Unternehmer- und Verlegerkräfte aus Amberg, Sulzbach und Nürnberg, auf das sich die Oberpfälzer Produktion stark orientierte. Daneben waren Bürger von Weiden, Regensburg, Wunsiedel oder anderen Städten der Oberpfalz als Verleger aktiv.

Die Nürnberger Metallverarbeitung versorgten zahlreiche Hämmer in der Umgebung, die ihrerseits von städtischen Hammerherren, Hammermeistern oder Verlegern abhängig waren. Im Verbot aus dem 14. Jahrhundert, das sich auf das Verlegen von Schmieden im Umkreis bezog und als ältester deutschsprachiger Beleg für den Begriff "Verlag" im Gewerbe gilt, wurden die Hammerschmiede als Produzenten schwerer Halbfertigfabrikate ausdrücklich ausgenommen. Für die Blechproduktion, in der neben Nürnberg lange Zeit Wunsiedel eine Führungsposition einnahm, schlossen Bürger beider Städte für die Halbfertigfabrikate Verlagsverträge ab und kontrollierten Blechhämmer.

Messergewerbe

In der Messerherstellung übernahmen die Kontrolle der Produktion häufig die Messerer als Fertigmacher. In Passau wurden gemäß der Freiheit von 1368 die  Klingenschmiede dazu verpflichtet, nur an sie zu liefern. In Nürnberg spezialisierten sich die Messerer ebenfalls zunehmend auf das Beschalen sowie den Vertrieb und erteilten bei gesteigerter Nachfrage Klingenschmieden, Schleifern, weiteren Kräften und ebenso Berufskollegen Aufträge. Einige besonders reiche Verleger beschäftigten im 16. Jahrhundert mehr als 20 Stückwerker. Der Übergang zwischen Messerer-Verlegern, selbständigen und stückwerkenden Meistern war jedoch fließend. Konkurrenten der Messerer als Verleger waren Angehörige benachbarter Handwerke wie der Klingenschmiede, Schleifer, Schwertfeger und Haubenschmiede oder aus Berufen wie Drechsler und Löffler. Hinzu kamen als Verleger einheimische und auswärtige Kaufleute, seit dem endenden 16. Jahrhundert vor allem spezialisierte Messer- und Klingenhändler, die z.T. aus dem Handwerk hervorgegangen waren. In die Produktion banden Nürnberger Verleger auch Klingenschmieden und Schleifen an Wasserläufen im Umland ein. Hier gab es allerdings Kontrollmechanismen (Schau) und zeitweise Restriktionen. Der Zusammenschluss der vier vereinigten Werkstätten von Nürnberg, Schwabach, Roth und Wendelstein (Lkr. Roth) 1531 sollte den Verlag stärker reglementieren. Verfügungen gegen den Bezug von Messern anderer Herkunft, z.B. aus Kornburg, erschienen allerdings weiter notwendig. Auszugehen ist von Verlag in der Messerherstellung wohl auch in Augsburg und Regensburg.

Sichel-, Sensen- und Nagelschmieden

Inwieweit es in der Sichelherstellung von Dinkelsbühl verlegerische Organisationsformen gab, ist nicht klar zu erkennen. Die Rohstofflieferung und Abnahme der Erzeugnisse durch Händler, Lieferungskontrakte und Schuldverhältnisse deuten aber spätestens im 15. Jahrhundert auf ein Eindringen hin. Im Nürnberger Sensengewerbe ist im 16. Jahrhundert eine z.T. fortgeschrittene verlegerische Organisation anzunehmen. So wird in Prozessakten die Abhängigkeit über eigene Warenzeichen verfügender Schmiede von Unternehmern angesprochen. Vermutlich gab es im Allgäu, wo neben Immenstadt, Hindelang, Sonthofen (alle Lkr. Oberallgäu), Isny (Lkr. Ravensburg, Baden-Württemberg) und Kempten vor allem Wangen (Lkr. Ravensburg, Baden-Württemberg) als Standort zu nennen ist, ebenfalls Abhängigkeiten in Form des Verlags. In der Nürnberger Nagelherstellung wurden 1530 neben selbständigen Meistern ausdrücklich Verlegern Rechte zugestanden. Ein Zeugnis von 1593 lässt die Existenz von Sachverlag in Form von Materiallieferungen erkennen.

Plattnerei

Die Nachfrage nach Erzeugnissen der Plattner durch die zahlreichen Kriege förderte die Einschaltung kapitalkräftiger Händler, die die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung stellen konnten. Große Waffengeschäfte über Geldverlag tätigte so bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts das Nürnberger Handelshaus der Stromer. Neben dem Kaufmann-Verleger gab es im Nürnberger Plattnergewerbe den Typ des Handwerker-Verlegers. In die Herstellung von Harnischen wurden trotz Gegenmaßnahmen verlegerisch auch Umlandbetriebe einbezogen, für das Polieren speziell in Wöhrd (seit 1825 Stadtteil von Nürnberg). Bemerkenswert erscheint, dass in dem militärisch und politisch wichtigen Gewerbebereich bisweilen der Rat selbst als Vermittler und sogar Verleger in Erscheinung trat.

Büchsenherstellung

Bei der bereits im 15. Jahrhundert bedeutenden Nürnberger Herstellung von Handfeuerwaffen fungierte verschiedentlich der Rat als Auftraggeber, Exporteur und Vermittler. Im 16. Jahrhundert sind feste Abhängigkeiten zwischen Produzenten und privaten Verlegern festzustellen; einzelne Waffenhändler beschäftigten eine ganze Anzahl von Meistern. Wohlhabenden Handwerkern, speziell Büchsenmachern und nur vereinzelt Büchsenschäftern, gelang partiell ein Aufstieg in den Kreis der Unternehmer. Um sich einengenden Vorschriften zu entziehen, wich man von Nürnberg teilweise ins Umland aus. Bei den Aktivitäten von Augsburger Waffenhändlern in umliegenden Orten spielte möglicherweise ebenfalls Verlag eine Rolle.

Draht- und Nadelherstellung

Mit Erfindung der halbautomatischen Drahtmühle um 1400 wuchs die Notwendigkeit zu Investitionen und stellte sich eine stärkere kaufmännische Kontrolle der Produktion ein. In Nürnberg wurden so Drahtmeister durch Unternehmer beschäftigt. Die Mühlentechnologie förderte zugleich eine verlegerisch gelenkte Produktion in der Umgebung, vor allem im Rednitz-Pegnitz-Raum. Außer beim Ziehen des groben Drahtes auf der Drahtmühle lassen sich im 16. Jahrhundert bei den für feineren Draht zuständigen Scheubenziehern und bei Heftleinmachern und Nadlern als weiterverarbeitenden Gewerben verlegerische Abhängigkeitsverhältnisse konstatieren, bei den Heftleinmachern offenbar auch von drahtliefernden Kaufleuten.

Trotz eines Verbots des "verlegen fur die stat" entwickelten sich in der Nadelherstellung im 15. und 16. Jahrhundert kleinere Orte wie Schwabach und Monheim (Lkr. Donau-Ries), Weißenburg, Pappenheim (beide Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen), Rögling (Lkr. Donau-Ries) oder Dürrwangen (Lkr. Ansbach) zu Verarbeitungszentren. Bereits die Monheimer Nadlerordnung von 1455 deutet auf eine gelenkte Produktion über kaufmännische Verleger hin, die Lieferungsverträge unter Vorauszahlung von Geldern abschlossen.

Bunt- und Edelmetallverarbeitung

Die führenden Augsburger Firmen ließen ihre Produkte aus Buntmetall offenbar weniger in der Heimatstadt als bei ihren Hütten fertigen. In Nürnberg hingegen prägten sich in der Herstellung von Gefäßen und Geräten Verlagsbeziehungen aus; in der Messingverarbeitung spielten als Auftraggeber große Handelsgesellschaften eine wichtige Rolle. Bei den Beckenschlägern, die im 15. Jahrhundert für Kaufleute produzierten, sind Tendenzen zur Auslagerung ins Umland zu erkennen. Im Rotschmiedegewerbe ließen führende Betriebe wie die Vischer oder Labenwolf im 15. und 16. Jahrhundert im Stückwerk fremde Handwerker für sich arbeiten. Forderungen an die Verleger im 16. Jahrhundert, die armen Stückwerker, ob Meister oder nicht, in Bargeld zu bezahlen, und weitere Aussagen lassen auf Missbräuche bei der Entlohnung und z.T. bedrückende Arbeitsverhältnisse schließen. Im Gürtlergewerbe ist bereits im 15. Jahrhundert das Stückwerken belegt, ebenso durch Männer wie Frauen, Meister wie Gesellen bei den Fingerhutern im 16. Jahrhundert. Auch die Ringmacher arbeiteten 1517 fast vollständig für Verleger.

Bei den Goldschmieden geben Hinweise auf Massenherstellung und verlegerische Aktivitäten ebenfalls Nachrichten über Stückwerk. In Augsburg ließ man 1529 die Beschäftigung anderer Meister in dieser Form ausdrücklich zu. Mit der Ausweitung des Handels mit Edelmetall und Pretiosen ist dort im 16. Jahrhundert eine Führungsstellung von Silberkrämern zu erkennen, die Material und Aufträge beschafften und Handwerker - z.T. außerhalb der Stadt - ins Werk setzten. Gegen den Einsatz mangelhaft Ausgebildeter speziell im Umland richteten sich aber hier wie in Nürnberg Widerstände von Meistern. Bei den Goldspinnerinnen scheint es im 15. und 16. Jahrhundert Abhängigkeiten von Goldschlägern wie Kaufleuten gegeben zu haben. Augsburg suchte um die Mitte des 16. Jahrhundert eine von Verlegern finanzierte Goldschlägerei und Goldspinnerei nach venezianischem Vorbild heimisch zu machen.

Leder- und Pelzgewerbe

Im Leder-und Pelzgewerbe sind Ansätze zu verlegerischer Organisation oft nur indirekt zu erschließen. Schon ein Passauer Verbot von 1258 deutet aber auf Abhängigkeiten einzelner Lederer von Berufsgenossen und Schustern hin. Verschiedentlich wurde das Leihen auf Häute und Lohe bzw. Gerbstoff dazu benutzt, um Handwerker abhängig zu machen. In Nürnberg waren so im 16. Jahrhundert etliche Gerber gegenüber ihren Häutelieferanten verschuldet. Z.T. ähnliche Entwicklungen finden sich in Augsburg, wo es im 16. Jahrhundert auch Regelungen zum Stückwerken für die Kürschner und die Seckler gab. Bei den mehr als 200 Beutler- und Nestlermeistern in Nürnberg war nach der Ordnung von 1542 eine Beschäftigung von Berufskollegen innerhalb der "gattung" im Stückwerk ausdrücklich erlaubt und lediglich ein Verlag aus der Stadt hinaus untersagt. Häufiger scheint es verbotene Übergriffe aus benachbarten Handwerken gegeben zu haben. So sind 1577 Streitigkeiten zwischen Beutlern und Nestlern wegen des Stückwerkgebens und Feilhaltens von Beutlerarbeit überliefert und wurde eine Ausnahmeregelung lediglich bei einem namentlich genannten Nestler getroffen, der "viel armer beutler verlegt". Im Schuhmachergewerbe deutet im 16. Jahrhundert ein Nürnberger Verlagsverbot auf gegenteilige Praktiken hin; bei den Zaummachern durfte man niemanden außerhalb der Stadt verlegen.

Holzgewerbe

In der Holzversorgung von Augsburg gewährten Sägmüller und Floßleute oberländischen Bauern und Floßleuten auf zu liefernde Bäume Kredite, die man als Verlagsverträge bezeichnen könnte. Auch die Floßleute von Lechbruck (Lkr. Ostallgäu) und anderen Flecken banden im Wald tätige Bauern durch Vorauszahlung an sich. Unter den Augsburger Sägmüllern selbst kam es zur Dominanz kapitalkräftiger Unternehmer. Für ihren Handel mit Eibenholz verlegte die Nürnberger Gesellschaft von Christoph Fürer, Leonhard Stockhamer und Nachfolgern seit den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts in Niederösterreich und später im Lande ob der Enns einheimische Holzhauer.

In der Augsburger Kistlerei übernahmen etliche ärmere Handwerker Arbeitsleistungen für reichere gegen Stücklohn und setzten Meister im 16. Jahrhundert auch Kräfte in Friedberg (Lkr. Aichach-Friedberg), Göggingen, Lechhausen, Pfersee oder Bobingen (alle Lkr. Augsburg) ins Werk. Im Drechslergewerbe ließ der Fernhandel mit gedrechselten oder geschnitzten Holz- und Spielwaren Nürnberger Kaufleute zu Beginn der Frühen Neuzeit sogar weiter entfernte Erzeuger im Thüringer Wald, im Ammergau und Berchtesgadener Raum verlegen. Verlegerische Strukturen finden sich ebenso in der Berchtesgadener Schachtelmacherei.

Bei der Herstellung von Kompassen und Klappsonnenuhren in Nürnberg gerieten im endenden 15. Jahrhunderts Handwerker in die Abhängigkeit von Großkaufleuten. Im 16. Jahrhundert ist das Auftreten von Meistern als Stückwerkern belegt. In der Bildhauerei und Bildschnitzerei wurden Handwerker z.T. von Vertretern benachbarter Berufe ins Werk gesetzt, so Schnitzer durch Maler. Insgesamt ist beim Verlag in der Kunst besonders an kleinere Werke und eine standardisierte Massenanfertigung zu denken.

Verlag in weiteren Gewerben

Der Nürnberger Buchdrucker Anton Koberger (ca. 1440-1513). Abb. aus: Johann Georg Hager, Die so nöthig als nützliche Buchdruckerkunst und Schriftgiesserey […], Bd. 4, Leipzig 1745, 193. (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, M: Bd 462:4 lizensiert durch CC BY-NC 3.0)

Formen oder Ansätze des Verlags sind in etlichen weiteren Sektoren zu finden, speziell in Nürnberg. Zum Papiermachen überließ Ulman Stromer (gest. 1407) ab 1390 seine Mühle an Jörg Tirman und schloss eine Art Verlagsvertrag mit ihm ab; für den Buchdruck sei nur auf Anton Koberger (ca. 1440-1513) verwiesen, der 24 Pressen betrieb, aber nach Johann Neudörfer (1497-1563) daneben mehr als 100 Angehörige verschiedener Berufe und etliche fremde Druckereien beschäftigte. Rudimentäre Formen des Verlags finden sich schon im 15. Jahrhundert  in der Hornverarbeitung. Im 16. Jahrhundert sind hier und in etlichen weiteren Berufen, so bei den Brillenmachern, Bürstenbindern oder Briefmalern Stückwerker belegt.

Fazit

Insgesamt zeigt sich in Oberdeutschland der Verlag als teils weit fortgeschrittenes, teils erst ansatzweise vorhandenes, auf jeden Fall als differenziertes und flexibles Instrument vorindustrieller Wirtschaftsorganisation. Von Zentren aus griff es bisweilen auf das Land über und wurde bei überlokaler wirtschaftlicher Verflechtung sogar über größere Entfernung angewandt. Dabei finden sich ebenso Kaufleute bis hin zu großen Handelsgesellschaften als Auftraggeber und Produktionslenker wie Hinweise auf Handwerker-Verleger, die Mitmeister, stückwerkende Gesellen oder Angehörige anderer Berufsgruppen beschäftigten. Die Form und der Grad der Ausprägung von Verlag waren wesentlich von Versorgungs- und Produktionsbedingungen sowie Marktchancen und -beziehungen abhängig, speziell aber vom Ausmaß ökonomischer und beruflicher Differenzierung und dem Verhältnis von Kapitalbesitz, Investitions- und Kreditbedarf. Für das Entstehen und Funktionieren einer standardisierten Massenproduktion im Rahmen einer exportorientierten Wirtschaft war der Verlag in vielen Fällen unentbehrlich.

Dokumente

Literatur

  • Hermann Aubin, Formen und Verbreitung des Verlagswesens in der Altnürnberger Wirtschaft, in: Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Nürnbergs, 2. Band (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 11), Nürnberg 1967, 620-668.
  • Mark Häberlein, Weber und Kaufleute im 16. Jahrhundert. Zur Problematik des Verlagswesens in der Reichsstadt Augsburg, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 91 (1998), 43-56
  • Rudolf Holbach, Frühformen von Verlag und Großbetrieb in der gewerblichen Produktion (13.-16. Jahrhundert) (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 110), Stuttgart 1994.
  • Rudolf Holbach, Tradition und Innovation in der gewerblichen Wirtschaft des Spätmittelalters: Zunft und Verlag, in: Edelgard E. DuBruck/Karl-Heinz Göller (Hg.), Crossroads of medie­val civilization: The city of Regensburg and its intellectual milieu (Medieval and Renaissance Monograph Series 5), Detroit 1984, 81-119.
  • Rudolf Holbach, Verlag als Organisationsform im Gewerbe des 13. bis 16. Jhs. Bemerkungen zur Typologie mit Hilfe von Beispielen, in: Simonetta Cavaciocchi (Hg.), L'Impresa. Industria, commercio, banca secc. XIII-XVIII. Atti della "Ventiduesima Settimana di Studi" 30 aprile - 4 maggio 1990 (Istituto In­ternazionale di Storia Economica Prato, Serie II - Atti delle "Settimane di Studi" e altri Convegni 22), Prato 1991, 451-466.
  • Rolf Kießling, Frühe Verlagsverträge im ostschwäbischen Textilrevier, in: Hubert Mordek (Hg.), Aus Archiven und Bibliotheken. Festschrift für Raymund Kottje zum 65. Geburtstag, Frankfurt/Bern/New York 1992, 443-458.
  • Rolf Kießling, Die Stadt und ihr Land. Umlandpolitik, Bürgerbesitz und Wirtschaftsgefüge in Ostschwaben vom 14. bis ins 16. Jahrhundert (Städteforschung R. A., Darstellungen 29), Köln/Wien 1989.
  • Rolf Kießling, Problematik und zeitgenössische Kritik des Verlagssystems, in: Johannes Burkhardt (Hg.), Augsburger Handelshäuser im Wandel des historischen Urteils (Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg, Colloquia Augustana 3), Berlin 1996, 175-190.
  • Rolf Kießling, Techniktransfer und Wirtschaftsboom in Augsburg/Schwaben im 14. Jahrhundert, in: Martin Kaufhold (Hg.), Augsburg im Mittelalter, Augsburg 2009, 36-51.
  • Rolf Kießling, Das Textilgewerbe, in: Walter Pötzl (Hg.), Bauern - Handwerker - Arbeiter. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Der Landkreis Augsburg 4), Augsburg 2001, 150-171.
  • Bernhard Kirchgässner, Der Verlag im Spannungsfeld von Stadt und Umland, in: Erich Maschke/Jürgen Sydow (Hg.), Stadt und Umland. Protokoll der X. Arbeitstagung des Arbeitskreises für südwestdeutsche Stadtgeschichtsforschung Calw 12.-14. November 1971 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, Forschungen 82), Stuttgart 1974, 72-128.
  • Reinhold Reith, Lohn und Leistung. Lohnformen im Gewerbe, 1450-1900 (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 151), Stuttgart 1999.
  • Wolfgang von Stromer, Die Gründung der Baumwollindustrie in Mitteleuropa. Wirtschaftspolitik im späten Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 17), Stuttgart 1978.
  • Wolfgang von Stromer, Der Verlag als strategisches System einer am guten Geld armen Wirtschaft, am Beispiel Oberdeutschlands im Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 78 (1991), 153-171.

Weiterführende Recherche


Empfohlene Zitierweise

Rudolf Holbach, Verlagssystem (vor 1600), publiziert am 6.12.2017; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Verlagssystem_(vor_1600)> (29.03.2024)