Regensburg, Domkapitel
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Das wohl im frühen 9. Jahrhundert entstandene Domkapitel ist erstmals 889 bezeugt. Ab dem 11. Jahrhundert wurden der Besitz des Bischofs und des Kapitels geschieden und das Domkapitel stieg zu einer rechtlich eigenständigen Körperschaft auf. Gemäß einem vom Bischof bestätigten Kapitelsbeschluss aus dem Jahre 1247 war neben einer theologischen Ausbildung und Übung im Gottesdienst die adelige Abkunft Bedingung für die Aufnahme eines Klerikers in das Domkapitel; 1499 wurden auch graduierte Geistliche aus dem bürgerlichen Stand zugelassen. Die Zahl der Kanoniker belief sich 1586 auf 25, ab dem 17. Jahrhundert auf 24. Das Domkapitel wirkte an der Bistumsleitung mit und sicherte diese Rechte durch seit 1437 überlieferte Wahlkapitulationen. Zwischen 1373 und 1526 übte es auch die geistliche Gerichtsbarkeit aus. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts war auch der Weihbischof, der meist in Personalunion das Amt des Generalvikars ausübte und das Konsistorium leitete, regelmäßig Mitglied des Domkapitels. Als einziges Domkapitel Deutschlands überdauerte dasjenige von Regensburg die Säkularisation und ging 1821 nahtlos in das aufgrund des Konkordats von 1817 geschaffene neue Domkapitel über.
Entstehung und Entwicklung bis zum Ausgang des Mittelalters
Obgleich die Geschichte des Regensburger Domkapitels im Mittelalter noch nicht hinreichend erforscht ist, darf davon ausgegangen werden, dass sich – wie in anderen Bischofsstädten – auch hier im frühen 9. Jahrhundert ein aus Weltgeistlichen zusammengesetztes Gremium gebildet hat, das den Bischof in liturgischen, pastoralen und administrativen Belangen unterstützen sollte. Aus der Zeugenliste einer Schenkungsurkunde vom 23. Februar 889 geht nämlich eindeutig hervor, dass das Domkapitel damals bereits eine feste Einrichtung war. Seine Mitglieder führten zunächst ein gemeinschaftliches Leben (vita communis) mit dem Oberhirten, zumal dort, wo der Bischofsstuhl mit einem Kloster verbunden war, wie dies in Regensburg bis 974 bezüglich St. Emmeram der Fall war. Dieses Leben nach der um 760 von Bischof Chrodegang von Metz (reg. 742-766) für seine Domgeistlichkeit verfassten und ab 816 im ganzen Frankenreich vorgeschriebenen Regel (Chrodegang-Regel) war dem der Mönche in vielem ähnlich. Der wesentliche Unterschied bestand darin, dass die Kanoniker Privateigentum erwerben konnten, was der vita communis jedoch auf Dauer alles andere als zuträglich war und sie letztlich zerstörte.
So entwickelte sich die Domgeistlichkeit im 11. Jahrhundert unter Preisgabe der vita communis allmählich zu einer vom bischöflichen Stuhl rechtlich und wirtschaftlich unabhängigen Körperschaft, indem sie ein korporatives Eigenleben entfaltete. Schließlich erwirkte sie in Parallele zur Ständebildung im profanen Bereich ein Mitspracherecht bei der Diözesanleitung, das dadurch noch eine Steigerung erfuhr, dass das Domkapitel in den Jahrzehnten nach dem Wormser Konkordat von 1122 mehr und mehr einen Alleinanspruch auf die Bischofswahl durchsetzen konnte.
Mit der Auflösung der vita communis ging auch die für den Unterhalt der Domkanoniker bestimmte und vormals vom Bischof verwaltete Vermögensmasse in das Eigentum des Kapitels über. Sie wurde in Pfründen, sog. Präbenden, portioniert und den Korporationsmitgliedern zur Nutznießung zugewiesen. Die errungene wirtschaftliche Autonomie in Verbindung mit dem ausschließlichen Recht auf die Bischofswahl setzte das Domkapitel fortan in die Lage, sich von der Position eines bloß beratenden Gremiums zur Mitregierung zu erheben und den Bischof in eine gewisse Abhängigkeit zu bringen. Sprechender Ausdruck der gesteigerten Machtposition war die Gepflogenheit, den künftigen Bischof durch eine Wahlkapitulation vertraglich auf die Linie des vom Kapitel gewünschten Regierungsstils festzulegen. Die Wahlkapitulationen in Regensburg nahmen im Vergleich mit den benachbarten Domstiften (z. B. Eichstätt 1259, Passau 1342) verhältnismäßig spät ihren Anfang. Ein Vertragswerk, das alle charakteristischen Merkmale einer Kapitulation aufweist, wurde hier erstmals 1437 mit Bischof Friedrich II. von Parsberg (reg. 1437-1449) abgeschlossen, um einerseits gefährdete Rechtsansprüche und Privilegien des Kapitels zu sichern und andererseits einer weiteren Verschuldung des Hochstifts zu wehren. Hinter dem dann bis zum Ende der alten Ordnung aufrechterhaltenen System der Wahlkapitulationen stand somit keineswegs nur selbstsüchtiges Machtstreben der Domherren, sondern zu einem Gutteil das durchaus legitime Bedürfnis, der Willkür des jeweiligen Oberhirten durch kollegiales Mitregieren Schranken aufzuerlegen und eine einigermaßen kontinuierliche Regierungsführung zu gewährleisten.
Bemerkenswert ist schließlich, dass das Regensburger Domkapitel im 15. Jahrhundert zu einem Zentrum des Frühhumanismus wurde, als dessen Exponent namentlich der juristisch und theologisch einflussreiche Domscholaster, -dekan, -propst und nachmalige Bischof Friedrich von Parsberg zu nennen ist (vgl. Frauenknecht, 603).
Mitgliederrekrutierung und -struktur
Hatte anfänglich der Bischof die Domherren berufen, so erhielt das Kapitel mit der Entwicklung zu einer Korporation eigenen Rechts im Hochmittelalter die Befugnis, seine Mitglieder selbst zu bestimmen. Diese Befugnis wurde zwar nicht durch die Beanspruchung traditioneller Dynastie-Sitze, aber bis tief ins Spätmittelalter durch päpstliche Provisionen erheblich geschmälert, ehe das Wiener Konkordat von 1448 die grundsätzliche Regelung traf, dass Kanonikate, die in ungeraden Monaten (Januar, März, …) vakant wurden, vom Papst, die übrigen vom Kapitel zu vergeben waren. Mit der Aufteilung des gemeinsamen Vermögens aus der Zeit der vita communis wurde auch die zunächst nicht festgelegte Zahl der Kanoniker auf die vorhandenen Präbenden begrenzt; doch fehlt bislang eine Untersuchung über die personelle und zahlenmäßige Zusammensetzung des Regensburger Domkapitels im Mittelalter. In den Kapitelsstatuten von 1586 werden 25, in den Romberichten von 1609 und 1654 nur mehr 24 Kanonikate gezählt. Dieser Status blieb dann bis zum Ende der alten Ordnung unverändert. Dabei waren zumindest seit dem 16. Jahrhundert jeweils nur 15 Mitglieder Vollkanoniker oder Kapitulare. Die übrigen sog. Jungherren oder Domizellare rückten erst bei Freiwerden von Kapitularstellen zu "Canonici in floribus et fructibus" (wörtl.: "Kanoniker in Blumen und Früchten") auf und erhielten damit Stimmrecht in den Sitzungen des Kapitels wie sie auch in den Genuss einer Präbende gelangten, sofern sie die geforderte halbjährige Residenzpflicht erfüllten.
Aufnahmebedingungen
Als Kriterien für die Aufnahme in das Regensburger Domkapitel benennt das 1499 von Papst Alexander VI. (reg. 1492-1503) approbierte Statut ein Mindestalter von 15 Jahren, die eheliche Geburt, den Empfang der Ersten Tonsur und eine durch die Vierer-Probe (d. h. vier adelige Vorfahren) nachzuweisende adelige Abstammung (in Freising seit 1485). Nur bei Doktoren der Theologie oder des kanonischen Rechts wurde auf den Adelsnachweis verzichtet; doch mussten mindestens zehn der 15 Präbenden jeweils mit Adeligen besetzt sein. Aufgrund dieser Bestimmungen ist das Regensburger Kapitel als gemeinständisches zu klassifizieren, das Adelige und Nichtadelige aufnahm. Allerdings verstärkte sich seit dem späten 17. Jahrhundert die Tendenz, zum einen die adelige Ahnenprobe zu erschweren, zum anderen das bürgerliche Element zurückzudrängen. In den jüngsten Fassungen der Kapitelstatuten von 1760 und 1787 wurde von den adeligen Bewerbern ein Stammbaum von 8 Ahnen verlangt (in Freising bereits seit 1688), und obwohl satzungsgemäß unter den 15 Kapitularen nach wie vor fünf Doktoren bürgerlicher Abkunft sein durften, präsentierte sich das gemeinständische Kapitel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts de facto als Adelsgremium. In landsmannschaftlicher Hinsicht setzte sich das Kapitel in der Frühen Neuzeit aus knapp 50 % Altbayern, je etwa 20 % Österreichern (inkl. Böhmen) und Schwaben sowie rund 10 % aus entfernteren Teilen des Reiches stammenden Kapitularen zusammen, wobei sich die Zahl der Domherren aus der Habsburgermonarchie unter Zurückdrängung des altbayerischen und schwäbischen Anteils im Zeichen des Immerwährenden Reichstags (1663-1806) zeitweilig auf bis zu 30 % steigerte.
Dass ein geistlicher Lebenswandel nicht unbedingt zu den Aufnahmekriterien gehörte, sollte sich bei der nach dem Reformkonzil von Trient (1545-1563) durchgeführten Visitation Altbayerns (1574) herausstellen, bei der Visitator Felician Ninguarda (1524-1595) im Bistum Regensburg zuvorderst am Lebensstil der Domkapitulare (und hier namentlich an demjenigen des besonders pflichtvergessenen Domdekans Johann Pyrrher) Anstoß nahm: Sie fänden sich nie oder nur selten zum Chorgebet ein, lebten in Streit und Hader miteinander, schöben die Priesterweihe hinaus, stellten die Einkünfte aus unbesetzt gelassenen Pfarrpfründen ihren Konkubinen und Kindern zur Verfügung und kleideten sich vielfach wie Ritter. Immerhin gelang es Ninguarda, ab 1578 apostolischer Nuntius für Oberdeutschland, nach dem Tod Bischofs David Kölderer von Burgstall (reg. 1567-1579), von dem sich das Domkapitel nichts hatte vorschreiben lassen, in den Jahren bis 1582 als geistlicher Administrator mit dem ganzen Gewicht seiner Autorität die Behebung der im Regensburger Sprengel offenbar besonders großen Missstände einzuleiten.
Ämter, Privilegien und Zusammenkünfte
An der Spitze des Domkapitels standen zwei Dignitäre: der vom Papst bestellte und reich dotierte Dompropst (seit 1593 infuliert, d. h. berechtigt, bischöfliche Insignien zu tragen) und der vom Kapitel aus dessen Mitte gewählte und gleichfalls infulierte Domdekan, dem die eigentliche Leitung des Gremiums oblag. Weitere verantwortungsvolle Ämter waren – wie in anderen Bistümern – diejenigen des Scholasters (Oberaufseher der Domschule und Ausbilder der Domizellare) und des Kustos (Verwalter des Domvermögens; im Fall Regensburgs auch zuständig für das Archiv des Domkapitels in der Domsakristei). Außerdem wurden zwei Titelkaplaneien an Mitglieder des Kapitels vergeben: die vom Bischof dotierte, seit Anfang des 15. Jahrhunderts nachweisbare Capellania honoris und die seit 1180 bestehende Capellania Imperialis. Auch die Propsteiwürden der Kollegiatstifte St. Johann in Regensburg und St. Emmeram in Spalt (Lkr. Roth) hatten stets Regensburger Domherren inne, die sich von den Stiftskanonikern durch eine mit langen roten Schnüren versehene Mozzetta (Schulterumhang) unterschieden. Zur Erhöhung des Kirchenglanzes in der Stadt des Immerwährenden Reichstags verlieh Papst Innozenz XII. (reg. 1691-1700) am 23. November 1695 dem Domkapitel als ganzem das Privileg, fortan die sonst Bischöfen und Kardinälen vorbehaltene "Cappa magna cum rochetto", d. h. einen Mantel mit langer Schleppe und großer Kapuze über dem Chorrock, tragen zu dürfen.
Bereits zwischen 1355 und 1361 hatte Konrad von Megenberg (1309-1374) auf Bitten seiner Mitkanoniker eine Zusammenstellung der bis dahin vorliegenden Vorschriften, Rechte und Privilegien des Regensburger Domkapitels (Statuta capituli ecclesie Ratisponensis) verfasst. Diese "Statuta" bilden die ältesten aus einer bayerischen Diözese erhaltenen Kapitelsstatuten. Aufgeführt sind in diesem dreiteiligen Handbuch für den Domkapitular zunächst die materielle Ausstattung, die Ämterfolge und das Totengedenken der Domkanoniker, im zweiten Teil die Ordnung von Gottesdienst und liturgischen Gebräuchen und im letzten Teil die Privilegien und Rechte des Domkapitels gegenüber dem Bischof, aber auch gegenüber dem Dompropst. Dabei wird festgehalten, dass nicht mehr wie früher letzterem die Verwaltung des Kapitelbesitzes und der daraus erzielten Einkünfte zukomme, sondern vielmehr der Gesamtheit der Kapitulare. Ein Anlass für die Abfassung dieser vorbildgebenden Statuten waren denn auch Rechtsstreitigkeiten mit dem Dompropst, ein weiterer – so der Prolog des Werkes – die durch Zerstreuung an verschiedene Orte und Zunahme der Domherren entstandene Verwirrung.
Die laufenden Geschäfte des Domkapitels wurden auf den wöchentlichen Donnerstagssitzungen beraten. Angelegenheiten von weitreichender Bedeutung wie Satzungsänderungen oder andere Grundsatzfragen entschied man auf den sog. Peremptorialkapiteln (lat. peremptorius: entscheidend, maßgeblich) um Lichtmess (2. Februar) und St. Peter und Paul (29. Juni). Zu Letzterem waren stets fast alle Domherren anwesend, auch die an mehreren Stiften bepfründeten, weil am Fest Peter und Paul ein neues Residenzjahr begann und das persönliche Erscheinen Bedingung für den Präbendebezug im folgenden Jahr war.
Besitz- und Vermögensverhältnisse
In wirtschaftlicher Hinsicht war das Domkapitel gut situiert. Es hatte nicht nur das Nutzungsrecht am großenteils recht umfangreichen Pfründegut von 47 inkorporierten Pfarreien, sondern auch ein halbes Dutzend eigene Hofmarken und weitere Grundherrschaften. Sein über Niederbayern und die Oberpfalz gestreuter und um Regensburg zentrierter Besitzkomplex stellte sich im späten 18. Jahrhundert folgendermaßen dar:
- Hofmark Aufhausen (Lkr. Regensburg)
- Hofmark Raitenbuch (Markt Hohenfels, Lkr. Neumarkt i.d. Oberpfalz)
- Hofmark Eltheim (Lkr. Regensburg)
- Hofmark Irl (kreisfreie Stadt Regensburg)
- Propsteigericht Irl, genannt Irlschaft (Gde. Oberbergkirchen, Lkr. Mühldorf)
- Hofmark Kirchroth (Lkr. Straubing-Bogen)
- Hofmark Schauerstein (abgegangen, Stadt Velburg, Lkr. Neumarkt i.d. Oberpfalz)
- Hofmark Velden-Eberspoint (Lkr. Landshut)
- Rentamt Regensburg
- Kastenamt Regensburg
- Kastenamt Cham
- Kastenamt Nabburg (Lkr. Schwandorf)
- Kastenamt Schwandorf
- Kastenamt Pfatter (Lkr. Regensburg)
- Bräuhaus Moosham (Gde. Mintraching, Lkr. Regensburg)
Damals beliefen sich die jährlichen Gefälle durchschnittlich auf rund 79.000 Gulden,
die Lasten auf rund 35.000 Gulden, so dass etwa 44.000 Gulden als reiner
Überschuss an die 15 präbendierten Vollkanoniker verteilt werden konnten. Als
oberster Beamter des Domkapitels fungierte der Syndikus und Rentmeister. Weil
Hochstift und Domkapitel zwei völlig getrennte Rechtssubjekte waren, wurde auch
in Zeiten, in denen das Domkapitel bei Abwesenheit des Bischofs die
Hochstiftsregierung führte, die Verwaltung der beiderseitigen Besitzungen und
Einkünfte streng auseinandergehalten. Landstände gab es im Hochstift Regensburg
nicht.
Mitwirkung an der Leitung von Bistum und Hochstift
Die Oberaufsicht über die Bistums- und Hochstiftsverwaltung übte über Jahrhunderte hin als Zentralbehörde der vom Bischof geleitete Hofrat. Inwieweit das Regensburger Domkapitel in diese Behörde je zuzeiten eingebunden war, bedarf noch näherer Untersuchung.
Da sich durch das verschwenderische Wirtschaften Bischof Friedrichs von Zollern (reg. 1340-1365) Hochstift und Bistum in einer akuten finanziellen Notlage befanden, sah sich Friedrichs Nachfolger Konrad von Haimburg (reg. 1365-1381) gezwungen, am 20. März 1373 dem Domkapitel "alle seine und des Gotteshauses Lehen und Gefälle, desgleichen das geistliche Gericht und alle Jurisdiktion" (zit. nach Deutsch, 78) zu verpfänden. Bestätigt durch einen Schiedsspruch von 1402 gelang es dem Domkapitel – ab 1437 mit Hilfe der oben genannten Wahlkapitulation –, die durch einen Einzelrichter (iudex ordinarius capituli) ausgeübte Geistliche Gerichtsbarkeit mehr als eineinhalb Jahrhunderte, nämlich bis 1526, als das Vordringen reformatorischen Gedankenguts im Bistum eine Bündelung der jurisdiktionellen Befugnisse in bischöflicher Hand verlangte, zu behaupten. Diese Sonderform geistlicher Gerichtsbarkeit mit dem Domkapitel in der zentralen Position innerhalb des rechtlichen Gefüges der Diözesangerichtsbarkeit gab es in anderen Diözesen des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation nicht.
Erst im Gefolge des Bayerischen Konkordats von 1583 kam es dann zu einer in der Wahlkapitulation von 1600 deutlich erkennbaren Trennung der Spiritualia von den Temporalia, also der geistlichen von der weltlichen Verwaltung. Neben den Hof- und Kammerrat als hochstiftische Justiz- und Verwaltungsbehörde trat nun der Geistliche Rat oder das Konsistorium als oberste Bistumsbehörde.
In beiden Dikasterien wusste sich das Domkapitel durch das Instrument der Wahlkapitulation fortan dominierende Mitwirkungsrechte zu sichern. Das Präsidium im fürstbischöflichen Konsistorium, das in seinen Funktionen im wesentlichen dem heutigen Ordinariat gleichkam, führte bis zum Ende der alten Ordnung der aus dem Kapitel bestellte Weihbischof, der häufig auch das Amt des Generalvikars oder Bistumsadministrators in Personalunion auf sich vereinigte. Ihm zur Seite standen durchschnittlich sechs bis acht Konsistorialräte, die in der Regel zur Hälfte Mitglieder des Kapitels waren, darunter auch der für die geistliche Rechtsprechung zuständige Offizial und Generalvisitator. Der Vorsitz im Hof- und Kammerrat gebührte dem jeweiligen Domdekan, der in der Zeit der Abwesenheit des Bischofs stets auch als Statthalter bzw. als Administrator in temporalibus fungierte. Dies war insbesondere während des "wittelsbachischen Säkulums" (1668-1763) der Fall, als standesgemäß zu versorgende nachgeborene Söhne aus der katholisch gebliebenen, altbayerischen Linie des Hauses Wittelsbach Bischöfe von Regensburg wurden und regelmäßig noch weitere, bedeutendere Bistümer innehatten, weswegen sie kein einziges Mal in der Donaustadt weilten.
Neben dem Domdekan waren seitens des Domkapitels Propst, Scholaster und Kustos "Consiliarii nati" (geborene Berater) dieser Behörde, auch nachdem sie 1787 in einen Hofrat für die Regierungs-, Lehen-, Polizei- und Justizbelange und einen Kammerrat für das Rechnungswesen geteilt worden war.
Nahtloser Übergang vom Domkapitel alter zu dem neuer Ordnung
Als einziges Domkapitel der "Germania Sacra" überdauerte das Regensburger die Säkularisation von 1803, da der von Mainz nach Regensburg transferierte Kurfürst-Erzbischof Karl Theodor von Dalberg (reg. 1744-1817, seit 1803 als Erzbischof von Regensburg) seine Jurisdiktionsrechte nicht antastete und ihm weiterhin die Selbstverwaltung der Besitzungen gegen Abgabe von zehn Prozent des laufenden Einkommens an den neugeschaffenen Erzkanzlerstaat beließ. Auch nach dem Übergang Regensburgs an das Königreich Bayern im Jahr 1810 bestand das Domkapitel bis zur Neuregelung der kirchlichen Verhältnisse durch das Konkordat von 1817 mehr oder minder ungeschmälert und ohne Gütersäkularisation fort; als geistliche Korporation erlosch es erst mit der Installation des neuen Kapitels am 4. November 1821, so dass sich in der Regensburger Bistumsverwaltung der Übergang von der alten nur neuen Ordnung nahtlos vollzog. Selbst in personeller Hinsicht gab es eine bemerkenswerte Kontinuität: Dem bisherigen Dompropst Benedikt Joseph Wilhelm Graf von Thurn und Valsassina (1744-1825) verblieb seine Würde auch im neuen Kapitel; der bisherige Domdekan, Weihbischof und Konsistorialpräsident Johann Nepomuk von Wolf (1743-1829) wurde kraft königlicher Nomination Dalbergs Nachfolger im Regensburger Bischofsamt (reg. ab 1821).
Forschungsstand
Die Geschichte des Regensburger Domkapitels ist – mit Ausnahme der Domherrenzeit Konrads von Megenberg (1348-1374) – bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts wenig erforscht. Dies gilt sowohl in prosopographischer wie in verfassungs- und wirtschaftsgeschichtlicher Hinsicht. Ein entscheidender Grund hierfür ist darin zu sehen, dass das Alte Domkapitelsche Archiv (ADK) wegen strittiger Rechtsansprüche zwischen Kirche und Staat über Jahrzehnte hin nicht zugänglich war. Erst seit kurzem steht es nach Neuordnung durch das Bischöfliche Zentralarchiv Regensburg (BZAR) der Forschung wieder zur Verfügung.
Quellen
- Bestände des Alten Domkapitel'schen Archivs (ADK), des Bischöflich Domkapitel'schen Archivs (BDK) und des Domkapitelgerichts (Acta iudicialia = A. iud.; Appellationsakten = App.; ergänzt durch Akten im Konsistorialarchiv Salzburg) im Bischöflichen Zentralarchiv Regensburg (BZAR).
- Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Hochstift Urkunden (HU) Regensburg (inkl. Verpfändung der bischöfl. Gerichtsbarkeit an das Domkapitel 1373).
- Johann Paul von Leoprechting/Thomas Ried, Catalogus omnium Canonicorum Cathedralis Ecclesiae Ratisbonensis (ca. 1803), Handschrift, Staatliche Bibliothek Regensburg.
- Satzung des Bischöflichen Domkapitels Regensburg, Regensburg 1931.
- Statuten des Domkapitels des Bistums Regensburg, Regensburg 1994.
Literatur
- Josef Ammer, Das Domkapitel Regensburg seit seiner Wiedererrichtung 1821, Regensburg 2. Auflage 2006.
- Christina Deutsch, Ehegerichtsbarkeit im Bistum Regensburg (1480-1538) (Forschungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 29), Köln u. a. 2005 [bes. Teil III].
- Erwin Frauenknecht, Regensburg, Bischöfe von, in: Werner Paravicini (Hg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch (Residenzenforschung 15.1). 1. Teilband: Dynastien und Höfe, Ostfildern 2003, 602-604.
- Norbert Fuchs, Die Wahlkapitulationen der Fürstbischöfe von Regensburg (1437-1802), in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 101 (1961), 5-108.
- Johann Gruber, Das Regensburger Domkapitel zur Zeit des Domherrn Konrad von Megenberg (1348-1374), in: Konrad von Megenberg. Regensburger Domherr, Dompfarrer und Gelehrter (1309-1374) (Ausstellungskatalog), Regensburg 2009, 11-50 [siehe auch 137-139].
- Karl Hausberger, Die Errichtung des Regensburger Domkapitels neuer Ordnung (1817-1821), in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 45 (2011), 141-193.
- Karl Hausberger, Geschichte des Bistums Regensburg, 2 Bände, Regensburg 1989 [hier bes. I, 179-184; II, 111f.].
- Karl Hausberger, Zur Geschichte des Regensburger Domkapitels, in: Regensburger Bistumsblatt 58 (1989), Nr. 8, 4-5.
- Karl Hausberger, "Ist zu reponiren ad non acta …". Der vergebliche Kampf des Mainzer Domkapitels um seinen Fortbestand als Metropolitankapitel des nach Regensburg transferierten Kurfürst-Erzbischofs Dalberg, in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg, Beiband 21 (2012), 83-94.
- Jörg Oberste, Das Bistum Regensburg im Spätmittelalter zwischen Krise und Erneuerung. Zwei Reformschriften Konrads von Megenberg († 1374), in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 64 (2001) 663-692, hier: 670-680.
- Georg Schwaiger, Die altbayerischen Bistümer Freising, Passau und Regensburg zwischen Säkularisation und Konkordat (1803-1817), München 1959, 248-275.
- Georg Schwaiger, Dom und Domkapitel zu Regensburg unter Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg (1649-1661), in: Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 10 (1976), 201-208.
- Georg Schwaiger, Kardinal Franz Wilhelm von Wartenberg als Bischof von Regensburg (1649-1661), München 1954, 116-127.
Weiterführende Recherche
Externe Links
Empfohlene Zitierweise
Manfred Eder/Karl Hausberger, Regensburg, Domkapitel, publiziert am 7.11.2016; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Regensburg,_Domkapitel (12.12.2024)