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Ottheinrich-Bibel

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Prolog des Hieronymus (Hieronymusmaler). (Bayerische Staatsbibliothek Cgm 8010, Blatt 1r)
Bethlehemitischer Kindermord und Flucht nach Ägypten (Matthäusmaler). (Bayerische Staatsbibliothek Cgm 8010, Blatt 12r)
Heilung des Besessenen (Markusmaler). (Bayerische Staatsbibliothek Cgm 8010, Blatt 51r)
Die Eröffnung des siebten Siegels und die ersten vier Posaunenstöße von Mathis Gerung (ca. 1500-1570). (Bayerische Staatsbibliothek Cgm 8010, Blatt 291r)
Der vordere Spiegel des Einbands zeigt das Wappen Ludwigs VII. (reg. 1413-1447) und seiner Gemahlin Anne de Bourbon (ca. 1380-1408). (Foto: Bayerische Staatsbibliothek; Leihgabe Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, Forschungsbibliothek Gotha, Memb. I 11 [Einband])
Wappen des Pfalzgrafen Ottheinrich (reg. in Pfalz-Neuburg 1522-1557, Kurfürst von der Pfalz ab 1556) mit Inschrift, geschaffen von Mathis Gerung (ca. 1500-1570). (Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 8010, Blatt 306r)

von Brigitte Gullath

Um 1430 entstandene, aber erst hundert Jahre später vollendete Handschrift des Neuen Testaments in mittelbairischer Schreibsprache. Früheste erhaltene illustrierte Handschrift eines Neuen Testaments in deutscher Sprache. Auftraggeber war Herzog Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt (reg. 1413-1447). Den größeren Teil der Buchmalerei ließ der spätere Besitzer der Bibel, Pfalzgraf Ottheinrich (reg. in Pfalz-Neuburg 1522-1557, Kurfürst von der Pfalz 1556-1559), bei dem Lauinger Maler Mathis Gerung (ca. 1500-1570) anfertigen. Dem Pfalzgrafen verdankt die Bibel ihren Namen. Nach mehreren Besitzwechseln, auch durch Verschleppung als Kriegsbeute, erwarb die Bayerische Staatsbibliothek die Handschrift und führte damit den im 19. Jahrhundert zerteilten Codex wieder zusammen (1950 und 2007/08).

Name und Entstehung der Handschrift

Die aus 307 großformatigen Pergamentblättern bestehende deutsche Übersetzung des Neuen Testaments wird seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts "Ottheinrich-Bibel" genannt, nachdem sie früher als "Gothaer Bibel" bekannt war (Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 8010). Pfalzgraf Ottheinrich (reg. 1522-1559) ließ die unvollendet gebliebene Handschrift fertig ausmalen, was mit seinem Wappen und einer entsprechenden Inschrift auf einem freigebliebenen Blatt an ihrem Ende festgehalten wurde.

Entstanden war sie allerdings schon etwa hundert Jahre früher. Herzog Ludwig VII., der Bärtige, von Bayern-Ingolstadt (reg. 1413-1447) gab sie um oder kurz nach 1430 in Auftrag. Sein Wappen und das seiner ersten Gemahlin Anne de Bourbon (ca. 1380-1408) haben sich im Einband der Handschrift erhalten. Ein Ingolstädter Schreiber schrieb den Codex vollständig in sorgfältiger Textura. Die Aussparungen für die Bilder wurden mit Maleranweisungen in lateinischer Sprache versehen. Den Buchschmuck fertigten drei Regensburger Meister oder Werkstätten. Er wurde jedoch nur auf etwa einem Fünftel der Blätter vollendet. Die übrigen Miniaturen und Initialen ergänzte in den Jahren 1530 bis 1532 der Lauinger Künstler Mathis Gerung (ca. 1500-1570) im Auftrag von Ottheinrich von Pfalz-Neuburg, der die Handschrift über die Landshuter Linie der Wittelsbacher geerbt hatte.

Weitere Geschichte der Handschrift

Ottheinrich brachte die Bibel später nach Heidelberg. Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges wurde sie zweimal als Kriegsbeute verschleppt, 1622 nach München und 1632 nach Weimar, von wo sie bald darauf in die Bibliothek der Herzöge von Sachsen-Gotha gelangte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, vermutlich in den 1860er Jahren, wurde sie dort in acht Teilbände zerlegt. Drei Bände (eins, zwei und sieben) wurden 1945 nach Coburg gebracht. Diese erwarb die Bayerische Staatsbibliothek im Jahr 1950. Die übrigen fünf Bände waren 1936 im Tausch gegen zwei Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. (1472-1553) an das Kurpfälzische Museum in Heidelberg entliehen worden. Sie wurden 2003 an die Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha'sche Stiftung für Kunst und Wissenschaft zurückgegeben, von der sie die Bayerische Staatsbibliothek 2007 erwerben konnte. Der im 19. Jahrhundert umgearbeitete Einband der Handschrift, der in Gotha verblieben war, wurde der Bayerischen Staatsbibliothek von der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha 2008 als Leihgabe überlassen.

Der frühneuhochdeutsche Bibeltext

Der in mittelbairischer Schreibsprache abgefasste Text des Neuen Testaments geht auf eine erstmals im Jahr 1350 in der "Augsburger Bibel" niedergeschriebene deutsche Übersetzung der Vulgata zurück. Diese im nordbairischen Raum entstandene Übersetzung ist die älteste erhaltene Verdeutschung des gesamten Neuen Testaments. Im 15. Jahrhundert teilte sich die Bearbeitung des Textes in zwei Übersetzungszweige auf, in die fast ausschließlich in Nürnberger Handschriften überlieferte "Gruppe s" (Sigle nach Donalies) und die Ottheinrich-Bibel. Letztere repräsentiert einen eigenen, nicht weiter verbreiteten Zweig der Überlieferung. Ihr Redaktor hatte das Ziel vor Augen, einen deutschen Bibeltext zu bieten, der aus sich selbst heraus, ohne die lateinische Vorlage, verständlich ist.

Der Buchschmuck

Die Ottheinrich-Bibel gilt als früheste erhaltene illustrierte Handschrift eines Neuen Testaments in deutscher Sprache. In Größe und Anlage ist sie allein der vier Jahrzehnte zuvor entstandenen "Wenzelsbibel" vergleichbar, die das Alte Testament enthält. Die insgesamt 146 Bilder illustrieren in der Regel die Perikopen, das heißt die im Kirchenjahr gelesenen einzelnen Passagen aus den Evangelien, den paulinischen und katholischen Briefen sowie der Apostelgeschichte. Die spätmittelalterliche Ausstattung im ersten Teil der Handschrift konnte drei verschiedenen Regensburger Meistern oder Werkstätten zugewiesen werden, die nach ihrem Anteil an den Initialen und Miniaturen als Hieronymusmaler, Matthäusmaler und Markusmaler bezeichnet werden. Während der Hieronymusmaler vorwiegend von der böhmischen Buchmalerei beeinflusst ist, verarbeiten die beiden anderen Maler auch Wiener und italienische Vorbilder. Der Matthäusmaler orientiert sich dabei eher an Giotto (1267-1337), der Markusmaler an Pietro Lorenzetti (ca. 1280-1348), Altichiero (ca. 1330-ca. 1390) und anderen. Beide haben ihre Ausbildung in der Werkstatt des Meisters der Worcester-Kreuztragung (erste Hälfte des 15. Jahrhunderts) erhalten, der nach einem um 1425 entstandenen Tafelbild im Art Institute in Chicago (Worcester Collection) benannt ist. Insgesamt gehören der ersten Ausstattungsphase 29 Miniaturen und 43 Deckfarbeninitialen an.

Die übrigen Miniaturen und Initialen schuf etwa hundert Jahre später Mathis Gerung. Er griff bei seiner Arbeit auf Vorlagen vor allem von Albrecht Dürer (1471-1528), Lucas Cranach d. Ä. und Hans Burgkmair d. Ä. (1473-1531) zurück. Die Abschriften zweier Verträge vom 23. Dezember 1530 und vom 24. September 1531 geben Aufschluss über die näheren Umstände. Für die 99 Miniaturen und 235 Initialen bis zur Apokalypse erhielt Gerung insgesamt 70 Gulden und eine Hofwinterkleidung, für die Ausmalung der Apokalypse noch einmal 20 Gulden und eine Hofsommerkleidung. Die Illustrationen zur Ottheinrich-Bibel waren Mathis Gerungs erstes Auftragswerk für Ottheinrich, dem in den nächsten zwei Jahrzehnten noch weitere folgten.

Forschungsgeschichte

Die wissenschaftliche Erforschung der Handschrift begann 1836 mit einer ersten ausführlichen Beschreibung von Friedrich Jacobs (1764-1847) und Friedrich August Ukert (1780-1851) ("Beiträge zur älteren Litteratur oder Merkwürdigkeiten der Herzogl. öffentlichen Bibliothek zu Gotha II"). Im Jahr 1886 wurde Mathis Gerung als Maler der späteren Miniaturen identifiziert, während die Lokalisierung der älteren Malereien nach Regensburg erst 1987 im Rahmen der Ausstellung "Regensburger Buchmalerei" gelang. Die eindeutige Identifikation des Auftraggebers erfolgte schließlich im Jahr 2002 im Kommentarband zur Faksimile-Ausgabe der ersten zwei Bände der Ottheinrich-Bibel.

Literatur

  • Die Ottheinrich-Bibel. Kommentar zur Faksimile-Ausgabe der Handschrift Cgm 8010/1.2 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Mit Beiträgen von Brigitte Gullath u. a., Luzern 2002.
  • Elke Donalies, Die Augsburger Bibelhandschrift und ihre Überlieferung. Untersuchung und Text der vier Evangelien, Münster/New York 1992.
  • Anja Eichler, Mathis Gerungs Illuminationen für die Ottheinrichbibel, in: Barbara Zeitelhack (Hg), Pfalzgraf Ottheinrich. Politik, Kunst und Wissenschaft im 16. Jahrhundert (Neuburger Kollektaneenblatt 151), Regensburg 2002, 317-333.
  • Claudia Fabian/Jürgen Schefzyk (Hg.), Die Ottheinrich-Bibel. Das erste illustrierte Neue Testament in deutscher Sprache. Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 8010. Begleitbuch zu den Ausstellungen anlässlich der Zusammenführung der Ottheinrich-Bibel im Jahre 2008 (Patrimonia 334; Bayerische Staatsbibliotek, Ausstellungskataloge 80), Luzern 2008.
  • Brigitte Gullath/Ulrich Montag (Hg.), Ottheinrichs deutsche Bibel. Der Beginn einer großen Büchersammlung. Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek 22. März-18. Mai 2002 (Schatzkammer 2002), München 2002.
  • Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters, begonnen von Hella Frühmorgen-Voss, fortgeführt von Norbert H. Ott zusammen mit Ulrike Bodemann. 2. Band, München 1996, 108-116 (Nr. 14.0.4) und Abb. 60-62.
  • Ulrich Merkl, Buchmalerei in Bayern in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Spätblüte und Endzeit einer Gattung, Regensburg 1999, 504-509 Nr. 138.
  • Robert Suckale, Die Regensburger Buchmalerei von 1350 bis 1450, in: Florentine Mütherich/Karl Dachs (Hg.), Regensburger Buchmalerei. Von frühkarolingischer Zeit bis zum Ausgang des Mittelalters. Ausstellung der Bayerischen Staatsbibliothek München und der Museen der Stadt Regensburg (Bayerische Staatsbibliothek, Ausstellungskataloge 39), München 1987, 93-110, besonders 97-98, 104-105 Nr. 91, Taf. 64-67, 160.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Empfohlene Zitierweise

Brigitte Gullath, Ottheinrich-Bibel, publiziert am 20.10.2009; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ottheinrich-Bibel> (16.04.2024)