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Minneburg

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Beginn des Textes der Minneburg in der ältesten und vollständigsten Überlieferung. (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 455, fol. 86r)

von Johannes Kandler

Die Minneburg ist eine weitverbreitete spätmittelalterliche Minnelehre, deren älteste Fassung aus dem 14. Jahrhundert im Würzburger Raum entstand. Als eines der großen Minnekompendien ist die Minneburg verhältnismäßig breit überliefert.

"Minneburg" als Form des allegorischen Sprechens über die Minne

Bei einer Allegorie handelt es sich um eine spezifische Form der uneigentlichen (bildhaften) Rede. Die Allegorie der Minneburg zählt neben der der Jagd (z. B. Hadamar von Labers "Die Jagd", "Prise amoureuse" des Jean Acart de Hesdin von 1332), des Liebesbaumes ("Roman du vergrér et de l'arbre d'Amours", 13. Jahrhundert), des Tieres ("Panthére d'amours" des Nicole de Margival, 14. Jahrhundert) oder auch der des Liebestribunals ("Le Court d'Amours" des Mahieu le Poirier, 14. Jahrhundert) zu den beliebtesten und am häufigsten wiederkehrenden Minneallegorien des hohen und späten Mittelalters.

Das Lehrbuch "Minneburg"

"Minneburg" ist auch der Titel einer anonym verfassten spätmittelalterlichen Minnelehre, die neben der "Minnelehre" des Johann von Konstanz (wirkte ca. 1281-1313) und der "Jagd" des Hadamar von Laber (ca. 1300-1354) die umfassendste ihrer Gattung darstellt. Sie ist in insgesamt zehn Handschriften und Fragmenten überliefert, die sich in drei Gruppen unterteilen lassen: in die ältere und längere Versfassung A, die jüngere (und gekürzte) Versfassung B sowie die Prosaauflösung (Gruppe C). Am vollständigsten wird die "Minneburg" in der Heidelberger-Handschrift P aus dem 14. Jahrhundert überliefert (Cod. Pal. germ. 455, fol. 84r-202v), die zugleich die älteste Fassung der "Minneburg" wiedergibt (Gruppe A). Der Umfang dieser Fassung beträgt annähernd 5.500 Verse. Nach Vers 5.488 bricht die Handschrift P ab; der Schlussteil ist verloren. Die Erstfassung der "Minneburg" datiert wohl noch in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts. Der Sprachdialekt von P ist ostfränkisch und weist in den Würzburger Raum.

Inhalt und Aufbau

Inhalt und Aufbau der "Minneburg" weisen eine zielgerichtete und kunstvolle Gestalt auf. Nach einer knappen Inhaltsangabe in Prosa folgen drei rhythmisch ansprechende Gedichte, bevor die eigentliche, in fünf Kapitel gegliederte Erzählung von der Minneburg einsetzt. Darin wird aus der Sicht des Erzählers die Geburt der Minne aus einer kunstvoll gestalteten Säule sowie deren Werdegang erzählt (Kapitel I). Älter an Jahren gelangt die Minne zur Burg Freudenberg und belagert diese. Nach anfänglichem Weigern der Burgdame vereinigt sich diese schließlich mit der Minne und gebiert ein Kind (Kapitel IV). Nachdem sich Minne und Burgdame erfolgreich der Erstürmung der Burg durch "merkaere" und "klaffer" (in etwa Spötter und Neider) erwehrt haben, beendet ein Minnegericht, in dem untreue Frauen verurteilt werden, die Erzählung (Kapitel V).

In den verbleibenden Kapiteln II und III konzentriert sich die Darstellung auf Erläuterungen (in Kapitel II legt Meister Naptanaus aus Alexandrien dem Erzähler das Bild der Säule sowie die Geburt der Minne dar) bzw. auf die Erörterung des Wesens der Minne in Form eines Zwiegesprächs zwischen dem Meister und der Minne (Kapitel III). In diese als "materge" (mhd. 'Stoff, Gegenstand'; hier im Sinne von 'Geschichte' verwendet) bezeichneten Großabschnitte finden sich Einschübe, sog. underbint (mhd. 'Einlage'), eingeflochten, in denen der Erzähler von persönlichen Minneerlebnissen berichtet. "Underbint" und "materge" unterscheiden sich zudem durch die Art des Sprechens. Steht in den "materge"-Abschnitten die allegorische Erzählung im Vordergrund, die sich als eine Abfolge unterschiedlicher, zum allegorischen Minnediskurs gehörender (Haupt-)Motive beschreiben lässt (Natureingang, Gespräch, Sturm und Einnahme der Burg, Minnegericht), so bricht in den "underbint" der geblümte Stil durch, der seinerseits den persönlich gehaltenen (oder zumindest in dieser Weise inszenierten) Minneerlebnissen einen eindringlicheren, beinahe emphatischen Ton verleiht.

Quellen

Als (mögliche) Quelle stand dem Autor der "Minneburg" Unterschiedliches zur Verfügung. Von der Forschung wird zunächst der Einfluss des französischen "Roman(s) de la Rose" des Jean de Meun (um 1240-spätestens 1305) und Guilleaum de Lorris (um 1205-1240) geltend gemacht, wobei die Einflussnahme über die Verwendung spezifischer Motive und deren Ausgestaltung eher mittelbar verläuft. Unmittelbar hingegen vom Verfasser der "Minneburg" angesprochen wird ein gewisser Meister Egen von Bamberg (wirkte ca. 1320-1340) ("Ich wolt auch griffen balde dar, / Ez schriben, sagen und uz legen. / Erfur ez dann meister Egen, / Daz ich ditz buchlin tichte, / Ich weiz in in der pflichte / Und in der truwen die er hat, / Daz er mir geb dar zu rat", V. 2706-2712; vgl. auch V. 451ff., 690f. und 5428ff.), von dem zwei Gedichte überliefert sind (Bayerische Staatsbibliothek Cgm 714, fol. 161b-170a). Mit hinzu zu nehmen wäre auch der ebenfalls anonym verfasste "Spruch von der minne im garten" (Universitätsbibliothek Heidelberg, cpg 358, bl. 74a-82b). Ingeborg Glier (1934-1980) schließlich macht Parallelen zwischen der "Minneburg" und dem "Hausbuch" des Michael de Leone (gest. 1355) wahrscheinlich. Zudem verweist sie neben dem in Frankreich starken Paradigma des allegorischen Sprechens über die Minne auf die in der "Minneburg" erkennbare lateinische Tradition, insbesondere auf das thomistisch-franziskanische Denken.

Rezeption

Die Beliebtheit der "Minneburg" im Spätmittelalter steht für Gustav Ehrismann (1855-1941) außer Frage, der in diesem Zusammenhang auf die (verhältnismäßig) zahlreichen Überlieferungsträger (zehn Handschriften und Fragmente) hinweist. Dies bestätigt auch die Menge an Kurzfassungen der "Minneburg"-Erzählung, die im 15. und 16. Jahrhundert kursierten. Mit ausschlaggebend für den Beliebtheitsgrad der "Minneburg" ist der zu erkennende Summen-Charakter. Neben dem bereits erwähnten "Roman de la Rose" zählt die "Minneburg" mit Andreas Capellanus' (wirkte ca. 1174-1220) "De amore" und Matfrè Ermengauds (gest. nach 1322) "Breviari d'amor" zu den großen Minne-Kompendien des Mittelalters, in denen dem Anspruch auf Vollständigkeit ebenso nachgekommen wird wie dem Wunsch nach systematischer und zugleich erbaulich-unterhaltender Darstellung eines wahrhaft umfassenden Phänomens.

Nachdem Ehrismann Ende des 19. Jahrhunderts die "Minneburg" dem (wissenschaftlichen) Publikum in Inhalt, Überlieferung und Form erstmals vorstellte, ist es insbesondere den Bemühungen von Hans Pyritz (1905-1958) um eine kritische Edition des Textes zu verdanken, dass sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehrere Untersuchungen der "Minneburg" widmen konnten.

Literatur

  • Gustav Ehrismann, Untersuchungen über das mhd. Gedicht von der Minneburg, Halle 1897.
  • Ingeborg Glier, Artes amandi. Untersuchungen zu Geschichte, Überlieferung und Typologie der deutschen Minnereden (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 34), München 1971.
  • Marc-Rene Jung, Minneallegorie, in: Lexikon des Mittelalters. 6. Band, München 1993, 642-643.
  • Dorothea Klein, Zur Metaphorik der Gewalt in der "Minneburg", in: Horst Brunner (Hg.), Würzburg, der Große Löwenhof und die deutsche Literatur des Spätmittelalters, Wiesbaden 2004, 103-119.
  • Hermann Kreisselmeier, Der Sturm der Minne auf die Burg. Beiträge zur Interpretation der mhd. Allegorie "Die Minneburg", Meisenheim am Glan 1957.
  • Ralf Schlechtweg-Jahn, Minne und Metapher. Die "Minneburg" als höfischer Mikrokosmos (Literatur, Imagination, Realität 3), Trier 1992.
  • Anja Sommer, Die "Minneburg". Beiträge zu einer Funktionsgeschichte der Allegorie im späten Mittelalter mit der Erstedition der Prosafassung (Mirkokosmos 52), Frankfurt 1999.

Quellen

Weiterführende Recherche

Externe Links

Empfohlene Zitierweise

Johannes Kandler, Minneburg, publiziert am 12.10.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Minneburg (14.11.2024)