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Schatz Tassilos III.

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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von Matthias Hardt

Wie viele andere Könige und Fürsten des frühen und hohen Mittelalters besaß auch der bairische Herzog Tassilo III. (reg. 748-788) einen aus Edelmetallen und edlen Steinen bestehenden Schatz. Das geht aus der schriftlichen Überlieferung zum Sturz Tassilos im Jahr 788 hervor. Allerdings ist sein Inhalt im Einzelnen unbekannt und kann nur im Vergleich erschlossen werden. Frühmittelalterliche Fürstenschätze waren vor allem Herrschaftsinstrumente: Mit ihnen wurden Kriege finanziert, aber auch Allianzen besiegelt; sie dienten der eigenen Repräsentation wie dem diplomatischen Umgang mit anderen Herrschern und erlaubten überdies fromme Stiftungen für das Seelenheil. Vielfach enthielten sie Gegenstände, die für das gentile Identitätsbewusstsein von Bedeutung waren, und erfüllten die Funktion von Archiven. Als König Karl der Große (reg. 768-814, Kaiser ab 800) 788 den Schatz Herzog Tassilos an sich brachte, war dies ein unmittelbares Symbol für seinen Sieg über den Agilolfinger.


Der Schatz Herzog Tassilos III. (reg. 748-788) wird in Zusammenhang mit seinem Sturz erwähnt: Zum Jahr 788, als Tassilo von Karl dem Großen (reg. 768-814, Kaiser ab 800) im Rahmen einer Reichsversammlung in Ingelheim (Rheinland-Pfalz) formal wegen Untreue und einem 25 Jahre zurückliegenden Verlassen des fränkischen Heeres abgesetzt und gefangen genommen wurde, berichten die auf der Grundlage der verlorenen Murbacher Annalen im heute südhessischen Kloster Lorsch niedergeschriebenen Annales Nazariani (ed. Pertz 43 f.), der Frankenkönig habe Beauftragte nach Baiern geschickt, die Tassilos Frau, seine Kinder und die Schätze ("cum thesauris") herbeigebracht hätten. Woraus seine Schätze im Einzelnen bestanden, ist nicht überliefert, doch allein ihre Existenz und ausdrückliche Erwähnung sind bedeutsam: Solche Schätze besaßen im Früh- und Hochmittelalter in der Regel gentile Könige und Fürsten, was ein Licht auf den hohen Rang des bairischen Herzogs wirft.

Königsschätze im frühen Mittelalter: Edelmetall und Edelsteine

Sammlung frühmittelalterlicher Almandin-Scheibenfibeln aus Bayern, wie sie in Tassilos Schatz enthalten gewesen sein könnten. (Archäologische Staatssammlung München, Fotograf: Manfred Eberlein)

Wenn man sich eine Vorstellung davon machen möchte, was sich in Tassilos Schätzen befunden haben könnte, ist man auf den Vergleich mit den Horten anderer völkerwanderungszeitlicher und frühmittelalterlicher Herrscher angewiesen. Deren Schatzkammern waren gefüllt mit Gold und Silber in Form von Münzen, Medaillons, Barren, Hals- und Armringen sowie mit weiterem Schmuck aus diesen Materialien, der häufig mit Edelsteinen, insbesondere dem roten Halbedelstein Almandin oder Granat verziert war. Auch einzelne besondere Edelsteine meist antiker Herkunft waren in solchen Schätzen enthalten. Wenn die bei den Schatzkammern tätigen Handwerker aus diesen Materialien bereits Herrschaftszeichen wie Kronen, Diademe und Zepter hergestellt hatten oder solche vom oströmischen Kaiser übersandt worden waren, fanden sie sich ebenfalls dort. Ebenso verhielt es sich mit Tafelgeschirr aus Edelmetall, das die Könige und Fürsten nutzten, um den an ihren Höfen im diplomatischen Umgang mit Nachbarherrschern und der eigenen Anhängerschaft so bedeutungsvollen Gelagen den notwendigen Glanz zu verschaffen. Zu diesem Bereich fürstlicher Repräsentation gehörten auch Kleidungsstücke und Stoffe besonderer Beschaffenheit und Herkunft, zum Beispiel solche aus Seide oder mit Goldbrokatverzierung. Auch Waffen und ihr Zubehör, also Schwertscheiden und Pferdegeschirr, konnten sich in den Schätzen finden. Liturgisches Gerät und Bücher mit Einbänden und Verzierungen aus Edelmetallen und Edelsteinen vervollständigten die Inventare der Schatzkammern ebenso wie Steuerverzeichnisse und Gesetzestexte, Briefe und Urkunden. Die Schätze konnten also auch den Charakter von Archiven haben.

Fürstliche Einnahmequellen

Ihre Inhaltsfülle erhielten diese Schätze, die von den Königen und Fürsten in hölzernen Truhen oder in Säcken auf Packpferden auch auf Reisen mitgenommen wurden, aus unterschiedlichsten Quellen. Im Vordergrund stand dabei die Beute aus kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den gentilen Herrschern untereinander oder mit der Vormacht Byzanz. Dabei waren die gegnerischen Schätze häufig Kriegsziele, auf deren Einnahme Operationen besonderer, oft mobiler militärischer Gruppen zielten. Auch Lösegelder und Tribute unterworfener Nachbarn füllten die frühmittelalterlichen Schatzkammern. Rom hatte in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts tonnenweise Gold an hunnische Gruppen bezahlt, die damit weitere gentile Unterstützer anwarben, in deren Hände nach der Niederlage der Attila-Söhne im Jahr 454 am Fluss Nedao schließlich wohl die ganzen hunnischen Schatzkammern gerieten. Ähnlich umfangreiche Ergebnisse jahrzehntelanger Plünderungen im Mitteldonauraum fielen Karl dem Großen in die Hände, als er in den Jahren 795/96 den "Ring der Awaren", die zentrale Residenz dieser Reiternomaden, erobern konnte.

Aus den eigenen Herrschaftsgebieten erreichten Steuereinnahmen, Zölle und Gebühren die Schätze der Könige und Fürsten, die versuchten, die spätantike römische Steuererhebung weiterzuführen, welche zu großen Teilen in Gold und Silber eingezogen worden war. Auch die von Händlern an Fernverkehrswegen zu Lande und zu Wasser, in Häfen, an Brücken und Furten eingenommenen Zölle standen in dieser Tradition, ebenso wie die Gewinne aus der Münzprägung. Als oberste Gerichtsherren profitierten Könige und Fürsten aus oft willkürlichen Konfiskationen des Eigentums gegnerischer Großer, sogenanntem herrenlosem Eigentum, aus Erbschaften, Gerichtsgebühren, Strafgeldern sowie dem unterschiedlich gehandhabten Schatzregal, das aber in jedem Fall auch dem König mindestens einen Anteil am im Erdreich aufgefundenen Wertgegenstand zusprach, also auch aus zufällig oder mit Absicht geöffneten Gräbern. So konnten auch Erträge von Bergbau und Goldwäscherei die königlichen Schätze vermehren, ebenso wie der Verkauf von Produkten königlicher Güter.

Gaben und Geschenke

Ausschnitt des Tassilo-Kelchs, für dessen Herstellung vielleicht Edelmetalle aus dem Schatz gestiftet wurden. (Foto von ACBahn lizensiert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

In den Schatzkammern sammelten sich aber vor allem auch all die Gaben und Geschenke, die im Rahmen diplomatischen Austauschs an den Königs- und Fürstenhöfen des früheren Mittelalters eingingen, also von eigenen oder auswärtigen Gesandten aus der Nähe ebenso wie aus großer Ferne mitgebracht wurden. Der westgotische König Theoderich II. (gest. 466) besuchte angeblich nach dem Empfang von Gesandtschaften regelmäßig die Ställe und die Schatzkammern seines Palastes, um die neu eingegangenen Geschenke nochmals zu begutachten. Im Zusammenhang mit diesen Geschenken werden auch Sinn und Zweck dieser Schatzkammern deutlich. Die Schätze der Könige und Fürsten waren Herrschaftsinstrumente, mit deren Inhalten im Rahmen des intergentilen Gabentausches Rang und Prestige ihrer Inhaber bestimmt wurde und mit denen durch Zahlungen und reiche Geschenke Kriege vermieden, Allianzen geschlossen und durch Mitgiften und Dotationen die Eheschließungen von Prinzessinnen und Prinzen abgesichert werden konnten. Durch Stiftungen an Kirchen und Klöster sollten Gott und seine Heiligen gnädig gestimmt werden. Daher wird man davon ausgehen können, dass Tassilos III. Schatz auch die Materialien bereitstellte, aus denen irische oder angelsächsische Handwerker wohl in Salzburg den berühmten Tassilo-Kelch anfertigten. Diesen schenkten der Fürst und seine Frau, die langobardische Königstochter Liutbirc (gest. nach 788), dem Kloster Kremsmünster (Oberösterreich), das sie im Jahr 777 gegründet hatten. Dort befindet sich der Tassilo-Kelch noch heute.

Identitätsstiftende Gegenstände

Nicht zuletzt bargen die Schatzkammern aber auch Gegenstände, in deren Gegenwart Dichter und Sänger beim Gelage gentile Identität und Geschichte produzierten und in Erinnerung hielten. So befand sich noch im 7. Jahrhundert im westgotischen Königsschatz ein Tafelgeschirr, das der römische "magister militum" (Heermeister) Aetius im Jahr 451 dem Königssohn Thorismund (reg. 451-453) nach der Teilnahme an der Schlacht auf den Katalaunischen Feldern ausgehändigt hatte. Im frühen 8. Jahrhundert gab es in westgotischen Schatzkammern in Toledo noch Gegenstände aus der Beute, die Alarich I. (reg. 391/395-410) im Jahr 410 bei der Einnahme Roms gewonnen hatte, darunter auch Dinge, die Titus (reg. 79-81 n.Chr. als römischer Kaiser) nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem nach Rom hatte bringen lassen, wie jenen Tisch König Salomos, von dem Teile nach der Eroberung des Westgotenreichs durch arabische Feldherren sogar angeblich den Weg nach Damaskus fanden. Am Ende des 8. Jahrhunderts schließlich behauptete der Historiograph Paulus Diaconus, er habe am langobardischen Königshof noch jenen Kelch gesehen, den König Alboin im Jahr 567 nach seinem Sieg über die Gepiden aus dem Schädel von deren König Kunimund habe herstellen lassen.

Als Tassilo III. im Jahr 788 durch Legaten Karls des Großen seiner Schätze entledigt wurde, verlor er damit nicht nur eines seiner wichtigsten Herrschaftsinstrumente zur königsgleichen Repräsentation, zur Bestimmung seines Prestiges und Ansehens, zur Unterhaltung einer großen Kriegergarde und seines Heeres, sondern wahrscheinlich auch zahlreiche Dinge, die bis dahin Identität und Erinnerung der bairischen gens geleitet hatten. Deshalb war die Überbringung von Tassilos Schatz nach Ingelheim für den Fürsten so nachteilig wie umgekehrt für den Frankenkönig ein Symbol seines Sieges nicht nur über den Agilolfinger selbst, sondern über die gesamte von diesem repräsentierte gentile Gemeinschaft.

Tassilos Stab und Tassilos Leuchter?

Schon im Jahr 787 hatte Tassilo auf dem Lechfeld, von den Kriegern Karls des Großen eingekreist und vom bairischen Adel verlassen, auf seine eigenständige Herrschaft verzichten müssen, indem er dem König der Franken einen an einem Ende mit einem menschlichen Antlitz verzierten Stab übergab (Annales Nazariani ad a. 787, 43). Hier könnte es sich um einen Ahnenstab gehandelt haben oder um ein nach dem Vorbild konsularischer Zepter hergestelltes Herrschafts- oder Stabzeichen als Symbol abgeleiteter Herrschaft; dieser Stab, der vielleicht die Einheit des Landes und des Fürstengeschlechts symbolisierte, wird in der Regel in Tassilos Schatz aufbewahrt worden sein. Die von Pankraz Stollenmayer vertretene These, Liutbirc habe diesen Stab vor ihrer Verbringung nach Ingelheim nach Kremsmünster transferiert mit dem Auftrag, ihn zu verbergen, und Teile davon seien in den sogenannten Tassilo-Leuchtern in Kremsmünster erhalten geblieben, hat sich in der Forschung nicht durchgesetzt. Dies würde einerseits voraussetzen, dass Tassilo den Stab nach seinem Herrschaftsverzicht auf dem Lechfeld zurückerhalten hätte, wovon aber nichts überliefert ist. Andererseits ist deutlich, dass die beiden Leuchter in Kremsmünster nicht vor dem 10. Jahrhundert zusammengesetzt wurden; stilistisch gehören wohl auch die als Elemente eines Stabes interpretierten Teile der Leuchter in die 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts und haben deshalb mit Tassilos Zepter nichts zu tun.

Literatur

  • Matthias Becher, Eid und Herrschaft. Untersuchungen zum Herrscherethos Karls des Großen (Vorträge und Forschungen Sonderband 39), Sigmaringen 1993.
  • Matthias Becher, Zwischen Macht und Recht. Der Sturz Tassilos III. von Bayern 788, in: Lother Kolmer/Christian Rohr (Hg.), Tassilo III. von Bayern. Großmacht und Ohnmacht im 8. Jahrhundert, Regensburg 2005, 39-55.
  • Matthias Hardt, Gold und Herrschaft. Die Schätze europäischer Könige und Fürsten im ersten Jahrtausend (Europa im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik 6), Berlin 2004.
  • Matthias Hardt, Tafelgeschirr und gentile Überlieferung, in: Anna Mühlherr/Heike Sahm/Monika Schausten u.a. (Hg.), Dingkulturen. Objekte in Literatur, Kunst und Gesellschaft der Vormoderne (Literatur – Theorie – Geschichte 9), Berlin 2016, 51-65.
  • Kurt Holter, Kunstschätze der Gründungszeit, in: Die Anfänge des Klosters Kremsmünster. Symposion 15.-18. Mai 1977, redigiert von Siegfried Haider (Ergänzungsband zu den Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 2), Linz 1978, 111-143.
  • Pankraz Stollenmayer, Tassilo-Leuchter, Tassilo-Zepter. Sonderabdruck aus dem 102. Jahresbericht des Öffentlichen Gymnasiums der Benediktiner zu Kremsmünster 1959, Wels 1959.
  • Egon Wamers, Tassilo-Kelch, in: Christian Lübke/Matthias Hardt (Hg.), 400-1000. Vom spätantiken Erbe zu den Anfängen der Romanik (Handbuch zur Geschichte der Kunst in Ostmitteleuropa 1), München/Leipzig 2017, Nr. 140 (S. 432).
  • Egon Wamers, Cum thesauris ac familia. Zur Schatzkunst und Hofschule Tassilos III., in: Egon Wamers (Hg.), Der Tassilo-Liutpirc-Kelch im Stift Kremsmünster. Geschichte - Archäologie - Kunst, Regensburg 2019, 377-449.
  • Herwig Wolfram, Tassilo III. Höchster Fürst und niedrigster Mönch (Kleine bayerische Biografien), Regensburg 2016.

Quellen

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Empfohlene Zitierweise

Matthias Hardt, Schatz Herzog Tassilos III., publiziert am 16.09.2019; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Schatz_Herzog_Tassilos_III. (3.12.2024)