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Neue Musik-Wochen in München, 1929-1931

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Fritz Büchtger (1903-1978) um 1930. (Privatbesitz)
Konzert des Wiener Streichquartetts mit Werken von Berg, Mozart und Schönberg am 28. März 1928. (Privatbesitz)

von Gabriele E. Meyer

Angesichts der ausgeprägt konservativen Grundstimmung im künstlerisch-kulturellen Leben Münchens der Weimarer Republik blieben neuere musikalische Entwicklungen in der bayerischen Landeshauptstadt weitgehend unbeachtet. Erst die durch den Münchner Komponisten Fritz Büchtger (1903-1978) 1927 gegründete "Vereinigung für zeitgenössische Musik" brachte 1929-1931 in ihren Musik-Wochen zeitgenössische Musik zu Gehör. Aus finanziellen Gründen konnten die Musik-Wochen ab 1932 nicht mehr stattfinden. Nach 1933 war an eine Wiederaufnahme angesichts der kulturpolitischen Einstellungen der Nationalsozialisten nicht mehr zu denken.

Ausgangslage

Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 1918 stellten Veranstaltungen mit zeitgenössischer Musik in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen wie das "Elsaß-lothringische Musikfest zu Straßburg" (1905) oder das "Erste moderne Musikfest zu Dresden" (1917) nur Werke eines Komponisten zur Diskussion. Erst in der Weimarer Republik vermehrten sich die Festivitäten und Tagungen, die mehreren Komponisten ein adäquates Forum bereitstellten. Ein wesentlich umfangreicherer Überblick über das aktuelle Musikgeschehen war nun gegeben.

Dennoch blieb der Weg weg von der Tonalität hin zur Atonalität (Zwölftontheorie) vor allem der Zweiten Wiener Schule um Arnold Schönberg (1874-1951) im Großen und Ganzen unbeachtet. Vereinzelte Versuche stießen meist auf lautstarken Protest nicht nur seitens der Konzertbesucher, sondern auch der offiziellen Berichterstatter. Vergleichsweise offener zeigten sich hier Berlin, Baden-Baden und Donaueschingen (beide Baden-Württemberg). München hingegen huldigte - wie auch in anderen Bereichen des künstlerischen Lebens - weitgehend dem Althergebrachten. Selbst die maßgeblichen Lehrer der Staatlichen Akademie der Tonkunst machten keine Ausnahme. Vergessen war der Aufbruch in die Moderne mit Max Reger (1873-1916), Richard Strauss (1864-1949) und Hans Pfitzner (1869-1949) im Fin-de-Siècle. Der Münchner Konservativismus war geradezu sprichwörtlich geworden.

Gründung der "Vereinigung für zeitgenössische Musik"

Den Festwochen für Neue Musik war die Gründung der "Vereinigung für zeitgenössische Musik" im März 1927 durch den jungen Komponisten Fritz Büchtger (1903-1978) und die beiden Pianisten Udo Dammert (1904-2003) und Franz Dorfmüller (1887-1974) vorausgegangen. Ziel und Zweck war es, ohne "parteimäßige und nationale Bindung die Werke lebender Komponisten aufzuführen" (Vereinsstatuten).

Zusammen mit Werner Egk (1901-1983), Carl Orff (1895-1982), Karl Marx (1897-1985) und weiteren Gleichgesinnten machte der Kreis bald als "Büchtgerbande" oder "Münchner Unruhegeister" von sich reden. Als Spiritus Rector fungierte der wenig später um Unterstützung gebetene Dirigent Hermann Scherchen (1891-1966). Er folgte der Bitte ebenso bereitwillig wie viele andere renommierte Interpreten und Komponisten. Unter Scherchens unnachgiebiger, bisweilen gar diktatorischer Ägide gewannen die Programme sehr rasch an Profil. Jedem an den neueren stilistischen Entwicklungen, aber auch an der ganz alten, der "gotischen" Musik Interessierten war es nun möglich, über das unmittelbare Erleben zu einem eigenen Urteil zu kommen. "Die Ehre Münchens als Musikstadt war gerettet." (Melos)

"Neue Musik-Wochen in München" (1929-1931)

Bereits die erste Festwoche (5.-15. Oktober 1929) fand Beachtung weit über Bayern hinaus, obwohl einige Werke in Baden-Baden, Donaueschingen, Berlin und anderswo schon zu hören gewesen waren. Für München aber war sehr vieles neu. Die Konfrontation von vorbarocker und zeitgenössischer Musik bot durchaus interessante Aspekte. Außerdem kamen zahlreiche heimische Komponisten zu Wort, unter ihnen Fritz Büchtger, Werner Egk, Karl Marx und Carl Orff. Dieses Konzept lag auch den weiteren Festwochen zugrunde. Die zweite Festwoche dauerte vom 7. bis 12. März 1930, die dritte vom 2. bis 12. Oktober desselben Jahres.

Im Zentrum der vierten (und letzten) Festwoche (15.-22. Mai 1931) stand die als sensationell empfundene Uraufführung der Vierteltonoper "Die Mutter" des tschechischen Komponisten Alois Hába (1893-1973) im Staatstheater am Gärtnerplatz unter Scherchens höchst ambitionierter Leitung. "Scherchen gewann aus ganz Europa Sänger, die sich an diese schwierige Materie wagen wollten, und die sechs Wochen - ohne Honorar! - nach München zu den Proben kamen." Aber auch Francesco Malipieros (1882-1973) "Torneo notturno", die konzertant gebotene "Antigone" von Arthur Honegger (1892-1955) und Igor Strawinskys (1882-1971) "Oedipus Rex" (als Oratorium) sowie Orffs Monteverdi-Bearbeitung des "Ballo delle ingrate" fanden starke Beachtung. München hatte sich endgültig von "träger Selbstzufriedenheit und wehmütiger Erinnerung an die gute alte Zeit entschlossen abgewendet, um in der Gegenwart zu leben" (Neue Zürcher Zeitung).

Vernetzung mit anderen Institutionen

Neben der Verpflichtung von prominenten Solisten gelang es dem geschickt agierenden Büchtger immer wieder, die für das Musikleben Münchens wichtigen Institutionen wie die Bayerischen Staatstheater, die Münchner Kammerspiele, den Konzertverein München (Münchner Philharmoniker) und die Konzertgesellschaft für Chorgesang, die Bürgersängerzunft und den Domchor, die Kammertanzbühne der Günther-Schule und den Münchner Bach-Verein zur Mitwirkung zu gewinnen. Selbst die neuen Medien Rundfunk (Deutsche Stunde in Bayern) und Film wurden mit einbezogen.

Breitenwirkung

In den knapp fünf Jahren des Bestehens der "Vereinigung für zeitgenössische Musik" wurden in den vier Festwochen sowie zahlreichen großen und kleinen Konzerten ungefähr 175 Werke - u .a. von Béla Bartók (1881-1945), Alban Berg (1885-1935), Bertolt Brecht (1898-1956)/Kurt Weill (1900-1950), Werner Egk (1901-1983), Alois Hába, Paul Hindemith (1895-1963), Arthur Honegger, Zoltan Kodály (1882-1967), Ernst Krenek (1900-1991), Francesco Malipiero, Carl Orff, Arnold Schönberg, Igor Strawinsky, Ernst Toch (1887-1964) und Alexander Tscherepnin (1899-1977) - vorgestellt. Die Schwerpunkte lagen eindeutig bei Bartók, Büchtger, Hindemith, Strawinsky, Toch und Tscherepnin. Viele Kompositionen erklangen zum ersten Mal, andere in beispielhaften Wiedergaben.

Dabei reichte der programmatische Bogen von den Höhepunkten der mittelalterlichen Organa-Kunst (etwa Perotins "Sederunt principes" [ca. 1200] in der Bearbeitung des Musikwissenschaftlers Rudolf von Ficker [1886-1954]) bis hin zu Egks "Furchtlosigkeit und Wohlwollen", Strawinskys "Oedipus Rex", Honeggers "Antigone", Hábas Vierteltonoper und Brecht/Weills Lehrstück "Der Jasager". Die Erstaufführung des vierten Streichquartetts von Bartók durch das Brüsseler Pro Arte-Quartett stieß allenthalben auf großes Interesse. Hingegen gehörten Bergs "Lyrische Suite", vor allem aber Schönbergs drittes Streichquartett als einem "der Schreckgespenster unserer Konzerte" (Büchtger) zu den wenigen Beispielen aus der Zweiten Wiener Schule.

Nach Presseberichten zu urteilen, wurden die Musikwochen erstaunlich gut angenommen. Bereits die erste Festwoche konnte einen ganz "ausgezeichneten" Besuch melden. Manche Konzerte waren sogar ausverkauft. Ganz offensichtlich bestand bei den "hörbegierigen Bürgern", also den weniger konservativen Konzertbesuchern, das Bedürfnis, neben der "notwendigen Klassik" auch Einblick in das neue Schaffen zu erhalten. Inwieweit die vielen Einzelkonzerte von dem Bonus "Festkonzerte" profitierten, ist nicht (mehr?) nachvollziehbar.

Ende, Bewertung und Ausblick

Die allgemeine wirtschaftliche Not - die "Vereinigung für zeitgenössische Musik" war bereits zur Zeit ihrer Gründung von Zuschüssen der Stadt München abhängig - und die wachsende politische Radikalisierung erzwangen im Jahre 1932 die Auflösung der für ihre Zeit äußerst verdienstvollen Institution.

Aus heutiger Sicht bot sie eher eine Bestandsaufnahme des damaligen musikalischen Geschehens. Experimente wurden kaum gewagt, wie auch keine von München ausgehende selbständige Entwicklung in Richtung Avantgarde zustande kam. Bezeichnenderweise sollte es in der fünften Festwoche nach Büchtgers Willen vor allem um Gebrauchsmusik, also Arbeiter-, Kinder- und andere Gemeinschaftsmusik gehen. Doch dazu kam es nicht mehr. Der Komponist und Organisator Fritz Büchtger arrangierte sich und führte seine Unternehmungen nun mit opportuner, also nicht "kulturbolschewistischer" und/oder "jüdischer" Musik in der "Neuen Musikalischen Arbeitsgemeinschaft München" weiter.

Nach 1945 blieb es zunächst dem Komponisten Karl Amadeus Hartmann (1905-1963) vorbehalten, der Neuen Musik ein geeignetes Forum zu bieten. Er, der um 1928 unter der Ägide des Deutschen Künstlerverbandes "Die Juryfreien" eine kammermusikalische Reihe ins Leben gerufen hatte (die, ebenfalls aus finanziellen und politischen Gründen, 1933 eingestellt werden musste), organisierte das erste Nachkriegskonzert bereits im Oktober des Jahres 1945. Dieses Konzert bildete den Neubeginn für eine Konzertreihe, die - seit 1947 unter dem Namen "musica viva" - noch heute existiert. Wenig später, 1946, gründeten Wolfgang Jacobi (1894-1972) und Hans Mersmann (1891-1971) das "Studio für Neue Musik", kammermusikalisches Pendant zu den Orchesterkonzerten der "musica viva". 1948 wurde das "Studio" Fritz Büchtger anvertraut. Mit diesen beiden Reihen besaß München zwei Einrichtungen, die sowohl die klassische Moderne als auch die heterogenen Strömungen der Zeit mit großer Sorgfalt und in hoher Qualität zur Aufführung brachten.

Literatur

  • Karl-Robert Danler, Fritz Büchtger (Komponisten in Bayern 18), Tutzing 1989.
  • Gabriele E. Meyer, Fritz Büchtger zum 100. Geburtstag 1903-1978. Neue Musik in München, München 2003.
  • Gabriele E. Meyer, Fritz Büchtger. Münchens aktivster Musikbeweger. Zum 100. Geburtstag des Komponisten, in: GEMA Nachrichten 167 (2003), 66-69.
  • Martin Thrun, Neue Musik im deutschen Musikleben bis 1933. 2 Bände, Bonn 1995.
  • Manfred Wegner, Auf dem Marktplatz. Die Neue Musik Woche München 1929-1931, in: Norbert Götz/Manfred Wegner (Hg.), Gegenaktion. Karl Amadeus Hartmann. Ein Komponistenleben in München (1905-1963). Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, München 2005, 58-59.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Gabriele E. Meyer, Neue Musik-Wochen in München, 1929-1931, publiziert am 13.11.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Neue_Musik-Wochen_in_München,_1929-1931> (7.11.2024)