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Bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

(Weitergeleitet von Bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE))
BSE-Demonstration am Oberanger, im Januar 2001. (Foto: imago stock & people GmbH)

von Johann Kirchinger

Rinderseuche, die seit 1985/86 in Großbritannien beobachtet wurde und 1992 erstmals in Deutschland bzw. 2000 in Bayern auftrat. Die vermehrten Krankheitsfälle in Deutschland führten 2001/02 zur BSE-Krise mit Rücktritten der verantwortlichen Minister auf Bundes- und Landesebene sowie der - teilweise nur vorübergehenden - Um- und Neubildung von Ministerien und Behörden. Strikte lebensmittelrechtliche EU-Vorschriften sorgten dafür, dass die Ausbreitung der Seuche gestoppt wurde und die Zahl der Neuerkrankungen in Deutschland bis 2010 auf null zurückging. BSE führte zwar zu einer stärkeren Institutionalisierung der Lebensmittelsicherheit, die erhoffte "Agrarwende" blieb jedoch aus.

Definition

Die Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE) – umgangssprachlich Rinderwahn – bezeichnet eine infektiöse degenerative Krankheit des Zentralnervensystems von Rindern. Sie führt zu einer Zerstörung des Hirngewebes. Die Krankheit gehört zur Gruppe der Transmissiblen Spongiformen Enzephalopathien (TSE), die nicht nur bei Rindern und Schafen, sondern auch bei Menschen und anderen Gattungen auftreten können. Krankheiten dieser Gruppe verlaufen nach einer bis zu mehreren Jahren dauernden Inkubationszeit stets tödlich. Infektiöses Agens der Krankheiten dieser Gruppe sind Prionen, d. h. abnormal gefaltete aggregierte Proteine. Es gilt als gesichert, dass die zur Gruppe der TSE gehörende neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) über die Nahrungsaufnahme vom Menschen durch BSE kontaminierte Fleischprodukte erworben werden kann, wobei Infektionen über Milch bisher nicht bekannt sind.

Erstes Auftreten der Krankheit

Erstmals wurde BSE bei Rindern in Großbritannien 1985/1986 beobachtet und beschrieben. Ursache für den Ausbruch der Krankheit dürfte eine Veränderung des Verfahrens zur Herstellung von Tiermehl aus Tierkadavern und Schlachtabfällen in Großbritannien Anfang der 1980er Jahre gewesen sein. Der Erreger konnte so nicht mehr ermittelt und eingegrenzt werden. Trotz Exportverbots wurde der erste BSE-Fall in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1992 in Schleswig-Holstein bei einem aus Großbritannien importierten Tier registriert. Erstmals verlief ein BSE-Test für ein in Deutschland geborenes Tier am 24. November 2000 ebenfalls in Schleswig-Holstein positiv. Zwei Wochen später gab es den ersten BSE-Fall in Bayern im Oberallgäu.

Politische Auswirkungen

Eberhard Sinner (CSU) und Gertraud Burkert (SPD, geb. 1940)) mit einer Tierärztin bei Probeentnahme für die BSE-Erkennung, 2001. (Foto: imago stock & people GmbH)

Nach dem Auftreten von BSE hat sich das Interesse an Fragen der Lebensmittelsicherheit drastisch erhöht. Die Medien verfolgten das Thema mit Intensität. Es wurde von einer "BSE-Krise" gesprochen. Der Rind- und Kalbfleischverzehr brach stark ein. Zwischen 2000 und 2006 sank der Rindfleischkonsum in der Bundesrepublik Deutschland um 14,5 %, was einen dramatischen Verfall der Rindfleischpreise zur Folge hatte.

Die sog. BSE-Krise bewirkte eine wachsende Kritik an der Intensivlandwirtschaft und dem dazu führenden bisherigen agrarpolitischen Kurs. Rücktrittsforderungen wurden laut. Am 9. Januar 2001 traten Bundesagrarminister Karl-Heinz Funke (SPD, geb. 1946, im Amt seit 1998) und Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1960, im Amt seit 1998) zurück. In Bayern trat die Stellvertretende Ministerpräsidentin, Sozial- und Gesundheitsministerin Barbara Stamm (CSU, 1944-2022, im Amt seit 1994), zurück. Rücktrittsforderungen an Agrarminister Josef Miller (CSU, geb. 1947, im Amt 1998–2008) und den bayerischen und deutschen Bauernverbandspräsidenten Gerd Sonnleitner (geb. 1948, im Amt 1991-2012 in Bayern und 1997-2012 auf Bundesebene) verhallten allerdings folgenlos.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium, das bis dahin als Bastion des Deutschen Bauernverbandes galt, wurde erstmals einer Politikerin (Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen, geb. 1955, im Amt 2001–2005) übertragen, die nicht bauernverbandsgebunden war. Dies werteten Agrarvertreter als Affront, während die Vertreter des Umweltschutzes auf eine Hinwendung der Agrarpolitik zum Umwelt- und Tierschutz (die sog. Agrarwende) hofften. Dabei spiegelte sich der Bedeutungsgewinn des Verbraucherschutzes aufgrund der BSE-Krise darin wider, dass aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium mit der Übertragung an Künast am 12. Januar 2001 unter dem Protest des Deutschen Bauernverbandes ein Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft gestaltet wurde. Die Maßnahmen zum Verbraucherschutz wurden an diesem Ministerium gebündelt. Überdies nahm im Mai 2002 ein Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Arbeit auf.

In Bayern umfassten die institutionellen Maßnahmen die Schaffung eines Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (am 1. Januar 2002) und die Errichtung eines Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz (am 30. Januar 2001), das neben dem Agrarressort hauptsächlich mit der Zuständigkeit für BSE betraut wurde. Dem neuen Ministerium stand Eberhard Sinner (CSU, geb. 1944) vor, der es bis zu seiner Auflösung leitete. Bereits am 14. Oktober 2003 wurden die Aufgaben des Verbraucherschutzministeriums auf das bisherige Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen übertragen, das darauf als Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz firmierte. Am 30. Oktober 2008 fiel der Verbraucherschutz dem Justizministerium zu. Da in allen bis dahin mit BSE betrauten Ministerien Teilzuständigkeiten verblieben, teilt sich seither die Zuständigkeit für BSE in Bayern auf das Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, das Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit und das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf.

Maßnahmen zum Schutz vor BSE

Die zum Schutz vor BSE ergriffenen Maßnahmen sind europarechtlich geregelt. Sie wurden erstmals im Jahr 2001 in der vom Europäischen Parlament verabschiedeten Verordnung 999/2001/EG - der sog. TSE-Verordnung - zusammengefasst, seither jedoch modifiziert. Die Maßnahmen umfassen:

  1. Verfütterungsverbot für Tiermehl und Tierfett. Da der Zusammenhang zwischen der Verfütterung von Produkten, die den BSE-Erreger enthalten, und der Erkrankung von Rindern durch epidemiologische Studien zweifelsfrei erwiesen ist, wurde die Verfütterung von proteinhaltigen Erzeugnissen, von Fetten aus Geweben warmblütiger Landtiere und von Fischen an alle der Lebensmittelproduktion dienenden Nutztiere verboten (im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland seit Dezember 2000, europaweit seit Anfang 2001). Während das Verfütterungsverbot von Fischmehl gelockert wurde, blieb es für Wiederkäuer bestehen.
  2. Entfernung und Beseitigung von Gewebe mit dem höchsten Risikopotential, sog. Spezifiziertes Risikomaterial (SRM), bei der Schlachtung. Dieses Material umfasst den Schädel einschließlich Gehirn, Augen und Rückenmark sowie das Darmgekröse von Rindern, die über 12 Monate alt sind, die Wirbelsäule bei Rindern, die über 30 Monate alt sind sowie die Mandeln und den Darm vom Zwölffinger- bis zum Enddarm bei allen Rindern. Für Schafe und Ziegen gelten ähnliche Maßregeln. Das entfernte Material muss in zugelassenen Anlagen verbrannt bzw. verarbeitet werden.
  3. Überwachung von gesunden, verendeten und notgeschlachteten Tieren. Europaweit wurde eine Überwachung bei Normalschlachtungen für Rinder ab einem Schlachtalter von 30 Monaten eingeführt, während im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Rinder bis 2006 bereits ab einem Schlachtalter von 24 Monaten getestet wurden. Das Testpflichtalter bei Normalschlachtungen für Tiere, die in den alten EU-Mitgliedsstaaten vor der Osterweiterung, Zypern und Slowenien geboren wurden, lag 2010 bei 48 und liegt seit 2011 bei 72 Monaten (bei Tieren aus anderen Ländern bei 30 bzw. 48 Monaten). Begründet wird dies damit, dass das Durchschnittsalter BSE-positiver Rinder bei mindestens acht Jahren liegt.
  4. Kennzeichnung und Registrierung von Rindern. Um den Markt für Rindfleisch zu stabilisieren und die Produktion von Rindfleisch lückenlos zu verfolgen, wurde ein europaweit einheitliches System zur Kennzeichnung und Registrierung von Rindern eingeführt und für die Vermarktung eine auf objektiven Kriterien beruhende Etikettierungsregelung geschaffen.
  5. Intensivierung der Forschung. Seit 2006 existiert das Nationale Referenzzentrum für die Surveillance Transmissibler Spongiformer Enzephalopathien an den zwei Standorten Göttingen und München (Schwerpunkt Pathologie und Genetik).

Wirkung der Maßnahmen

Die Zahl der in Bayern zwischen 2000 und Ende 2009 durchgeführten BSE-Tests beläuft sich auf 5,5 Mio. Seit dem ersten BSE-Fall an einem in Deutschland geborenen Rind wurde (bis Ende 2009) BSE bei 413 in Deutschland geborenen Tieren festgestellt, davon 143 in Bayern. Dies entspricht 34 % der deutschen BSE-Fälle. Unter Berücksichtigung der Zahl der bayerischen Milchviehhalter und der Zahl der von ihnen gehaltenen Rinder ergibt sich keine überdurchschnittliche Betroffenheit Bayerns.

Dank der geltenden Maßnahmen zur Risikoverminderung konnte BSE eingedämmt werden. In allen Mitgliedstaaten der EU zeigte BSE ebenso wie die Creutzfeld-Jakob-Krankheit, von der es bisher keinen einzigen registrierten Fall in der Bundesrepublik Deutschland gibt (Stand 2011), einen rückläufigen Trend. Im Jahr 2011 wurde in der Bundesrepublik Deutschland ebenso wie bereits 2010 kein BSE-Fall registriert.

Resümee

Insgesamt bewirkte das Auftreten von BSE in der Bevölkerung und der Politik einen aufmerksameren Umgang mit Fragen der Lebensmittelsicherheit und eine erhöhte Sensibilität für Fragen des Verbraucherschutzes, was sich in dauerhaften administrativen Veränderungen niederschlug. Für die Agrarpolitik im engeren Sinne blieb das Auftreten von BSE nach einer ersten hektischen Phase indes weitgehend ohne Folgen. Der postulierten Agrarwende, die von einer Mehrheit der Landwirte abgelehnt wurde, waren aufgrund der weitgehenden europäischen Integration der Agrarpolitik enge rechtliche Grenzen gesetzt, während staatliche Mittel zur Förderung einer allgemeinen Ökologisierung der Landwirtschaft nur begrenzt zur Verfügung standen.

Literatur

  • Karin Deischl/Petra Habereder u. a., Schutz vor BSE. Anstrengungen, Maßnahmen, Erfolge und Kosten, in: Bundesgesundheitsblatt Nr. 6/2010, 589–596.
  • Die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE) des Rindes und deren Übertragbarkeit auf den Menschen, in: Bundesgesundheitsblatt Nr. 5/2001, 421–431.
  • Vera Hagenhoff, Analyse der Printmedien-Berichterstattung und deren Einfluß auf die Bevölkerungsmeinung. Eine Fallstudie über die Rinderkrankheit BSE 1990–2001 (Schriften zur Medienwissenschaft 3), Hamburg 2003.
  • Kerstin Meyer-Hullmann, Lebensmittelskandale und Konsumentenreaktionen. Analyse der Auswirkungen von Lebensmittelskandalen unter besonderer Berücksichtigung des Informationsverhaltens – dargestellt am Beispiel BSE (Europäische Hochschulschriften 5/2482), Frankfurt am Main 1999.
  • Heinz-Jörg Wiegand, Die Agrar- und Energiewende. Bilanz und Geschichte rot-grüner Projekte, Frankfurt am Main 2006.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Rinderwahnsinn, Rinderwahn

Empfohlene Zitierweise

Johann Kirchinger, Bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE), publiziert am 06.02.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Bovine_spongiforme_Enzephalopathie_(BSE)> (28.03.2024)