Tupamaros München
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Die Tupamaros München waren eine militante Gruppe aus der linksradikalen Szene. Auf ihr Konto gehen zahlreiche Überfälle sowie Brand- und Sprengstoffanschläge zwischen 1969 und 1971. Ziel der Überfälle und Anschläge waren neben Einrichtungen von Justiz und Polizei u. a. auch die Ludwig-Maximilians-Universität München. Ihr Vorbild hatte die Gruppe in der gleichnamigen Organisation, die in Uruguay seit Anfang der 1960er Jahre gegen die dortige Militärdiktatur kämpfte. Zusammen mit ihrer West-Berliner Schwesterorganisation gelten die Tupamaros München als Vorläufer der westdeutschen Stadtguerilla. Beide Gruppierungen unterhielten zum Teil enge Verbindungen zu anderen linksradikalen Gruppierungen, etwa zur Fatah oder zur Aktion Südfront.
Hintergrund
Als Tupamaros München bezeichnete sich eine militante Gruppe aus der linksradikalen Szene, die sich zwischen 1969 und 1971 in der bayerischen Landeshauptstadt zum Vorreiter des Projekts des "bewaffneten Kampfes" entwickelte und mit Überfällen oder Brand- und Sprengstoffanschlägen in Erscheinung trat. Als Vorläufer der westdeutschen Stadtguerilla, wie sie Organisationen wie die Rote Armee Fraktion (RAF) oder die "Bewegung 2. Juni" darstellten, entstanden die Tupamaros München – ähnlich wie ihre Schwesterorganisation in West-Berlin – aus der subkulturellen und antiautoritären Szene der Stadt.
Weltbild und Feindbilder der Tupamaros
Auf der Basis dieses Entstehungshintergrunds erklärt sich das Weltbild der Tupamaros München, das sich vor allem mit den Feindbildern der Zionisten, der USA und des Justizapparats auseinandersetzte. Die Gruppe, als eine der radikalsten Ausprägungen der Suche nach neuen, sich vom gesetzten System unterscheidenden Lebensformen und Moralvorstellungen in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren, sah die selbst gelebte Gegenkultur als Ziel ihrer Handlungen. Da jedoch in den Augen einiger Schlüsselfiguren der Tupamaros diese gegenkulturellen Szenen drohten aufgelöst, in das System integriert und so zur Normalität zu werden, entwickelte sich schließlich das System selbst zum Feindbild der Mitglieder, das zerstört werden sollte. Im Zentrum hierbei standen vor allem der Polizei- und Justizapparat als Repräsentant des Repressionspotentials der Staatsmacht.
Ursprung in Uruguay: Kampf gegen die Militärdiktatur
Ihren Ursprung finden die Münchner Tupamaros in einer gleichnamigen Gruppierung in Uruguay, die ab 1963 bis in die 1970er Jahre mit Waffengewalt gegen die dortige Militärdiktatur vorging. Dadurch, dass die Tupamaros nicht mehr ländliche, sondern vielmehr städtische Guerilla als Instrument nutzten, repräsentieren sie die erste genuine Stadtguerilla der Geschichte. So versuchte die Bewegung durch Anschläge in Großstädten, die Entführung hoher Persönlichkeiten oder Banküberfälle zur Geldbeschaffung ein revolutionäres Klassenbewusstsein zu wecken und einen verschärften Klassenkampf herbeizuführen. Als Namensgeber für die Bewegung fungierte der letzte Inka-Herrscher Túpac Amaru (1545-1572), dessen Namen José Gabriel Condorcanqui annahm (Túpac Amaru II., 1738-1781), der sich 1780 im heutigen Peru in einem indigenen Aufstand gegen die spanischen Kolonialherren gestellt hatte. Zwar blieb dieses letzte Aufbäumen der Indigenos erfolglos, jedoch wurde Túpac Amaru II. zum Vorbild antikolonialer Kämpfe.
Vor diesem Hintergrund steht der Begriff Tupamaros sowohl für soziale Befreiung von Großgrundbesitzern und Oligarchen im eigenen Land als auch für nationale Unabhängigkeit von Kolonialisten und Imperialisten. Durch diese Bedeutung des Namens der Gruppierung erhielten die Tupamaros in Uruguay nicht nur durch die Studentenbewegung 1968 großen Zulauf, sondern auch ein regelrechtes Robin-Hood-Image, da sie durch die Anwendung von Gewalt für erstrebenswerte Ziele im Sinne der linksradikalen Szene kämpften. Gerade dieses Image stieß schließlich auch bei der linken Szene Europas auf fruchtbaren Boden, die diese Idee annahm und nun - nachdem friedliche Mittel augenscheinlich zu keinem Ergebnis geführt hatten - Gewalt als neues Instrument wahrnahm, um die bestehenden Machtstrukturen zu ändern. Diese Linie verfolgten schließlich auch die Tupamaros München, die – nach den Tupamaros West-Berlin – die zweite Stadtguerillagruppierung in der Bundesrepublik Deutschland waren, die sich am Vorbild der gleichnamigen lateinamerikanischen Organisation orientierten.
Strategie der Tupamaros München
Auf der Basis des genuinen Ursprungs und des Weltbildes der Gruppierung entwickelte sich die sog. Justizkampagne zur zentralen Strategie der Tupamaros München. So richteten sich Erklärungen und - meist sehr unrealistische - Forderungen der Gruppe, beispielsweise nach der Dissertation der Polizei oder der Amtsaufgabe von Richtern, in Briefen und Flugblättern nicht nur meist gegen Polizei und Justiz, die als relativ homogene Apparate wahrgenommen wurden; diese wurden auch zum zentralen Ziel ihrer Brand- und Sprengstoffanschläge. Neben dieser Kampagne stellte die sog. Randgruppenkampagne das zweite strategische Konzept dar, das als Kraftfeld und Säule für die Entstehung von Handlungsmustern der Tupamaros München wirkte und letztendlich in terroristischen Aktivitäten wie Banküberfällen, Brand- oder Bombenanschlägen mündete.
Während die Justizkampagne vor allem von Fritz Teufel (1943-2010), der Führungsfigur der Tupamaros München vertreten wurde, entstammt die Randgruppenkampagne aus den Kreisen um die "Aktion Südfront", die unter anderem durch Alois Aschenbrenner – späterer Tupamaro und enger Vertrauter Fritz Teufels – repräsentiert wurde. Diese Strategie konzentrierte sich auf die Mobilisierung bestimmter Gruppen, die nicht in das herrschende System integriert wurden, mit dem Ziel, diese als radikalisierendes Potential zu nutzen, um eben das System zu beseitigen, von dem diese Schichten unterdrückt wurden. Im Fokus hierbei standen vor allem Insassen der 27 Erziehungsheime und 130 Jugendheime in Bayern, die als eine solche Randgruppe der Gesellschaft wahrgenommen wurden und – nach ihrer "Befreiung" durch die Gruppierung – als Nährboden für revolutionäre Aktionen genutzt werden sollten. In diesem Zuge besuchten Aktivisten der Gruppe um Alois Aschenbrenner im Juni 1969 Zöglinge der Erziehungsanstalt Piusheim (Gde. Baiern, Lkr. Ebersberg) und forderten diese auf, sich ihnen anzuschließen.
Zusammensetzung der Gruppierung Tupamaros München
Personen
Zu den Tupamaros München gehörten laut polizeilicher Schätzung ca. 20 Mitglieder, die sich um die Führungsfigur Fritz Teufel sammelten. Unter ihnen fanden sich nicht nur Aktivisten aus anderen linksradikalen Gruppierungen wie Alois Aschenbrenner, der als einer der Köpfe der "Aktion Südfront" galt, sondern auch spätere Mitglieder der Rote Armee Fraktion wie Irmgard Möller (geb. 1947), Brigitte Mohnhaupt (geb. 1949) oder Rolf Heißler (geb. 1948 als Rolf Gerhard Leberwurst). Als Rückgrat der Münchner Tupamaros galt in erster Linie die "Kommune Wacker Einstein", die Fritz Teufel nach seiner Ankunft aus Berlin im Dezember 1968 etablierte. In Berlin hatte Teufel zusammen mit Dieter Kunzelmann (geb. 1939), der Führungsfigur der Tupamaros-Westberlin, die dortige "Kommune I" mitbegründet und brachte nun durch seinen Wechsel nach München 1968 die Idee der Kommunarden in die bayerische Landeshauptstadt.
Neben dieser zentralen Wohnung in der Einsteinstraße 151, wo nicht nur Fritz Teufel selbst, sondern auch Irmgard Möller und Heinz-Georg Vogler wohnten, bildete eine zweite Kommune, die "Kommune Metzstraße" in der Metzstraße 15 mit Rolf Heißler, Brigitte Mohnhaupt, Ulrich Enzensberger (geb. 1944), Marianne Ihm (geb. 1947) und später auch Alois Aschenbrenner die zweite Keimzelle der Tupamaros München. Von beiden Kommunen aus, deren Mitglieder oft auch zwischen beiden pendelten, wurden die Aktionen der Gruppierung geplant und organisiert. Auf diese Weise stellten beide für einige ihrer Mitglieder die zentrale Transmissionsstätte für ihren Weg in die "Stadtguerilla" dar. Die Mitglieder dieser beiden Kommunen - oft, wie Heinz-Georg Vogler, Marianne Ihm, Brigitte Mohnhaupt und Rolf Heißler, Studenten, die weniger studierten als an Sprengungen von Lehrveranstaltungen teilzunehmen - beriefen sich in ihrer Gegenposition zur damaligen Gesellschaft auf erlebte Enttäuschungen im Elternhaus, in der Schule und an der Universität, wo sich niemand ihren perzipierten Problemen annahm oder Antworten auf drängende Fragen gab. Aus diesem Grund brachen die Aktivisten mit den Konventionen, der Moral und den Gesetzen des Systems und traten diesem als erklärter Feind gegenüber.
Verbindungen zu anderen Gruppierungen
Tupamaros West-Berlin
Wie die Zusammensetzung der Führungsriege der Tupamaros München zeigt, war dieser linksradikale Zusammenschluss keine sich vollkommen abschottende Organisation, sondern funktionierte vielmehr durch eine enge Kooperation mit anderen Gruppen der linken Szene. Dies begründet sich zum einen durch ihren Ursprung in der Studentenrevolte und der "Kommune I" in Berlin. Die enge Verbindung zwischen Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann, den Köpfen der Tupamaros München und West-Berlin, die aus der gemeinsamen aktiven Zeit in der linken Szene Berlins stammte, bildete die Basis für die enge personelle und ideologische Verflechtung der beiden Gruppierungen. So existierte zwischen den Tupamaros in beiden Städten ein reger Kontakt, wie es ein Brief aus der Münchner Metzkommune an die West-Berliner Tupamaros belegt, in dem um ein Treffen gebeten wird, um durch technische und moralische Zusammenarbeit verschiedene Aktionen zu planen. Aufgrund des meist konspirativen Inhalts der Informationen lief die Kommunikation zwischen den beiden Gruppierungen nur sehr selten über den normalen Postweg oder das Telefon. Vielmehr wurden Boten, Mittelsmänner oder verschlüsselte Kleinanzeigen in verschiedenen Blättern dazu genutzt, bestimmte Botschaften zu übermitteln.
Aktion Südfront
Neben dieser engen Zusammenarbeit mit ihrer Schwesterorganisation in West-Berlin waren auch andere linksradikale Gruppierungen stark mit den Tupamaros München vernetzt. Im Zentrum standen hierbei vor allem Mitglieder der Aktion Südfront, die mit ihrer Galionsfigur Alois Aschenbrenner erstmals im Juli 1969 in Erscheinung trat, jedoch im Herbst des gleichen Jahres wieder zerbrach. Dadurch, dass einige Mitglieder mit der Idee des "bewaffneten Kampfes" sympathisierten und sich den Tupamaros anschlossen, wurden Teile der programmatischen Ziele der Aktion Südfront, wie die Entwicklung einer Antikultur durch die Randgruppenstrategie, in den ideellen Rahmen der Tupamaros München aufgenommen.
Fatah
Spätestens ab 1969 existierten darüber hinaus auch Verbindungen zwischen deutschen Linksradikalen und palästinensischen Gruppen. Zwar standen die Tupamaros München mit diesen wohl nicht direkt in Kontakt, doch entwickelten sich Berührungspunkte über die Tupamaros West-Berlin. Die Schwesterorganisation der Münchner Gruppierung stand in Verbindung mit der Fatah, nachdem Ingrid Siepmann (1944-um 1982), die 1969 zusammen mit Dieter Kunzelmann nach Jordanien in ein Ausbildungscamp der palästinensischen Fatah aufgebrochen war, die Rückreise nach Deutschland nicht antrat und in einer Funktion als "Außenposten" im jordanischen Amman zurückblieb. Siepmann hielt daraufhin konstanten Kontakt mit Dieter Kunzelmann, der die daraus gewonnenen Informationen wiederum an die Münchner Tupamaros weitergab.
Aktionen der Tupamaros München
Anschlagsserie zwischen 1970 und 1971
Das Weltbild, das die Mitglieder der Tupamaros München vertraten, spiegelt sich vor allem in der von der Gruppierung verübten Anschlagsserie in den Jahren 1970 und 1971 wider, die sich fast ausschließlich gegen Einrichtungen von Justiz und Polizei richtete. Den Startschuss für diese Serie setzte ein Flugblatt, versehen mit dem Emblem der Tupamaros München - einem fünfzackigen Stern mit den eingefügten Initialen TM -, das am 20. Februar 1970 bei der Deutschen Presseagentur eintraf und die Deponierung von Brandsätzen im Justizgebäude am Stachus ankündigte. Dieser Brief enthielt nicht nur Drohungen gegen Richter und Staatsanwälte, sondern forderte auch die Freiheit für den ehemaligen APO-Aktivisten Günter Maschke (geb. 1943), der wegen Fahnenflucht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war. Diese Ankündigung erschien zunächst als leere Drohung, jedoch warfen nur drei Tage später, in der Nacht zum 23. Februar 1970, Mitglieder der Tupamaros München Molotow-Cocktails in die Privatwohnung des Amtsgerichtsrats Albert Weitl (geb. 1935), der als Richter Günter Maschke verurteilt hatte. Von diesem Zeitpunkt an wurden verschiedene weitere Brand- und Bombenanschläge auf Einrichtungen von Justiz und Polizei verübt, für die die Tupamaros München die Verantwortung übernahmen.
Neben kleineren Brandanschlägen auf die Ludwig-Maximilians-Universität oder auf Polizeieinrichtungen wurden am 10. März 1970 Bomben, die mit Zeitzündern versehen waren, im Amtsgericht München in der Maxburg gefunden, bevor diese detonieren konnten. Weitere Anschläge begleiteten vor allem Gerichtsprozesse, die gegen Mitglieder der Tupamaros München geführt wurden. So reagierte die Gruppierung zum Beispiel auf die Festnahme Fritz Teufels am 12. Juni 1970 mit Anschlägen durch Molotow-Cocktails im Oberlandesgericht und Landesgericht. Teufel war monatelang wegen Verdachts auf gemeingefährliche Brandstiftung polizeilich gesucht worden und wurde schließlich zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Der gesamte Prozess und die Urteilsverkündung wurden von verschiedenen Bomben- und Molotow-Anschlägen begleitet, für die die Tupamaros München in kurzen Notizen Verantwortung übernahmen. Als einer der letzten Aktionen der linksradikalen Gruppierung kann der Überfall auf die Hypo-Bank am Frankfurter Ring betrachtet werden, der am 13. April 1971 verübt wurde. Die Täter, unter anderen Rolf Heißler, die angaben, aus politischen Gründen gehandelt zu haben, konnten schließlich festgenommen werden.
Insgesamt können den Tupamaros München neben diesem Banküberfall 24 Brand- und Sprengstoffanschläge zugerechnet werden. Die Anschlagsziele hatten meist lokalen Bezug; sie richteten sich in der Mehrheit der Fälle gegen Einrichtungen und Repräsentanten von Justiz und Polizei und waren weniger weltpolitisch orientiert.
Anschlag auf die Israelitische Kultusgemeinde in München
Im Gegensatz zur vorgenannten Anschlagsserie, für die die Tupamaros München Verantwortung übernahmen, ist der Fall des Brandanschlags auf die Israelitische Kultusgemeinde trotz zahlreicher Verdachtsmomente, die in die Richtung der linksradikalen Gruppierung deuten, bis heute nicht endgültig geklärt. Am 13. Februar 1970 verübten unbekannte Täter einen Brandanschlag auf das Gebäude in der Reichenbachstraße 27, das überwiegend als Altenheim genutzt wurde. Durch die Tat wurden sieben jüdische Hausbewohner getötet, die als Holocaust-Überlebende in der Kultusgemeinde lebten. Zwar distanzierten sich die Tupamaros München in ihrem Flugblatt vom 20. Februar von der Tat und lenkten den Verdacht auf die rechtsradikale Szene, jedoch führte die wahrscheinlichste Spur zu der Gruppierung.
Nicht nur, dass im Fokus der Ermittlungen ein damals 18-Jähriger stand, der in der Aktion Südfront aktiv war und sich in den beiden Kommunen Wacker Einstein und Metzkommune bewegte, sondern auch anonyme Anrufer und die Wahl eines Brandanschlags als Instrument, das als Markenzeichen der linksradikalen Szene galt ("Kommune I", Anschläge durch Tupamaros Westberlin nur wenige Tage zuvor), belasteten die Tupamaros München. Vor allem aber wirkt das Interview mit Fritz Teufel, das am 6. Februar in der Abendzeitung erschien und in dem er gewaltsame Aktionen ankündigte, vor diesem Hintergrund als belastendes Material. Der Verdacht gegen die Gruppierung um Fritz Teufel erhärtete sich erneut durch das Protokoll einer Vernehmung von Gerhard Müller (geb. 1948), einem ehemaligen Mitglied der RAF, durch das BKA im April 1976. Müller beschreibt in dieser Vernehmung eine Diskussion zwischen Gudrun Ensslin (1940-1977) und Irmgard Möller, in der seiner Meinung nach Ensslin davon ausgeht, Irmgard Möller und ihr Umfeld der Tupamaros München hätten den Anschlag am 13. Februar 1970 verübt. So lassen viele Verdachtsmomente und Indizien die Verantwortlichen für den Anschlag im unmittelbaren oder direkten Umfeld der Tupamaros München vermuten, jedoch fehlen bis heute stichhaltige Beweise für eine endgültige Aufklärung der Tat.
Entwicklung und Ende der Tupamaros München
Ab Ende 1970 ebbte die Anschlagsserie der Tupamaros München zwar stark ab, doch kann bis dahin eine Steigerung des Gewaltpotentials der Aktionen beobachtet werden. Nutzten die Aktivisten bis Oktober 1970 lediglich Brandsätze zur Durchführung ihrer Anschläge, so wählten sie ab diesem Zeitpunkt immer häufiger auch mit Sprengstoff versehene Rohrbomben als Instrument. Diese Steigerung der Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt innerhalb der Gruppierung kann unter anderem auf die wachsende Radikalisierung Fritz Teufels zurückgeführt werden. Gerade sein Interview mit der Abendzeitung und dem WDR mit Aussagen wie "Jetzt muss es krachen" oder ein von ihm verfasster Artikel, der am 23. März 1970 im Spiegel erschien und feststellte, "daß man das Gewehr in die hand nehmen müsse, um das gewehr für immer abzuschaffen", wirkten als Forderung des Einsatzes von Gewalt zur Erreichung der Ziele der Tupamaros München. Doch trotz dieser einsetzenden Steigerung des Gewaltpotentials oder einzelner Aktionen mit hohem Gewaltpotential, wie vermeintlich der Anschlag in der Reichenbachstraße, entwickelten sich die Tupamaros nicht zu einer Gruppe, die grundsätzlich - wie später die RAF - extrem gewaltbereit und vollständig in der Illegalität agierte.
Insgesamt können die Münchner Tupamaros als Gruppe im Übergang gesehen werden, denn während sich ihre Verlautbarungen durch Flugblätter oder Briefe mit ihren unrealistischen Forderungen und Anklagen noch in der Tradition einer situationistischen Provokation bewegten, überschritten ihre Aktionen die Grenze dieser bloßen Provokation durch die tatsächliche Anwendung von Gewalt. Jedoch konnten sich die Verbindungen zu gegenkulturellen Szenen, die anfangs zu der Entstehung militanter und gewalttätiger Aktionsmuster beitrugen, nicht lösen und wirkten auf diese Weise als Bremse gegen eine potentielle Entgrenzung der Gewalt. Vielmehr scheint es, als habe die Gruppierung dem steigenden Gewaltpotential nicht mehr standgehalten; sie löste sich schließlich im Laufe des Jahres 1971 auf. Dies war nicht nur der Tatsache geschuldet, dass einige Mitglieder zu diesem Zeitpunkt bereits im Gefängnis saßen, sondern vielmehr auch der Entwicklung, dass viele Aktivisten bei den Tupamaros München keine Zukunft mehr sahen. Resultierte dies bei einigen Mitgliedern, wie Alois Aschenbrenner, der nach seiner Verhaftung im Juli 1971 aus der Gruppierung ausstieg und seine Gefährten zur Umkehr aufrief, in einer Verurteilung der Idee des "bewaffneten Kampfes", so schlossen sich andere, wie Irmgard Möller, Brigitte Mohnhaupt und Rolf Heißler, die dieses Projekt weiterhin vertraten und extrem radikale Ansichten entwickelt hatten, der RAF an.
Literatur
- Wolfgang Kraushaar, "Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?". München 1970: über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus, Reinbek 2013.
- Gerhard Seyfried, Der schwarze Stern der Tupamaros, Berlin 2004.
- Michael Sturm, Tupamaros München. "Bewaffneter Kampf", Subkultur und Polizei 1969-1971, in: Klaus Weinhauer/Jörg Requate/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.), Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, Frankfurt am Main 2006, 99-133.
- Benedikt Weyerer, München 1950-1975, München 2003.
Quellen
- "Der Antizionismus war Grundposition der radikalen Linken", in: taz, 2.3.2013.
- Ein kalter Fall, der weiter schwelt, in: FOCUS Magazin Nr. 27 (2012).
Weiterführende Recherche
Externe Links
Empfohlene Zitierweise
Sabine Fütterer, Tupamaros München, publiziert am 18.06.2014; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Tupamaros_München> (31.10.2024)