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Dolchstoßprozess, München, 1925: Unterschied zwischen den Versionen

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Beim "Dolchstoßprozess" handelte es sich um einen zwischen dem 19. Oktober und dem 9. Dezember 1925 vor dem Münchner Amtsgericht durchgeführten Strafprozess. Dort war der Redakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung "Münchener Post", Martin Gruber (1866-1936), wegen Beleidigung und übler Nachrede angeklagt. Als Kläger trat der Herausgeber der nationalistisch ausgerichteten Zeitschrift "Süddeutsche Monatshefte", Paul Nikolaus Cossmann (1869-1942), auf. Der Prozess endete mit einer Verurteilung des Angeklagten zu einer Geldstrafe von 3.000 Reichsmark. Die Bedeutung des Prozesses lag nicht im eigentlichen Gegenstand der Verhandlung; vielmehr strebten beide Parteien danach, über das öffentliche Forum die innenpolitisch umstrittene Frage nach den Ursachen der militärischen Niederlage im Ersten Weltkrieg in ihrem Sinne zu klären.  
Beim "Dolchstoßprozess" handelte es sich um einen zwischen dem 19. Oktober und dem 9. Dezember 1925 vor dem Münchner Amtsgericht durchgeführten Strafprozess. Dort war der Redakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung Münchener Post, Martin Gruber (1866-1936), wegen Beleidigung und übler Nachrede angeklagt. Als Kläger trat der Herausgeber der nationalistisch ausgerichteten Zeitschrift Süddeutsche Monatshefte, Paul Nikolaus Cossmann (1869-1942), auf. Der Prozess endete mit einer Verurteilung des Angeklagten zu einer Geldstrafe von 3.000 Reichsmark. Die Bedeutung des Prozesses lag nicht im eigentlichen Gegenstand der Verhandlung; vielmehr strebten beide Parteien danach, über das öffentliche Forum die innenpolitisch umstrittene Frage nach den Ursachen der militärischen Niederlage im Ersten Weltkrieg in ihrem Sinne zu klären.  
== Die Ursachen der Niederlage von 1918 und die "Dolchstoß"-Legende ==
== Die Ursachen der Niederlage von 1918 und die "Dolchstoß"-Legende ==
Als eines der frühesten und virulentesten Erklärungsmuster für die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg kann die im konservativen Lager der Weimarer Republik vertretene Auffassung gelten, dass der Krieg 1918 nicht aus militärischen Gründen verloren gegangen sei. Vielmehr seien Heer und Marine den defätistischen Haltungen und subversiven Handlungen in der Heimat zum Opfer gefallen. Die Popularisierung des suggestiven Schlagworts vom "Dolchstoß" in den Rücken der Armee geht auf eine Aussage des letzten Chefs der Obersten Heeresleitung, Generalfeldmarschall [[Person:118551264|Paul von Hindenburg]]{{#set:PND=118551264}} (1847-1934), zurück, die dieser am 18. November 1919 vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gemacht hatte.
Als eines der frühesten und virulentesten Erklärungsmuster für die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg kann die im konservativen Lager der Weimarer Republik vertretene Auffassung gelten, dass der Krieg 1918 nicht aus militärischen Gründen verloren gegangen sei. Vielmehr seien Heer und Marine den defätistischen Haltungen und subversiven Handlungen in der Heimat zum Opfer gefallen. Die Popularisierung des suggestiven Schlagworts vom "Dolchstoß" in den Rücken der Armee geht auf eine Aussage des letzten Chefs der Obersten Heeresleitung, Generalfeldmarschall [[Person:118551264|Paul von Hindenburg]]{{#set:PND=118551264}} (1847-1934), zurück, die dieser am 18. November 1919 vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gemacht hatte.
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== Der Pressekrieg von April/Mai 1924 ==
== Der Pressekrieg von April/Mai 1924 ==


Im Vorfeld der Reichstagswahlen am 4. Mai 1924 hatte der konservative Publizist [[Person:118677012|Nikolaus Cossmann]]{{#set:PND=118677012}} (1869-1942) zwei Themenhefte zur Niederlage von 1918 veröffentlicht, mit denen er die These durch prominente Gastbeiträge zu erhärten und damit die politische Linke im Wahlkampf zu diskreditieren suchte. Daraufhin veröffentlichte die [[Münchener Post|"Münchener Post"]] eine Reihe von Artikeln, in denen [[Person:120652404|Martin Gruber]]{{#set:PND=120652404}} (1866-1936), der bis zum Ende der Legislaturperiode ein Reichstagsmandat für die [[Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)|SPD]] innehatte, Cossmann unter anderem der "Wahllüge und Geschichtsfälschung" bezichtigte. Auch enthielten die Artikel antisemitische Ausfälle gegen den vom Judentum zum Katholizismus konvertierten Cossmann. Wegen des Vorwurfs der "Geschichtsfälschung" stellte dieser daraufhin Strafantrag gegen Gruber.
Im Vorfeld der Reichstagswahlen am 4. Mai 1924 hatte der konservative Publizist [[Person:118677012|Nikolaus Cossmann]]{{#set:PND=118677012}} (1869-1942) zwei Themenhefte zur Niederlage von 1918 veröffentlicht, mit denen er die These durch prominente Gastbeiträge zu erhärten und damit die politische Linke im Wahlkampf zu diskreditieren suchte. Daraufhin veröffentlichte die [[Münchener Post|Münchener Post]] eine Reihe von Artikeln, in denen [[Person:120652404|Martin Gruber]]{{#set:PND=120652404}} (1866-1936), der bis zum Ende der Legislaturperiode ein Reichstagsmandat für die [[Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)|SPD]] innehatte, Cossmann unter anderem der "Wahllüge und Geschichtsfälschung" bezichtigte. Auch enthielten die Artikel antisemitische Ausfälle gegen den vom Judentum zum Katholizismus konvertierten Cossmann. Wegen des Vorwurfs der "Geschichtsfälschung" stellte dieser daraufhin Strafantrag gegen Gruber.


== Prozessbeginn ==
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Die am 19. Oktober unter großem öffentlichem Interesse eröffnete Verhandlung leitete Amtsgerichtsdirektor [[Person:1115669303|Albrecht Frank]]{{#set:PND=1115669303}} (1874-1947). Dieser galt in den Augen der Beklagtenpartei aufgrund seiner vorangegangenen Verhandlungsführung in dem ähnlich gelagerten "Kriegsschuldprozess" von 1922 als Gewährsmann der politischen Rechten. Als Anwalt des Klägers trat [[Person:116094400|Anton Graf von Pestalozza]]{{#set:PND=116094400}} (1877-1938) auf; Gruber wurde durch Rechtsanwalt [[Person:11690657X|Max Hirschberg]]{{#set:PND=11690657X}} (1883-1964) vertreten.
Die am 19. Oktober unter großem öffentlichem Interesse eröffnete Verhandlung leitete Amtsgerichtsdirektor [[Person:1115669303|Albrecht Frank]]{{#set:PND=1115669303}} (1874-1947). Dieser galt in den Augen der Beklagtenpartei aufgrund seiner vorangegangenen Verhandlungsführung in dem ähnlich gelagerten "Kriegsschuldprozess" von 1922 als Gewährsmann der politischen Rechten. Als Anwalt des Klägers trat [[Person:116094400|Anton Graf von Pestalozza]]{{#set:PND=116094400}} (1877-1938) auf; Gruber wurde durch Rechtsanwalt [[Person:11690657X|Max Hirschberg]]{{#set:PND=11690657X}} (1883-1964) vertreten.


Die Strategie beider Seiten lief darauf hinaus, die Dolchstoß-These durch sechs Gutachter und insgesamt 25, teilweise prominente Zeugen zu belegen bzw. zu entkräften. Neue Belege konnten von keiner Seite ins Feld geführt werden; faktisch folgte die Auseinandersetzung den Argumentationslinien der Beiträge in den [[Süddeutsche Monatshefte|"Süddeutschen Monatsheften"]]. Die Unmöglichkeit, die zeitlich noch nahe liegenden historischen Ereignisse juristisch aufklären zu wollen, wurde offensichtlich. Eine für den weiteren Verlauf der Verhandlung wichtige Aussage machte allerdings der Generalleutnant a. D. und von 1920 bis 1923 amtierende Reichsverkehrsminister [[Person:118542354|Wilhelm Groener]]{{#set:PND=118542354}} (1867-1939). Dieser offenbarte hier erstmals zwei wichtige politische Absprachen zwischen der Obersten Heeresleitung und der Führung der Mehrheitssozialisten aus den Jahren 1917/18. Es war wohl diese Ehrenerklärung für die SPD, die Cossmann dazu veranlasste, den Vorwurf des "Dolchstoßes" im weiteren Verlauf des Prozesses wiederholt auf die [[Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), 1917-1922|Unabhängigen Sozialisten]] einzuschränken.
Die Strategie beider Seiten lief darauf hinaus, die Dolchstoß-These durch sechs Gutachter und insgesamt 25, teilweise prominente Zeugen zu belegen bzw. zu entkräften. Neue Belege konnten von keiner Seite ins Feld geführt werden; faktisch folgte die Auseinandersetzung den Argumentationslinien der Beiträge in den [[Süddeutsche Monatshefte|Süddeutschen Monatsheften]]. Die Unmöglichkeit, die zeitlich noch nahe liegenden historischen Ereignisse juristisch aufklären zu wollen, wurde offensichtlich. Eine für den weiteren Verlauf der Verhandlung wichtige Aussage machte allerdings der Generalleutnant a. D. und von 1920 bis 1923 amtierende Reichsverkehrsminister [[Person:118542354|Wilhelm Groener]]{{#set:PND=118542354}} (1867-1939). Dieser offenbarte hier erstmals zwei wichtige politische Absprachen zwischen der Obersten Heeresleitung und der Führung der Mehrheitssozialisten aus den Jahren 1917/18. Es war wohl diese Ehrenerklärung für die SPD, die Cossmann dazu veranlasste, den Vorwurf des "Dolchstoßes" im weiteren Verlauf des Prozesses wiederholt auf die [[Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD), 1917-1922|Unabhängigen Sozialisten]] einzuschränken.


== Gutachter und Zeugen ==
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== Das Urteil und die Reaktionen ==
== Das Urteil und die Reaktionen ==


Am 9. Dezember 1925 wurde Martin Gruber der Beleidigung und der üblen Nachrede schuldig gesprochen. Der Richter räumte ein, dass die "Süddeutschen Monatshefte" zahlreiche Irrtümer und Unrichtigkeiten enthalten hätten. Der Vorwurf einer bewussten "Geschichtsfälschung" durch Cossmann sei aber nicht nachweisbar und ehrverletzend. Schon vor dem Urteil hatten beide Seiten Dokumentationen der Verhandlungen publiziert. Das Urteil interpretierten nun beide Prozessparteien als Erfolg: Die Unterstützer des Klägers sahen das strafrechtliche Urteil als Bestätigung der historischen Bewertung. Die Partei des Angeklagten verwies auf die Erosion des ursprünglichen Vorwurfs im Lauf der Verhandlung.
Am 9. Dezember 1925 wurde Martin Gruber der Beleidigung und der üblen Nachrede schuldig gesprochen. Der Richter räumte ein, dass die Süddeutschen Monatshefte zahlreiche Irrtümer und Unrichtigkeiten enthalten hätten. Der Vorwurf einer bewussten "Geschichtsfälschung" durch Cossmann sei aber nicht nachweisbar und ehrverletzend. Schon vor dem Urteil hatten beide Seiten Dokumentationen der Verhandlungen publiziert. Das Urteil interpretierten nun beide Prozessparteien als Erfolg: Die Unterstützer des Klägers sahen das strafrechtliche Urteil als Bestätigung der historischen Bewertung. Die Partei des Angeklagten verwies auf die Erosion des ursprünglichen Vorwurfs im Lauf der Verhandlung.


== Fazit ==
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== Externe Links ==
 
* [https://www.dhm.de/lemo/bestand/objekt/dolch1 Deutsches Historisches Museum - Lebendiges Museum Online: Titelblatt des ersten "Dolchstoß"-Heftes der Süddeutschen Monatshefte vom April 1924]


== Verwandte Artikel ==
== Verwandte Artikel ==
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== Empfohlene Zitierweise ==
== Empfohlene Zitierweise ==
Markus Pöhlmann, Dolchstoßprozess, München, 1925, publiziert am 26.09.2016; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <span class="url"><nowiki><https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Dolchstoßprozess,_München,_1925></nowiki></span>  ({{CURRENTDAY}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})
Markus Pöhlmann, Dolchstoßprozess, München, 1925, publiziert am 26.09.2016; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Dolchstoßprozess,_München,_1925>  ({{CURRENTDAY}}.{{CURRENTMONTH}}.{{CURRENTYEAR}})


[[Kategorie:Bayerische Geschichte| ]] [[Kategorie:1918 bis 1933]] [[Kategorie:Kriegerische Auseinandersetzungen und Folgen]] [[Kategorie:Politik]] [[Kategorie:Rechtssystem]]  
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Version vom 5. Oktober 2023, 14:17 Uhr

Der Justizpalast in München (Karlsplatz, Stachus) auf einer Postkarte um 1930. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-002717)
Wilhelm Groener beim Verlassen des Justizpalastes. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann, hoff-5804)
Joseph von Pestalozza (1868-1930) und Paul Nikolaus Cossmann (beide im Profil) vor dem Justizpalast. (Bayerische Staatsbibliothek, Fotoarchiv Hoffmann, hoff-5805)
Titelblatt der Süddeutschen Monatshefte, April 1924

von Markus Pöhlmann

Beim "Dolchstoßprozess" handelte es sich um einen zwischen dem 19. Oktober und dem 9. Dezember 1925 vor dem Münchner Amtsgericht durchgeführten Strafprozess. Dort war der Redakteur der sozialdemokratischen Tageszeitung Münchener Post, Martin Gruber (1866-1936), wegen Beleidigung und übler Nachrede angeklagt. Als Kläger trat der Herausgeber der nationalistisch ausgerichteten Zeitschrift Süddeutsche Monatshefte, Paul Nikolaus Cossmann (1869-1942), auf. Der Prozess endete mit einer Verurteilung des Angeklagten zu einer Geldstrafe von 3.000 Reichsmark. Die Bedeutung des Prozesses lag nicht im eigentlichen Gegenstand der Verhandlung; vielmehr strebten beide Parteien danach, über das öffentliche Forum die innenpolitisch umstrittene Frage nach den Ursachen der militärischen Niederlage im Ersten Weltkrieg in ihrem Sinne zu klären.

Die Ursachen der Niederlage von 1918 und die "Dolchstoß"-Legende

Als eines der frühesten und virulentesten Erklärungsmuster für die deutsche Niederlage im Ersten Weltkrieg kann die im konservativen Lager der Weimarer Republik vertretene Auffassung gelten, dass der Krieg 1918 nicht aus militärischen Gründen verloren gegangen sei. Vielmehr seien Heer und Marine den defätistischen Haltungen und subversiven Handlungen in der Heimat zum Opfer gefallen. Die Popularisierung des suggestiven Schlagworts vom "Dolchstoß" in den Rücken der Armee geht auf eine Aussage des letzten Chefs der Obersten Heeresleitung, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg (1847-1934), zurück, die dieser am 18. November 1919 vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss gemacht hatte.

Der Pressekrieg von April/Mai 1924

Im Vorfeld der Reichstagswahlen am 4. Mai 1924 hatte der konservative Publizist Nikolaus Cossmann (1869-1942) zwei Themenhefte zur Niederlage von 1918 veröffentlicht, mit denen er die These durch prominente Gastbeiträge zu erhärten und damit die politische Linke im Wahlkampf zu diskreditieren suchte. Daraufhin veröffentlichte die Münchener Post eine Reihe von Artikeln, in denen Martin Gruber (1866-1936), der bis zum Ende der Legislaturperiode ein Reichstagsmandat für die SPD innehatte, Cossmann unter anderem der "Wahllüge und Geschichtsfälschung" bezichtigte. Auch enthielten die Artikel antisemitische Ausfälle gegen den vom Judentum zum Katholizismus konvertierten Cossmann. Wegen des Vorwurfs der "Geschichtsfälschung" stellte dieser daraufhin Strafantrag gegen Gruber.

Prozessbeginn

Die am 19. Oktober unter großem öffentlichem Interesse eröffnete Verhandlung leitete Amtsgerichtsdirektor Albrecht Frank (1874-1947). Dieser galt in den Augen der Beklagtenpartei aufgrund seiner vorangegangenen Verhandlungsführung in dem ähnlich gelagerten "Kriegsschuldprozess" von 1922 als Gewährsmann der politischen Rechten. Als Anwalt des Klägers trat Anton Graf von Pestalozza (1877-1938) auf; Gruber wurde durch Rechtsanwalt Max Hirschberg (1883-1964) vertreten.

Die Strategie beider Seiten lief darauf hinaus, die Dolchstoß-These durch sechs Gutachter und insgesamt 25, teilweise prominente Zeugen zu belegen bzw. zu entkräften. Neue Belege konnten von keiner Seite ins Feld geführt werden; faktisch folgte die Auseinandersetzung den Argumentationslinien der Beiträge in den Süddeutschen Monatsheften. Die Unmöglichkeit, die zeitlich noch nahe liegenden historischen Ereignisse juristisch aufklären zu wollen, wurde offensichtlich. Eine für den weiteren Verlauf der Verhandlung wichtige Aussage machte allerdings der Generalleutnant a. D. und von 1920 bis 1923 amtierende Reichsverkehrsminister Wilhelm Groener (1867-1939). Dieser offenbarte hier erstmals zwei wichtige politische Absprachen zwischen der Obersten Heeresleitung und der Führung der Mehrheitssozialisten aus den Jahren 1917/18. Es war wohl diese Ehrenerklärung für die SPD, die Cossmann dazu veranlasste, den Vorwurf des "Dolchstoßes" im weiteren Verlauf des Prozesses wiederholt auf die Unabhängigen Sozialisten einzuschränken.

Gutachter und Zeugen

Die Gutachter waren in der Mehrzahl aus dem von 1919 bis 1929 arbeitenden 4. Unterausschuss des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Reichstages verpflichtet worden, der sich ebenfalls mit den Ursachen der Niederlage von 1918 befasste. Ihre Positionen waren also bekannt und stützten – entsprechend der Verpflichtung – die jeweilige Prozesspartei. So stellte der Berliner Historiker Hans Delbrück (1848-1929) den "Dolchstoß" in Frage, während mit dem Potsdamer Reichsarchivar Erich Otto Volkmann (1879-1938) ein Verfechter der These auftrat.

Unter den Zeugen befanden sich prominente Politiker und Militärs, so der frühere Reichskanzler Philipp Scheidemann (1865-1939), sein Kabinettskollege und Reichswehrminister von 1919/20 Gustav Noske (1868-1946), der Chef des Stabes der kaiserlichen Hochseeflotte während der Matrosenrevolte, Vizeadmiral a. D. Adolf von Trotha (1868-1940), und der bekannte Militärpublizist und General der Infanterie a. D. Hermann von Kuhl (1856-1958), im Krieg Chef des Generalstabes der Heeresgruppe von Kronprinz Rupprecht von Bayern (1869-1955).

Das Urteil und die Reaktionen

Am 9. Dezember 1925 wurde Martin Gruber der Beleidigung und der üblen Nachrede schuldig gesprochen. Der Richter räumte ein, dass die Süddeutschen Monatshefte zahlreiche Irrtümer und Unrichtigkeiten enthalten hätten. Der Vorwurf einer bewussten "Geschichtsfälschung" durch Cossmann sei aber nicht nachweisbar und ehrverletzend. Schon vor dem Urteil hatten beide Seiten Dokumentationen der Verhandlungen publiziert. Das Urteil interpretierten nun beide Prozessparteien als Erfolg: Die Unterstützer des Klägers sahen das strafrechtliche Urteil als Bestätigung der historischen Bewertung. Die Partei des Angeklagten verwies auf die Erosion des ursprünglichen Vorwurfs im Lauf der Verhandlung.

Fazit

Rückblickend hatte der Münchner "Dolchstoßprozess" drei Ergebnisse gezeitigt: erstens die Einsicht in die Unmöglichkeit einer juristischen Klärung derart komplexer historischer Sachverhalte. Zweitens hatte die "Dolchstoß"-These nach dem Münchner Urteil - allen Bekundungen ihrer Verfechter zum Trotz - in der breiten Öffentlichkeit an Überzeugungskraft verloren. Sie war von nun an auf einen Vorwurf gegen die Unabhängigen Sozialisten zusammengeschrumpft und als ein Grund unter mehrere zurückgetreten. Drittens hatte der Prozess zu einer deutlichen argumentativen Ermüdung der innenpolitischen Lager geführt. Mit der zeitgleich beginnenden Konsolidierung der Republik traten die Themen Krieg, Niederlage und Revolution nun stärker in den Hintergrund.

Literatur

  • Boris Barth, Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914-1933, Düsseldorf 2003.
  • Wilhelm Deist, Der militärische Zusammenbruch des Kaiserreiches. Zur Realität der "Dolchstoßlegende", in: ders., Militär, Staat und Gesellschaft. Studien zur preußisch-deutschen Militärgeschichte, München 1991, 211-233.
  • Friedrich Freiherr Hiller von Gaertringen, "Dolchstoß"-Diskussion und "Dolchstoßlegende" im Wandel von vier Jahrzehnten, in: Waldemar Besson/ders. (Hg.), Geschichte und Geschichtsbewußtsein. Historische Betrachtungen und Untersuchungen. Festschrift für Hans Rothfels zum 70. Geburtstag dargebracht von Kollegen, Freunden und Schülern, Göttingen 1963, 122-160.
  • Joachim Petzold, Die Dolchstoßlegende. Eine Geschichtsfälschung im Dienst des deutschen Imperialismus und Militarismus, Berlin (Ost) 1963.
  • Rainer Sammet, "Dolchstoss". Deutschland und die Auseinandersetzung mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg (1918-1933), Berlin 2003.

Quellen

  • Der Dolchstoss-Prozess in München. Oktober-November 1925. Eine Ehrenrettung des deutschen Volkes. Zeugen- und Sachverständigen-Aussagen. Eine Sammlung von Dokumenten, München 1925.
  • Der Dolchstoßprozeß in München vom 19. Oktober bis 20. November 1925. Verhandlungsberichte und Stimmungsbilder von Ewald Beckmann nach seinen Berichten in der Münchener Zeitung, München 1925.
  • Süddeutsche Monatshefte 21/7 (1924) (Themenheft "Der Dolchstoß").
  • Süddeutsche Monatshefte 2/8 (1924) (Themenheft "Die Auswirkung des Dolchstoßes. Neue Dokumente").

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Markus Pöhlmann, Dolchstoßprozess, München, 1925, publiziert am 26.09.2016; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Dolchstoßprozess,_München,_1925> (31.10.2024)