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Treueid (Frühmittelalter)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Schwurszene mit Reliquiar aus dem sog. Heidelberger Sachsenspiegel. Ostmitteldeutschland, Anfang 14. Jahrhundert. (Universitätsbibliothek Heidelberg, Cod. Pal. germ. 164, fol.3r (Detail), gemeinfrei)

von Matthias Becher

Der Treueid des frühen Mittelalters war ein allgemeiner Untertaneneid und diente der Loyalitätsversicherung in einem hierarchischen Verhältnis zwischen dem Herrscher und seinen Untertanen. Soweit erkennbar liegen seine Ursprünge in der Antike. Allgemeine Vereidigungen sind in den Nachfolgereichen des Römischen Reichs, bei Ost- und Westgoten, bei Langobarden und insbesondere im Frankenreich belegt. Neue Bedeutung gewann der Treueid unter den Karolingern im Zuge der Unterwerfung der Randregionen des Frankenreichs, wozu im späten 8. Jahrhundert auch Bayern zählte. Die postulierte Treueidleistung des letzten Agilolfingerherzogs Tassilos III. und sein angeblicher Eidbruch wurden nachträglich zum Majestätsverbrechen stilisiert, das dessen Sturz ermöglichte. Waren die allgemeinen Untertanenvereidigungen für Karl den Großen von 789, 802, 805 und vor seinem Tod ein unverzichtbares Machtinstrument, dem sein Sohn, Ludwig der Fromme, noch folgte, verlor der allgemeine Treueid Ende des 9. Jahrhunderts an Bedeutung und machte einer neuen Ordnung Platz, die die Macht des Adels stärkte.

Definition

Ein Eid im Allgemeinen ist die feierliche Beteuerung eines Versprechens oder einer Aussage, die meist in rituellen und sprachlich vorgegebenen Formen erfolgt und durch die Einbeziehung einer höheren Gewalt (Gott) besonderen Anspruch auf Gültigkeit und Wahrhaftigkeit erhebt (Esders, Art. ‚Schwur‘, 30). Allgemein kann der Eid auch als „Instrument des Vertrauens“ bezeichnet werden (Behrmann, Instrument). Der Treueid im speziellen gehört zu den promissorischen (ein Versprechen abgebenden) Eiden, mit dem das künftige Verhalten des Schwörenden geregelt wird, während ein assertorischer (die Wahrheit versichernder) Eid als Beweismittel vor Gericht dient. Als Treueid wird allgemein ein Schwur bezeichnet, „mit dem Einzelpersonen oder politische Verbände versprechen, einer Person und der durch diese repräsentierten Herrschaft oder einer politischen Körperschaft treu zu sein“ (Holenstein, Treueeid, 470). Mit ihm wird „stets ein Unterordnungsverhältnis begründet“ (Eckardt, Untersuchungen, 3).

Synonym mit Treueid kann der Begriff ‚Huldigung‘ (von mhd. hulde ‚Geneigtheit‘, ‚Treue‘), verwendet werden, die als „die durch Eid oder andere Anerkennungshandlungen vollzogene Treuebindung von Untertanen an ihren Herrn“ definiert wird (Diestelkamp, Huldigung, 262). Die Huldigung wird begrifflich aber oft auch auf den anlässlich einer Herrschaftsübernahme geleisteten Treueid eingegrenzt und damit von allgemeinen Untertaneneiden unterschieden (Kolmer, Eide, 90). Gegen eine scharfe begriffliche Trennung spricht, dass sich ein Herrschaftsantritt als fortgesetzter Akt über einen längeren Zeitraum erstrecken konnte (ebd.), Treueide also auch noch deutlich später eingeholt werden konnten. In karolingischer Zeit wurden Treueide wiederholt eingefordert, um auf geänderte Rahmenbedingungen zu reagieren und insbesondere Personen zu verpflichten, die zum Zeitpunkt des Herrschaftsantritts noch zu jung für das Leisten des Treueids gewesen waren und ihn bei Erreichen der Volljährigkeit nachzuholen hatten.

Ursprünge der Treueidleistung

Die Herkunft des Treueids war in der Forschung lange Zeit umstritten, einerseits galt er als Weiterentwicklung römischer Vorbilder (Brunner, Rechtsgeschichte, 78; Müller, Huldigung, 6) andererseits wurde der Treueid und allgemeiner die Treue als zentraler Begriff der germanisch geprägten mittelalterlichen Verfassung (Schlesinger) angesehen. Jüngst wird wieder eher die Kontinuität zur Spätantike betont (Becher, Eid, 104ff.; Esders, Grundlagen, 424f.). Auch wurde zwischen einem spezifischen Gefolgschafts- oder Vasalleneid und einem Untertaneneid unterschieden (Dumas, Le serment; Lot, Le serment; Odegaard, Vassi), während die aktuelle Forschung für die vorkarolingische Zeit lediglich von Untertaneneiden ausgeht (Holenstein, Huldigung, 115ff.; anders Kienast, Vasallität, 46ff.) und diese als Vorbild für andere Versicherungen der Loyalität ansieht.

Tacitus erwähnt bei der Beschreibung der Pflichten des Gefolgsmannes tatsächlich keinen Eid (Germania, c. 14). Vermutlich war ein stark formalisierter Treuschwur auch in kleineren Gruppen wie den germanischen Gefolgschaften nicht notwendig, weil der unmittelbare persönliche Kontakt zur Sicherung der Loyalität ausgereicht haben dürfte, ergänzt um wirtschaftliche Abhängigkeit und materielle Anreize (Graus, Treue, 105ff.). Ein Eid der königlichen Gefolgsleute (Antrustionen) etwa bei den Franken ist erst nach Errichtung ihres Großreiches bezeugt (Kuhn – Wenskus, Antrustio). Aber auch die römische Vorgeschichte bleibt undeutlich, weil der allgemeine Untertaneneid in Rom bereits im 2. nachchristlichen Jahrhundert an Bedeutung verlor (Claude, Königs- und Untertaneneid, 358f.; Kienast, Vasallität, 44f.). Zentral war hier die beschworene Zusage, gegenüber dem Kaiser loyaler zu sein als gegenüber der eigenen Familie (Herrmann, Kaisereid).

Vermutlich gingen die frühmittelalterlichen Treueide konkret auf den römischen Fahneneid zurück (Becher, Eid, 106ff.; Esders, Grundlagen, 424f.; Graf, Untertaneneid). Diesen hatten auch die in römische Dienste eintretenden Angehörigen fremder Völker zu leisten, ganz gleich ob sie dies als Einzelpersonen oder in größeren Gruppen taten. Diese Praxis könnte auch jenseits der Reichsgrenze vorbildhaft für das Ablegen von Treueiden gewesen sein. Entscheidend ist jedoch, dass die auf ehemals römischem Territorium entstandenen Reiche in aller Regel von Völkern errichtet wurden, die zumindest zeitweise in römischen Diensten gestanden hatten.

Treueide in den sogenannten Poströmischen Regna

Pippin der Jüngere, fränkischer König ab 751. Miniatur, Ekkehardi Historia, Würzburg, ca. 1112-1114, MS 373, fol. 14, The Parker Library, Corpus Christi College, Cambridge. (The Parker Library, Corpus Christi College, Cambridge lizenziert durch CC BY-NC 4.0 Deed, bearbeitet)

Im Ostgotenreich ließ Theoderich der Große (451-526, reg. 474-526) noch vor seinem Tod Goten und Römer auf seinen Nachfolger Athalarich (516-534, reg. 526-534) vereidigen. Die Bewohner der Provence leisteten diesem nach dessen Regierungsantritt 526 den Treueid (Cassiodor, Variae, VIII, 5,1 u. 6,2f.). Im Westgotenreich waren Treueide anscheinend ebenfalls üblich. Das Vierte Konzil von Toledo beklagte 633, es gäbe viele Völker, welche die den Königen geleisteten Treueide nicht einhielten, weshalb jeder, der den auf Volk, Vaterland und König (gens, patria, rex) geleisteten Eid breche, dem Anathem (Kirchenbann) verfallen sollte. (Concilios Visigóticos, Nr. 21, c. 75). Auch spätere Konzilien und erzählende Quellen belegen die von allen freien Männern, Goten und Romanen, zu leistenden Treueide, die sogar schriftlich fixiert und unterzeichnet wurden (Claude, Königs- und Untertaneneid, 361ff.; Esders, Der westgotische Treueid). Dieser Organisationsaufwand dürfte eher ein römisches, denn ein germanisches Erbe sein und zeigt den hohen Organisationsgrad des Westgotenreiches. Im Langobardenreich ist ein Treueid sicher erst für die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts belegt, wurde aber vermutlich schon vorher eingefordert (Schneider, Königswahl, 57f.).

Im Frankenreich sind Treueide vergleichsweise gut belegt. Laut Gregor von Tours (538/539-593/594) soll der Prätendent Munderich (um 500-532/533) sein Vorgehen, mit dem er seine Ansprüche dem regierenden König Theuderich I. (vor 484-533, reg. 511-533) deutlich machen wollte, wie folgt beschrieben haben: „Ich werde ausziehen und mein Volk sammeln und mir von ihm huldigen lassen, daß Theuderich wisse, ich bin ein König so gut wie er.“ (Gregor v.T., Hist. III, 14, 110). Während der merowingischen Bruderkriege in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts forderten die rivalisierenden Könige den Treueid immer wieder von den Bewohnern der umkämpften Städte ein. In den Formulae Marculfi ist das Urkundenformular für die Einsetzung eines (Unter-)Königs erhalten, bei der der König den Grafen anwies, die gesamte Bevölkerung seines Sprengels zu vereidigen (Formulae, 68). Auch hier deutet die Schriftlichkeit eher auf ein römisches als auf ein germanisches Vorbild hin. Dank der zahlreichen Berichte über die Vereidigung kann auch das damals verbreitete Treueidformular rekonstruiert werden (Becher, Eid, 88-194).

In der späten Merowingerzeit sind keine Treueide mehr bezeugt. Zum einen ist die Quellenlage erheblich schlechter, zum anderen wurde das Frankenreich in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts durch die Kämpfe rivalisierender Adelsgruppen erschüttert, was wohl zu einer Entwertung des Treueids führte. Treueide begegnen erst wieder im Zuge der Unterwerfung der Randregionen des Frankenreiches durch die frühen Karolinger. Sie wurden nach den pro-karolingischen Quellen gegenüber den Hausmeiern geleistet, offiziell aber vermutlich (auch) den merowingischen Königen. Anlässlich des Dynastiewechsels von 751, bei dem Pippin der Jüngere (714-768, reg. 741/751-768) auf den Thron gelangte, war die subiectio principum ein zentraler Akt, der zudem als traditioneller Bestandteil der Königserhebung bezeichnet wird: [...], ut antiquitus ordo deposcit (Contin. Fredegarii, c. 33, 182). Diese Huldigung leisteten aber allem Anschein nach lediglich die bei der Königserhebung Pippins anwesenden Großen.

Die karolingischen Treueide

Die erste allgemeine Vereidigung von 789

Unter Pippin dem Jüngeren und in den ersten Jahren Karls des Großen (748-814, reg. 768-814, ab 800 Kaiser) scheint es dabei geblieben zu sein, dass eine Loyalitätsbekundung zwar sicher anlässlich der Königserhebung, aber ansonsten nicht systematisch eingefordert wurde. Daher konnten sich im Jahr 786 einige Teilnehmer einer Verschwörung gegen den König mit dem Argument rechtfertigen, sie hätten dem König keinen Treueid geleistet. Deswegen verfügte der Frankenkönig 789 eine allgemeine Treueidleistung, die im entsprechenden Erlass als altes Herkommen, antiqua consuetudo, bezeichnet wird (Capit. I, Nr. 25, 66f.). Sowohl das Treueidformular (Capit. I, Nr. 23, 63) als auch Ausführungsbestimmungen sind überliefert, in denen ganz genau festgelegt wurde, dass der Eid sowohl von Bischöfen und Grafen als auch vom allgemeinen Volk, der cuncta generalitas populi, zu leisten war; ihre Namen sollten in Listen verzeichnet werden ebenso wie die Namen der Eidverweigerer (Capit. I, Nr. 25, 66f.). Dass dies trotz einer nur gering ausgeprägten Schriftlichkeit tatsächlich auch umgesetzt wurde, zeigt eine Liste, die sich aus der Zeit Ludwigs des Frommen (778-840, reg. 814-840) erhalten hat. In ihr sind rund 160 Namen verzeichnet, deren Träger den Treueid geleistet hatten (Capit. I, Nr. 181, 377f.).

Der für 757 postulierte Treueid Tassilos III. von Bayern

Um 789 war die Frage der Loyalität noch aus einem anderen Grund von so großer Bedeutung, dass Karl der Große sich zu dieser allgemeinen Vereidigung veranlasst sah. Mit dem Sturz Herzog Tassilos III. von Bayern (741-ca. 796, reg. 748-788/94) hatte der König sie nur ein Jahr zuvor deutlich in den Mittelpunkt seines Handelns gestellt. 787 hatte er den Herzog durch militärischen Druck nicht nur zu einem Treueid gezwungen, sondern auch dazu, Bayern von ihm zu Lehen zu nehmen. Ein Jahr später setzte der Frankenkönig den Herzog wegen einer angeblichen Verletzung der Treue- und Vasallenpflichten im Rahmen eines Schauprozesses in Ingelheim ab und ließ ihn in Klosterhaft nehmen. Als Grundlage der Vorwürfe wurden weiter zurückliegende „Eide“ herangezogen, die Tassilo angeblich Karls Vater Pippin geleistet hatte und die er im Jahr 763 missachtet hätte, als er böswillig die Reichsversammlung König Pippins in Nevers verließ und die Heerfolge verweigerte (harisliz). (Annales regni Francorum, a. 763, 20 u. 22).

Für die Mit- und Nachwelt wurden die Vorgänge aus der Sicht des Königs in den sogenannten fränkischen Reichsannalen festgehalten. Diese Quelle wurde um 790 am Königshof oder in dessen Umfeld verfasst und bietet eine offiziöse Darstellung der fränkischen Geschichte der zurückliegenden rund 50 Jahre. Die Annalen bezeugen ein außerordentliches Interesse an Tassilo und dessen den Frankenkönigen angeblich oder tatsächlich geleisteten Treueiden und stellen dabei einen Zusammenhang zu dessen Verurteilung im Jahr 788 her. Ob diesen Berichten die Prozessakten von 788 oder eine nachträgliche Rechtfertigungsschrift zugrunde gelegen haben, steht zur Diskussion (Classen, Bayern). Weitere Untersuchungen haben gezeigt, dass die einschlägigen Berichte der Reichsannalen teils völlig gefälscht, teils stark verfälscht sind, um die Absetzung des Herzogs und die Eingliederung Bayerns in das Frankenreich zu rechtfertigen (Becher, Eid). Die Reichsannalen berichten von Tassilos Teilnahme an einer Reichsversammlung in Compiègne im Jahr 757 und steigern dabei seine Treuepflicht gleichsam ins Unermessliche: Gleich zweimal sei der Herzog Vasall des Frankenkönigs geworden, einmal sogar unter Einbeziehung seiner Söhne. Tassilo habe wiederholt zahllose Eide auf die Reliquien aller wichtigen fränkischen Heiligen (Dionysius, Rusticus, Eleutherius, Germanus und Martin) geleistet und damit zu Bürgen seiner Vasallentreue gemacht.

Mehrere Beobachtungen wecken Zweifel an diesem Bericht: Der Verfasser der Reichsannalen handelt Tassilos Treueschwur erheblich ausführlicher ab als andere, bedeutendere Ereignisse der fraglichen Zeit, wie insbesondere den Sturz der merowingischen Dynastie und den Wechsel hin zu den Karolingern mit der Thronerhebung Pippins im Jahr 751. Umso erstaunlicher ist, dass Tassilos angeblicher Vasalleneid von 757 von keinem anderen zeitgenössischen Geschichtswerk zur Kenntnis genommen wurde, weder von der ebenfalls hofnahen Fortsetzung der Fredegarchronik noch von den Autoren der sogenannten kleineren Annalen. Diese berichten hingegen, dass Tassilo bereits im März 755 auf einer Versammlung seines Onkels erschienen war und ein Jahr später an dessen Feldzug gegen die Langobarden teilgenommen hatte. Des Weiteren muss im Bericht der Reichsannalen die anachronistische Betonung der Vasallität auffallen, da die Vasallen des 8. Jahrhunderts allgemein noch keineswegs dem höchsten Adel entstammten, sondern eher einfachen, teilweise sogar unfreien Schichten. Die postulierte Vasallität sollte also aus der Perspektive der Zeit um 790 Tassilos Gehorsamspflicht gegenüber dem König unterstreichen.

Der Bericht der Reichsannalen war daher kein Bericht über das Geschehen des Jahres 757, und selbst die Anwesenheit Tassilos in Compiègne ist zweifelhaft, da diese Nachricht von keiner anderen Quelle gestützt wird. Diese Vorbehalte gelten auch für die Annahme eines historischen Kerns des Berichts, etwa eine „einfache“ Treueidleistung des Herzogs im Jahr 757 (so Deutinger, Zeitalter der Agilolfinger, 163f.). Sollte Tassilo dem König, der zugleich sein Onkel war, überhaupt persönlich einen Treueid geleistet haben, dann vermutlich bei ihrem ersten Zusammentreffen 755.

Der Bericht der Reichsannalen über Tassilos Treueid von 757 diente nicht nur der Legitimierung der Unterwerfung Bayerns unter die karolingische Herrschaft, sondern auch als Exempel für das grundsätzliche Verhältnis von König und Adel. Das Beispiel Tassilos sollte dem fränkischen Adel unmissverständlich demonstrieren, dass das Verhältnis von König und Adel durch das Prinzip von Befehl und Gehorsam strukturiert sein sollte und dass vor allem die militärische Beteiligung an den Kriegen des Königs eine absolute Verpflichtung darstellte. Gerade Tassilo, der aus einer den Arnulfingern gleichwertigen, wenn nicht gar überlegenen Familie stammte, war zur Illustrierung dieses königlichen Anspruchs besonders geeignet.

Die zweite allgemeine Vereidigung 802

Silberdenar Karls des Großen mit Karl als Kaiser auf der Vorder- und einer viersäuligen Kirche auf der Rückseite, ca. 813-14. (Staatliche Museen zu Berlin, Münzkabinett, 18202748, gemeinfrei)

Die Erhebung Karls des Großen zum Kaiser am Weihnachtstag des Jahres 800 veranlasste ihn, erneut eine allgemeine Vereidigung durchzuführen: 802 forderte er den Treueschwur von jedem Mann in seinem Reich ein, der das zwölfte Lebensjahr vollendet hatte, gleich ob Kleriker oder Laie. Es genügte dem Herrscher nicht, dass der Treueid von 789 auf das nomen regis, also auf ihn als König, geleistet worden war, nun sollte der Schwur dem nomen caesaris gelten, also ihm in seiner neu errungenen Würde als Kaiser. Auch in diesem Fall sind sowohl Treueidformulare (Capit. I, Nr. 34, 101f.) als auch Ausführungsbestimmungen erhalten (Capit. I, Nr. 33, 91ff.).

Die Treueidformulare enthalten allgemein bestimmte Wendungen, die in ihrer Zusammenstellung variieren konnten, aber immer wieder verwendet wurden. Der Wortlaut lässt auch Rückschlüsse auf die performativen Akte zu, welche die Eidleistung begleiteten. Wie in römischer Zeit wurde der Eid selbst als sacramentum bezeichnet und damit dessen heiliger Charakter unterstrichen, während ein einfaches Versprechen im Allgemeinen lediglich eine promissio war. Der bindende Charakter wird unterstrichen, indem der Herrscher und der Eidleistende als partes, als Vertragspartner, bezeichnet werden. Der Treueid konnte zusätzlich auch dem Sohn oder den Söhnen des Königs gelten wie 789. Dreizehn Jahre später galt die beschworene Treue allein dem neu erhobenen Kaiser. Zum Schutz vor Meineiden enthielten die Formeln eine Arglistklausel (sine fraude et malo ingenio). Das durch den Schwur geschaffene Verhältnis wird mit dem Verhältnis zwischen einem Herrn und dessen Untergebenen verglichen, wobei auf das allgemeine Rechtsempfinden verwiesen wird. Die Verpflichtung gilt der königlichen Stellung des Herrschers und seiner Leitungsgewalt, was 802 durch den honor regni Kaiser Karls ersetzt wird. Am Ende erfolgt noch einmal eine ausdrückliche Berufung auf Gott und der Schwörende spricht die von ihm während der Eidesleistung berührten Reliquien an. Da die gesamte männliche und mündige Reichsbevölkerung zu dieser Loyalitätsbekundung verpflichtet war, wurden die Eide von Stellvertretern abgenommen.

Die Ausführungsbestimmungen des Jahres 802 dienten vor allem der inhaltlichen Festlegung dessen, was unter dem an sich sehr schwammigen Begriff der Treue zu verstehen sein sollte. Es gab anscheinend die Auffassung, es genüge, das Leben des Kaisers nicht zu bedrohen, keine Feinde ins Reich zu rufen und solchen Taten nicht zuzustimmen. Stattdessen habe sich der vereidigte Getreue des Kaisers stets nach Gottes Gebot zu verhalten, den Besitz des Kaisers zu respektieren, die Schwachen zu schützen und Gehorsam gegenüber den Befehlen des Kaisers zu wahren.

Schon Otto Brunner (1898-1982) stellte eine inhaltliche Erweiterung des Treuebegriffs gegenüber 789 fest. Durch die Aufnahme moralischer Kategorien sei aber auch eine Verflachung eingetreten (Brunner, Rechtsgeschichte, 82). Große Teile der Forschung sind ihm in dieser Einschätzung grundsätzlich gefolgt, sahen aber keine Verflachung des Treuebegriffs (Ganshof, Oath, 116; Schlesinger, Randbemerkungen, 324f.; Graus, Treue, 102). Allerdings warnte Otto Brunner davor, moderne Kategorien auf das Mittelalter zu übertragen (Brunner, Moderner Verfassungsbegriff, 13). Im Anschluss daran konstatierte Josef Fleckenstein (1919-2004), die Forderungen des Jahres 802 hätten auf einer höheren Ebene der Integration des Reiches gedient (Fleckenstein, Das großfränkische Reich, 21). Diesem Ziel diente die eindeutig zu konstatierende Intensivierung des Treuebegriffs (Becher, Eid, 88ff., 195ff.).

Weitere Vereidigungen der Karolingerzeit und Ausblick

Ein zentrales Problem waren die Männer, die bei der allgemeinen Treueidleistung von 802 das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, aber in den folgenden Monaten und Jahren dieses Alter erreichten. Nur drei Jahre später, 805, erging ein entsprechender Befehl (Capit. I, Nr. 44 c. 9, 124). Ein Jahr später verlangte Karl den Treueid erneut von allen, welche ihm bislang die Treue noch nicht gelobt hatten. Diese Vereidigung steht in engem Zusammenhang mit der Regelung seiner Nachfolge von 806, der Divisio regnorum, zu der alle nach dem Willen des Herrschers ihre Zustimmung durch ein Gelübde ausdrücken sollten (Capit. I, Nr. 46 c. 2, 131). Die Großen des Reiches, die mit Karl über diese Bestimmungen verhandelt hatten, waren unmittelbar danach vereidigt worden (Annales regni Francorum, a. 806, 121).

Gegen Ende seiner Herrschaft forderte Karl erneut von allen Angehörigen seines Reiches einen Treueid ein (Capit. I, Nr. 80 c. 13, 177). Die allgemeine Vereidigung war für Karl als Herrschaftsinstrument unverzichtbar geworden, sie zeigt aber auch, wie unsicher sich der Kaiser der Loyalität seiner Untertanen war. Ludwig der Fromme setzte die Praxis seines Vaters fort. Im Westfränkischen Reich huldigten die Kronvasallen 858 erstmals mit Hilfe eines eigenen Eidformulars (Capit. II, Nr. 269, 296), während daneben auch weiterhin allgemeine Vereidigungen vorgenommen wurden (Kienast, Untertaneneid, 17). Am Ende des 9. Jahrhunderts kamen diese im gesamten Frankenreich außer Gebrauch, und der Kreis der Schwörenden verengte sich zunächst auf die bei der Königserhebung anwesenden Großen. Der ostfränkisch-deutsche König unternahm im Anschluss an die Königserhebung einen Umritt durch das Reich, um die Huldigung weiterer Adliger selbst entgegenzunehmen, während der allgemeine Treueid außer Gebrauch kam (Holenstein, Huldigung, 139ff.).

Den Angehörigen des Hochadels gelang es, sich der Loyalität ihrer Untergebenen zu versichern, was früher mit der zunehmenden Verbreitung des Lehnswesens in Verbindung gebracht wurde. Dessen Bedeutung wird zwar von der aktuellen Forschung stark relativiert (Patzold, Lehnswesen), aber das Problem bleibt, dass die Könige in nachkarolingischer Zeit allmählich den unmittelbaren Kontakt zu den Gefolgsleuten der hohen Adligen verloren. Nur selten gelang es ihnen, einen Treuevorbehalt durchzusetzen (Holenstein, Huldigung, 143), und die karolingische Praxis eines allgemeinen Treueids war etwa im 11. Jahrhundert allenfalls noch eine Reminiszenz (Esders, Charles’s stirrups). Insgesamt war das Ende der allgemeinen Treueide ein wichtiger Faktor bei der allmählichen Etablierung einer neuen Ordnung, die zumindest in Deutschland die Macht des hohen Adels und später der Fürsten gegenüber dem König stärkte.

Literatur

  • Matthias Becher, Eid und Herrschaft. Untersuchungen zum Herrscherethos Karls des Großen (Vorträge und Forschungen. Sonderband 39), Sigmaringen 1993.
  • Matthias Becher, Omnes iurent! Karl der Große und der allgemeine Treueid, in: Charlemagne: les temps, les espaces, les hommes. Construction et déconstruction d’un règne, hg. von Rolf Grosse – Michel Sot (Collection Haut Moyen Âge 34), Turnhout 2018, 183-192.
  • Matthias Becher, Die subiectio principum. Zum Charakter der Huldigung im Franken- und Ostfrankenreich bis zum Beginn des 11. Jahrhunderts“ in: Stuart Airlie/Walter Pohl/Helmut Reimitz (Hg.), Staat im frühen Mittelalter (Denkschriften der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 334 = Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 11), Wien 2006, 163-178.
  • Heiko Behrmann, Instrument des Vertrauens in einer unvollkommenen Gesellschaft. Der Eid im politischen Handeln, religiösen Denken und geschichtlichen Selbstverständnis der späten Karolingerzeit (Relectio. Karolingische Perspektiven 4), Ostfildern 2022.
  • Heinrich Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, 2. Aufl. bearb. v. Claudius v. Schwerin (Systematisches Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft), Berlin u. a. 1928.
  • Otto Brunner, Moderner Verfassungsbegriff und mittelalterliche Verfassungsgeschichte, in: Hellmut Kämpf (Hg.), Herrschaft und Staat im Mittelalter (Wege der Forschung 2), Darmstadt 1956, 1-19.
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  • Dietrich Claude, Königs- und Untertaneneid im Westgotenreich, in: Helmut Beumann (Hg.), Historische Forschungen für Walter Schlesinger, Köln 1974, 358-399.
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Quellen

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  • P. Cornelius Tacitus, Germania, ed. Erich Koestermann, in: Cornelii Taciti libri qui supersunt 2,2, Stuttgart 1970, 5-32.

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Empfohlene Zitierweise

Matthias Becher, Treueid (Frühmittelalter), publiziert am 01.02.2024; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Treueid_(Frühmittelalter)> (27.04.2024)