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Kempten, Reichsstadt

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Ansicht von Stadt und Stift Kempten auf einem Holzschnitt von Hans Abelin und Hans Rogel d. Ä., 1569. (Foto: Germanisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. SP 1551 Kaps 1100)

von Wolfgang Petz

Eine städtische Siedlung entwickelte sich wahrscheinlich im 12. Jahrhundert aus einer dem Abt des Klosters Kempten unterstehenden Marktsiedlung. Seit dem 13. Jahrhundert strebte Kempten nach einer vollen Emanzipation vom Fürststift, die es erst 1525 im Rahmen des "Großen Kaufs" erlangte. Die Rivalität und die Auseinandersetzungen mit dem Fürststift blieben allerdings bestehen. Durch das auf den Illerübergang ausgerichtete Straßennetz kam der Reichsstadt Bedeutung im regionalen und überregionalen Warenaustausch zu. Das produzierende Gewerbe in der Stadt war bis ins 17. Jahrhundert von den Webern geprägt. Bereits früh erfolgte der Anschluss an die Reformation. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Reichsstadt von kaiserlichen Truppen gestürmt und geplündert. Das 18. Jahrhundert brachte dem Fernhandel eine späte Blüte. Mediatisiert wurde Kempten 1802.

Anfänge der Stadt/Topographie

Neuere Grabungen im Bereich des ehemaligen Friedhofs um die St. Mangkirche deckten Bestattungen auf, die bis ins 7. Jahrhundert zurückreichen. Gesicherte Aussagen zur frühmittelalterlichen Topographie sind jedoch derzeit nicht möglich. Aus einer dem Abt des Klosters Kempten unterstehenden Marktsiedlung entwickelte sich vermutlich im 12. Jahrhundert eine städtische Siedlung. Ihr Zentrum dürfte auf der damaligen Insel zwischen zwei Illerarmen, nahe bei der Pfarrkirche St. Mang und unterhalb der befestigten Burghalde, zu suchen sein. Im Zuge des Wachstums der Stadt wurde der westliche der beiden Flussläufe noch im Hochmittelalter verfüllt. Die Stadtmauer des 14. Jahrhunderts umschloss bereits nicht nur den älteren Kernbereich, sondern auch Teile des angrenzenden Hochufers in unmittelbarer Nähe des Klosters. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden zwei Stadterweiterungen in die Befestigung einbezogen, die Brennergassenvorstadt (benannt nach den Harnischmachern, den "Brünnern") und die Steinrinnenvorstadt auf der östlichen Illerseite.

Entwicklung zur Reichsunmittelbarkeit

Kemptener Bürger ("cives Campidonenses") wurden erstmals 1257 erwähnt. 1289 stellte König Rudolf von Habsburg (reg. 1273-1291) der Stadt ein Privileg aus, in dem die Kompetenzen des Abts gegenüber der Bürgerschaft eingegrenzt wurden. Damit wird der Beginn einer langen und komplizierten Entwicklung fassbar, die Kempten schließlich in die Reichsunmittelbarkeit führte. Die Vogtei über die Stadt wurde bei dieser Gelegenheit als Reichsbesitz bezeichnet. Die Forschung vermutet die Ursprünge der Trennung von Kloster- und Stadtvogtei in der Zeit des Staufers Friedrich II. (reg. 1211/12-1250, als Kaiser ab 1220), an den 1213 die Vogtei über das Kloster als Lehen übertragen worden war. Dass die damit begründete Abspaltung der Stadt als eigenes Rechtssubjekt nicht zwangsläufig erfolgte, zeigte sich, als die Stadtvogtei 1310 vom Reich an das Kloster verpfändet wurde. Die Emanzipation der Bürgerschaft wurde dadurch jedoch lediglich verzögert.

Die wichtigsten Stationen auf dem weiteren Weg können hier nur auswahlhaft genannt werden. Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt vor 1340 hatten die Kemptener Bürger das Ulmer Stadtrecht erhalten. Begünstigt von der wirtschaftlichen Konjunktur bauten sie ihre Selbstverwaltungsrechte aus, wobei das Verhältnis zum Abt zwischen Konfrontation und Kompromissbereitschaft schwankte. Widersprüchlich war auch die Politik der kaiserlichen Zentralgewalt, die sich immer wieder gezwungen sah, schlichtend einzugreifen. Kaiser Karl IV. (reg. 1346-1378, als Kaiser ab 1356) bestätigte 1356 in seiner "Goldenen Bulle" den Status Kemptens als Reichsstadt, erkannte jedoch 1361 durch ein Schiedsgericht in der "Homburgischen Richtung" auch wesentliche grund- und gerichtsherrliche Rechte des Klosters an. Zur Eskalation kam es 1363, als die Bürger die im Besitz des Klosters befindliche Burghalde stürmten und zerstörten, wodurch sie sich allerdings die Ungnade des Kaisers zuzogen. Zusammen mit dem Verkauf des Streitobjekts, der Burghalde, an die Stadt 1379 musste aber der Fürstabt schließlich auch die Verfassungsentwicklung des 14. Jahrhunderts, die Einführung von Bürgermeisteramt und Zunftverfassung, akzeptieren ("Ewiger Bund"). Die Verleihung des Blutbanns an den Stadtammann 1408 und die Gewährung von Stock und Galgen 1488 bedeuteten weitere wichtige Schritte bei der Ausgestaltung der städtischen Autonomie. Als äußeres Zeichen erhielt die Stadt im letztgenannten Jahr ein neues Wappen verliehen, das ihre besondere Stellung zum Reich deutlich zum Ausdruck brachte. Der "Kölner Spruch" König Maximilians (reg. 1486-1519, als Kaiser ab 1508) von 1494 machte freilich auch deutlich, welche Einkünfte und Rechte dem Abt in Bezug auf die Stadt immer noch zustanden, so etwa die Besetzung des Stadtammannamtes und Anteile an wesentlichen Abgaben, Bußgeldern und Zöllen.

Der "Große Kauf" (1525) und die territoriale Abgrenzung

Portrait des Kemptener Bürgermeisters Gordian Seuter. Kopie aus dem 17. Jahrhundert nach einem älteren Original aus den Beständen des Allgäu-Museums Kempten. (Foto: Fotostudio Sienz, Kempten)

Die endgültige Lösung der Stadt aus allen verbliebenen Bindungen an den Abt erfolgte 1525 im "Großen Kauf". Der von seinen aufständischen Bauern bedrängte Fürstabt Sebastian von Breitenstein (reg. 1522-1535) sah sich damals genötigt, der Stadt alle verbliebenen Rechte des Klosters innerhalb der Fried- und Marksäulen gegen eine Zahlung von 30.000 Gulden abzutreten. Verhandlungsführer auf städtischer Seite war Altbürgermeister Gordian Seuter (gest. 1534).

Der Vertrag schloss den Jahrhunderte währenden Emanzipationsprozess der Bürgerschaft ab. Er bildete bis zur Mediatisierung bzw. Säkularisation durch Bayern 1802/03 die Grundlage für das Verhältnis von Reichsstadt und Fürststift. Die Territorialgrenze von 1525 verlief westlich der Iller zum Teil unmittelbar entlang des Stadtgrabens und beließ einen erheblichen Teil des bürgerlichen Grundbesitzes (die "Kaufrechtsgüter") unter der Oberhoheit des Fürstabts. Die einzige größere Außenbesitzung der Stadt, das 1541 und 1562 erworbene Dorf Weitenau bei Kimratshofen (Gde. Altusried, Lkr. Oberallgäu), wurde 1629 an das Kloster verkauft. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die konsequente Politik der Fürstäbte, die auf die Schaffung eines geschlossenen Herrschaftsraumes abzielte, letztlich die Ausformung eines größeren städtischen Territoriums erfolgreich blockierte.

Bedingt durch wirtschaftspolitische Rivalität sowie durch ihre Lage als politische und konfessionelle Enklave innerhalb des stiftischen Territoriums war die Reichsstadt auch in der frühen Neuzeit in zahllose Streitigkeiten mit dem größeren Nachbarn verstrickt. Während des Dreißigjährigen Krieges eskalierten die Konflikte und entluden sich unter anderem in der Beteiligung der Bürgerschaft an der Plünderung und Zerstörung der Stiftsgebäude 1632. Nach 1648 wurden sie vor allem in langwierigen Prozessen vor dem Reichskammergericht und vor dem Reichshofrat ausgetragen. Insbesondere bemühte sich die Reichsstadt hartnäckig, jedoch letztlich erfolglos, den Aufstieg der unmittelbar vor dem reichsstädtischen Klostertor entstandenen Marktsiedlung zur Stadt (Stiftsstadt Kempten, Stadterhebung 1713/26) zu verhindern.

Verfassung und Verwaltung

Das Rathaus der Reichsstadt Kempten (hier auf einer Fotografie um 1927) wurde 1474 errichtet. (Abb. aus: Das Land Bayern. Seine kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung für das Reich, München 1927, 127)

Eng verbunden mit der Befreiung der Bürgergemeinde vom Stadtherrn vollzog sich die Ausbildung einer städtischen Selbstverwaltung. Stadtammann und Rat sind bereits für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts bezeugt bzw. zu erschließen. Wie in anderen schwäbischen Reichsstädten erweiterte sich der zunächst exklusive Kreis der Führungsschicht im Gefolge heftiger innerer Verfassungskonflikte um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Die Handwerkerschaft forderte eine Beteiligung an der Macht und formierte sich in diesem Zusammenhang in acht Zünften (Kramer, Bäcker, Metzger, Schneider, Schmiede, Schuhmacher, Gerber und Weber). 1362 wird erstmalig ein Bürgermeister im Vorsitz des Rates erwähnt und in der Folge der vom Abt bestellte Stadtammann auf die Leitung des zwölfköpfigen Stadtgerichts beschränkt. Wohl nicht zufällig entstand in diesen Jahren das erste Rathaus (1478 durch einen Steinbau ersetzt). 1379 wurde in einer Übereinkunft mit dem Stift die Zunftverfassung betätigt; allerdings behielt sich der Abt Mitspracherechte vor. Wichtigstes Gremium war der zunächst zwölfköpfige, im ausgehenden 15. Jahrhundert jedoch 24 Mitglieder zählende "Kleine Rat". Er wurde fallweise durch die Zunftmeister bzw. die "Elfer"-Ausschüsse (die "Gemeinde") der Zünfte verstärkt ("Großer Rat"). Das Patriziat schloss sich 1419 in der zunftähnlichen Organisation der "Müßiggängel" zusammen, der späteren "Burgerstube". Neben der "Burgerstube" bestand mit der "Gesellschaft zum Strauß" ein zweiter Zusammenschluss der reichsstädtischen Oberschicht, der geselligen Zwecken diente.

Kaiser Karl V. (reg. 1519-1556) griff zwar 1551 zugunsten des Patriziats in die Verfassung ein, änderte mit der von ihm oktroyierten Ratsordnung jedoch nicht grundsätzlich den Charakter des Stadtregiments. Nach einer 1559 erfolgten weiteren Revision standen in der Frühen Neuzeit zwei Bürgermeister an der Spitze, die sich in der Leitung der Geschäfte jährlich abwechselten. Die Vertretung der Bürgerschaft war in drei Gremien organisiert: dem fünfköpfigen Geheimen Rat, der die Tagesgeschäfte führte, dem 17 weitere Mitglieder umfassenden (Kleinen) Rat und der nur fallweise hinzugezogenen "Gemeinde". Alle Ämter wurden auf Lebenszeit verliehen. Zu innenpolitischen Verwerfungen kam es vor allem in den beiden ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, als es den Webern vorübergehend gelang, wirtschaftliche Schutzbestimmungen zu ihren Gunsten zu erwirken. Im Wesentlichen blieb die Verfassung jedoch über alle Krisen hinweg bis zum Ende der Reichsstadtzeit bestehen. Vor der Erstarrung in oligarchischen Strukturen bewahrten dieses System die Wechselfälle der Ökonomie, die vor allem im 18. Jahrhundert erfolgreichen Aufsteigern den Zugang zu höchsten Ämtern der Stadt verschafften. In Reiseberichten wurde die Verwaltung der Reichsstadt beim Übergang an Bayern als besonders effizient und geordnet gerühmt.

Verkehrslage

Die Verkehrsgunst der urbanen Siedlung war bedingt durch die Lage an einem Illerübergang, der bereits in römischer Zeit Anlass zur Gründung einer Siedlung gab (Cambodunum). Die Zollrechte über die mittelalterliche Brücke waren schon 1340 in der Hand der Bürgerschaft. Auch das Netz der auf diesen Übergang ausgerichteten Fernhandelsstraßen ("Reichsstraßen") lässt sich auf antike Grundlagen zurückverfolgen. Die vier Hauptrichtungen verbanden die Stadt im Nahraum mit Ulm (über Memmingen), Augsburg (über Kaufbeuren), Lindau und Reutte in Tirol. Die beiden letztgenannten Verbindungen eröffneten den Zugang zu wichtigen Alpenpässen, insbesondere nach Südosten zum Fernpass und weiterführend zu den Routen über Reschen und Brenner sowie nach Südwesten zu den Graubündner Pässen. Ab 1769 kooperierten Reichsstadt und Fürststift auf Druck des Schwäbischen Kreises beim Ausbau der alten Reichsstraßen zu neuzeitlichen Chausseen.

Wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Spätmittelalter

Salz und Wein nennt der Zolltarif von 1394 als besonders wichtige Umschlaggüter. Der Vermittlung von Tiroler Salz aus der Saline von Hall nach Westen kam dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Ein eigener Salzstadel wurde vermutlich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts an der Neuen Gasse errichtet. Kemptener Großhändler werden im Zusammenhang mit Salzkäufen seit 1314 in Tiroler Quellen vielfach erwähnt. Dass sich der Fernhandel zu dieser Zeit schon Ziele südlich des Alpenhauptkamms erschlossen hatte, belegen frühe Erwähnungen von Kaufleuten als Lieferanten von Wolltüchern auf den Meraner Märkten (1237, 1299). Während für die beiden folgenden Jahrhunderte der Anteil Kemptener Firmen am Italienhandel nur in Einzelfällen fassbar ist, treten jetzt die Beziehungen zu anderen Wirtschaftsräumen deutlicher hervor (Frankfurt am Main, Linz, Freiburg im Üechtland, Genf, Lyon). Neben Textilien, darunter auch Leinen einheimischer Produktion, werden dabei als Handelsgüter Metalle und Eisenwaren genannt.

Ein weiterer Grundpfeiler des Wirtschaftslebens war die Marktfunktion für regionale Produkte. Aus dem oberen Illertal und dem Gebirge brachte die ländliche Bevölkerung eigene Erzeugnisse auf den städtischen Markt, insbesondere Vieh, Tierhäute, Butterschmalz, Käse, gesponnenen Flachs und Leinengarn. Im Gegenzug deckte sie in der Stadt vor allem ihren Bedarf an Getreide und Brot. Für diesen regionalen Handel waren unter anderem mit dem 1368 genannten Kornhaus am Markt und fünf Mahlmühlen wichtige Vorleistungen der Infrastruktur gegeben. Besonders das Kemptener Bäckerhandwerk war auf die zentralörtliche Funktion für ein weites Umland ausgerichtet.

Das produzierende Gewerbe war in Kempten vor allem durch die Weber vertreten. Die erforderlichen Einrichtungen (Bleiche und Schau) existierten spätestens im 14. Jahrhundert. In keiner oberschwäbischen Reichsstadt war das Leinenweberhandwerk derart dominierend wie in Kempten. Für 1476 wird die Zahl der Weber mit 400 Meistern und 300 Gesellen angegeben. Am Boom des Barchentgewebes aus Leinen und Baumwolle nahm Kempten keinen Anteil. In arbeitsteiliger Weise blieb die Stadt eng mit ihrem näheren Umland verbunden, in dem das Rohmaterial - Flachs bzw. Leinengarn - von der bäuerlichen Bevölkerung erzeugt wurde. Um zu verhindern, dass die Landbevölkerung im 15. Jahrhundert das Garn selbst weiterverarbeitete, bemühte sich Kempten im Verbund mit anderen oberschwäbischen Städten um vertragliche Absprachen. An sonstigen Exportprodukten sind vor allem die Erzeugnisse der Schmiede zu nennen. 1525 zählte das Handwerk 240 Meister und Gesellen und stand damit in der Liste der Zünfte nach den Webern (800) an zweiter Stelle. Die erste Papiermühle wurde 1477 an der Iller bei Kottern gegründet; weitere Produktionsstätten folgten.

Wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der Frühen Neuzeit

Patrizierpalais (1827-1832 Hotel "Londoner Hof"), 1764 erbaut von dem Kaufmann Johann Christoph Fehr. (Foto: Wolfgang Petz)

Die Jahrzehnte um 1600 waren vor allem durch eine einseitige Ausweitung des Leinenexportgewerbes gekennzeichnet. Die Zahl der Weber stieg auf 581 Meister (1617) an, die mit ihren Gehilfen an die 17.000 Stück Rohleinwand im Jahr herstellten. Führend im Fernhandel mit Leinen war zu dieser Zeit der Großkaufmann Joseph König (1535-1602).

Vom wirtschaftlichen Zusammenbruch durch den Dreißigjährigen Krieg erholte sich die Reichsstadt nur langsam. Der Textilsektor konnte nicht zuletzt aufgrund des Konkurrenzdrucks der Landweber nicht mehr an die frühere Bedeutung anknüpfen. Von den ehemals drei Bleichen der Stadt vor dem Krieg arbeiteten jetzt nur noch zwei; die Zahl der Webermeister ging von 107 im Jahre 1725 auf 73 im Jahr 1787 zurück. Völlig zum Erliegen kam im 18. Jahrhundert der aktive Salzhandel. Hingegen erlebte der vor allem auf Oberitalien (Venedig, Triest) ausgerichtete Fernhandel (Baumwolle, Leinen, Pelze, Felle und Lederwaren) eine späte Blüte. Die daran beteiligten König, Jenisch, Fehr und andere Familien brachten ihren Wohlstand durch die repräsentative Ausgestaltung ihrer Stadthäuser zur Geltung. In bescheidenem Maße profitierte auch das örtliche Handwerk von diesen weitläufigen Beziehungen, zum Beispiel die Bierbrauer, die 1763 die Einrichtung einer eigenen (neunten) Zunft durchsetzten. Insgesamt gelang es der Stadt, ihre Mittelpunktsfunktion gegen die Konkurrenz der benachbarten Stiftssiedlung (Stiftsstadt Kempten) in weiten Bereichen zu behaupten.

Bevölkerungsentwicklung

Für die Zeit vor der Mitte des 17. Jahrhunderts lässt die ungünstige Quellenlage nur punktuelle Angaben und Schätzungen zu. Im ausgehenden Mittelalter rangierte Kempten in der Größenordnung zwischen dem deutlich größeren Memmingen und dem weniger bedeutenden Isny. Die Bevölkerung kann für die Zeit um 1500 auf etwa 3.000 Bewohner veranschlagt werden; damit zählte Kempten zu den kleineren Mittelstädten Oberschwabens. Nach einer vor allem durch starke Zuwanderungen bedingten Phase starken Wachstums erreichte die Stadt um 1620 mit etwa 6.000 Einwohnern den höchsten Bevölkerungsstand. Seuchen, der kriegsbedingte wirtschaftlicher Niedergang und die Erstürmung der Stadt durch kaiserliche Truppen 1633 hatten einen markanten demographischen Einbruch zur Folge (ca. 1.000 Einwohner um 1635). Das 18. Jahrhundert zeigte insgesamt eine stagnierende Tendenz; 1799 bezifferte die Reichsstadt die Zahl der Bewohner auf etwa 3.100. Von ihnen besaßen etwa 2.500 das Bürgerrecht; die übrigen genossen als vorwiegend katholische Beisitzer nur ein widerrufliches Aufenthaltsrecht.

Kirchliche Institutionen und bürgerliche Kultur im Spätmittelalter

In der Pfarreizugehörigkeit war die Bürgerschaft im Mittelalter geteilt: Der kleinere westliche Rand der Stadt unterstand der in das Kloster inkorporierten "oberen" Pfarrei St. Lorenz, der größere Teil der "unteren" Pfarrei St. Mang. Zwischen beiden Pfarreien verlief die Diözesangrenze der Bistümer Konstanz und Augsburg, die sich noch im Spätmittelalter am Verlauf des ehemaligen westlichen Illerarmes orientierte. St. Mang wurde zur Kirche der Bürgergemeinde und von dieser mit Stiftungen reich begabt. Bei der strittigen Frage der Verwaltung dieses Besitzes fand die Reichsstadt 1496 zu einem Kompromiss mit dem Kloster. Andere geistliche Einrichtungen waren zu dieser Zeit bereits der Kontrolle durch vom Rat eingesetzte Pfleger unterworfen, so das Leprosenhaus mit der Kapelle St. Stephan und das Hl. Geist-Spital, das 1412 einen Neubau vor dem Illertor erhielt. Zeugnis spätmittelalterlicher Religiosität und Caritas sind mehrere Gemeinschaften frommer Frauen, die sich in "Seelhäusern" zusammenfanden - eine Entwicklung, die 1502 in die Errichtung des St. Anna-Klosters der Franziskaner-Terziarinnen mündete.

Wie alle städtischen Institutionen entwickelte sich auch das Bildungswesen im Spannungsfeld zwischen der Bürgerschaft und dem Abt. 1384 bestand bereits eine "deutsche" Schule in der Reichsstadt, in der Buben und Mädchen unterrichtet wurden. Zum Streitfall wurde die Lateinschule, da das Kloster in dieser Frage auf seinem Bildungsmonopol beharrte. Erst 1462 erlangte die Stadt ein kaiserliches Privileg zur Errichtung einer solchen Einrichtung. Seit der Reformationszeit unterstand das reichsstädtische Schulwesen dem von Rat und Geistlichkeit besetzten Scholarchat.

Der kulturelle Aufschwung der Reichsstadt im späten Mittelalter manifestierte sich auch auf dem Gebiet der bildenden Kunst. 1426 begann die Bürgerschaft mit dem Neubau der Pfarrkirche St. Mang. Die reiche Innenausstattung fiel in reformatorischer Zeit dem Bildersturm zum Opfer. An ihr dürften auch Kemptener Künstler der Spätgotik beteiligt gewesen sein. Namentlich bekannt und bezeugt ist der Maler Ulrich Mair (um 1445-um 1500), während andere Werkstätten ("Maler der Kemptener Kreuzigung", "Meister des Imberger Altars") nur erschlossen werden können. Die Bildhauerfamilie Maurus (Lux, Georg und Endras) leitet bereits zur Frühen Neuzeit über.

Reformation, Konfessionalisierung und Dreißigjähriger Krieg

Die evangelische Bewegung fand in der Reichsstadt Kempten früh Verbreitung, wobei lutherische und oberdeutsch-zwinglianische Einflüsse sich überkreuzten und wechselseitig ablösten. 1530 unterzeichnete die Stadt die auf dem Reichstag zu Augsburg verlesene "Confessio Augustana" der lutherischen Reichsstände. In Folge einer Abstimmung in der Bürgerschaft kam es jedoch 1533 zum Bildersturm und damit zur Vernichtung fast aller kirchlichen Bildwerke. Nach der Niederlage im Schmalkaldischen Krieg (1546/47) musste sich Kempten wie andere Reichsstädte 1547 dem Kaiser unterwerfen. Die nachfolgende Phase der protestantischen Konfessionalisierung wurde maßgeblich von dem slowenischen Prediger Primus Truber (1508-1586) beeinflusst, der als Glaubensflüchtling 1553 bis 1561 in Kempten wirkte. Von seinen Nachfolgern ist vor allem der Theologe Georg Zeämann (1580-1638) hervorzuheben, dessen Streitschriften in der örtlichen Druckerei des Christoph Kraus (1585-1654) erschienen. Zeämanns Polemiken, der Beitritt der Stadt zum Bündnis der protestantischen Union 1609 und die zunehmende Verschärfung des Gegensatzes zum katholischen Stift bereiteten die Verwicklung der Reichsstadt in den Dreißigjährigen Krieg vor. Mit der Erstürmung durch kaiserliche Truppen 1633 und den vorausgegangenen und nachfolgenden Plünderungen markiert er den Tiefpunkt in der Geschichte der Reichsstadt.

Kulturelles Leben in der Epoche des Barock und der Aufklärung

Reichsstadt und Stiftsstadt Kempten im 18. Jahrhundert. (Karte: Wolfgang Petz)

Die Bürgerschaft blieb auch in der Barockzeit der lutherischen Orthodoxie verpflichtet; pietistische Strömungen fanden keine Verbreitung. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts machte sich der Einfluss der Aufklärung in der gebildeten Oberschicht bemerkbar. Unter dem Rektor Johann Georg Lunz (1744-1812) wurde die Lateinschule im Sinne einer berufsvorbereitenden "Bürgerschule" reformiert. Überregionale Bekanntheit erwarb sich der Stadtarzt Christoph Jacob Mellin (1744-1817) durch seine populär gehaltenen medizinischen Ratgeber. Der Stadtsyndikus Johann Martin von Abele (1753-1805) führte zeitweilig die "Typographische Gesellschaft", die Journale (darunter die 1784 erstmalig erschienenen "Neuesten Weltbegebenheiten") und andere aufklärerische Schriften verlegte. 1787 wurde in der Reichsstadt die Freimaurerloge "Zur aufgehenden Sonne" gegründet, der neben Abele und anderen reichsstädtischen Bürgern auch Mitglieder aus dem Fürststift und der letzte Bürgermeister der Reichsstadt, Johann Jacob von Jenisch (1743-1829, reg. 1785-1803), angehörten.

Das Ende der reichsstädtischen Ära

Der militärischen Besetzung der Reichsstadt am 2. September 1802 durch kurbayerische Truppen folgte wenig später am 30. November die Zivilinbesitznahme. Obwohl Kempten beim Übergang an Bayern mit 511.078 fl. verschuldet war, bescheinigte der bayerische Kommissär dem Magistrat eine kaufmännisch-solide Haushaltsführung. Die Verpflichtungen resultierten im Wesentlichen aus den Folgen der Koalitionskriege seit 1793. Die damit in Zusammenhang stehenden Belastungen der Bürger hatten zwar in Einzelfällen Anlass zu Unzufriedenheit und Unruhe gegeben, doch war das reichsstädtische Regiment nicht grundsätzlich in Frage gestellt geworden. Nachdem Bemühungen um den Erhalt der Reichsfreiheit gescheitert waren, scheinen sich Magistrat und Bürgerschaft relativ rasch damit abgefunden zu haben, mit dem Umland in den bayerischen Staat integriert zu werden.

Quellen- und Forschungssituation

Der Bestand zur älteren Geschichte der Reichsstadt Kempten im Stadtarchiv Kempten und im Staatsarchiv Augsburg ist vergleichsweise schmal. Steuerbücher fehlen für die Zeit des Mittelalters; die erhaltenen Ratsprotokolle setzen erst 1517 ein, andere Serien noch später. Angesichts der dürftigen Überlieferung von schriftlichen Zeugnissen kommen der Auswertung archäologischer Funde und der Hausforschung besondere Bedeutung zu. Für die Frühe Neuzeit sind neben den genannten Beständen vor allem die einschlägigen Reichshofratsakten im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien zu nennen. Zusammen mit den Reichskammergerichtsakten im Bayerischen Hauptstaatsarchiv dokumentieren sie die zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Reichsstadt und Stift Kempten vor den obersten Reichsinstanzen. Den bisherigen Stand der Forschung fasst in vielen Einzelbeiträgen die 1989 erschienene Stadtgeschichte zusammen. Aufsätze zur Geschichte der Reichsstadt erscheinen regelmäßig in der Zeitschrift "Allgäuer Geschichtsfreund".

Dokumente

Literatur

  • Peter Beck, Das Stadtbuch der Stadt Kempten von 1358. Zugleich ein Beitrag zu Verfassung und Gerichtswesen im alten Kempten, Diss. jur. Kiel 1973.
  • Franz-Rasso Böck, Patriziat und Stadtherrschaft - das reichsstädtische Regiment in Kempten um 1600, in: Thomas Weiß (Hg.), Zur Geschichte des Kemptener Rathausbrunnens, Kempten 1993, 23-39.
  • Volker Dotterweich u. a. (Hg.), Geschichte der Stadt Kempten, Kempten 1989.
  • Wolfgang Jahn u. a. (Hg.), Bürgerfleiß und Fürstenglanz, Reichsstadt und Fürstabtei Kempten. Katalog zur Ausstellung in der Kemptener Residenz 16. Juni bis 8. November 1998 (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 38), Augsburg 1998.
  • Birgit Kata, Neue Funde zur Sachkultur des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit aus dem Mühlberg-Ensemble in Kempten, Allgäu, in: Thomas Busset (Hg.), La culture materiélle. Sources et problèmes/Die Sachkulturquellen und Probleme (Histoire des Alpes - Storia delle Alpi - Geschichte der Alpen 7), Zürich 2002, 151-170.
  • Birgit Kata, Schwesternhäuser im spätmittelalterlichen Kempten, in: Allgäuer Geschichtsfreund 102 (2002), 117-140.
  • Stefan Kirchberger, Kempten im Allgäu: Archäologische Funde und Befunde zur Entwicklung der mittelalterlichen Reichsstadt (Archäologische Quellen zum Mittelalter 1), Berlin 2002.
  • Adolf Layer/Gerhard Immler, Die Reichsstädte, in: Max Spindler (Begr.)/Andreas Kraus (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. 3. Band, 2. Teil: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 3. Auflage 2001, 417-432.
  • Karl Otto Müller, Die oberschwäbischen Reichsstädte, ihre Entstehung und ältere Verfassung, Stuttgart 1912.
  • Wolfgang Petz, Zweimal Kempten - Geschichte einer Doppelstadt (1694-1836) (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg 54), München 1998.
  • Wolfgang Petz, Bemerkungen zur Kemptner Burgerstube/Gesellschaft zum Strauß in der frühen Neuzeit, in: Allgäuer Geschichtsfreund 99 (1999), 95-120.
  • [Wolfgang Petz, Ein Handwerk zwischen Stadt und Land. Das Kemptener Papierergewerbe vor dem Dreißigjährigen Krieg, in: Birgit Kata u. a. (Hg.), "Mehr als 1000 Jahre ...". Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung 752 bis 1802 (Allgäuer Forschungen zur Geschichte und Archäologie 1), Friedberg 2006, 237-300.
  • Michael Petzet, Stadt- und Landkreis Kempten (Bayerische Kunstdenkmale. Kurzinventar 5), München 1959.

Quellen

  • Alfred Weitnauer (Hg.), Das Bürgerbuch der Reichsstadt Kempten 1526-1612 (Alte Allgäuer Geschlechter 22), Kempten 1940.
  • Alfred Weitnauer (Hg.), Kempter Bürger aus sechs Jahrhunderten (Alte Allgäuer Geschlechter 23), Kempten 1942.
  • Eberhard Zimmermann/Friedrich Zollhoefer (Hg.), Kempter Wappen und Zeichen (Alte Allgäuer Geschlechter 38), Kempten 1963.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Wolfgang Petz, Kempten, Reichsstadt, publiziert am 10.09.2012; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kempten,_Reichsstadt> (29.03.2024)