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Ökumenische Bewegung

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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von Peter Neuner

Die Ökumenische Bewegung strebt weltweit die Einheit der Christen an. Die aus dem angelsächsischen Raum stammende Idee entwickelte sich zu einer weltumspannenden Bewegung, der heute rund 350 Kirchen aus über 120 Ländern angehören. Im Zentrum der Bewegung stehen theologische und liturgische Annäherungen, die den Einigungsprozess vorantreiben sollen. Auch die in Bayern vertretenen Kirchen sind daran beteiligt. Ihr gemeinsames Forum ist die seit 1974 bestehende "Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Bayern".

Strukturen der Ökumenischen Bewegung

Die Ökumenische Bewegung ist global konzipiert. Dies zeigt schon ihr Ursprung in der Weltmissionskonferenz 1910 im schottischen Edinburgh. Im Hintergrund stand die Erkenntnis, dass der Erfolg der Mission erheblich beeinträchtigt wird, wenn die christlichen Kirchen nicht mit einer Stimme sprechen oder sich gegenseitig ihre Mitglieder abwerben. Aus dieser Konferenz gingen drei Initiativen hervor: Der Internationale Missionsrat, die Bewegung für praktisches Christentum und die Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung. In der weiteren Zusammenarbeit dieser Bewegungen hat sich der Bedeutungsgehalt von "ökumenisch" von "weltweit, universal" auf "das Verhältnis der christlichen Kirchen betreffend" verschoben.

Von 1993 bis 2003 war Konrad Raiser Generalsekretär der Ökumenischen Bewegung. Aufnahme von 2012. (Foto von Der wahre Jakob lizensiert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Die beiden letztgenannten Bewegungen schlossen sich 1948 in Amsterdam zum "Ökumenischen Rat der Kirchen" (ÖRK) (offizielle englische Bezeichnung: "World Council of Churches", WCC) zusammen; der Internationale Missionsrat wurde bei der dritten Vollversammlung des ÖRK 1961 in Neu Delhi (Indien) als Kommission für Weltmission integriert. Der ÖRK ist keine Kirche. Die Mitgliedschaft bedeutet nicht die Anerkennung der anderen Mitgliedskirchen als Kirchen im Vollsinn des Wortes. Gefordert ist lediglich die Überzeugung, dass in anderen Kirchen Elemente von Kirche verwirklicht sind und "dass die Mitgliedschaft in der Kirche Christi umfassender ist als die Mitgliedschaft in der eigenen Kirche". Der ÖRK hat keine rechtliche Autorität über seine Mitgliedskirchen; seine Beschlüsse sind Empfehlungen, die die Kirchen in der für sie jeweils angemessenen Form rezipieren können. Mitglied des ÖRK können nur Kirchen sein, nicht Einzelpersonen oder Bewegungen. Derzeit umfasst der Rat rund 350 Kirchen aus über 120 Ländern; die meisten sind reformatorisch, anglikanisch oder orthodox geprägt. Sie repräsentieren über 400 Mio. Christen. Höchstes Gremium des ÖRK ist die Vollversammlung. Sie tagt etwa alle sieben Jahre. Die laufenden Geschäfte führt der Generalsekretär. In den Jahren 1993 bis 2003 war dies der deutsche Theologe Konrad Raiser (geb. 1938).

Von seiner Gründung her verbinden sich im ÖRK theologische und sozialpolitische Herausforderungen. Bedingt durch die Mehrheit der Kirchen südlicher Hemisphäre haben in den Äußerungen des ÖRK Fragen von Unterdrückung, Ausbeutung und Armut erhebliches Gewicht bekommen. Die theologische Arbeit hat im "Lima-Papier" von 1982 zu Taufe, Herrenmahl und Amt einen Höhepunkt erreicht. An diesem Text haben auch offiziell von ihrer Kirche beauftragte katholische Theologen mitgewirkt.

Die römisch-katholische Kirche ist nicht Mitglied im ÖRK, wohl aber in dessen Kommission für Glauben und Kirchenverfassung. Das Selbstverständnis der römischen Kirche, mehr noch die Zahl ihrer Mitglieder, die jene aller Mitgliedskirchen des ÖRK zusammen deutlich übersteigt, hat dies bisher verhindert. Offiziell hat sich die katholische Kirche im II. Vatikanischen Konzil (1962-1965) dem ökumenischen Gedanken geöffnet, dokumentiert vor allem im Dekret über den Ökumenismus. Seither gibt es intensive Beziehungen zwischen dem ÖRK und dem Vatikan; seit 1965 besteht eine "Gemeinsame Arbeitsgruppe". Die Zusammenarbeit ist katholischerseits getragen vom "Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen", dessen Präsident 2001 bis 2010 der deutsche Kardinal Walter Kasper (geb. 1933) war. Sein Nachfolger wurde der Schweizer Kardinal Kurt Koch (geb. 1950). ÖRK und römisch-katholische Kirche verstehen sich als Glieder der einen ökumenischen Bewegung; diese ist also umfassender als der ÖRK. Ihren Schwerpunkt hat die römisch-katholische Kirche nicht auf die multilaterale Ökumene gelegt, wie sie der ÖRK repräsentiert, sondern auf bilaterale Beziehungen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Kontakte zu den orthodoxen Kirchen, zur Anglikanischen Gemeinschaft sowie zu den Lutherischen Kirchen. Mit letzterer kam es 1999 in Augsburg zur Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Sie stellt derzeit die gewichtigste ökumenische Übereinkunft dar. In den Gemeinden konzentriert sich das ökumenische Interesse vor allem auf die Frage einer Gemeinschaft im Herrenmahl. Die reformatorischen Kirchen haben hierzu einen Gaststatus eröffnet - ein Schritt, zu dem sich die katholische Kirche, ebenso wie die orthodoxen Kirchen, offiziell als nicht befugt erachtet.

Aspekte der ökumenischen Situation in Bayern

a) Strukturen in Bayern

Auf regionaler Ebene ist die römisch-katholische Kirche zumeist Mitglied der ökumenischen Strukturen. Das gilt für die "Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland" mit Sitz in Frankfurt am Main (Hessen) und für die 1974 gegründete "Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Bayern" mit Sitz in München. Dieser gehören an: Die Alt-Katholische Kirche, die Anglikanische Episkopalkirche, der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten), die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, die Evangelisch-methodistische Kirche in Bayern, die Evangelisch-Reformierte Kirche in Bayern, die Heilsarmee. Aus dem Bereich der Orthodoxie sind Mitglieder: die Griechisch-Orthodoxe Metropolie von Deutschland, die Rumänisch-Orthodoxe Metropolie für Deutschland und Zentraleuropa, die Berliner Diözese der Russischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats sowie die Serbische Orthodoxe Kirche. Von den Altorientalischen Kirchen sind Mitglieder: die Armenische Apostolische Kirche, die Koptisch-Orthodoxe Kirche in Deutschland, die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien. Mitglieder sind die Römisch-Katholische Kirche durch ihre Bistümer sowie die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche und die Vereinigung der Bayerischen Mennonitengemeinden. Einen Gaststatus haben: die "Apostolische Gemeinschaft", der "Bund Freier evangelischer Gemeinden" und die "Religiöse Gesellschaft der Freunde (Quäker)".

b) Ökumenische Situation in Bayern bis 1945

Dr. Max Josef Metzger. Inspirator der Una-Sancta-Bewegung für Versöhnung und Frieden. Fotografiert zwischen 1935 und 1938. (Archiv, Christkönigs-Institut, Meitingen)

Bei aller Vielfalt der Kirchen und religiösen Gemeinschaften, die in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Bayern zusammenarbeiten, und bei aller Aufmerksamkeit, die gerade in Deutschland die kleineren Gemeinschaften mit Recht einfordern, konzentriert sich die ökumenische Frage vor allem auf das Verhältnis evangelisch-lutherischer und römisch-katholischer Kirche. Traditioneller Weise waren die altbayerischen Gebiete katholisch geprägt, während sich Franken und mehrere freie Reichsstädte im Süden, vor allem Augsburg und Memmingen, der Reformation angeschlossen hatten. Die konfessionellen Grenzen hatten auch erheblichen Einfluss auf die gesellschaftlichen Strukturen. Zukunftsweisende ökumenische Kontakte entstanden als Reaktion auf den Kirchenkampf des NS-Regimes. In den 1930er Jahren engagierten sich Christen beider Kirchen in der "Una-Sancta-Bewegung für Versöhnung und Frieden". Sie hatte ihr Zentrum in Meitingen (Lkr. Augsburg); von dort aus wurden in vielen deutschen Städten Una Sancta-Kreise initiiert. Ihr wichtigster Inspirator war der katholische Priester Max Joseph Metzger (1887-1944), der wegen seiner Versöhnungs- und Friedensaufrufe von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Die Initiativen der "Una-Sancta" werden seit 1969 von der "Arbeitsgemeinschaft ökumenischer Kreise" weitergeführt. Der Öffnung zu den Kirchen des Ostens widmete sich seit Mitte der 1930er Jahre vor allem das Kloster Niederaltaich (Lkr. Deggendorf) unter der geistigen Führung des späteren Abtes Emmanuel Heufelder (1898-1982). Einige der Mönche leben nach der Liturgie und der spirituellen Praxis der orthodoxen Kirche. Die dort gefeierten Gottesdienste üben bis heute (2013) eine große Anziehungskraft aus.

c) Ökumenische Situation in Bayern nach 1945

Nach 1945 sammelten sich die gesellschaftspolitisch aktiven religiösen Kreise weithin nicht mehr auf konfessioneller, sondern auf christlicher Basis hauptsächlich - wenn auch keineswegs ausschließlich - in der CSU. Die durch Flucht und Vertreibung bedingte Bevölkerungsvermischung führte dazu, dass es seither kaum noch konfessionell homogene Regionen gibt. Dies führte zunächst auf offizieller Ebene eher zu einer Abschottung der christlichen Kirchen. Beispiel hierfür ist etwa der Eklat, den der junge Würzburger Bischof Julius Döpfner (1913-1976, Bischof von Würzburg 1948-1957) verursachte, als er sich im Juni 1953 weigerte, zusammen mit dem evangelischen Kreisdekan die Einweihung einer Zuckerfabrik in Ochsenfurt (Lkr. Würzburg) vorzunehmen. Die Schulen im Bayern wurden nach dem Krieg unter Berufung auf das weiterhin geltende Konkordat bzw. die Kirchenverträge als konfessionelle Bekenntnisschulen eingerichtet; die Lehrerbildung war konfessionell geprägt. Die christliche Gemeinschaftsschule wurde erst 1968 zur Regel.

Diesem Prozess konnte auch die katholische Kirche zustimmen, nachdem sie sich im II. Vatikanischen Konzil (1962-1965) zur ökumenischen Verpflichtung bekannt hatte. Ökumenische Begegnungen auf allen Ebenen (Pfarreien, Dekanate, Städte) sind inzwischen vielerorts selbstverständlich. Sie dienen sozialen (Nachbarschaftshilfe, Seniorenarbeit, Kinderbetreuung, Treffen mit ausländischen Mitbürgern und ihren Kindern, oft auch in gemeinsamer Trägerschaft) und religiösen (Glaubensseminare, Bibelkreise, ökumenische Gottesdienste, Weltgebetswoche für die Einheit der Christen) Zwecken. Verschiedentlich werden kirchliche Gebäude gemeinsam genutzt. Einladungen an und Grußadressen von Repräsentanten der jeweils anderen Kirche bei wichtigen Veranstaltungen (Katholikentagen, evangelischen Kirchentagen, Einweihung kirchlicher Gebäude usw.) sind gängige Praxis. In den Gemeinden ist der ökumenische Gedanke weithin selbstverständlich, oft bis hin zu einem Unverständnis für die noch bestehenden Unterschiede zwischen den Kirchen. Daneben sind aber in beiden Kirchen auch Gegenbewegungen nicht zu übersehen, die eine Rekonfessionalisierung anstreben.

Als herausragende ökumenische Ereignisse in Bayern sind vor allem das Ökumenische Pfingsttreffen 1971 in Augsburg, die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999 in Augsburg sowie der Zweite Ökumenische Kirchentag in München 2010 zu nennen. An der Ludwig-Maximilians-Universität München bestehen seit Mitte der 1960er Jahre Ökumenische Institute; sie wurden 2001 zusammengefasst im "Zentrum für Ökumenische Forschung". Darin arbeiten Theologen der evangelischen, der katholischen und der orthodoxen Kirchen in Forschung und Lehre zusammen, was auf universitärer Ebene jedenfalls in Mitteleuropa einmalig ist. Insbesondere dem Dialog mit den orthodoxen Kirchen widmen sich universitäre Einrichtungen in Würzburg (katholisch) und Erlangen (evangelisch) sowie kirchliche Institute in Eichstätt, Regensburg und Niederaltaich.

Literatur

  • ACK Bayern. Die Mitgliedskirchen stellen sich vor, München 2010. [Neubearbeitung der "Kleinen bayerischen Konfessionskunde"; über die Geschäftsstelle erhältlich]
  • Elisabeth Dieckmann (Hg.), Lebendige Ökumene in Bayern. Festschrift zum 30-jährigen Julbiläum der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Bayern, Nürnberg 2004.
  • Reinhard Frieling, Der Weg des ökumenischen Gedankens, Göttingen 1992. [Ausgehend von der historischen Darlegung werden die Schwerpunkte ökumenischer Theologie aus evangelischer Sicht materialreich erschlossen]
  • Peter Neuner, Ökumenische Theologie, Darmstadt 1997. [In historischer und systematischer Betrachtung werden die relevanten Fragen der Kontroverstheologie und der Ökumene aus katholischer Perspektive behandelt]

Quellen

  • Dokumente wachsender Übereinstimmung. 3 Bände, Paderborn/Frankfurt 1983 ff. [Dokumentation aller wichtigen ökumenischen Konvergenz- und Konsenstexte auf Weltebene seit 1931]

Weiterführende Recherche

Externe Links

Empfohlene Zitierweise

Peter Neuner, Ökumenische Bewegung, publiziert am 24.06.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ökumenische_Bewegung> (28.03.2024)