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Wahlrecht (Weimarer Republik): Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 30. Juli 2019, 18:30 Uhr

Wahlkreiseinteilung 1906 (gültig bis 1919). Abb. aus: Karl von Krazeisen, Das bayerische Landeswahlgesetz vom 9. April 1906, München 1907, Beilage. (Bayerische Staatsbibliothek, Bavar. 1584 keb)

von Dirk Götschmann

Während der Weimarer Republik besaßen erstmals alle bayerischen Staatsangehörigen über 20 Jahren das aktive, über 25 Jahren das passive Wahlrecht, sofern sie über die bürgerlichen Ehrenrechte verfügten. Der Landtag wurde durch allgemeine, gleiche, geheime und unmittelbare Wahl nach dem Verhältniswahlrecht gebildet. Die Sitze wurden nach dem Hagenbach-Bischoff-Verfahren verteilt. In Bayern beruhte das Wahlrecht zunächst auf einer provisorischen Wahlordnung vom 7. Dezember 1918, anschließend auf den Grundsätzen der Verfassung vom 14. August 1919 sowie auf dem Landeswahlgesetz vom 12. Mai 1920 einschließlich mehrerer Änderungsgesetze (vom 21. Juli 1921, 6. Februar 1924, 18. Juli 1925, 30. März 1928 und 10. März 1931). Versuche, den Anteil der Splitterparteien bei der Zuteilung der "Landesabgeordneten" zu beschränken, scheiterten in der "Wahlrechtskrise" von 1930/31.

Hintergrund: Die Wahlrechtsreform von 1906

Das zur Zeit der Weimarer Republik gültige bayerische Wahlrecht muss vor dem Hintergrund der im Königreich gemachten Erfahrungen gesehen werden. Hier war 1906 zwar die direkte Wahl eingeführt und die absolute Mehrheitswahl durch die relative Mehrheitswahl ersetzt worden, aber da die Stimmen der unterlegenen Kandidaten nach wie vor unter den Tisch fielen, waren die kleineren politischen Parteien im Parlament weitaus schwächer vertreten als es ihrem Stimmenanteil entsprach. Das Alter für die Ausübung des aktiven Wahlrechts war 1906 von 21 auf 25 Jahre angehoben und die Mindestfrist für die Steuerleistung - die nach wie vor Voraussetzung für die Wahlberechtigung war - von sechs auf zwölf Monate verlängert worden. Frauen hatten weiterhin kein Wahlrecht.

Das Wahlrecht von 1918/19

Erstmals durften 1919 auch Frauen sowohl auf Landes- als auch auf Reichsebene wählen. Hier Nonnen vor einem Wahllokal in München bei der Reichstagswahl am 19. Januar 1919. (Bundesarchiv, Bild 146-1993-088-09-A / CC-BY-SA 3.0)

Bei den Wahlen zum ersten Landtag des demokratischen Staates am 12. Januar (in der Pfalz am 2. Februar) 1919 waren nach der "Wahlordnung für den neuen bayerischen Landtag" vom 7. Dezember 1918 (Gesetz- und Verordnungsblatt für den Volksstaat Bayern 1918, 1257-1270) erstmals alle bayerischen Staatsangehörigen – also auch die Frauen - wahlberechtigt, die mindestens 20 Jahre alt waren. Dieses provisorische Wahlrecht erklärte ganz Bayern zu einem Wahlkreis, in dem erstmals nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts gewählt wurde. Um die 180 Abgeordnetenmandate konnte sich bewerben, wer mittels eines Wahlvorschlages nominiert wurde, der von mindestens 50 Wahlberechtigten eines Stimmkreises (Bayern war in 133 Stimmkreise eingeteilt) unterzeichnet sein musste; diese Wahlvorschläge konnten miteinander verbunden werden.

Die Bayerische Verfassung vom 14. August 1919 bestätigte die Grundsätze dieses Wahlrechts. Sie schrieb vor, dass der Landtag durch allgemeine, gleiche, geheime und unmittelbare Wahl nach dem Verhältniswahlrecht zu bilden war. Aktiv wahlberechtigt waren alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die älter als 20 Jahre waren; die passive Wahlberechtigung setzte aber nun ein Mindestalter von 25 Jahren und einen mindestens einjährigen Aufenthalt in Bayern voraus. Das Verhältnis von Abgeordneten zur Bevölkerung wurde auf 1:40.000 festgesetzt (§ 26 BV 1919).

Die Bestimmungen des Landtagswahlgesetzes vom 12. Mai 1920

Wahlkreise für die Landtagswahl 1920. (Gestaltung: Stefan Schnupp, Vorlage: Spindler/Diepolder Bay. Geschichtsatlas, 40)
Artikel 26 der Bayerischen Verfassung von 1919. Zit. Nach: Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Bayern 1919, München, 1919, 537. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Bavar. 3021 da-1919)

Das Landtagswahlgesetz vom 12. Mai 1920 setzte die allgemeinen Bestimmungen der Verfassung in die Praxis um. Es versagte – obwohl dies in der Verfassung nicht vorgesehen war - Soldaten während ihrer aktiven Dienstzeit die Teilnahme an Wahlen und präzisierte im Übrigen den gesamten Wahlverlauf. Die Regierungsbezirke bildeten demnach die Wahlkreise, wobei sich die Zahl der Abgeordneten, die in einem Bezirk zu wählen waren, nach dessen Bevölkerungszahl richtete, so wie dies die Verfassung vorsah. Ein Wahlkreis wurde wiederum in so viele Stimmkreise unterteilt, wie in ihm Abgeordnete zu wählen waren. Wählbar war jeder Reichsangehörige, der sich seit mindestens einem Jahr in Bayern aufhielt und das 25. Lebensjahr überschritten hatte. Die Bewerber um ein Mandat mussten mittels "Wahlvorschlägen" vorgeschlagen werden. Solche Wahlvorschläge waren auf der Ebene der Wahlkreise einzureichen und konnten so viele Bewerber benennen wie der Wahlkreis Abgeordnete stellte. Ein Bewerber durfte in nur einem Wahlvorschlag und Wahlkreis antreten, dort aber in mehreren Stimmkreisen. Jeder Wahlvorschlag bedurfte der Unterzeichnung von nur noch mindestens 20 stimmberechtigten Wählern des betreffenden Wahlkreises und musste ein Kennwort tragen. Jeder Wähler hatte eine Stimme, die er entweder einem der Bewerber geben konnte, die in den Wahlvorschlägen seines Wahlkreises aufgeführt waren, oder aber einem Wahlvorschlag; in letzterem Fall wurde die Stimme für diesen als Listenstimme gezählt.

Sitzverteilung nach dem Hagenbach-Bischoff-Verfahren

Die Gesamtzahl der abgegebenen gültigen Stimmen wurde durch die um eins vermehrte Zahl der im Wahlkreis zu vergebenden Sitze geteilt; das ergab die Verteilerzahl. Jeder Wahlvorschlag erhielt so viel Sitze, als sich bei Teilung seiner Stimmenzahl, wobei Bewerber- und Listenstimmen zusammengerechnet wurden, durch die Verteilerzahl ergaben. Innerhalb der Wahlvorschläge wurden die Sitze in der Reihenfolge der Stimmen vergeben, die ein Bewerber in allen Stimmkreisen seines Wahlkreises erhalten hat.

Die Stimmreste der einzelnen Wahlvorschläge und die Zahl der im Wahlkreis noch nicht vergebenen Sitze wurden dem Landeswahlleiter mitgeteilt. Dessen Aufgabe war es, zu ermitteln, wer diese erhalten sollte. Dazu zählte er die Stimmreste der Wahlvorschläge mit den gleichen Kennworten zusammen und stellte sie als "Gesamtwahlvorschlag" fest. Die Gesamtsumme der Stimmreste der Gesamtwahlvorschläge und der Einzelwahlvorschläge wurde dann durch die um eins vermehrte Zahl der zu vergebenden Restsitze geteilt. Jeder Gesamt- oder Einzelwahlvorschlag erhielt soviel Sitze, als sich bei der Teilung seines Stimmrestes durch diese Zahl ergab. Innerhalb des Gesamtvorschlags wurden die Sitze den Wahlvorschlägen in der Reihenfolge ihres Stimmenrestes zugewiesen. Danach etwa noch zur Verfügung stehende Sitze wurden den Gesamt- oder Einzelwahlvorschlägen mit den größten Stimmenresten zugeteilt. Die auf diese Art auf Landesebene ermittelten Abgeordneten bezeichnete man als "Landesabgeordnete".

Verringerung der Mandatszahl von 180 auf 128

Dieses Wahlrecht stellte sicher, dass tatsächlich keine Stimme verloren ging. Auch kleine und kleinste politische Gruppierungen hatten so die Möglichkeit, ihre Vertreter im Landtag zu platzieren, was die Bildung stabiler parlamentarischer Mehrheiten sehr erschwerte.

Diesem Übel versuchte man in der Folge dadurch entgegenzuwirken, dass man die Zahl der Mandate verringerte, sodass erheblich mehr Stimmen nötig waren, um in den Landtag einziehen zu können. 1920 wurde die Abgeordnetenzahl von 180 auf 155 (zuzüglich drei Abgeordneter aus dem neu zu Bayern gekommenen Coburg), 1924 auf 129 und 1925 auf 128 reduziert.

Die Wahlrechtsnovellen von 1925/28 und die "Wahlrechtskrise" von 1930/31

Eine weitere Erschwerung für kleinere Parteien brachten die Novellierungen des Landeswahlgesetzes von 1925/28 mit sich. So wurden nunmehr in den acht Wahlkreisen 113 Abgeordnete gewählt, wovon 25 auf Oberbayern, zwölf auf Niederbayern, 14 auf die Pfalz, zehn auf die Oberpfalz, zwölf auf Oberfranken mit Coburg, 15 auf Mittelfranken, zwölf auf Unterfranken und 13 auf Schwaben entfielen. Dazu blieben die Wahlkreise in so viele Stimmkreise aufgeteilt, als dort Abgeordnete zu wählen waren.

Zudem wurden wie bisher aus den Reststimmen weitere 15 Abgeordnete, die "Landesabgeordneten" ermittelt, und zwar wurden diese "den Gesamtwahlvorschlägen und den nicht zu einem Gesamtwahlvorschlage vereinten Einzelwahlvorschlägen nach dem Verhältnis ihrer Stimmenzahl im ganzen Lande zur Benennung zugeteilt." Dies galt allerdings nur, wenn die Partei bereits über die Wahlkreise mindestens ein Mandat erzielt hatte. Ziel dieser Regelung war es, "das Überhandnehmen der Splitterparteien möglichst ein(zu)schränken" (Jan, Landeswahlgesetz, 1928, 18).

Nach einer erfolglosen Klage der Freien Vereinigung und der Wirtschaftspartei vor dem Staatsgerichtshof des Deutschen Reichs 1928 führte ein von der DDP, der Wirtschaftspartei und dem Christlichen Volksdienst angestrengtes Verfahren vor dem Bayerischen Staatsgerichtshof zum Erfolg: Das Gericht erklärte am 15. Februar 1930 das Verfahren für die Zuteilung der Landesabgeordneten für rechtswidrig, da dieses kleinere Parteien benachteilige.

Eine Klage der NSDAP, die eine sofortige Auflösung des Landtags gefordert hatte, wies der Staatsgerichtshof am 26. Februar 1931 zwar ab. Er schrieb dem Landtag aber nun vor, unverzüglich nicht nur die Mitgliedschaft der bereits berufenen Landesabgeordneten zu prüfen, sondern auch ein neues Wahlgesetz zu erlassen.

Der Landtag beschloss daraufhin am 3. März 1931 eine Neufassung des Landeswahlgesetzes, die die Landesabgeordneten mit Wirkung ab der folgenden Wahl faktisch abschaffte. Um aber die Zahl von 128 Abgeordneten beizubehalten, wurde die Zahl der Abgeordneten in den einzelnen Wahlkreisen erhöht. In den Fällen, in denen eine Partei in einem Wahlkreis mehr Sitze erhielten, als sie Bewerber aufgestellt hatte, konnten diese entsprechend der Stimmenzahl an Bewerber ohne Sitz aus anderen Wahlkreisen vergeben werden, was durchaus einer Reaktivierung der verfassungsmäßig beanstandeten Landesabgeordneten nahekommt.

Am 22. Oktober 1931 erklärte der Landtag die Mandate der 15 Landesabgeordneten für ungültig, beschloss aber gleichzeitig ein Gesetz über sein verfassungsmäßiges Weiterbestehen. Eine gegen diese Beschlüsse erhobene Klage der NSDAP verwarf der Staatsgerichtshof am 5. November 1931.

Die Landtagswahlen am 24. April 1932 fanden auf Grundlage des am 3. März 1931 geänderten Landeswahlgesetzes statt.

Bewertung

Die bayerischen Wahlvorschriften beruhten – im Gegensatz zu den Wahlgesetzen des Reiches und aller anderen deutschen Länder, die auf der gebundenen Liste aufgebaut waren – nach den Worten des bayerischen Wahlrechtsexperten Heinrich von Jan (1881-1970) "auf dem System der freien Liste mit einnamiger Stimmgebung und Listenkonkurrenz" (v. Jan, Verfassung 1927, 13; Verfassung 1931, 11). Die Besonderheit des bayerischen Landtagswahlsystems bestand bis 1931 darin, dass für jeden Stimmkreis (ab 1924: 113) jeweils ein Abgeordneter gewählt wurde. Aus verbliebenen Stimmresten wurden des weiteren die Mandate von 15 Landesabgeordneten gespeist, die von den Parteien aus den nicht gewählten Bewerbern nach freiem Ermessen zu benennen waren. Dieses Verfahren blieb zunächst unbeanstandet, bis nach der Novellierung des Landeswahlgesetzes 1928 die vom Gesetzgeber gewollte Benachteiligung der kleineren Parteien offenkundig wurde, bei deren gerichtlicher Prüfung zudem die verfassungsrechtlich problematische Bestimmung der 15 Landesabgeordneten reklamiert wurde.

In der Praxis spielten die Wahlvorschläge – also die von den Parteien erstellten Listen – in diesem Wahlverfahren eine herausragende Rolle, so dass die Verbindung zwischen den Wählern und "ihren" Abgeordneten im Einzelfall nur sehr schwach ausgebildet sein konnte. Das verstärkte die Tendenz, dass sich die Abgeordneten weit mehr ihrer Partei als ihren Wählern verpflichtet fühlten, was dem Ansehen der parlamentarischen Demokratie insgesamt ersichtlich Abbruch tat. Zudem vergrößerte sich mit der Verringerung der Mandatszahl von zunächst 180 auf nur noch 128 einerseits die Distanz zwischen Abgeordneten und Wählern und andererseits die Abhängigkeit der Abgeordneten von den Parteien.

Dokumente

Literatur

  • Heinrich von Jan, Wahlrecht und Volksabstimmung, in: Jahrbuch für Öffentliches Recht 10 (1921), 177-221.
  • Joachim Lilla, Der Bayerische Landtag 1918/19-1933. Wahlvorschläge, Zusammensetzung, Biographien (Materialien zur bayerischen Landesgeschichte 31), München 2008.
  • Fritz Meindel, Die Entwicklung des bayerischen Landtagswahlrechts, Diss. jur. Uni Erlangen 1930.
  • Hans Nawiasky, Bayerisches Verfassungsrecht, München/Leipzig 1923.

Quellen

  • Heinrich von Jan (Hg.), Das Bayerische Landeswahlgesetz für Landtagswahlen, Volksbegehren und Volksentscheidungen in der Fassung vom 14. März 1932 mit der Landeswahlordnung vom 14. März 1932, München 3. Auflage 1932.
  • Heinrich von Jan (Hg.), Das bayerische Landeswahlgesetz für Landtagswahlen, Volksbegehren und Volksentscheidungen in der Fassung vom 30. März 1928 mit der Landeswahlordnung vom 30. März 1928, München 2. Auflage 1928.
  • Heinrich von Jan (Hg.), Das bayerische Landeswahlgesetz für Landtagswahlen, Volksbegehren und Volksentscheidungen vom 12. Mai 1920 mit der Landeswahlordnung vom 12. Mai 1920, München/Berlin/Leipzig 1920.
  • Heinrich von Jan (Hg.), Die Verfassungsurkunde des Freistaats Bayern vom 14. August 1919, München/Berlin/Leipzig 1927.
  • Heinrich von Jan (Hg.), Nachträge zum bayerischen Landeswahlgesetz (Gesetze vom 21. Juli 1921 und vom 6. Februar 1924) und die Landeswahlordnung vom 6. Februar 1924, München/Berlin/Leipzig 1924.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Verwandte Artikel

Frauenwahlrecht, Wahlrechtsreform

Empfohlene Zitierweise

Dirk Götschmann, Wahlrecht (Weimarer Republik), publiziert am 22.11.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Wahlrecht_(Weimarer_Republik) (16.04.2024)