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Volksstaat Bayern

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Der Aufdruck "Volksstaat Bayern" überdeckte auf den Briefmarken der bayerischen Post das Porträt des gestürzten Königs Ludwig III. (Privatbesitz)
Kopf der Zeitschrift "Der Volksstaat". Abb. aus: Der Volksstaat, Nr. 28 (5.4.1873). (Bayerische Staatsbibliothekk, 2 Eph.pol. 14 bn-1873,4/12)
Zeitgenössisches Titelblatt einer Sammlung von Reden Kurt Eisners, die im Titel den Begriff "Volksstaat" trägt. Abb. aus: Eisner, Kurt: Die neue Zeit, München 1919. (Bayerische Staatsbibliothek, Bavar. 4891 s-1)
Flugblatt der Regierung Hoffmann an die Bevölkerung Münchens. Abb. aus: Sammlung von Flugblättern betreffend die Münchener Räterepublik 1919. (Bayerische Staatsbibliothek 4 H.un.app. 1071 t)

von Franz J. Bauer

Kurzfristiger Staatsname Bayerns unter der Regierung Eisner 1918/19. Als deutsches Synonym für "Demokratie" war "Volksstaat" ein Kampfbegriff gegen den Obrigkeitsstaat, was seine häufige Verwendung in den Gliedstaaten des Deutschen Reichs nach dem Ersten Weltkrieg erklärt. Die schon vor 1914 einsetzende Vereinnahmung des Begriffs im Sinne der "Volksgemeinschaft" führte nach 1945 zur Diskreditierung des Worts.

Die Vokabel "Volk" 1918/19

Im Kontext der Novemberrevolution 1918 entfaltete die Vokabel "Volk" ihre reiche ideologische Fracht mit spezifischer programmatischer Tendenz: Überwindung der überkommenen politisch-sozialen Herrschaftsverhältnisse, Neugestaltung zugunsten und unter Mitwirkung der bisher benachteiligten oder ausgeschlossenen Massen in allen Bereichen und auf allen Ebenen von Staat und Gesellschaft - all das schwang in diesem leitmotivischen Begriff des 'Volkes' mit und konnte nach Bedarf aus ihm abgerufen werden. Nirgendwo wird der programmatisch-propagandistische Appell dieser zentralen Kategorie der revolutionären Rhetorik deutlicher als in dem hartnäckigen Pathos, mit dem die Regierung Eisner in ihren Verlautbarungen als "Regierung des Volksstaates Bayern" firmierte (z. B. Bauer, Die Regierung Eisner, Dok. 5, 6, 11, 13 , 20, 21).

'Volksstaat' statt Obrigkeitsstaat

'Volksstaat' meinte im 19. Jahrhundert zunächst einen Staatstypus, in welchem im Unterschied zum Obrigkeitsstaat die "Regierungsgewalt wesentlich vom Volke ausgeht" (Grimmsches Wörterbuch), und konnte damit als deutsches Synonym für "Demokratie" gelten. Bezeichnenderweise eignete sich dann die Sozialdemokratie die spezifisch national-libertäre und zugleich emanzipative Valenz des Wortes 'Volksstaat' an, um damit ihre Vision von der staatlichen Verfasstheit des in Freiheit geeinten und sich selbst regierenden Volkes auf den Begriff zu bringen. Das von Wilhelm Liebknecht (1826-1900) herausgegebene sozialdemokratische Parteiorgan trug in den späten 1860er Jahren den "Volksstaat" im Titel.

Semantische Verschiebung von Links nach Rechts

Im Ersten Weltkrieg, der die herrschenden Klassen des deutschen Kaiserreichs vor ganz neue Herausforderungen der Herrschaftslegitimation und der politisch-sozialen Konsensmobilisierung stellte, erfuhr der Volksbegriff generell und von ihm abgeleitet auch der des Volksstaats eine neue politisch-moralische Aufladung und zugleich eine bezeichnende semantische Verschiebung von Links nach Rechts. Was im national-liberalen Diskurs schon vor 1914 angelegt war, wurde nun im Zeichen der Burgfriedensrhetorik parolenhaft verdichtet. Friedrich Naumann (1860-1919) beschwor 1917, dass der Staat kein Klassenstaat sein dürfe, sondern ein "deutscher Volksstaat" zu sein habe, und Hugo Preuß (1860-1925) postulierte 1915 die "Identität von Volk und Staat, Staatsvolk im Volksstaat" (Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe 7, 392ff.). Insofern war es diskursdialektisch nur konsequent, dass mit dem überraschenden Umsturz vom November 1918 die Köpfe der Revolution den Volksbegriff wieder im demokratisch-emanzipatorischen Sinne aus der Deutungshoheit der Rechten zurückzuerobern suchten - vom Berliner 'Rat der Volksbeauftragten' bis zu den Volksstaatbenennungen einzelner Bundesstaaten wie Hessen, Württemberg oder eben Bayern. Dass dieser Versuch scheiterte, zeigt nichts deutlicher als die kompromittierende Totalvereinnahmung des Volksbegriffs durch den Nationalsozialismus. Sonderentwicklungen, wie die Kontinuität des Volkstaatsbegriffs in Württemberg und Hessen (1919-1933) und in Württemberg-Hohenzollern (1947-1952) sowie die auf Wilhelm Högner (SPD, 1887-1980) zurückgehende Verwendung des Wortes in der Bayerischen Verfassung von 1946 (Art. 2 Abs. 1: Bayern ist ein Volksstaat.), können diesen Befund nur bestätigen.

Literatur

  • Steffen Bruendel, Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die "Ideen von 1914" und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, Berlin 2003, 104-108 und 240-245.
  • Reinhart Koselleck, Art. 'Volk, Nation', Abs. XIV: 'Volk', 'Nation', 'Nationalismus' und 'Masse' 1914-1945, in: Geschichtliche Grundbegriffe 7 (1992), 389-398.
  • Karl Heinrich Pohl/Bernhard Grau, Kurt Eisners Volksstaat. Zur Bedeutung der "politischen Pädagogik" in der Revolution von 1918/19, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 37 (1995), 3-21.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Franz J. Bauer, Volksstaat Bayern, publiziert am 26.06.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Volksstaat_Bayern> (28.03.2024)