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Volkssozialistische Selbsthilfe Rheinpfalz, 1933/34

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Abdruck des volkssozialistischen Ehrengesetzes auf der Titelseite der Ausgabe der "NSZ-Rheinfront" vom 8. September 1933. (NSZ-Rheinfront/1933, 7/9, Jg. 4, Bayerische Staatsbibliothek, 2 Eph. pol. 76 t-1933, 7/9)

von Gerhard Nestler

Wichtigstes sozialpolitisches Projekt des pfälzischen Gauleiters Josef Bürckel (1895-1944), initiiert im Sommer 1933. Die Volkssozialistische Selbsthilfe verpflichtete jeden Pfälzer, monatlich eine festgelegte Geldsumme für staatliche Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt, im Wohnungsbau, für Bedürftige u. ä. zu spenden. Wegen des erbitterten Widerstandes aus München und Berlin musste Bürckel sein Projekt im Sommer 1934 einstellen.

"Sozialismus der Tat"

Der pfälzische Gauleiter Bürckel gehörte zum antikapitalistischen Flügel der NSDAP und war ein enger Freund von Gregor Strasser (1892-1934), dem führenden Exponenten der nationalsozialistischen Linken. Er wird häufig als "roter Gauleiter" charakterisiert, die Pfalz galt als "Strasser-Gau". Die "Volkssozialistische Selbsthilfe Rheinpfalz" initiierte Bürckel unter der Parole "Sozialismus der Tat".

Organisation und Ziel

Das Projekt wurde der Öffentlichkeit im August 1933 während einer Massenkundgebung in Kaiserslautern als "Sozialistische Pfalzselbsthilfe" präsentiert und erhielt wenig später die offizielle Bezeichnung "Volkssozialistische Selbsthilfe Rheinpfalz". Ein "Volkssozialistisches Ehrengesetz", das am 2. September 1933 in Kraft trat, verpflichtete jeden Pfälzer, monatlich eine bestimmte Geldsumme zu spenden, "keiner mehr als er kann, keiner weniger als ihm der Volksgenosse wert ist", wie es im Artikel 8 des "Gesetzes" hieß. Für die Beamten, Arbeiter und Angestellten der Kommunalverwaltungen wurden von den Gemeinden Richtsätze für die Höhe der Spenden festgelegt und die Beträge in der Regel direkt vom Lohn oder Gehalt einbehalten. In Landau lagen diese Richtsätze beispielsweise zwischen 30 Pfenning bei Gehältern bis 80 Reichsmark und 6 % bei Gehältern über 1.000 Reichsmark monatlich. Wer sich weigerte, musste mit öffentlicher Ächtung rechnen. Wie hoch die Summe der eingesammelten Gelder war, ist nicht bekannt. Bürckel ging bei der Verkündigung seines Programms von einem Volumen von 600.000 Reichsmark monatlich aus - eine Summe, die aber wohl kaum erreicht wurde.

Mit den so gesammelten Geldern finanzierte Bürckel vor allem Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Kredite zum Bau von Siedlungshäusern und Hilfsfonds für Bedürftige. Es gibt allerdings zahlreiche Hinweise, dass bei der Gewährung sozialer Hilfen nicht selten die politische Zuverlässigkeit und Verdienste für die NS-Bewegung ebenso wichtige Entscheidungskriterien waren wie die Bedürftigkeit der Empfänger.

Widerstände und Ende des Projekts

In weiten Kreisen der bäuerlichen Bevölkerung stieß die "Volkssozialistische Selbsthilfe" allerdings auf erheblichen Widerstand. Zahlreiche Landwirte befürchteten, die Gelder würden nur der städtischen Bevölkerung zugute kommen. Da Bürckels Programm zudem massiv in staatliche, kommunale und privatwirtschaftliche Zuständigkeiten eingriff, lehnten es auch die Regierungsstellen in München und Berlin von Anfang an ab. So verbot das bayerische Staatsministerium der Justiz am 19. September 1933 allen pfälzischen Justizbeamten und Notaren, sich an der Volkssozialistischen Selbsthilfe zu beteiligen – ein Erlass, den Bürckel einen Tag später jedoch selbstherrlich außer Kraft setzte. Auch der Versuch des bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert (1874-1942), den pfälzischen Gauleiter zur Beendigung seiner sozialpolitischen Alleingänge zu bewegen, blieb ohne Erfolg. Zwar stimmte Bürckel im Spätherbst 1933 der Eingliederung der Selbsthilfe in das "Winterhilfswerk" zu, ließ aber keinen Zweifel daran, dass er sein Projekt im Frühjahr wieder aufnehmen werde. Erst als Hitler im Sommer 1934 ein allgemeines Sammlungsverbot erließ und damit der Volkssozialistischen Selbsthilfe die Grundlage entzog, lenkte Bürckel ein. Mit Wirkung vom 1. April 1935 wurde die Volkssozialistische Selbsthilfe dann endgültig in das Amt für Volkswohlfahrt eingegliedert.

Literatur

  • Hans-Joachim Heinz, Bürckels Gaupartikularismus, München und Berlin 1933-1939, in: Hans Fenske (Hg.), Die Pfalz und Bayern 1816-1956, Speyer 1998, 213-235.
  • Hans-Joachim Heinz, NSDAP und Verwaltung in der Pfalz. Allgemeine innere Verwaltung und kommunale Selbstverwaltung im Spannungsfeld nationalsozialistischer Herrschaftspraxis 1933-1939, Mainz 1994.
  • Michael Schepua, "Sozialismus der Tat" für das "Bollwerk im Westen": Entwicklung und Besonderheiten des Nationalsozialismus in der Pfalz, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 25 (1999), 551-601.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Empfohlene Zitierweise

Gerhard Nestler, Volkssozialistische Selbsthilfe Rheinpfalz, 1933/34, publiziert am 29.05.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Volkssozialistische_Selbsthilfe_Rheinpfalz,_1933/34> (28.03.2024)