Verfassung des Königreichs Bayern (1818)
Aus Historisches Lexikon Bayerns
Am 26. Mai 1818 erließ Max I. Joseph eine neue Verfassung für das Königreich Bayern. Sowohl außen- als auch innenpolitische Motive lagen ihrer Einführung zugrunde. Sie sollte einerseits die Souveränität Bayerns schützen und den ungünstigen Passagen des 1817 geschlossenen Konkordats entgegentreten, andererseits die Integration der alt- und neubayerischen Landesteile fördern, u.a. mit Hilfe der Einführung einer Volksvertretung. Die oktroyierte, in ihrer Zeit dennoch sehr fortschrittliche Verfassung verwandelte Bayern in eine konstitutionelle Monarchie, wobei der König der alleinige Inhaber der staatlichen Souveränität blieb und die volle Gewaltenteilung noch nicht verwirklicht wurde. Immer wieder den Zeitverhältnissen angepasst, behielt die Verfassung ihre Gültigkeit bis zum Ende der Monarchie 1918.
Die außenpolitische Situation Bayerns 1818
Seit 1815/1816 und nachdem man Napoleon I. (1769-1821, franz. Kaiser 1804-1814 und 1815) endgültig besiegt hatte, war Friede in Europa eingekehrt. Außerdem war es den deutschen Staaten (inkl. Bayern) während des Wiener Kongresses gelungen, mit dem Deutschen Bund eine defensiv ausgerichtete Ordnung für die Mitte Europas ins Leben zu rufen. München erwartete sich von diesem Bund vor allem Schutz vor revolutionären Bewegungen, war aber gleichzeitig immer wieder in Sorge vor einer möglichen Aushöhlung seiner Souveränität seitens der deutschen Großmächte Österreich und Preußen.
Eine eigenständige Außenpolitik betrieb Bayern seit dem Ende der napoleonischen Ära so gut wie nicht mehr. Dafür war das Königreich zu klein und seine militärische Macht zu begrenzt, die europäischen Großmächte sahen in Bayern keinen relevanten Bündnispartner mehr. Seit etwa 1814/1816 verhandelte die bayerische Regierung in Rom über ein Konkordat (völkerrechtlicher Vertrag), um das Verhältnis zur Kurie nach den Umwälzungen der Mediatisierungen, der Säkularisation und der Reformen Maximilian von Montgelasʼ (1759-1838) wieder auf eine tragfähige Basis zu stellen.
Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas (1759-1838). Gemälde von Joseph Hauber (1766-1834), ca. 1804. (Bayerisches Nationalmuseum, 2006/214.1-2, lizenziert durch CC BY-NC-ND 4.0)
Karte des Deutschen Bundes (1815-1866). (Karte: Ziegelbrenner, lizenziert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)
Urkunde des bayerischen Konkordats vom 5. Juni 1817. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Bayern Urkunden 1687, lizenziert durch CC BY-NC-ND 4.0 via bavarikon)
Die innenpolitische Situation Bayerns 1818
1816 war die Pfalz als letztes neubayerisches Territorium an das Königreich gelangt, als Ausgleich für Gebiete, die Bayern gemäß dem Vertrag von Ried (8. Oktober 1813) an Österreich zurückgegeben hatte. Seitdem begann sich auch die innenpolitische Situation des Königreichs zu konsolidieren. Allerdings erwies sich die Integration Neubayerns weiterhin als drängende Aufgabe. Dazu kamen noch die hohe Staatsverschuldung sowie so manche Härten aufgrund der Montgelasʼschen Reformen. Ungeklärt war außerdem noch immer das Verhältnis zwischen Staat und katholischer Kirche. Die Mediatisierung der geistlichen Staaten hatte auch dazu geführt, dass mehrere Bischofsstühle (Augsburg, Bamberg, Freising und Würzburg) unbesetzt waren und dadurch keine Pontifikalhandlungen (Priesterweihen und Firmungen) mehr stattfinden konnten. Weil jedoch etwa drei Viertel der bayerischen Untertanen katholisch waren, durfte die Münchner Regierung solche Missstände nicht auf Dauer ignorieren. Für die nötige Normalisierung der Verhältnisse bedurfte es eines Konkordats, das 1817 vom bayerischen Gesandten am Heiligen Stuhl ohne Rücksprache mit der bayerischen Regierung unterzeichnet wurde. Teile dieses Vertrags stellten aber die bereits 1803 in mehreren Edikten verankerte Parität der drei christlichen Konfessionen in Frage. Auch dagegen sollte schließlich die Verfassung von 1818 das nötige Mittel bereitstellen, indem 1818 ein neues Religionsedikt Teil der Verfassung war, das Konkordat aber lediglich als Anhang dieses Edikts veröffentlicht wurde.
Die Motive für die Revision der Konstitution von 1808

Der bayerischen Konstitution von 1808 war keine lange Gültigkeit beschieden. Sie hatte zusammen mit den Organischen Edikten inzwischen den Zweck erfüllt, Bayern zu einem einheitlich zu regierenden Staat werden zu lassen. Am 26. Mai 1818 wurde schließlich im Königreich unter Glockengeläut und Kanonendonner ein neues, nun Verfassung genanntes „Staatsgrundgesetz“ verkündet. Dessen Entstehung lag ein ganzes Bündel von Motiven zugrunde. Rasch war Kritik an der Konstitution von 1808 laut geworden, vor allem hinsichtlich der fehlenden Beteiligung der Staatsbürger an der Legislative. Der Kronprinz, der spätere König Ludwig I. (1786-1868, reg. 1825-1848), war in diesen Jahren zutiefst davon überzeugt, dass einem Kreis von gebildeten bzw. vermögenden Untertanen – so auch dem landständischen Adel – die Beteiligung an ausgewählten politischen Materien ermöglicht werden sollte. Dazu kam noch die Überlegung, nicht nur dem landständischen, sondern vor allem dem vormals reichsunmittelbaren, nun aber mediatisierten Adel ein politisches Aktionsfeld im Königreich zu eröffnen. Das sollte dessen Integrationswilligkeit befördern. In der Deutschen Bundesakte von 1815 war in Art. 13 zudem formuliert worden, dass in allen Bundesstaaten eine „Landständische Verfassung statt finden“ sollte. Die Konstitution von 1808 erfüllte die diesbezüglichen Anforderungen jedoch nicht. So war etwa die angekündigte Volksvertretung nie einberufen worden. Außerdem hegte die Regierung in München die Sorge, ob und wie man angesichts des damals noch bevorstehenden Wiener Kongresses und der angestrebten Neuordnung Deutschlands die bayerische Souveränität würde bewahren können.
Zu den Motiven, eine neue Verfassung zu erlassen, gehörten darüber hinaus der nach 1815 weiterhin drohende Staatsbankrott des Königreichs, da man die während der napoleonischen Epoche angehäuften Schulden noch längst nicht hatte tilgen können, sowie die im Winter 1817/1818 erneut akut werdende Gefahr für Bayerns Souveränität, die von den von Clemens Wenzel von Metternich (1773-1859) ins Auge gefassten Rahmengrundsätzen für einzelstaatliche Verfassungen ausging. Dazu kam noch die Hoffnung, mit dem Großherzogtum Baden bestehende Grenzstreitigkeiten um eine Landverbindung zwischen dem rechtsrheinischen Bayern und der Pfalz zum Vorteil Bayerns beeinflussen zu können, sollte es Bayern gelingen, vor Baden eine Verfassung zu verabschieden. Nicht übersehen werden darf in diesem Zusammenhang außerdem der bereits angesprochene Versuch der bayerischen Regierung, den für Bayern nachteiligen Bestimmungen des 1817 mit dem Hl. Stuhl geschlossenen Konkordats mit Hilfe eines neuen Staatsgrundgesetzes zu begegnen.
Die Entstehung der Verfassung von 1818
Am 17. September 1814 befahl König Max I. Joseph (1856-1825, reg. 1799-1825) seinem Minister Montgelas, die Revision der Konstitution von 1808 in Angriff zu nehmen. Unmittelbarer Anlass und schließlich konkretes Vorbild war hierbei die vom französischen König Ludwig XVIII. (1755-1824) verkündete Charte von 1814. Die Arbeiten zogen sich, mit häufigen Unterbrechungen, bis in das Jahr 1818. Auf der Basis von Leitsätzen für die Verfassungsberatungen, die Montgelas verfasst und der König gebilligt hatte, beriet unter dem Vorsitz von Justizminister Heinrich Aloys Graf von Reigersberg (1770-1865) eine eigens gegründete Kommission aus Beamten und ministeriellen Mitarbeitern mehrere Monate lang. In den Montgelasʼschen Leitsätzen waren bereits diverse Grundprinzipien genannt, die die spätere Verfassung auszeichneten: das Zweikammersystem für die Volksvertretung, deren Zuständigkeit für die Staatsschulden und die Festlegung der direkten Steuern usw. Allerdings sollten die indirekten Steuern dem Zugriff des Parlaments entzogen bleiben und den Grundholden wollte Montgelas das passive Wahlrecht nicht zuerkennen. Mitte Februar 1815 legte die Kommission einen mit knapper Mehrheit verabschiedeten und letztlich von Johann Adam Freiherrn von Aretin (1769-1822) ausgearbeiteten Entwurf vor. Dieser Entwurf wollte jedoch die Rechte der ins Auge gefassten zwei Kammern einer noch zu bildenden Volksvertretung sowie die Rechte der Wähler noch weitaus stärker beschneiden als dies bereits in Montgelas‘ Leitsätzen vorgegeben war. Die in der Kommission vertretenen Verfassungsfreunde, einige Liberale um Maximilian Freiherrn von Lerchenfeld (1778-1843), sahen sich daraufhin genötigt, mit einem Minderheitsvotum bei Max I. Joseph gegen den von ihnen als reaktionär empfundenen Entwurf Stellung zu beziehen. Die 1818 vom bayerischen König verkündete Verfassung kam den Forderungen der Verfassungsfreunde schließlich weit entgegen. Verantwortlich hierfür war in hohem Maße Ludwigs z.T. scharfe Kritik am Entwurf der Kommission; sein Vater hatte ihn zu einer Stellungnahme am 1. März 1815 aufgefordert. Ludwigs eigene Vorschläge zielten stattdessen auf eine wesentlich intensivere Mitarbeit der Kammern an der Legislative.
Max I. Joseph (1756-1825, Kurfürst von Pfalzbayern 1799-1805, König von Bayern 1806-1825) im königlichen Ornat. Die rechte Hand des Königs liegt auf der Verfassung. Gemälde von Moritz Kellerhoven (1758-1830), wohl 1818. (© Bayerische Schlösserverwaltung, Rainer Herrmann/Ulrich Pfeuffer/Maria Scherf, München ResMü. G 1254)
Daraufhin ordnete der König unverzüglich eine Überarbeitung des Kommissionsentwurfes an. Dennoch dauerte es bis in das Frühjahr 1818, bis die Arbeiten am Verfassungsentwurf wirklich energisch aufgenommen wurden. Vor allem Montgelas war für die neuerlichen Verzögerungen verantwortlich. Er wollte die Verkündigung einer solchen Verfassung zweifelsohne noch länger hinausschieben, da er die bayerischen Untertanen nicht für politisch reif genug hielt, um gemäß den Vorschlägen des Kronprinzen an der Regierungsverantwortung beteiligt zu werden.
Erst der Sturz des bis dahin fast allmächtigen bayerischen Ministers 1817 machte den Weg für die schließlich zum Ziel führenden Verfassungsberatungen frei. Am Ende wurde die Verfassung von 1818 in Rekordzeit erarbeitet. 36 Sitzungen einer eigens eingerichteten Ministerialkonferenz seit Mitte März 1818, an denen vor allem Georg Friedrich von Zentner (1752-1835) federführend beteiligt war, genügten: Am 26. Mai 1818 konnte die Verfassung öffentlich bekannt gemacht werden, indem zuerst in München, dann auch in anderen bayerischen Städten Herolde den Verfassungstext verlasen. Der König wiederum leistete seinen Eid auf die Verfassung und feierte dieses Ereignis mit einem Dankgottesdienst und einer festlichen Opernaufführung.
Wie die Konstitution von 1808 wurde die Verfassung von 1818 allein auf Befehl des Königs von dessen Beamten ausgearbeitet und dem Volk mehr oder weniger "geschenkt". Da die Untertanen bei dieser Ausarbeitung nicht beteiligt wurden, spricht man von einer oktroyierten Verfassung.
Heinrich Alois von Reigersberg (1770-1865) war von 1810 bis 1823 bayerischer Justizminister und 1814 Vorsitzender der Verfassungskommission. Graphik von unbekanntem Künstler, um 1850. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-025192)
Johann Adam von Aretin (1769-1822) war 1814 Mitglied der Verfassungskommission. Der bayerische Beamte hatte im Laufe seiner Karriere mehrere Posten inne, u.a. ab 1817 Gesandter bei der Bundesversammlung in Frankfurt am Main. Graphik von Johann Meyer (1801-1877) nach Christian Heinrich Hanson (1790-1863). (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-019444, lizenziert durch PDM 1.0)
Maximilian Emanuel Graf von Lerchenfeld auf Köfering (1778-1843) war von 1817 bis 1825 bayerischer Finanzminister. Er war zugleich ab 1817 auch Mitglied der Verfassungskommission. Porträtzeichnung von Franz Hanfstaengl (1804-1877), 1835. (Österreichische Nationalbibliothek, Porträtsammlung)
Der Staatsrechtler und bayerische Beamte Georg Friedrich von Zentner (1752-1835) war ab 1813 Mitarbeiter im Innenministerium, ab 1817 Staatsrat im Innenministerium. Er war ebenfalls Mitglied der Verfassungskommission. Graphik von Franz Hanfstaengl (1804-1877), 1830. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-010171, lizenziert durch PDM 1.0)
Inhalt der Verfassung
Die Präambel der Verfassung nimmt Bezug auf die Konstitution von 1808 sowie auf den Wiener Kongress und nennt als Zweck, das Wohl aller bayerischen Untertanen zu befördern. Es folgt die Absichtserklärung, eine „ständische Versammlung“ ins Leben zu rufen. Anschließend werden die bürgerlichen Rechte aufgelistet, ergänzt von diversen Rechten und Pflichten, die bereits dank der Montgelasʼschen Reformen eingeführt worden waren: u.a. die Abschaffung ständischer Privilegien und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Der eigentliche Text der Verfassung ist in zehn Titel gegliedert.
Titel | Überschrift | Inhalt |
---|---|---|
I. | Allgemeine Bestimmungen. | Bayern ist ein souveräner Staat (§ 1); es gibt eine in zwei Kammern aufgeteilte Volksvertretung (§ 2) |
II. | Von dem Könige und der Thronfolge, dann der Reichs-Verwesung. | alle Staatsgewalt geht vom König aus (Monarchisches Prinzip), die er gemäß den Bestimmungen der Verfassung ausübt (§ 1); Regelungen der Thronfolge im Mannesstamm (agnatische Linie) bis zum Fall des Aussterbens des Herrscherhauses (§§ 2-6); Volljährigkeit des Thronfolgers (§ 7); Regelungen für eine Regentschaft (Reichsverweserschaft) (§§ 9-22) |
III. | Von dem Staatsgute. | das Königreich ist unteilbar und unveräußerlich (§ 1); Aufzählung, was zum unveräußerlichen Staatsgut gehört (z.B. alle Archive, öffentlichen Anstalten und Gebäude, Sammlungen für Künste und Wissenschaften usw.); Umgang mit dem Staatsgute (§§ 2-7) |
IV. | Von allgemeinen Rechten und Pflichten. | Voraussetzungen, unter denen die männlichen Untertanen ihre bürgerlichen, öffentlichen und privaten Rechte genießen (§§ 1-4): Aufzählung dieser Rechte (gleiches Recht beim Erwerb von Ämtern und Pfründen, Gewissensfreiheit, Gleichheit der Steuerpflichten usw.) (§§ 5-14); Verhältnis von Staat und Kirche in Bayern (§ 9) |
V. | Von besondern Rechten und Vorzügen. | Kronämter und Kronbeamte (§ 1); der vormals reichsunmittelbare Adel (§§ 2-3); der bayerische Adel (§ 4); höhere Beamte und Geistliche (§§ 5-6) |
VI. | Von der Stände-Versammlung. | Zusammensetzung der beiden Kammern, der Kammer der Reichsräte und der Kammer der Abgeordneten (§§ 1-10); Bedingungen der Wahl der Abgeordneten (§§ 11-14); Arbeitsbedingungen der beiden Kammern (§§ 15-19) |
VII. | Von dem Wirkungskreis der Ständeversammlung. | Gesetzgebung der Kammern bei alleiniger Gesetzesinitiative des Königs und seiner Regierung (§§ 1-2); Befugnisse der Kammern hinsichtlich direkter und indirekter Steuern (§ 3); (eingeschränktes) Budgetrecht der beiden Kammern (§ 4); Dauer der Finanzperiode (§§ 5-10); Rechte der Kammern hinsichtlich Staatsschuld und Schuldentilgung (§§ 11-16); Petitionsrecht (§§ 19-20); Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde (§ 21); Dauer der Legislaturperiode (§§ 22-23); Ratifizierung der Gesetze (§ 30) |
VIII. | Von der Rechtspflege. | Gerichtsbarkeit geht vom König aus (§ 1); die Richter sind in der Ausübung ihres Amtes unabhängig (§ 3); Recht des Monarchen, Gnadenakte zu erlassen (§ 4); Ankündigung eines einheitlichen gesamtbayerischen Zivilrechts (§ 7) |
IX. | Von der Militaire-Verfassung. | allgemeine Wehrpflicht, ausgenommen sind die Geistlichen (§ 1); Organisation und Aufgaben des bayerischen Heeres (§§ 2-7) |
X. | Von der Gewähr der Verfassung. | Eid des Monarchen, des Reichsverwesers, der königlichen Prinzen auf die Verfassung (§§ 1-2); Eid der Beamten und der männlichen Staatsbürger auf den Monarchen (§ 3); Voraussetzungen für Verfassungsänderungen (§ 7) |
Von den insgesamt zehn Titeln der Verfassung sind Titel II („Von dem Könige und der Thronfolge“), Titel VI („Von der Stände-Versammlung“) und Titel VII („Von dem Wirkungskreise der Stände-Versammlung“) die umfangreichsten des Verfassungstextes. Sie behandeln gleichsam die Kernpunkte der konstitutionellen Monarchie in Bayern. Die Bestimmung, wonach allein der Monarch das Recht habe, die beschlossenen Gesetze zu ratifizieren, zeigt freilich, dass in Bayern seit 1818 noch keine volle Gewaltenteilung herrschte. Denn dem König oblag die Exekutive, er war aber gleichzeitig an der Legislative beteiligt. Außerdem durfte nur er die Minister ernennen bzw. entlassen, die Mehrheitsverhältnisse in der Ständeversammlung hatten darauf keinen Einfluss.
Datiert auf den 26. Mai 1818 wurde die bayerische Verfassung am 17. Juni 1818 öffentlich bekannt gemacht. Beigegeben wurden der Verfassung noch zehn Edikte, u.a. zur Pressefreiheit, zu den Rechten des Adels und hinsichtlich der Ständeversammlung. Als besonders wichtig erwies sich hierbei das zweite Edikt, das sogenannte Religionsedikt, das die Beziehungen zwischen dem bayerischen Staat und den Kirchen, vor allem der katholischen Kirche, nach dem Konkordat des Jahres 1817 regelte. Das Religionsedikt beinhaltete als Beilagen das Konkordat von 1817 und ein Protestantenedikt. Es wurde am 22. Juni 1818 publiziert.
Beilage Nr. | Titel | Inhalt |
---|---|---|
I. | Edict über das Indigenat. | Festlegung, wer in Bayern in den Genuss der „bürgerlichen öffentlichen und Privatrechte“ gelangt und welche Pflichten damit verbunden sind, heute würde man von einer Definition der Staatsangehörigkeit sprechen |
II. | Edict über die äußern Rechtsverhältnisse des Königreichs Bayern in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften. | nochmalige Bekräftigung der bereits zuvor in Bayern gültigen Gesetze zu Toleranz und religiöser Parität; Festlegung des Vorrangs der staatlichen Interpretation mehrdeutiger Stellen des Konkordats; Wiedereinführung diverser staatlicher Aufsichtsrechte vor allem über die katholische Kirche in Bayern |
III. | Edict über die Freiheit der Presse und des Buchhandels. | Definition der Bedingungen der Pressefreiheit und deren Grenzen |
IV. | Edict, die staatsrechtlichen Verhältnisse der vormals reichsständischen Fürsten, Grafen und Herren betreffend. | Rechte und Pflichten der vormals reichsunmittelbaren Fürsten, Grafen und Herren im Königreich sowie in ihren mediatisierten Territorien (u.a. Titel, Gerichtsrechte, Polizei, religiöse und kirchliche Angelegenheiten, Grundherrschaft, Besteuerung der nunmehrigen Standesherren) |
V. | Edict über den Adel im Königreiche Bayern. | Beschreibung, was unter Adel zu verstehen ist; Rechte des Adels in Bayern; Verlust des Adels |
VI. | Edict über die gutsherrlichen Rechte und die gutsherrliche Gerichtsbarkeit. | Beschreibung der gutsherrlichen Rechte des Adels und der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit; Polizei; Schul-, Kirchen-, Gemeindeangelegenheiten; Besteuerung usw. |
VII. | Edict über die Familien-Fideicommisse. | Möglichkeit des Adels, Familien-Fideikommisse zu errichten, mit deren Hilfe das jeweilige Gesamtvermögen der Familie vor Erbteilung geschützt werden sollte; Beschreibung eines Familien-Fideikommisses; Bedingungen der Errichtung; damit verbundene Rechte und Pflichten; Erbfolge; Auflösung von Familien-Fideikommissen |
VIII. | Edict über die Siegelmäßigkeit. | Definition, wer im Königreich Bayern berechtigt ist zu siegeln (Adel und höhere Beamte); Verlust der Siegelmäßigkeit |
IX. | Edict über die Verhältnisse der Staatsdiener, vorzüglich in Beziehung auf ihren Stand und Gehalt. | Bedingungen der Ernennung zum Staatsdiener; Besoldungsstufen; Entlassung aus dem Staatsdienst; Disziplinar- und andere Strafen; Ruhestandsbedingungen; Pensionen, u.a. auch für Witwen und Waisen |
X. | Edict über die Ständeversammlung. | genaue Definition der Zusammensetzung der beiden Kammern; Wahl der Abgeordneten; Bedingungen der Einberufung der Ständeversammlung und deren Sitzungen; Befugnisse; Geschäftsgang; Ausschüsse; Beschlüsse der beiden Kammern; Schließung der Ständeversammlung |
Bedeutung, Wirksamkeit und weitere Entwicklung der Verfassung
Hervorzuheben ist, dass die bayerische Verfassung von 1818 in ihrer Zeit außerordentlich fortschrittlich war. Sie reiht sich ein in die Entwicklung des süddeutschen Frühkonstitutionalismus mit seinen fast gleichzeitig verabschiedeten Verfassungen des Großherzogtums Baden (1818), des Königreichs Württemberg (1819) sowie des Großherzogtums Hessen-Darmstadt (1820). Die beiden deutschen Großmächte, Österreich und Preußen, sollten dagegen erst nach 1848 Verfassungen erhalten. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass in der Pfalz, dem 1816 zum Königreich gekommenen linksrheinischen Bayern, diverse Errungenschaften aus der napoleonischen Zeit, die über die Bestimmungen von 1818 hinausgingen, von der bayerischen Regierung nicht zurückgenommen wurden. Das führte dazu, dass die Pfalz wie eine Art Katalysator wirkte, wenn es um die Forderung nach und die Durchsetzung von mehr Rechten für die bayerischen Untertanen ging. Man denke nur an das Hambacher Fest von 1832.
Bemerkenswert ist, dass die bayerische Verfassung von 1818 in ihrem Kern bis zum Ende des Königreichs 1918 gültig blieb. Sie überstand – immer wieder modifiziert und den Zeitverhältnissen angepasst – die revolutionären Ereignisse von 1848/1849 ebenso wie die Gründung des Deutschen Reiches 1870/1871.
Die Verfassung von 1818 verwandelte Bayern endgültig in eine konstitutionelle Monarchie. Mit ihr war für Bayern bis 1918 die Monarchie als Staatsform festgeschrieben. Unter König Max II. (1811-1864, reg. 1848-1864) gab es im Gefolge der Revolution von 1848 eine Reihe verfassungsändernder Gesetze, die u.a. die Zusammensetzung der Zweiten Kammer der Volksvertretung, die von nun an offiziell als „bayerischer Landtag“ bezeichnet wurde, betrafen. Der Kreis der aktiven Wähler wurde deutlich vergrößert. Beibehalten wurde dagegen die indirekte und die öffentliche Wahl der Abgeordneten (geheime Wahl dann seit 1881). Dass den beiden Kammern 1848 außerdem das Initiativrecht eingeräumt wurde, ist besonders hervorzuheben. Nicht angetastet wurden das Monarchische Prinzip, die Stellung des Königs als alleiniger Quell der staatlichen Souveränität sowie sein Recht, unabhängig von den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen die Regierung zu bestimmen. Versuche Max‘ II. in den 1850er Jahren, zu den Bestimmungen der Jahre vor 1848 zurückzukehren, scheiterten an den Mehrheitsverhältnissen des Landtags und der ablehnenden Haltung seiner Minister.
Bis 1906 dauerte es, bis die bayerischen Abgeordneten schließlich in direkter Wahl ihr Mandat erhielten und bis das relative Mehrheitswahlrecht das absolute Mehrheitswahlrecht ablöste. Ergänzt wurden diese Änderungen durch die ebenfalls 1906 verabschiedete gesetzliche Einteilung der Wahlbezirke. Außerdem durften seit 1906 alle Männer über 25 Jahren, die seit mindestens einem Jahr eine direkte Steuer zahlten und gleichzeitig ebenso lang die bayerische Staatsangehörigkeit besaßen, den bayerischen Landtag wählen. Bayern besaß seitdem eines der fortschrittlichsten einzelstaatlichen Wahlgesetze im Deutschen Reich.
Scheitern sollte schließlich im Herbst 1918 der von Ludwig III. (1845-1921, reg. 1912/1913-1918) mitgetragene Versuch, Bayern in eine parlamentarische Monarchie zu verwandeln. Auf diese Weise sollte die längst drohende Revolution verhindert werden. Der Prozess der Verfassungsänderung war allerdings noch nicht beendet, als Kurt Eisner (1867-1919) in der Nacht vom 7. auf den 8. November 1918 die Republik in Bayern ausrief. Die Verfassung von 1818 verlor damit ihre Gültigkeit. Am 15. September 1919 trat zwar erneut eine eigene bayerische, die sogenannte Bamberger Verfassung in Kraft, doch die bereits am 14. August 1919 veröffentlichte Weimarer Reichsverfassung definierte auch in Bayern weitgehend die Rahmenbedingungen des politischen Lebens.
Literatur
- Karl Otmar von Aretin, Bayerns Weg zum souveränen Staat. Landstände und konstitutionelle Monarchie 1714-1818, München 1976.
- Michael Doeberl, Ein Jahrhundert bayerischen Verfassungslebens, München 1918.
- Heinz Gollwitzer, Ludwig I. von Bayern. Königtum im Vormärz. Eine politische Biographie, München 2. Auflage 1987.
- Rudolf M. Kloos (Hg.), Bayerns Weg zum modernen Staat. Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs München zum 150. Jahrestag der Verfassung des Königreichs Bayern vom 26. Mai 1818, München 1968.
- Hans-Michael Körner, „Bemerkungen über den Entwurf der Verfassung für Baiern“. Das Verfassungsgutachten des Kronprinzen Ludwig von Bayern vom 9. März 1815, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 49 (1986), 421-448.
- Michael Kotulla, Deutsches Verfassungsrecht 1806-1918. Eine Dokumentensammlung nebst Einführungen, Bd. 2: Bayern, Berlin, Heidelberg 2007.
- Andreas Kraus, Die Regierungszeit Ludwigs I. (1825-1848), in: Alois Schmid (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, begründet von Max Spindler, Bd. IV: Das Neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart, Teilbd. 1: Staat und Politik, München 2. Auflage 2003, 127-234.
- Karl Möckl, Der moderne bayerische Staat. Eine Verfassungsgeschichte vom Aufgeklärten Absolutismus bis zum Ende der Reformepoche (Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern III/1) , München 1979.
- Karl Möckl, Reform und „Nation“ Bayern. Von der Konstitution von 1808 zur Verfassung von 1818, in: Alois Schmid (Hg.), Die bayerische Konstitution von 1808. Entstehung, Zielsetzung, europäisches Umfeld, München 2008, 337-357.
- Karl Borromäus Murr, Ludwig I. Königtum der Widersprüche, Regensburg 2012.
- Katharina Weigand, Gaibach. Eine Jubelfeier für die bayerische Verfassung?, in: Alois Schmid / Katharina Weigand (Hgg.), Schauplätze der Geschichte in Bayern, München 2003, 291-308.
- Eberhard Weis, Zur Entstehungsgeschichte der bayerischen Verfassung von 1818. Die Debatten in der Verfassungskommission 1814/15, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 39 (1976), 413-444.
- Eberhard Weis, Die Begründung des modernen bayerischen Staates unter König Max I. (1799-1825), in: Alois Schmid (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte, begründet von Max Spindler, Bd. IV: Das Neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart, Teilbd. 1: Staat und Politik, München 2. Auflage 2003, 3-126.
- Eberhard Weis, Montgelas, Bd. 2: Der Architekt des modernen bayerischen Staates 1799-1838, München 2005.
- Dietmar Willoweit / Steffen Schlinker / Kyrill-Alexander Schwarz, Deutsche Verfassungsgeschichte. Von Frankreich bis zur europäischen Union. Ein Studienbuch, München 9. Auflage 2024.
Quellen
- ungedruckte Quellen:
- gedruckte Quellen:
- Bairischen Nationalzeitung: Ausgabe Nr. 123 (27.05.1818) u. Nr. 124 (28.05.1818).
- Rolf Kießling / Anton Schmid (Bearb.), Die bayerische Staatlichkeit ( Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern III/2), München 1976.
- Gesetzblatt für das Königreich Bayern, München 1818.
- Alfons Wenzel (Bearb.), Bayerische Verfassungsurkunden. Dokumentation zur bayerischen Verfassungsgeschichte, Stamsried 4. Auflage 2002.
Weiterführende Recherche
- Schlagwortsuche im Online-Katalog des Bibliotheksverbundes Bayern
- Stichwortsuche in bavarikon
- Suche in der Bayerischen Bibliographie
Externe Links
- bavarikon: Ausstellung: Die Verfassung des Königreichs Bayern 1818–1918
- Haus der bayerischen Geschichte: Portal Königreich Bayern 1806-1918: Die bayerischen Verfassungen der Jahre 1808 und 1818
- www.verfassungen.de: Verfassung des Königreiches Bayern vom 26. Mai 1818
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- Verfassung des Freistaats Bayern (1946)
Empfohlene Zitierweise
Katharina Weigand, Verfassung des Königreichs Bayern (1818), publiziert am 27.01.2025; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Verfassung_des_Königreichs_Bayern_(1818)> (19.02.2025)