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Todesmärsche (1945)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

von Martin Clemens Winter

Im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs 1945 räumte die SS fast alle Konzentrationslager (KZ) und die angeschlossenen Außenlager, um eine Befreiung ihrer Insassen durch die vorrückenden Alliierten zu verhindern. Die KZ-Häftlinge wurden auf Gewaltmärschen und mit Zugtransporten zunächst in Lager im Reichsinneren, später zunehmend ziellos über die Landstraßen und durch Ortschaften getrieben. Zahlreiche Gefangene starben dabei infolge von Hunger, Erschöpfung und Krankheiten oder wurden ermordet. Ihre Leichen wurden oftmals an Ort und Stelle verscharrt. Schätzungsweise bis zu 250.000 Menschen verloren bei diesen Räumungstransporten, die als Todesmärsche bekannt geworden sind, ihr Leben. Die deutsche Zivilbevölkerung wurde in den letzten Kriegstagen mit diesen NS-Verbrechen vor der eigenen Haustür direkt konfrontiert und war auf verschiedene Weise involviert.

Die Todesmärsche in der Endphase des Zweiten Weltkriegs

Die Räumung der Konzentrationslager: Phasen, Befehlslage, Dimensionen

Im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs war das System der deutschen Konzentrationslager (KZ) zu einem nahezu flächendeckenden Netz ausgebaut worden. Es umfasste im Januar 1945 neben den 24 Hauptlagern mindestens 730 KZ-Außenlager, in denen mittlerweile die meisten der über 700.000 Gefangenen unter katastrophalen Bedingungen inhaftiert waren: Frauen und Männer sowie Kinder; darunter politische Gefangene, "kriminelle" Häftlinge, Juden, Sinti und Roma, sog. "Asoziale", Zeugen Jehovas, Wehrmachtsdeserteure und wegen Homosexualität Verfolgte. Während das KZ-System erweitert wurde, begann der territoriale deutsche Machtbereich zugleich durch das Vorrücken der Alliierten zu schrumpfen. Damit stand das Leiden der Lagerinsassen jedoch noch lange nicht vor dem Ende. Um eine Befreiung der Häftlinge zu verhindern, wurden fast alle KZ und deren Außenlager vor dem Eintreffen der Alliierten von der SS geräumt. Die Häftlinge wurden – unzureichend bekleidet und verpflegt – in überfüllten Güterwaggons weggeschafft oder auf tage- und wochenlange Gewaltmärsche getrieben. Die Wachmannschaften ermordeten tausende Häftlinge, insbesondere diejenigen, die mit dem Tempo der Kolonnen nicht mithalten konnten oder versuchten, zu fliehen. Überlebende und Zeugen bezeichneten das mörderische Geschehen der "Evakuierungen" als "Todesmärsche".

Die Räumung der KZ wird in drei Phasen unterteilt. Schon ab dem Frühjahr 1944 wurden die ersten Lager in Ostpolen und im Baltikum aufgelöst; im September 1944 die Lager Herzogenbusch (Niederlande) und Natzweiler-Struthof (Frankreich) im Westen. In diese erste Phase fällt der Erlass des Reichsführers-SS Heinrich Himmler (NSDAP, 1900-1945), im Falle eines Aufstandes bzw. einer Annäherung der feindlichen Kräfte (sog. A-Fall) die Entscheidungsgewalt über die Konzentrationslager vom SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt auf regionale Instanzen, insbesondere die Höheren SS- und Polizeiführer zu übertragen. Damit bestimmten weniger zentrale Direktiven aus Berlin als vielmehr örtliche Faktoren den Zeitpunkt und die Methoden der Evakuierung der jeweiligen Lager. Zugleich standen sich in der höchsten Führungsebene des "Dritten Reiches" zum Teil völlig unterschiedliche Vorstellungen über das Schicksal der KZ-Häftlinge gegenüber. Sie reichten vom Vorhaben Adolf Hitlers (NSDAP, 1889-1945, Reichskanzler 1933-1945), die Gefangenen vor ihrer Befreiung sämtlich ermorden zu lassen bis zur Idee Himmlers, insbesondere die jüdischen Insassen als Geiseln in etwaigen Verhandlungen mit den Alliierten einzusetzen und daher möglichst am Leben zu erhalten.

Die zweite Phase der Evakuierungen begann mit der Winteroffensive der Roten Armee Mitte Januar 1945. Zunächst wurden die Lager des KZ-Komplexes Auschwitz geräumt; die SS brachte die Häftlinge auf Gewaltmärschen durch Eis und Schnee sowie in offenen Güterzügen in verschiedene Konzentrationslager im Reichsinneren. Zahlreiche von ihnen konnten nach ihrer Ankunft aufgrund von Witterung und Mangelernährung nur tot aus den Waggons geborgen werden. Nachdem Groß-Rosen zunächst zum wichtigsten Ziel der Räumungstransporte aus Auschwitz und anderen Lagern geworden war, evakuierte die SS auch dieses KZ. Ziel der Fuß- und Bahntransporte waren abermals die Lager im "Altreich". Der dritte Lagerkomplex, der in dieser Phase geräumt wurde, war das KZ Stutthof (Sztutowo) bei Danzig.

Mit der Ankunft zehntausender mangelernährter, kranker und sterbender Häftlinge in den Ziellagern verschlechterten sich die Lebensbedingungen für die dortigen Gefangenen dramatisch. Um der katastrophalen Situation Herr zu werden, richtete die SS sog. Sterbezonen ein, wie beispielsweise die Außenlager Kaufering IV und VII (Lkr. Landsberg am Lech) des KZ Dachau oder die Pferdestallbaracken 22 und 23 des vormaligen Kriegsgefangenenarbeitslagers im KZ Flossenbürg (Lkr. Neustadt a. d. Waldnaab). Dort wurden die völlig entkräfteten Gefangenen größtenteils ihrem Schicksal überlassen. Außerdem führte die SS in den letzten Monaten systematische Massentötungen tausender kranker, arbeits- und marschunfähiger Insassen durch, insbesondere in Sachsenhausen (Brandenburg), Ravensbrück (Brandenburg) und Mauthausen (Österreich).

Parallel zum Massenmord erlangten bestimmte Gruppen von Häftlingen in den letzten Wochen die Freiheit. So wurden etwa 20.000 überwiegend nord- und westeuropäische Gefangene nach Verhandlungen zwischen Himmler und dem Vizepräsidenten des Schwedischen Roten Kreuzes, Folke Bernadotte Graf von Wisborg (1895-1948), im April 1945 vom Roten Kreuz ins neutrale Schweden gebracht.

Diese unterschiedlichen Methoden der Entlastung der Lager dienten zugleich als Vorbereitung der dritten und letzten Phase der Evakuierung. Ab März/April 1945 wurden nach und nach auch die Lager im Altreich aufgelöst. In den letzten Kriegstagen wurden die Kolonnen immer zielloser zwischen den Fronten hin und her getrieben.

Die Häftlinge Buchenwalds wurden zumeist nach Südosten, insbesondere nach Flossenbürg und Dachau getrieben. Die Insassen von Mittelbau-Dora (Thüringen) hingegen wurden vor allem nach Norden verbracht. Für diejenigen Häftlinge, deren Kolonnen Sachsenhausen und Ravensbrück erreichten, ging die Odyssee weiter, als auch diese Lager kurz darauf nach Nordwesten evakuiert wurden. Unterdessen waren die Todesmärsche aus dem KZ Neuengamme (Hamburg) über Lübeck (Schleswig-Holstein) in die Neustädter Bucht gelangt, wo mehrere tausend Häftlinge auf Schiffen eingepfercht wurden. Am 3. Mai 1945 wurden diese KZ-Schiffe bei einem Luftangriff auf den Neustädter Hafen von britischen Kampfflugzeugen irrtümlich beschossen. Mehr als 7.000 Gefangene kamen wenige Tage vor Kriegsende bei der nach einem der Schiffe benannten "Cap-Arcona"-Katastrophe ums Leben. Die letzten KZ-Häftlinge wurden erst mit Kriegsende Anfang Mai 1945 befreit.

Die schlechte Quellenlage lässt keine Angaben über die Gesamtzahl der KZ-Häftlinge, die auf den KZ-Räumungstransporten starben, zu. In der Forschung schätzt man, dass etwa 250.000 Menschen dabei ihr Leben verloren.

Die Todesmärsche und die deutsche Gesellschaft der Kriegsendphase

Die Tätergruppen auf den Todesmärschen waren ausgesprochen heterogen. Vor allem bei der Räumung der zahlreichen KZ-Außenlager spielten die jeweiligen Lagerführer, die zumeist niedrigen Rängen der SS und gelegentlich auch der Wehrmacht angehörten, eine zentrale Rolle. Als die Auflösung ihres Lagers begann, waren sie gezwungen, bei oftmals unklarer Befehlslage von einer Situation zur nächsten zu improvisieren. Ihnen waren die KZ-Wachmannschaften – zu denen auch Aufseherinnen gehörten – unterstellt, welche die Transporte begleiteten und Fluchten mit Gewalt verhindern sollten. Dabei handelte es sich nicht um altgedientes und jahrelang ideologisch indoktriniertes SS-Personal. Vielmehr waren die meisten dieser Wachleute erst in den letzten Kriegsmonaten zu den KZ abgestellt worden. Um den Personalmangel im expandierenden Außenlagersystem zu decken und jüngere SS-Männer an der Front einsetzen zu können, waren diese vor allem durch "fremdvölkische Hilfswillige" und Wehrmachtsangehörige ersetzt worden. Es waren von Luftwaffe, Heer und Marine überstellte, oftmals ältere Soldaten, die zu Kriegsende den größten Teil des KZ-Wachpersonals ausmachten und damit auch während der Todesmärsche als Bewacher fungierten. Gelegentlich wurden auch deutsche KZ-Häftlinge als Bewacher auf Todesmärschen eingesetzt.

Ein signifikantes Merkmal der Todesmärsche ist, dass sich die verübten Verbrechen in der Öffentlichkeit und vor den Augen zahlreicher Zeugen abspielten. Deren Anwesenheit wirkte sich unmittelbar auf die Verbrechensdynamik aus. Sie konnte das Handeln der Täter einerseits hemmen, andererseits schränkten Zuschauer aber auch etwaige Fluchtmöglichkeiten für die Häftlinge ein und legitimierten das Handeln der Täter durch ihr sichtbares Nicht-Einschreiten.

In Dörfern, in denen übernachtet werden sollte, wurden Scheunen für die Unterbringung bereitgestellt oder requiriert. Spritzenhäuser der Feuerwehr wurden zu Behelfsgefängnissen gemacht, Fuhrwerke der Ortseinwohner zum Transport von Gefangenen genutzt. Um die Spuren der Verbrechen zu vertuschen, wurden die zahlreichen zurückgelassenen Leichen der Opfer meist von Einheimischen direkt an Ort und Stelle verscharrt. Für die Durchführung der Todesmärsche war die logistische Unterstützung aus der lokalen Bevölkerung unabdingbar. Ansprechpartner für die Bewacher waren zumeist die jeweiligen Bürgermeister, Ortsbauernführer oder NSDAP-Ortsgruppenleiter. Auch in die Bewachung von KZ-Häftlingen waren häufig Einheimische involviert, insbesondere aus den Reihen von Polizei, Gendarmerie oder Volkssturm. Sie unterstützten die Täter, um Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten und die Bevölkerung vor den als gemeingefährlich dargestellten KZ-Häftlingen zu "beschützen". Hier taten sich besonders große Handlungsspielräume auf. In der Gegend von Freising beispielsweise hatte sich die SS teilweise vollständig von den Häftlingskolonnen entfernt und lokale Volkssturmeinheiten mussten selbständig entscheiden, wie mit den Gefangenen zu verfahren war. Sie wurden von Dorf zu Dorf weitergereicht und schließlich auf einer Wiese bei Pallhausen (Lkr. Freising) sich selbst überlassen.

Wenn es KZ-Häftlingen gelungen war, von den Evakuierungstransporten zu fliehen, zeigte sich besonders deutlich, wie weit die Tatbeteiligung der lokalen Bevölkerung gehen konnte. Gerüchte über plündernde KZ-Häftlinge machten die Runde und taten ihr Übriges, um die Bevölkerung zu mobilisieren. Vielerorts machten Einheiten von Volkssturm und Hitlerjugend (HJ) Jagd auf geflohene Häftlinge. Mitunter ermordeten auch Zivilisten KZ-Häftlinge auf Eigeninitiative. An den Verbrechen gegen KZ-Häftlinge waren Akteure aus allen Organisationen, Schichten und sozialen Gruppen und Geschlechtern jeglichen Alters beteiligt.

Zugleich bestanden in den chaotischen letzten Kriegstagen durchaus Handlungsspielräume für die Zivilbevölkerung. Gelegentlich wurden diese genutzt, um KZ-Häftlingen Hilfe zuteil werden zu lassen: Nahrungsversorgung, Fluchthilfe und Verstecke. Wie vielgestaltig die Reaktionen der Einheimischen waren zeigt sich beispielsweise an der niederbayerischen Ortschaft Stallwang (Lkr. Straubing-Bogen). So ist überliefert, dass dort einerseits ein geflohener Häftling von einer Dorfbewohnerin aufgenommen wurde und dadurch überlebte. Andererseits gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen anderen Augenzeugen über die Frage, ob Geflohene denunziert werden müssten.

Todesmärsche in Bayern

Todesmärsche nach Flossenbürg und Dachau

Am 7. April 1945 begann die Räumung des KZ Buchenwald, welches kurz zuvor selbst noch Ziel von Häftlingstransporten aus anderen Lagern gewesen war. Auf mehreren Fußmärschen und vor allem per Zugtransporten wurden tausende Häftlinge des Stammlagers in Richtung der Lager Theresienstadt, Flossenbürg und Dachau getrieben. Hervorzuheben ist ein Bahntransport von 4.500 Häftlingen, der von SS-Obersturmführer Hans Merbach (NSDAP, 1910-1949) geleitet wurde. Ursprünglich sollten die Gefangenen innerhalb eines Tages in das KZ Flossenbürg gebracht werden. Wenige Stunden nach der Abfahrt wurde jedoch Dachau als Ziel festgelegt, das erst nach einer Odyssee von 21 Tagen erreicht wurde. Über Tschechien kam der Zug nach Bayern. Im niederbayerischen Nammering (Gemeinde Fürstenstein, Lkr. Passau) hielt der Zug für mehrere Tage. In einem nahegelegenen Steinbruch wurden etwa 250 tote Häftlinge aus dem Transport auf Bahnschienen verbrannt. Am Transport der Leichen zur Verbrennungsstelle waren auch Einheimische beteiligt. Der Pfarrer der benachbarten Gemeinde Aicha vorm Wald (Lkr. Passau) rief die Bevölkerung zu Lebensmittelspenden für die Gefangenen auf, die allerdings vor allem das Bestattungskommando erhielt. Mehrere hundert geschwächte Häftlinge wurden während des Aufenthalts in Nammering von der SS erschossen und vor Ort begraben. Am 27. April 1945 erreichte der Zug Dachau mit hunderten toten und sterbenden Häftlingen. Andere Transporte aus dem Stammlager Buchenwald mit tausenden Gefangenen, die oft per Zug begannen und dann zu Fuß fortgesetzt wurden, erreichten Mitte April das KZ Flossenbürg.

Die Räumung des KZ Flossenbürg

Zwischen dem 16. und 18. April 1945 fielen die letzten Entscheidungen zur Räumung der noch verbliebenen Konzentrationslager. An die Lager Flossenbürg, Dachau, Sachsenhausen und Neuengamme ging Himmlers Befehl, die Lager seien zu räumen; kein Häftling solle lebend in die Hände der Alliierten fallen. Begründet wurde das damit, dass befreite Häftlinge aus Buchenwald die deutsche Zivilbevölkerung angegriffen hätten. Mittlerweile war der verbliebene deutsche Machtbereich in einen "Nord-" und einen "Südraum" geteilt. Nur in deren engen Grenzen konnten die Häftlinge noch bewegt werden. Die Häftlinge der Lager Flossenbürg und Dachau wurden auf der "Südroute" in Richtung der Alpen getrieben.

Im KZ Flossenbürg befanden sich kurz vor der Räumung fast 46.000 Häftlinge, fast ein Drittel von ihnen war weiblich. Die ersten Außenlager in Sachsen und Böhmen mit überwiegend jüdischen Gefangenen wurden bereits am 13. April 1945 in Richtung Theresienstadt geräumt. Die Räumung des Stammlagers in Richtung Dachau begann am 16. April. Der erste Räumungstransport mit etwa 1.700 jüdischen Häftlingen geriet mehrfach unter Beschuss durch Tiefflieger, gefolgt von Hetzjagden und Massakern an Geflohenen durch die Wachmannschaften. Die Häftlinge, die dies überlebten, wurden in mehreren Gruppen weiter in Richtung Südosten getrieben und schließlich am 23. April 1945 von der US-Armee in der Gegend um Wetterfeld (Gemeinde Roding), Roding (Lkr. Cham) und Neunburg vorm Wald (Lkr. Schwandorf) befreit. Die Routen der Räumungstransporte aus dem Stammlager Flossenburg zogen sich als dichtes Netz durch die Dörfer der Oberpfalz und Niederbayerns. Tausende Häftlinge kamen durch Hunger, Krankheit, Erschöpfung, Kälte oder Gewalttaten der Bewacher ums Leben. Andere wurden unterwegs durch die US-Armee befreit. Nur ein kleiner Teil der in Marsch gesetzten Häftlinge erreichte überhaupt das KZ Dachau.

Die Räumung des KZ Dachau

Anfang/Mitte April 1945 begann die Räumung des KZ Dachau und seiner Außenlager mit der Verlegung von Gefangenen der Außenlagerkomplexe Mühldorf und Kaufering in das Stammlager. Einige Transporte aus den Außenlagern erreichten Dachau allerdings nicht, da zahlreiche Häftlinge während der Transporte von Angehörigen der US-Armee befreit wurden; andere fielen Luftangriffen oder Gewalttaten zum Opfer. Am 23. April 1945 begann die Evakuierung des Stammlagers Dachau. Mehrere größere Transporte von jeweils 2.000 bis 3.000 Gefangenen wurden ab diesem Tag per Zug und zu Fuß Richtung Süden getrieben. Die exakten Zahlen und Routen sind nur sehr ungenau überliefert. Der größte zusammenhängende Todesmarsch aus dem KZ Dachau mit fast 7.000 Häftlingen begann am 26. April. Er führte über Gauting (Lkr. Starnberg) und Starnberg östlich am Starnberger See vorbei bis in die Gegend um Bad Tölz. Auch hierbei kamen tausende Häftlinge durch Hunger, Kälte, Erschöpfung und Gewalt ums Leben. Etlichen gelang unterwegs die Flucht, tausende weitere wurden von der US-Armee befreit, nachdem sich ihre Bewacher im letzten Moment abgesetzt hatten.

Eine Delegation des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) versuchte, die schlimmste Not zu lindern und verteilte in den letzten Apriltagen mehrere tausend Lebensmittelpakete unter den Kolonnen von Gefangenen, unter anderem in Moosburg (Lkr. Freising), Freising und Bernried (Lkr. Weilheim-Schongau).

Wie viele KZ-Häftlinge bei den Todesmärschen in Bayern ums Leben kamen, wird sich vermutlich nie exakt rekonstruieren lassen. In den 1950er Jahren zählte der Internationale Suchdienst 16.941 KZ-Opfer in Bayern, was allerdings diejenigen einschloss, die in den Lagern ermordet worden waren. Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 7.000 Häftlinge bei der Evakuierung des KZ Flossenbürg starben, weitere 3.000 bei der Räumung des KZ Dachau.

Ahndung der Todesmarschverbrechen

Mit den Todesmärschen wurden die nationalsozialistischen Verbrechen an den KZ-Häftlingen mitten in die deutsche Gesellschaft getragen. Die alliierten Soldaten stießen auf ihrem Weg ins Reichsinnere auf tausende Leichen, auf "vergessene" Züge voll toter und sterbender Menschen und Gruppen überlebender Häftlinge in erschütterndem Zustand. Nicht nur in den befreiten Lagern, sondern auch auf Landstraßen und in kleinsten Dörfern wurde deutlich, dass hier Verbrechen ungeahnten Ausmaßes begangen worden waren. Eine Reaktion der Alliierten waren Sühnemaßnahmen, bei denen die einheimische Bevölkerung an zahlreichen Orten zur öffentlichkeitswirksamen und medial verbreiteten würdevollen Bestattung von Opfern der Todesmärsche verpflichtet wurde, wie beispielsweise in Nammering, Schwarzenfeld (Lkr. Schwandorf) und Wetterfeld. Zugleich begannen neben diesen auf Beschämung ausgerichteten Konfrontationen auch erste strafrechtliche Ermittlungen durch die US-Armee. Diese dokumentierte Tatorte, exhumierte und untersuchte Leichen von Opfern, sammelte Beweisstücke und befragte Überlebende, Augenzeugen und Tatverdächtige. Die Ermittlungen gestalteten sich allerdings schwierig: Nicht nur Ressourcenknappheit und Personalabbau erschwerten die Beweissicherung; die wichtigen Zeugen der Verbrechen aus alliiertem Militär und Displaced Persons (DPs) waren bald nach Kriegsende und den einsetzenden Repatriierungen kaum noch aufzufinden. Die einheimische Bevölkerung wiederum war vor allem bemüht, die eigene Distanz zu den Taten hervorzuheben. So resultierten nur aus einem Bruchteil der Ermittlungen tatsächlich Strafverfahren.

In den Dachauer Kriegsverbrecherprozessen (1945-1948) bezogen sich 230 von 489 Verfahren auf Verbrechen in den KZ und deren Außenlagern, darunter auch in den Lagern Flossenbürg, Dachau und Mühldorf. Davon wiederum waren in mindestens 99 Prozessen die Todesmärsche und Räumungstransporte Teil der Anklage. In diesen Verfahren wurden deutsche Zivilisten als Zeugen gehört. Angeklagt und verurteilt wurden jedoch ausschließlich Angehörige der KZ-Wachmannschaften. Die Todesmärsche standen nicht als eigener Verbrechenskomplex im Mittelpunkt, sondern wurden stets als Teil der Verbrechen in den einzelnen KZ angesehen. Deswegen spielten Tatverdächtige außerhalb der Lager-SS keine Rolle in den Verfahren. Insbesondere im Flossenbürg-Prozess legte die US-Militärjustiz Augenmerk auf die Evakuierung des Lagers und seiner Außenkommandos. Etliche SS-Angehörige, denen Gewalttaten und Morde während der Räumungstransporte nachgewiesen werden konnten, wurden zu Todes- oder Haftstrafen verurteilt.

In allen Besatzungszonen nahmen deutsche Behörden auf Grundlage der Kontrollratsgesetze ab dem Sommer 1945 Ermittlungen zu NS-Verbrechen auf. Von Gerichten in den westlichen Besatzungszonen und der sowjetischen Besatzungszone sowie in beiden deutschen Staaten wurden Todesmarschverbrechen geahndet. Während sich die Verfahren in der Bundesrepublik bis in die 1990er Jahre zogen, war der Großteil der Prozesse in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) bereits in den 1950er Jahren abgeschlossen. Die Strafen fielen mit vielen Freisprüchen und geringeren Haftstrafen insgesamt in Westdeutschland deutlich milder aus als in der DDR.

Auch Verfahren zu Tatorten von Todesmarschverbrechen in Bayern wurden in beiden deutschen Staaten geführt. In der Bundesrepublik fanden unter anderem Prozesse zu Verbrechen in Ellwangen (Baden-Württemberg), Vilsbiburg (Lkr. Landshut) und Marktl am Inn (Lkr. Altötting) statt. Für die SBZ/DDR sind zwei solcher Verfahren überliefert. So wurde 1948 Roman Sroka, der als Funktionshäftling die Evakuierung des Flossenbürger Außenlagers Plattling begleitet hatte und Mitgefangene bis zur Gehunfähigkeit misshandelt haben soll, in Halle (Saale) (Sachsen-Anhalt) zum Tode verurteilt und später zu lebenslänglicher Haft begnadigt. Das Bezirksgericht Karl-Marx-Stadt verurteilte 1955 den ehemaligen SS-Angehörigen Hellmut Klier wegen Erschießungen während der Räumung des KZ Dachau zum Tode. Auch seine Strafe wurde später in lebenslange Haft abgemildert.

Zehn Jahre nach den ersten Ermittlungen der US-Militärjustiz fanden in Bayern systematische Untersuchungen deutscher Behörden zu ungesühnten Verbrechen der Kriegsendphase statt. Bundesweit war dies in einer Zeit, in der kaum übergreifende Ermittlungen zu NS-Verbrechen angestrengt wurden, eine Ausnahme. Ermittlungen begannen auf Anweisung des Präsidiums der Bayerischen Landpolizei Anfang 1955 und waren im Juni 1956 abgeschlossen – in der Regel ohne Ergebnisse. Nur in Ausnahmefällen wurden solche Verfahren in den 1960er Jahren wieder aufgenommen oder führten gar noch Jahrzehnte nach Kriegsende zur Verurteilung von Tatbeteiligten. So erhielten ehemalige Angehörige des Reichsarbeitsdienstes (RAD) in den Jahren 1956 und 1966 mehrjährige Haftstrafen, weil sie bei Ittelsburg (Gemeinde Bad Grönebach, Lkr. Unterallgäu) an der Erschießung geflohener KZ-Häftlinge mitgewirkt hatten.

Insgesamt wurde nur ein minimaler Teil der während der Todesmärsche begangenen Verbrechen strafrechtlich geahndet. Dies trifft auch auf die Vorgänge in Bayern zu. Einer umfassenderen Ahndung abträglich waren der dezentrale Charakter der Verbrechen und die differenzierten Tätergruppen, ebenso die mangelnden Ressourcen der mit der Ahndung betrauten Institutionen und die Blockkonfrontation des Kalten Krieges. Auf lokaler Ebene wiederum trafen die Ermittler oftmals auf Abwehr der einheimischen Bevölkerung.

Formen der Erinnerung

Die ersten Akteure der Erinnerung an die Opfer der Todesmärsche waren überlebende KZ-Häftlinge, die unmittelbar nach ihrer Befreiung versuchten, tote Kameraden ausfindig zu machen, sie würdig zu bestatten und die Gräber mit Gedenkzeichen zu markieren. Sie fertigten auch die ersten Dokumentationen zu den Todesmärschen an. So erstellte das International Information Office (IIO) Dachau bereits 1946 eine Broschüre mit Aussagen über den Todesmarsch von Dachau nach Bad Tölz.

In zahlreichen Ortschaften ließ die US-amerikanische Besatzungsmacht Ehrenfriedhöfe für die Opfer von Todesmärschen oder separate Gräberfelder auf den Gemeindefriedhöfen anlegen, so etwa in Pleystein (Lkr. Neustadt an der Waldnaab), Cham, Bad Steben (Lkr. Hof), Bernried oder Schwarzenfeld. Gelegentlich wurden, wie in Nammering, Opfer auf verschiedene Friedhöfe der Umgebung verteilt. Zumeist zeigt sich jedoch umgekehrt eine Zentralisierung: Tote aus mehreren benachbarten Ortschaften wurden gemeinsam auf einem Friedhof begraben, beispielsweise in Wetterfeld, wo im Herbst 1945 mehrere hundert Opfer von Todesmärschen aus dem gesamten Landkreis Roding beigesetzt wurden. Hier wie an anderen Orten waren überlebende Häftlinge mit der Suche nach Gräbern, Exhumierungen und Umbettungen darum bemüht, ihren ermordeten Mitgefangenen zumindest annähernd würdige Bestattungen zuteilwerden zu lassen.

Gedenktafel in der Kriegsgräberstätte Neunburg vorm Wald. Inschrift: "'Ihr starbet, damit wir leben!' Zur Erinnerung an 615 unbekannte Opfer des Todesmarsches Flossenbürg - Dachau April 1945". (Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Fotograf: Anton J. Brandl, München)

Anfang der 1950er Jahre hatte der Internationale Suchdienst in Bayern fast 5.700 Gräber von KZ-Häftlingen ermittelt. Viele, aber nicht alle dieser Grabstätten zählten zu den knapp 500 KZ-Friedhöfen in Bayern. Die Zuständigkeit für die KZ-Friedhöfe lag seit 1947 beim Staatskommissariat für rassisch, religiös und politisch Verfolgte. Im Zuge des "Leitenberg-Skandals" 1949 geriet die bayerische Fürsorge für KZ-Gräber in scharfe Kritik. Infolge der überregionalen und internationalen Berichterstattung über den unwürdigen Umgang mit den sterblichen Überresten von KZ-Häftlingen auf dem Leitenberg bei Dachau beauftragte der bayerische Ministerrat im November 1949 eine interministerielle Kommission mit der Überprüfung der KZ-Gräber in Bayern. In diesem Zusammenhang kam es zu weiteren Umbettungen von Todesmarschopfern. In Pleystein etwa entledigte man sich bei dieser Gelegenheit der nach Kriegsende mitten auf dem Marktplatz der Ortschaft bestatteten KZ-Häftlinge, indem diese auf einen großen KZ-Friedhof in Neunburg vorm Wald überführt wurden. Auch in Regierung und Verwaltung bestand nur wenig Interesse, sich diesem historischen Erbe anzunehmen. Als innerhalb der Staatsregierung eine Stelle für die Betreuung der KZ-Gräber festgelegt werden sollte, versuchten die in Frage kommenden Ministerien und Verwaltungsstellen, sich diese unliebsame Verantwortung und finanzielle Belastung gegenseitig zuzuschieben, bis der Ministerrat 1951 festlegte, die Zuständigkeit doch beim Landesentschädigungsamt zu belassen. Dieses hatte indessen Tatsachen geschaffen und mit der Aufwertung der KZ-Friedhöfe begonnen. 1952 ging die Zuständigkeit für die KZ-Gräber auf die Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen über. Damit ging eine weitere Konzentration auf wenige große Ehrenfriedhöfe einher. Nach weiteren Umbettungen waren von den ehemals fast 500 KZ-Gräbern und Gedenkstätten nur noch etwa 75 übrig.

Im öffentlichen Diskurs der nachfolgenden Jahrzehnte spielten die Todesmärsche kaum eine Rolle. Allerdings wurden bereits in der ersten Ausstellung der KZ-Gedenkstätte Dachau des Comité International de Dachau (CID) von 1965 eine stilisierte Karte der Evakuierungsroute, Dokumente und Fotografien der Todesmärsche gezeigt. Mehr als ein Jahrzehnt später fanden die Todesmärsche auch langsam Eingang in die historische Forschung, als die Lager Dachau und Flossenbürg im Rahmen des Projektes "Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933-1945" des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) München-Berlin untersucht wurden und dabei auch deren Räumung thematisiert wurde.

Das Todesmarsch-Mahnmal von Hubertus von Pilgrim vor der Mühlfeldkirche in Bad Tölz. (Fotografie: Barbara Schratzenstaller)

Mitte der 1980er Jahre gab es eine erste Initiative in Bayern, Denkmäler an der Route von Todesmärschen aus dem KZ Dachau zu errichten. Der Gautinger Bürgermeister Ekkehard Knobloch (geb. 1940, Bürgermeister 1978-2002) strebte an, nicht nur in seiner eigenen Gemeinde, sondern auch in weiteren Ortschaften auf der Route des Todesmarsches Gedenkzeichen zu errichten. Diese Idee stieß zunächst auf wenig Resonanz in den anderen Gemeinden. Durch das beharrliche Engagement von Knobloch konnten im Jahr 1989 dennoch die ersten Todesmarsch-Denkmale in Gauting und an sieben weiteren Standorten (Aufkirchen [Gemeinde Berg], Krailling [beide Lkr. Starnberg], Gräfeling, Planegg [beide Lkr. München], Wolfratshausen sowie München-Allach und München-Pasing) aufgestellt werden. In einem Wettbewerb zur Gestaltung setzte sich unter 60 Entwürfen derjenige von Hubertus von Pilgrim (geb. 1931) durch. Bis zum Jahr 2001 wurden 22 identische Skulpturen in Ortschaften auf der Route des Dachauer Todesmarsches errichtet, eine weitere steht seit 1992 in der Gedenkstätte Yad Vashem (Israel). Eine leicht abweichende Sonderanfertigung wurde im NS-Dokumentationszentrum München aufgestellt.

Andere Denkmäler für Opfer der Todesmärsche wurden – nach zum Teil jahrelangen Auseinandersetzungen – unter anderem in Stamsried (Lkr. Cham), Seeshaupt (Lkr. Weilheim-Schongau) und Poing (Lkr. Ebersberg) errichtet. An den Erinnerungszeichen für die Opfer der Räumungstransporte in Bayern finden regelmäßig Gedenkveranstaltungen statt.

Von Hubertus von Pilgrim gestaltete Mahnmale zum Gedenken an die Todesmärsche des KZ-Dachau

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Literatur

  • Daniel Blatman, Die Todesmärsche 1944/45. Das letzte Kapitel des nationalsozialistischen Massenmords, Reinbek bei Hamburg 2011.
  • Jean-Luc Blondel/Susanne Urban/Sebastian Schönemann (Hg.), Freilegungen. Auf den Spuren der Todesmärsche (Jahrbuch des International Tracing Service 1), Göttingen 2012.
  • Katrin Greiser, Die Todesmärsche von Buchenwald. Räumung, Befreiung und Spuren der Erinnerung, Göttingen 2008.
  • Gabriele Hammermann, Die Todesmärsche aus den Konzentrationslagern 1944/45, in: Cord Arendes/Edgar Wolfrum/Jörg Zedler (Hg.), Terror nach Innen. Verbrechen am Ende des Zweiten Weltkrieges (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte 6), Göttingen 2006, 122-149.
  • Andrea Rudorff (Bearb.), Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945. Band 16: Das KZ Auschwitz 1942-1945 und die Zeit der Todesmärsche 1944/45, Berlin/Boston 2018, 54-97.
  • Andreas Wagner, Todesmarsch. Die Räumung und Teilräumung der Konzentrationslager Dachau, Kaufering und Mühldorf Ende April 1945, Ingolstadt 1945.
  • Dirk Walter, Der Todesmarsch der Kauferinger KZ-Häftlinge, Fürstenfeldbruck 2. Auflage 2004.
  • Constanze Werner, Die Todesmärsche und -transporte in Bayern. Itinerare des Grauens, in: Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen (Hg.), "Wenn das neue Geschlecht erkennt, was das alte verschuldet...". KZ-Friedhöfe und -Gedenkstätten in Bayern, Regensburg 2011, 15-35.
  • Martin Clemens Winter, Gewalt und Erinnerung im ländlichen Raum. Die deutsche Bevölkerung und die Todesmärsche, Berlin 2018.

Quellen

Weiterführende Recherche


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Empfohlene Zitierweise

Martin Clemens Winter, Todesmärsche (1945), publiziert am 6.5.2020; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Todesmärsche_(1945)> (29.03.2024)