• Versionsgeschichte

Streiks (Erster Weltkrieg und Weimarer Republik)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

von Elisabeth Jüngling

Streiks, vom englischen Wort "to strike" abgeleitet, werden in Bayern seit 1889 statistisch erfasst. Dienten sie bis zum Ersten Weltkrieg ausschließlich der Durchsetzung von Lohnerhöhnungen und Arbeitszeitverkürzungen sowie als Druckmittel in innerbetrieblichen Auseinandersetzungen, wurden Streiks seit Januar 1918 ein Instrument der politischen Auseinandersetzung. Aufgrund dieser Politisierung verminderte sich in den Jahren der Weimarer Republik die Zahl der Streiks anfangs nicht, obwohl 1918 wichtige Forderungen der Arbeiterbewegung durchgesetzt worden waren. Erst ab 1925 ging die Zahl der Streiks deutlich zurück. 1933 wurden Streiks verboten.

Gesellschaftliche Relevanz des Streiks

Der Streik war auch in der Weimarer Republik das wichtigste Kampfinstrument der Arbeiterschaft im Ringen um erträgliche Lebens- und Arbeitsbedingungen, seit etwa 1918 zudem Ausdruck politischer Ziele. Über die involvierten Konfliktparteien - Arbeitnehmer und Arbeitgeber - hinaus betraf er wirtschaftlich und mental deren Familien, Nachbarn und die gesamte örtliche, oft auch regionale Gemeinschaft. Er fand Widerhall in der Presse und beschäftigte Ordnungsmacht, Behörden und Regierungen. Eine sich schnell ändernde Wirtschaftsstruktur sowie neue Organisationsformen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern verschärften und erweiterten seit 1918 erheblich die Auswirkungen eines Streiks auf Industrie, Gewerbe, Bevölkerung und Politik.

Wortbedeutung, gesetzliche Regelungen, amtliche Erfassung, Übersicht

Das Recht auf „Streik“, abgeleitet vom englischen Wort "to strike" (= schlagen, stoßen, treffen), findet sich erstmals in der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1869, die nach der Reichsgründung auch in Bayern gültig wurde. Streiks wurden im Königreich seit 1872 durch die Polizeibehörden genau erfasst. Ab 1889 entwickelte sich daraus die amtliche Statistik über Arbeitskämpfe in Bayern, die, unterbrochen während der nationalsozialistischen Herrschaft (1933-1945), bis heute geführt wird.

Ergibt sich um 1900 mit einer Verdoppelung der Streiks gegenüber 1889 ein erster und 1906 mit mehr als der Verdreifachung gegenüber 1900 der absolute Höchststand der Arbeitseinstellungen vor 1914, so wird bis zum Ausbruch und während des Kriegs immer weniger gestreikt. Die Zunahme der Streiks ab 1918, besonders 1919 (194) und extrem auffallend 1920 (500), als fast eine halbe Million Menschen die Arbeit einstellten, sind Folge der politischen Umwälzungen jener Jahre. Der Rückgang der Streikfrequenz bis Mitte der 1920er Jahre setzte sich in den Jahren der Rezession fort. 1932 wurden zum letzten Mal Streikzahlen (77) ausgewiesen. Nach 1933 erlosch mit der Zerschlagung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen auch offiziell das Streikrecht.

Streiks in Bayern 1889-19311)
Jahr Zahl der Arbeitseinstellungen Beteiligte Arbeiter Arbeitseinstellungen mit vollem Erfolg Arbeitseinstellungen mit teilweisem Erfolg Arbeitseinstellungen mit keinem Erfolg
1889 48 5.275 15 22 11
1890 34 2.498 5 13 16
1891 14 995 1 8 5
1892 9 819 3 2 4
1893 5 130 2 2 1
1894 16 625 - 9 7
1895 37 3.580 3 14 20
1896 35 4.256 4 21 10
1897 25 1.804 3 10 12
1898 49 5.887 11 26 12
1899 92 8.177 25 38 29
1900 94 6.488 14 24 56
1901 80 3.271 18 22 40
1902 53 2.801 9 24 20
1903 78 4.059 12 26 40
1904 148 8.667 37 55 56
1905 202 15.428 53 82 67
1906 361 31.082 94 132 135
1907 266 22.582 45 119 102
1908 164 8.228 30 56 78
1909 171 11.454 38 62 71
1910 260 18.968 66 161 63
1911 265 19.489 68 105 92
1912 255 19.121 79 83 93
1913 189 13.449 45 68 76
1914 112 5.263 19 32 61
1915 9 305 1 3 5
1916 13 2.699 2 6 5
1917 13 7.188 3 6 4
1918 26 11.378 4 7 8 (7)2)
1919 194 43.364 60 109 24 (1)
1920 500 496.188 120 181 65 (134)
1921 318 211.728 65 132 62 (59)
1922 214 114.795 49 111 54 (-)
1923 138 50.226 29 48 56 (5)
1924 1383) 39.948 40 42 72 (1)
1925 126 32.964 14 75 37 (-)
1926 24 4.321 3 6 15 (-)
1927 473) 8.139 21 15 13 (-)
1928 42 9.550 22 8 12 (-)
1929 24 2.858 7 6 11 (-)
1930 12 2.333 5 2 5 (-)
1931 26 4.641 5 10 11 (-)

1) Zahlen bis 1899 inklus. Aussperrungen; 2) in Klammern: politische Streiks; 3) Streiks mit mehreren Forderungen (Tabelle aus: Bayerisches Statistisches Landesamt, Bayern im Lichte seiner hundertjährigen Statistik, 84).

Der Streik wird politisch

Erst 15 Jahre zuvor, mit der "Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands", am 15. November unterzeichnet und am 18. November 1918 im Reichsanzeiger veröffentlicht, war der Streik unumstritten akzeptiert worden. Die Gewerkschaften wurden als "berufene Vertreter der Arbeiterschaft" anerkannt und das uneingeschränkte Koalitionsrecht, Arbeiterausschüsse, Schlichtungswesen und Kollektivverträge zur Regelung der Arbeitsbeziehungen garantiert, ebenso der Achtstundentag, der in München bereits am 7. November durch den revolutionären Arbeiter- und Soldatenrat unter Kurt Eisner (1867-1919, USPD) beschlossen worden war. 1920 verwirklichte das Betriebsrätegesetz Arbeiterausschüsse in allen Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten. Im Dezember 1923 trat reichsweit die Verordnung über die staatliche Zwangsschlichtung in Kraft.

Die bis 1914 klassischen Streikforderungen, kürzere Arbeitszeit und höhere Löhne, ab 1910 auch die Wiedereinstellung entlassener Kollegen oder die Durchsetzung von Tarifverträgen, sind nach 1918 in einem neuen, politischen Zusammenhang zu sehen. Nach der Statistik dominierten von 1921 bis 1932 weiterhin Lohnforderungen das Streikgeschehen und lediglich 1922 und 1924 spielte daneben die Arbeitszeit als Motiv eine erwähnenswerte Rolle. Zwischen 1918 und 1924 werden zudem "politische" Streiks getrennt ausgewiesen. Aber auch hinter "klassischen" Streikforderungen konnte sich die Verteidigung der oben genannten sozialen Errungenschaften und damit ein "politischer" Grund verbergen. Die Grenzen waren fließend.

Die Streiks Ende Januar 1918 in München und anderen bayerischen Industrieorten waren Teil der Proteste gegen den Krieg und die damaligen Lebensumstände. Sie wurden angetrieben durch die Agitation der jungen USPD. So forderte ihr Führer, Kurt Eisner, den Generalstreik als "Mittel zur Herbeiführung des Friedens, zur Beseitigung der bestehenden Regierung und zur Durchsetzung der Rechte der Arbeiter und des Selbstbestimmungsrechts der Völker" - ein klarer Vorbote der Revolution vom 7./8. November 1918. Allein in München traten etwa 8.000 Arbeiter in den Ausstand. Dem SPD-Abgeordneten Johannes Timm (1866-1945) gelang es nach drei Tagen, sie zur Wiederaufnahme der Arbeit zu bewegen.

Ebenso politisch sind die Streiks im Gefolge des Kapp-Putsches 1920, zu denen der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und die Arbeiterparteien (USPD, SPD und KPD) - damit Kräfte von außerhalb der Betriebe - aufriefen. In Nürnberg kam es zum folgenschwersten Streik. Bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Reichswehr am 17. März 1920 wurden 22 Menschen erschossen. In Hof, einer Hochburg der USPD, leiteten Vollzugsausschüsse aus USPD-, KPD- und SPD-Anhängern den Generalstreik und entwaffneten die Einwohnerwehren. Reichswehr und Chiemgauer Freikorps schlugen die Erhebung nieder. In Selb wurden beide Kampfgruppen von Räten vertrieben, die sich aus den linken Parteien gebildet hatten.

Der Streik zur Verteidigung sozialer Errungenschaften

Zahlreiche Streiks hatten die Verteidigung der sozialen Errungenschaften des Novembers 1918 zum Ziel, insbesondere des Achtstundentags. So groß die Symbolkraft des Achtstundentags als grundlegender sozialer Fortschritt war, so umstritten war seine Umsetzung. Anfang 1920 arbeitete man in bayerischen Großunternehmen, wie der Lokomotivfabrik Krauss in München, bereits wieder 46 Stunden pro Woche. Im Dezember 1923 ermöglichte die Reichsregierung mit einer neuen Arbeitszeitverordnung eine Aushöhlung dieser revolutionären Errungenschaft.

Schon 1921, bei Tarifverhandlungen in der Metallindustrie Münchens, stand die zweistündige Samstagsverkürzung auf dem Spiel. Ein Schiedsspruch, der neben neuen Lohnregelungen die Rückkehr zur 48-stündigen Wochenarbeitszeit festschrieb, d.h. bei freiem Samstagnachmittag die Verteilung der entfallenden Stunden auf die übrigen Tage, führte im Februar 1922 zu Streiks in den wichtigsten Münchner, dann Augsburger und Nürnberger Metallbetrieben. Auch Kollegen in Württemberg, Baden und Hessen solidarisierten sich. Einigungsverhandlungen durch das bayerische Ministerium für Soziale Fürsorge, später auch durch das Reichsarbeitsministerium, scheiterten. Die 30 größten Münchner Metallbetriebe sperrten ihre Arbeiter aus. Der Metallarbeiterverband konnte nur mit Spenden aller anderen Gewerkschaften des ADGB Streikgelder bezahlen. Am 26. Mai 1922 wurde der Streik mit einem Tarifvertrag beendet. Dieser erlaubte den Betrieben, nach vorheriger Verständigung des Arbeiterrats die Arbeitszeit auf 48 Stunden pro Woche zu verlängern. Die letzte Stunde sollte als Überstunde bezahlt werden.

Parteipolitische Gegensätze und die Verteidigung sozialer Errungenschaften spiegeln sich beispielhaft in den Arbeitskämpfen der Porzellanindustrie von Selb am Ende der Weimarer Republik wieder. Das Dilemma der gespaltenen Gewerkschaftsbewegung entsprach dem der ideologisch verfeindeten Arbeiterparteien SPD und KPD. Offiziell ging es um die Abwehr von Lohnminderungen. Den Arbeitgebern gelang es dabei mehrfach, den Keramischen Bund, der sich 1926 dem SPD-nahen ADGB angeschlossen hatte, und die junge kommunistische Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) gegeneinander auszuspielen und mit dem Keramischen Bund Lohnsenkungen zu vereinbaren.

Ausblick: Streiks nach 1933

Die amtliche Statistik verneint nach 1933 die Existenz von Streiks. Nach den Unterlagen der Deutschen Arbeitsfront (DAF) ereigneten sich in Bayern jedoch 1936 31 und 1937 11 Streiks, vor allem auf Reichsautobahn-, Kraftwerks- und Militärbaustellen, auch bei der Eisenbahn. Spontan und meist von kurzer Dauer, erinnern sie an vor- und frühindustrielle Proteste in einem rechts- und organisationsfreien Raum. Bei Differenzen über Löhne und Arbeitzeit vermittelte die DAF, vermutete man jedoch politische Aktionen als Streikhintergrund, so hieß die Konsequenz lapidar "Schutzhaft" oder "KZ Dachau".

Literatur

  • Bernhard Adam, Arbeitsbeziehungen in der bayerischen Großstadtmetallindustrie von 1914-1932, München 1983.
  • Karl-Ludwig Ay, Die Entstehung einer Revolution. Die Volksstimmung in Bayern während des Ersten Weltkrieges (Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter 1), Berlin 1968.
  • Albrecht Bald, Gewerkschaften und Arbeiterparteien der nordostfränkischen Industriestädte Hof und Selb, in: Acht Stunden sind kein Tag. Geschichte der Gewerkschaften in Bayern (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 34), Augsburg 1997, 83-89.
  • Claus-Peter Clasen, Streikgeschichten. Die Augsburger Textilarbeiterstreiks 1868 - 1934 (Studien zur Geschichte des bayerischen Schwaben 38), Augsburg 2008.
  • Elisabeth Jüngling, Streiks in Bayern - Grundmuster und Beispiele, in: Acht Stunden sind kein Tag. Geschichte der Gewerkschaften in Bayern (Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 34), Augsburg 1997, 76-82.
  • Michael Kittner, Arbeitskampf. Geschichte, Recht, Gegenwart, München 2005.

Quellen

  • Statistik der Streiks und Aussperrungen in Bayern 1889-1931, in: Bayerisches Statistisches Landesamt (Hg.): Bayern im Lichte seiner hundertjährigen Statistik. Bearb. von Philipp Schwartz (Beiträge zur Statistik Bayerns 122), München 1933, 84.
  • Zeitschrift des Bayerischen Statistischen Landesamtes (erschien jährlich mit Statistik der Streiks und Aussperrungen in Bayern, die gemäß Entschließungen des Bundesrats und des Bayerischen Innenministeriums von 1898 erfasst wurden).

Weiterführende Recherche

Verwandte Artikel

Generalstreik

Empfohlene Zitierweise

Elisabeth Jüngling, Streiks (Erster Weltkrieg und Weimarer Republik), publiziert am 12.12.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Streiks_(Erster_Weltkrieg_und_Weimarer_Republik) (18.04.2024)