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Sondergerichte (1933-1945)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

von Tobias Haaf

Die Reichsregierung schuf gemäß einer Verordnung vom 21. März 1933 in allen Oberlandesgerichtsbezirken des Deutschen Reiches Sondergerichte. Sie dienten der Gleichschaltung und Instrumentalisierung der Justiz für die Ziele des NS-Regimes und der Ausschaltung politischer Gegner. Gleichzeitig ermöglichten sie unter drastischer Beschneidung der Rechte des Angeklagten beschleunigte Verfahren ohne gerichtliche Voruntersuchung, gegen deren Urteile keine Rechtsmittel zulässig waren. Auf dem bayerischen Staatsgebiet wurden zunächst in München, Nürnberg und Bamberg sowie in Frankenthal (Pfalz) Sondergerichte eingerichtet, 1942 kam noch eines in Bayreuth und eines in Würzburg hinzu. Zunächst waren die Sondergerichte, die unter dem Druck von Gauleitern und anderen NSDAP-Funktionären standen, vor allem für als politisch eingestufte Straftaten zuständig, die jede Form von Kritik an Regierung, Partei und Polizei umfassten. Ab 1938 konnten sie in schwerwiegenden Fällen aber auch zur sofortigen Aburteilung von Vergehen aus dem Zuständigkeitsbereich anderer Gerichte herangezogen werden. Seit Kriegsbeginn wurden weitere Straftatbestände wie sog. Kriegswirtschafts- und Rundfunkverbrechen oder Wehrkraftzersetzung vor den Sondergerichten verhandelt. Bis in die 1940er Jahre hinein wurden dank mehrerer Führeramnestien, die den guten Willen der Staatsmacht demonstrieren sollten, zahlreiche Verfahren wieder eingestellt. In der Endphase des Krieges ist aber mit der immer radikaleren Auslegung der Gesetze und zunehmend drakonischeren Strafen zur Disziplinierung der Bevölkerung eine deutliche Eskalation des Justizterrors zu beobachten.

Grundlagen

Verordnung über die Bildung von Sondergerichten vom 21. März 1933 (Ausschnitt). Abb. aus: Reichsgesetzblatt 1939, Teil 1, Berlin 1939, 136. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 J.publ.g. 946 wa-1933,1)

Sieben Wochen nach der Ernennung Adolf Hitlers (NSDAP, 1889–1945, Reichskanzler 1933–1945) zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 schuf die NSDAP-geführte Reichsregierung mit der Verordnung über die Bildung von Sondergerichten vom 21. März 1933 (Reichsgesetzblatt [RGBl] 1933 I, 136–138) ein wirkungsvolles Instrument, die Justiz in den Ländern und im Reich gleichzuschalten und politische Gegner mundtot zu machen. Die Sondergerichte waren keine Erfindung des NS-Regimes: Ihre Wurzeln reichen zurück zu den Standgerichten des Ersten Weltkrieges und den Notverordnungen der Weimarer Republik. Ihre Einrichtung war eine Vorgabe des Reichsjustizministeriums, um der wachsenden nationalsozialistischen Kritik an der Rechtsprechung zu begegnen.

Die Sondergerichte erhielten weitreichende Kompetenzen: Im Unterschied zu den ordentlichen Gerichten fand vor einem Sondergericht keine mündliche Verhandlung über den Haftbefehl oder eine gerichtliche Voruntersuchung statt. Die Ladungsfrist für den Angeklagten konnte auf 24 Stunden verkürzt werden, was der Verteidigung eine solide Vorbereitung auf die Hauptverhandlung unmöglich machte. Das Sondergericht konnte die Beweisanträge der Verteidigung ablehnen, „wenn es die Überzeugung gewonnen hat, daß die Beweiserhebung für die Aufklärung der Sache nicht erforderlich ist“ (RGBl 1933 I, 136). Die Einleitung des Hauptverfahrens lag nicht länger in der Entscheidungsbefugnis des Gerichts, sondern der Staatsanwaltschaft. Der Eröffnungsbeschluss wurde ersetzt durch die Anklageschrift des Staatsanwalts. Die schwerwiegendste Beschneidung der Rechte des Angeklagten lag darin, dass ein Urteil des Sondergerichts mit der Verkündigung des Urteilsspruchs sofortige Rechtskraft erhielt: Gegen das Urteil eines Sondergerichts waren keine Rechtsmittel zulässig.

Errichtung von Sondergerichten

In allen Oberlandesgerichtsbezirken des Deutschen Reiches wurden kurz nach Bekanntmachung der Verordnung vom 21. März 1933 Sondergerichte installiert; in Bayern in den Städten München, Nürnberg und Bamberg. Für den Bezirk des Oberlandesgerichts Zweibrücken (Pfalz) wurde das Sondergericht in Frankenthal eingerichtet. Die Sondergerichte waren zunächst zuständig für Vergehen gegen die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (RGBl 1933 I, 83), mit der die Reichsregierung auf den Reichstagsbrand reagierte, sowie die Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21. März 1933 (RGBl 1933 I, 135), die am 20. Dezember 1934 in das sog. Heimtückegesetz (RGBl 1934 I, 1269–1271) eingeflossen ist.

Effizienz und Verfahrensbeschleunigung

Durch die Einrichtung der Sondergerichte wurde die Position der Staatsanwaltschaft eindeutig gestärkt, die der Verteidigung hingegen geschwächt. Oberste Maxime bei der Einrichtung der Sondergerichte, die regelmäßig mit drei Berufsrichtern besetzt und beim größten Landgericht des Oberlandesgerichtsbezirks installiert wurden, waren die Effizienz und Verfahrensbeschleunigung bei der Strafverfolgung Andersdenkender. Wilhelm Crohne (NSDAP, 1880–1945), späterer Vizepräsident am Volksgerichtshof in Berlin, brachte die Stoßrichtung der Sondergerichte folgendermaßen auf den Punkt: Die Sondergerichte seien berufen, „in Zeiten politischer Hochspannung durch schnelle und nachdrückliche Ausübung der Strafgewalt darauf hinzuwirken, daß unruhige Geister gewarnt und beseitigt werden und daß der reibungslose Gang der Staatsmaschinerie nicht gestört wird“ (Deutsche Justiz 95 [1933], 384).

Kompetenzzuwachs und Ausbau

Im Zuge der Stabilisierung und des Ausbaus des NS-Machtapparats vergrößerte sich der Zuständigkeitsbereich der Sondergerichte mehr und mehr. Neben Vergehen gegen die beiden zuvor genannten Verordnungen wurden auch Verunglimpfungen der NSDAP, der Parteiabzeichen, der Reichsflagge oder der Wehrmacht vor den Sondergerichten verhandelt. Das Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934 (RGBl 1934 I, 1269–1271) hebelte das in der Weimarer Reichsverfassung verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung endgültig aus und wurde zur schärfsten Waffe gegen Regimekritiker. Die Auslegung dieser Strafnorm, die jede Kritik am nationalsozialistischen Staats-, Partei- und Wertesystem umfasste, reichte bis hinein in den privaten Raum und kriminalisierte sogar das Alltagsgespräch. Das leistete dem ohnehin verbreiteten Denunziantentum weiter Vorschub. Einer Sanktionierung jeder Form von Kritik am Nationalsozialismus war damit Tür und Tor geöffnet.

Waren die Sondergerichte zunächst vornehmlich für als politisch eingestufte Straftaten zuständig, konnten sie mit der Verordnung über die Erweiterung der Zuständigkeit der Sondergerichte vom 20. November 1938 (RGBl 1938 I, 1632) ihre Stellung innerhalb des Gerichtswesens ausbauen, sodass sie die ordentlichen Gerichte als Regelgerichte immer weiter zurückdrängten. Diese sog. Gangster-Verordnung bevollmächtigte die Staatsanwaltschaft, auch dann Anklage vor einem Sondergericht zu erheben, wenn die Zuständigkeit bei einem Schwurgericht oder einem niedrigeren Gericht lag. Erkannte die Staatsanwaltschaft auf eine besondere „Schwere“ oder „Verwerflichkeit der Tat“ oder war „die in der Öffentlichkeit hervorgerufene Erregung“ groß, war aus Sicht des Reichsjustiz- und Reichsinnenministeriums „die sofortige Aburteilung durch das Sondergericht geboten“ (RGBl 1938 I, 1632).

Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 brachte zahlreiche zusätzliche Straftatbestände mit sich, die vor den Sondergerichten verhandelt wurden. Dem wachsenden Einflussbereich korrespondierte eine steigende Zahl von Sondergerichten: Waren 1933 reichsweit 27 Sondergerichte installiert worden, so wuchs ihre Zahl auf 37 im Jahr 1935, auf 64 im Jahr 1940 und Ende 1942 auf 74. In Bayern kamen 1942 die Sondergerichte Bayreuth und Würzburg hinzu.

Systemisches Unrecht und politische Rechtsprechung

Kaplan Friedrich Thein (1909-1978) bei seiner Priesterweihe am 17. März 1934 mit zwei sog. Primizbräutchen. (Diözesanarchiv Würzburg, Fotodokumentation Friedrich Thein)

Zwischen 1933 und 1945 unterlag die Justiz (wie die übrigen Institutionen der staatlichen Verwaltung) der Gleichschaltung und Instrumentalisierung für die Ziele des NS-Regimes. Sie wurde damit Teil des Unrechtsapparats, der gegen Dissidenten und sog. Volksschädlinge aufgefahren wurde. Bereits in seiner Regierungserklärung vom 23. März 1933 hatte Hitler neue Maßstäbe für die Rechtsprechung angekündigt: „Unser Rechtswesen muß in erster Linie der Erhaltung dieser Volksgemeinschaft dienen. […] Nicht das Individuum kann der Mittelpunkt der gesetzlichen Sorge sein, sondern das Volk! Landes- und Volksverrat sollen künftig mit barbarischer Rücksichtslosigkeit ausgebrannt werden!“ (Klöss, Reden des Führers, 100).

Die Sondergerichte waren eindeutig ein Instrument politisch motivierter Rechtsprechung und sollten der Herrschaftssicherung und der Ausschaltung des politischen Gegners dienen. Exemplarisch belegt das die öffentliche Hauptverhandlung vor dem Sondergericht Bamberg am 6. Juli 1936 gegen Kaplan Friedrich Thein (1909–1978) aus Rimpar (Lkr. Würzburg) wegen Verstoßes gegen das sog. Heimtückegesetz (RGBl 1934 I, 1269–1271). Kaplan Thein hatte in einer Predigt die um sich greifende „Entchristlichung“ angeprangert und die Forderung nach einer „Entkonfessionalisierung der Öffentlichkeit“ zurückgewiesen, die Wilhelm Frick (NSDAP, 1877–1946, Reichsinnenminister 1933–1943) gestellt hatte. Das abschließende Urteil der Bamberger Richter über Kaplan Thein lautete: „Der Angeklagte gehört offenbar zu den politisierenden Geistlichen, die ihre mit dem Kirchenamt verbundene Autorität zu politischen Zielen missbrauchen wollen und die nicht einsehen können, dass der Staat diese, seinen politischen Aufbauwillen störenden Kräfte ausschalten muss. Der Schaden, der durch solchen Kanzelmissbrauch angestiftet werden kann, ist nicht zu unterschätzen. Nur eine empfindliche Strafe kann deshalb den Strafzweck erreichen. Eine Gefängnisstrafe von fünf Monaten erschien angemessen“ (Staatsarchiv Bamberg, Sondergericht Bamberg, Nr. 498).

Die fünfmonatige Gefängnisstrafe musste Thein nicht verbüßen, da sie unter die Führeramnestie vom 30. April 1938 fiel, die Hitler aus Anlass der sog. Rückkehr und Heimholung Österreichs in das Reich verfügt hatte (RGBl 1938 I, 433). Prozessverlauf und Urteil veranschaulichen prägende Merkmale der NS-Gerichtsbarkeit: die Ambivalenz von Rechtsprechung und politischer Argumentation, von Disziplinierung und Führeramnestie, von „Zuckerbrot und Peitsche“.

Politischer Druck auf die Sondergerichte

Die Ortsgruppenleiter, Kreisleiter und Gauleiter der NSDAP, die Gestapo oder die Regierungspräsidenten, die den Anstoß für eine Strafverfolgung gegeben, Strafanzeige erstattet und Zeugen vernommen hatten, verfolgten sehr genau die Arbeit der Gerichte, verstanden sich als Korrektiv einer als zu milde empfundenen Rechtsprechung und übten politischen Druck auf die Richter aus. Der Polizei- und Parteiapparat versuchte, Einfluss auf Urteilssprüche zu nehmen und den Richtern eine härtere Gangart gegen Regimegegner abzuringen.

Mit politischem Druck wurde auch die Einrichtung der Sondergerichte Würzburg und Bayreuth neben Bamberg im Jahr 1942 durchgesetzt. Fritz Wächtler (NSDAP, 1891–1945, Gauleiter des Gaus Bayerische Ostmark 1935–1945) und Otto Hellmuth (NSDAP, 1896–1968, Gauleiter des Gaus Mainfranken 1928–1945) hatten massiv darauf gedrängt, in ihren Einflussgebieten zusätzliche Sondergerichte anzusiedeln. Das am 20. Juni 1942 in Bayreuth installierte Sondergericht war für die Landgerichtsbezirke Bayreuth und Hof zuständig, das am 1. September 1942 eingerichtete Sondergericht in Würzburg für die Landgerichtsbezirke Würzburg und Aschaffenburg, seit dem 1. Februar 1943 auch für den Landgerichtsbezirk Schweinfurt. Gegen Regimekritiker sollte deutlich massiver vorgegangen werden. Die Richter des Würzburger Sondergerichts entsprachen dieser politischen Implikation und profilierten sich gegenüber dem Sondergericht Bamberg durch schärfere Urteile und höhere Strafzumessungen. Durch besonders harte Urteilssprüche tat sich auch das Sondergericht Nürnberg hervor, das im Einzugsbereich des einflussreichen „Frankenführers“ Julius Streicher (NSDAP, 1885–1946, Gauleiter des Gaus Mittelfranken 1929–1940) lag, der das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ herausgab.

Härtere Gangart gegen Regimekritiker im Krieg

Die politischen Motive, die zur Einrichtung zusätzlicher Sondergerichte geführt hatten, bieten einen Erklärungsansatz für das konsequentere und entschiedenere Vorgehen. Hinzu kommt, dass der nationalsozialistische Gesetzgeber in den späteren Kriegsjahren seine Strategie gegen sog. Abweichler und Hetzer änderte. Zunächst hatte das NS-Regime gegen Dissidenten eine auf den ersten Blick irritierende Doppelstrategie verfolgt: Der Tendenz zur Kriminalisierung jeder Form abweichender Äußerungen, die vor allem die Heimtückeparagraphen vorgezeichnet hatten, wirkten eine Reihe von Amnestien entgegen. Diese Straffreiheitsgesetze sollten die „Gnade“ des Führers und den „guten Willen“ der Staatsmacht dokumentieren und forderten den „Abseitsstehenden“ auf, in das Glied der „Volksgemeinschaft“ zurückzutreten. Dieser Intention folgend wurde eine große Zahl der Verfahren vor den Sondergerichten noch bis in die 1940er Jahre hinein eingestellt und endete ohne eine Verurteilung der Angeklagten. Die rechtlichen Grundlagen hierzu boten das Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit vom 30. April 1938, das die Reichsregierung „aus Anlaß der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ verkündet hatte (RGBl 1938 I, 433), die zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers gewährte Amnestie vom 20. April 1939 sowie der „Gnadenerlaß des Führers und Reichskanzlers für die Zivilbevölkerung“ vom 9. September 1939 (RGBl. 1939 I, 1760).

In den Jahren 1942 bis 1945 spielten Amnestien in der Spruchpraxis der Sondergerichte dagegen kaum noch eine Rolle. Die Richter verfolgten nicht die Absicht, die Beschuldigten durch Milde zur Einsicht zu bewegen, vielmehr sollte an ihnen ein Exempel statuiert werden: Juristen und Justiz stellten sich in den Dienst der NS-Gewaltherrschaft. Die „Volksschädlinge“ sollten aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen werden; die Angeklagten sollten die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.

Zusätzliche Straftatbestände im Zweiten Weltkrieg

Kriegszerstörungen in Schweinfurt, das zu den am stärksten von Luftangriffen betroffenen Städten in Bayern gehörte. Im Zentrum ist der sog. Bauschen-Turm zu sehen, der Treppenturm am Wohnhaus des frühneuzeitlichen Schweinfurter Stadtphysicus Johann Laurentius Bausch (1605-1665). (Stadtarchiv Schweinfurt)

War die ursächliche Intention der Sondergerichte gewesen, jede Kritik an Regierung, Partei und Polizei im Keim zu ersticken, so wurden mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 weitere Straftatbestände geschaffen, die mit immer drakonischeren Strafen belegt wurden, je länger der Krieg dauerte. Bereits bis zum Kriegsausbruch war die Zahl der mit der Todesstrafe belegten Straftatbestände von drei (Bestimmungen zu Hochverrat und Mord) auf rund 25 angewachsen und stieg danach weiter auf 46 (neu hinzu kamen etwa Desertation, Wehrkraftzersetzung oder kriegsschädliches Verhalten).

Im Staatsarchiv Würzburg haben sich Übersichtsblätter der NSDAP-Gauleitung Mainfranken erhalten, die für den Zeitraum vom 23. Mai bis 6. Dezember 1944 eine Zusammenschau der vor dem Sondergericht Würzburg zur Verhandlung anstehenden Fälle bieten. Diese Wochenübersichten geben einen guten Überblick über die Straftatbestände, die während des Krieges vor den Sondergerichten verhandelt wurden: Neben den Fällen von Heimtücke werden Vergehen gegen die Kriegswirtschaftsverordnung (KWVO), verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen, Beihilfe zur Fahnenflucht, Verbrechen gegen die Volksschädlingsverordnung (VVO) und Schwarzschlachtungen aufgeführt. Hinzu kamen sog. Rundfunkverbrechen (Hören ausländischer Feindsender) und die Straftatbestände der Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung.

Je mehr der Krieg die Menschen mürbe machte, desto schärfer wurden Abweichler diszipliniert und desto radikaler und brutaler wurden die gesetzlichen Grundlagen angewandt. In der Endphase des Krieges ist eindeutig eine Eskalation des Justizterrors zu beobachten. Kriegsverordnungen wie die Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939, die ein Gesetz zur Aushebelung des Reichsstrafgesetzbuches war, fassten die einzelnen Straftatbestände und Strafrahmen bewusst äußerst weit, um auch geringfügige Vergehen mit schweren Strafen bedrohen zu können. So musste eine Arbeiterin aus Schweinfurt mit Urteil vom 18. August 1944 wegen eines Verbrechens gegen die Volksschädlingsverordnung für ein Jahr und zwei Monate im Zuchthaus einsitzen. Die Verordnung hatte die „Plünderung im frei gemachten Gebiet“, „Verbrechen bei Fliegergefahr“ und „Gemeingefährliche Verbrechen“ unter schwere Strafe gestellt. Zudem wurde die „Ausnutzung des Kriegszustandes als Strafschärfung“ definiert: Hierdurch konnte jede beliebige Straftat, die sich die Verhältnisse im Krieg zunutze machte (oder die als solche von den Strafverfolgungsbehörden interpretiert wurde), „mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren, mit lebenslangem Zuchthaus oder mit dem Tode bestraft [werden], wenn dies das gesunde Volksempfinden wegen der besonderen Verwerflichkeit der Straftat erfordert“ (RGBl 1939 I, 1679). Die Arbeiterin hatte, nachdem sie ausgebombt worden war, beim Kriegsschädenamt Schweinfurt eine Schlafzimmereinrichtung im Wert von 2.049,50 Reichsmark geltend machen wollen, obwohl sie niemals im Besitz dieser Einrichtung war. Neben der vierzehnmonatigen Zuchthausstrafe wurde der Schweinfurterin die Aberkennung ihrer bürgerlichen Ehrenrechte auf zwei Jahre auferlegt (Staatsarchiv Würzburg, Sondergericht Würzburg, SG 132/44).

Ähnlich weit gefasste und schwer sanktionierte Bestimmungen wie die Volksschädlings- enthielt die Kriegswirtschaftsverordnung vom 4. September 1939. Sie erfüllte eine doppelte Funktion: Zum einen sicherte sie die Kriegswirtschaft und schaffte die notwendigen strukturellen Voraussetzungen, indem sie Kriegssteuern erhob, Preise für Waren und Dienstleistungen einfror, Löhne festschrieb und Zuschläge für Überstunden, Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit kürzte. Zum anderen führte sie das Delikt Kriegswirtschaftsverbrechen ein und wurde zur Zentralnorm der Verfahren vor den Sondergerichten wegen Schwarzhandels, Hamsterns, Schwarzschlachtens oder Betrügereien mit Lebensmittelmarken und Bezugsscheinen. § 1 der Kriegswirtschaftsverordnung hatte definiert: „Wer Rohstoffe oder Erzeugnisse, die zum lebenswichtigen Bedarf der Bevölkerung gehören, vernichtet, beiseiteschafft oder zurückhält und dadurch böswillig die Deckung dieses Bedarfs gefährdet, wird mit Zuchthaus oder Gefängnis bestraft. In besonders schweren Fällen kann auf Todesstrafe erkannt werden“ (RGBl 1939 I, 1609). Ein Angestellter des Wirtschaftsamts der Stadt Würzburg wurde 1942 fristlos aus dem Dienst entlassen und mit sieben Jahren Zuchthaus bestraft, weil er Lebensmittelmarken und Bezugsscheine entwendet und u.a. an eine Jüdin und deren Familie weitergegeben hatte (Staatsarchiv Würzburg, Gestapoakten, Nr. 15035).

Zunehmender Justizterror

Warnungen vor dem "Abhören ausländischer Sender" wurden durch die Blockwarte der NSDAP in jedem Haushalt angebracht. (Foto von Erfurth, lizenziert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Neben der Intention, die Kriegswirtschaft zu stabilisieren und die erforderlichen materiellen Ressourcen zu sichern, ging es mit Kriegsausbruch zugleich darum, die Bevölkerung zu disziplinieren, den Kampfeswillen zu formen und die sog. Heimatfront zu stärken. Dem diente neben der Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des Deutschen Volkes (sog. Wehrkraftschutzverordnung) vom 25. November 1939 (RGBl 1939 I, 2319) auch die Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen, die das Abhören und Verbreiten von Nachrichten sog. Feindsender unter Strafe stellte und am 1. September 1939 erlassen worden war, dem Tag des deutschen Überfalls auf Polen. § 1 der Verordnung verbot „das absichtliche Abhören ausländischer Sender“ und drohte bei Zuwiderhandlung mit Zuchthausstrafen, deren Dauer nicht begrenzt war. Das verwendete Rundfunkgerät wurde konfisziert. § 2 bedrohte die Verbreitung der abgehörten Nachrichten, die „die Widerstandskraft des deutschen Volkes“ schwächten, mit Zuchthausstrafe und in besonders schweren Fällen mit dem Tod (RGBl 1939 I, 1683). Mitte 1941 erhielten alle Blockwarte der NSDAP den Auftrag, die in ihrem Zuständigkeitsbereich liegenden Wohnungen aufzusuchen und an den Volksempfängern die Warnung anzubringen: „Das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchthausstrafen geahndet. Denke daran!“ (Hensle, Rundfunkverbrechen, 141). Ein Beispiel von vielen gibt ein Arbeiter aus Hofstetten (Lkr. Miltenberg), der wegen Rundfunkverbrechens und Vergehens gegen das sog. Heimtückegesetz eine eineinhalbjährige Zuchthausstrafe verbüßen musste. Der Arbeiter war von seinem Schwiegersohn denunziert worden, weil er wiederholt feindliche Sender abgehört und sich „abfällig“ über „Regierung und Parteiführung“ geäußert hatte (Staatsarchiv Würzburg, Gestapoakten, Nr. 2222).

Auf der Grundlage der sog. Wehrkraftschutzverordnung und der Verordnung über den Umgang mit Kriegsgefangenen vom 11. Mai 1940 (RGBl 1940 I, 769) verhängten die Sondergerichte zur Abschreckung und Disziplinierung harte Strafen, wurden Frauen einer intimen Beziehung zu einem Kriegsgefangenen überführt. Ein derartiges Verhalten verstieß gegen das sog. gesunde Volksempfinden. So wurde eine Näherin aus Mittelsailauf (Lkr. Aschaffenburg) wegen verbotenen Umgangs mit einem französischen Kriegsinternierten 1944 in Polizei- und Untersuchungshaft genommen und anschließend zu einer zehnmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, die sie in einem Arbeitserziehungslager verbüßen musste (Staatsarchiv Würzburg, Gestapoakten, Nr. 17063). Eine Fabrikarbeiterin aus Mainbernheim (Lkr. Kitzingen) wurde ebenfalls 1944 zu einem Jahr und vier Monaten Zuchthaus und zur Aberkennung ihrer bürgerlichen Ehrenrechte auf zwei Jahre verurteilt (Staatsarchiv Würzburg, Gestapoakten, Nr. 4796), eine Frau aus Heßlar (Lkr. Main-Spessart) 1943 zu drei Jahren Zuchthaus (Staatsarchiv Würzburg, Gestapoakten, Nr. 1777); beide Frauen hatten sich gleichfalls mit einem französischen Kriegshäftling eingelassen. Im Verweis auf das „gesunde Volksempfinden“ klingt der Rassenwahn des NS-Regimes an.

Als Prototyp des totalitären Rasserechts kann aufgrund ihrer Generalklauseln und der Todesstrafe als Regelstrafe die Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. Dezember 1941 gelten (RGBl 1941 I, 759–761), deren Bestimmungen die Sondergerichte, die neben den Amtsgerichten zuständig waren, extensiv auslegten. Die Sondergerichte schienen wegen ihrer einfacheren und schnelleren Verfahren und ihrer abschreckenden Wirkung besonders für die Ausübung der Besatzungsjustiz geeignet. Daneben wurde die Einberufung von Standgerichten ermöglicht, was der endgültigen Perversion der Strafjustiz weiter Vorschub leistete.

Gleichzeitigkeit von Rechtsprechung und Rechtsbrechung

Die Spruchpraxis und Verfahrensweise der Sondergerichte spiegeln die unheilvolle Symbiose einer unrechtsstaatlichen Gesetzgebung und ihrer formaljuristisch korrekten Auslegung unter den Bedingungen der NS-Diktatur wider. Recht und Rechtsprechung wurden in dieser Zeit in vielfältiger Weise zum Systemunrecht. Hitler selbst war an der Rechtspflege nur in dem Maße interessiert, als sie als Machtinstrument eingesetzt werden konnte. So hat er sich einerseits über rechtsstaatliche Traditionen hinweggesetzt, andererseits hierbei aber aus politischem Kalkül den Schein ungebrochener Legalität aufrechterhalten. Die Gleichzeitigkeit von Rechtsprechung und Rechtbrechung, von Legalität und Illegitimität wurde damit zum prägenden Kennzeichen der NS-Justiz.

Quellen und Forschungsstand

Eine systematische Aufarbeitung der Quellenbestände, die in den Staatsarchiven München, Nürnberg, Bamberg und Würzburg zu den in den Jahren 1933 bis 1945 in Bayern installierten Sondergerichten vorgehalten werden, steht noch aus. Auch eine Gesamtdarstellung des Systems, der Funktion, Spruchpraxis und Richterschaft der Sondergerichte ist ein Forschungsdesiderat. Die vorliegenden Einzeluntersuchungen, die unterschiedliche Aspekte fokussieren (wie eine bestimmte Gruppe von Angeklagten oder eine Strafnorm), ergeben ein differenziertes und vielschichtiges Bild. Weitere Forschungen zur regionalen Rechts- und Justizgeschichte wie das vom Landgericht Bayreuth 2021 in Kooperation mit der Universität Bayreuth und dem Staatsarchiv Bamberg initiierte Forschungsprojekt „Sondergericht und Volksgerichtshof in Bayreuth“ werden dieses Bild bereichern.

Literatur

  • Christian Bentz, Die Rechtsprechungspraxis des Sondergerichts München von 1939–1945, Diss. Jena 2004.
  • Anna Blumberg-Ebel, Sondergerichtsbarkeit und „politischer Katholizismus“ im Dritten Reich (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen 55), Mainz 1990.
  • Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 28), München 2001.
  • Tobias Haaf, „Die Verfehlung des Angeklagten ist grober Natur“. Die Rolle des Sondergerichts Bamberg bei der Disziplinierung unterfränkischer katholischer Geistlicher, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 71 (2009), 43–107.
  • Tobias Haaf, „Der Vorgenannte hat staatsabträgliche Reden geführt“. Das Sondergericht Würzburg als Instanz der Disziplinierung und Strafverfolgung in den Jahren 1942 bis 1945, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 72 (2010), 551–576.
  • Tobias Haaf, „Der Angeklagte gehört offenbar zu den politisierenden Geistlichen“. Die Verurteilung des Rimparer Kaplans Friedrich Thein durch das Sondergericht Bamberg 1936. Eine Quellenedition, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 70 (2008), 261–283.
  • Joachim Hennig, Die Sondergerichte der NS-Zeit, in: Charlotte Glück/Martin Baus (Hg.), Recht. Gesetz. Freiheit. 200 Jahre Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz 121), Koblenz 2015, 236–245.
  • Michael Hensle, Rundfunkverbrechen. Das Hören von „Feindsendern“ im Nationalsozialismus, Berlin 2003.
  • Peter Hüttenberger, Heimtückefälle vor dem Sondergericht München 1933–1945, in: Martin Broszat/Elke Fröhlich/Anton Grossmann (Hg.), Bayern in der NS-Zeit, Band 4: Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, München/Wien 1981, 435–526.
  • Norbert Keil, Priester und Ordensleute vor dem Sondergericht München, in: Georg Schwaiger (Hg.), Das Erzbistum München und Freising in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, Band 1, München/Zürich 1984, 489–580.
  • Erhard Klöss (Hg.), Reden des Führers. Politik und Propaganda Adolf Hitlers 1922–1945, München 1967.
  • Nina Lutz, Das Sondergericht Nürnberg 1933–1945: Eingespielte Justizmaschinerie der gelenkten Rechtspflege, in: Oberlandesgericht Nürnberg (Hg.), Justizpalast Nürnberg. Ein Ort der Weltgeschichte wird 100 Jahre, Neustadt an der Aisch 2016, 250–263.
  • Helmut Paulus, Das Sondergericht Bayreuth 1942–1945. Ein düsteres Kapitel der Bayreuther Justizgeschichte (Archiv für Geschichte von Oberfranken 77), Bayreuth 1997.
  • Hans Schütz, Bamberger Berichte. Über Stimmung und Haltung der Bevölkerung des Oberlandesgerichtsbezirks Bamberg während des 2. Weltkrieges, Bamberg 1983.
  • Hans Schütz, Justiz im „Dritten Reich“. Dokumentation aus dem Bezirk des Oberlandesgerichts Bamberg, Bamberg 1984.
  • Gerhard Werle, Strafrecht als Waffe. Die Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939, in: Juristische Schulung 1989, 952–958.

Quellen

  • Wilhelm Crohne, Bedeutung und Aufgaben der Sondergerichte, in: Deutsche Justiz 95 (1933), 384f.
  • Diözesanarchiv Würzburg, Dokumentation Deutsche Zeitgeschichte, Kasten 13, 4. Nationalsozialismus (1933–1945).
  • Staatsarchiv Bamberg, Sondergericht Bamberg, Nr. 498 (Strafsache Friedrich Thein).
  • Staatsarchiv Bamberg, Anklagebehörde bei dem Sondergericht Bayreuth.
  • Staatsarchiv München, Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I, Sondergericht München.
  • Staatsarchiv Nürnberg, Anklagebehörde bei dem Sondergericht Nürnberg.
  • Staatsarchiv Würzburg, Gestapoakten, Nr. 1777, 2222, 4796, 15035, 16108 u. 17063.
  • Staatsarchiv Würzburg, NSDAP Gau Mainfranken, Repertorium III. 8.0.1, 243: Termine der vor dem Sondergericht Würzburg zur Verhandlung kommenden Fälle 23.5.–6.12.1944.
  • Staatsarchiv Würzburg, Sondergericht Würzburg, Repertorium 1.2.0.-1, Bestellnummer 19, Aktenzeichen SG 132/44.

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Empfohlene Zitierweise

Tobias Haaf, Sondergerichte (1933-1945), publiziert am 20.02.2023, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Sondergerichte_(1933-1945)> (28.03.2024)