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Sonderfriede, 1918/19

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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In der Proklamation vom 10. November 1918 foderte Kurt Eisner die Ententestaaten dazu auf, "die revolutionäre Schöpfung der deutschen Demokratie" nicht durch ein schonungsloses Vorgehen gegen Deutschland zu gefährden. (Monacenensia Literaturarchiv und Bibliothek)
Titelblatt der Morgenausgabe der Münchner Neuesten Nachrichten, in der über den Waffenstillstand an der italienischen Front berichtet wird. (Münchner Neueste Nachrichten Nr. 552 (4.11.1918)) (Bayerische Staatsbibliothek, 2 H.un.app. 47 h-1918,10-12)
In der Abendausgabe der Münchner Neuesten Nachrichten wird über die Kapitulation Österreichs berichtet und auch ein Artikel über die Spekulationen der Reichstreue Süddeutschlands abgedruckt. (Münchner Neueste Nachrichten Nr. 558 (4.11.1918)) (Bayerische Staatsbibliothek, 2 H.un.app. 47 h-1918,10-12)

von Bernhard Grau

Option, die Ende 1918 in der bayerischen Öffentlichkeit diskutiert wurde, nicht zuletzt ausgelöst durch den außenpolitischen Führungsanspruch Kurt Eisners (USPD, 1867-1919), der sich allerdings nicht für einen bayerischen Sonderfrieden, sondern generell für erträgliche Friedensbedingungen einsetzen wollte.

Problemstellung

Vereinbart eine kriegsführende Partei ohne Wissen oder Einverständnis ihrer Verbündeten mit den Kriegsgegnern die Einstellung der Feindseligkeiten, spricht man von Sonder- oder Separatfrieden. Dieses Begriffsverständnis vorausgesetzt, konnte Bayern 1918 im formalrechtlichen Sinne keinen Sonderfrieden abschließen. Seit 1871 war das Königreich Bayern Teil des Deutschen Reichs. Es war damit kein selbständiger Staat mehr, das heißt außenpolitisch nicht handlungsfähig. Demzufolge bestanden auch keine Bündnisverträge Bayerns mit anderen am Ersten Weltkrieg beteiligten Staaten. Wenn in Presse und Öffentlichkeit die Frage eines bayerischen Sonderfriedens diskutiert wurde, so hing dies mit der unklaren verfassungsrechtlichen Lage unmittelbar nach der Revolution zusammen, der erst das Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. Februar 1919 (RGBl I 1919, S. 169) ein Ende bereitete. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte der Eindruck entstehen, Bayern sei durch den Umsturz wieder zum souveränen Staat geworden. Tatsächlich gibt es aber keine belastbaren Beweise dafür, dass vor oder nach Kriegsende von verantwortlicher Seite ernsthaft versucht worden wäre, für Bayern einen Sonderfrieden mit der Entente auszuhandeln.

Der Sonderfriedensgedanke in der Schlussphase des Ersten Weltkriegs

Spätestens seit der Kapitulation Österreich-Ungarns (3.11.1918) wurde der Abschluss eines Sonderfriedens in der bayerischen Presse und Öffentlichkeit erörtert. Durch den Verlust des deutschen Bündnispartners im Südosten erschienen die bayerischen Grenzen unmittelbar gefährdet. Zugleich war auf einen positiven Ausgang des Krieges nun kaum mehr zu hoffen.

In den vor allem von oppositioneller Seite ausgehenden Forderungen nach Sonderfriedensverhandlungen artikulierte sich aber auch die allgemeine Missstimmung gegenüber Preußen und dem Reich. Ungeachtet der Tatsache, dass Ludwig III. (1845-1921, reg. 1912/13-1918) im Laufe des Krieges selbst durch massive Annexionsforderungen hervorgetreten war, suchte man sich so von der Zentralgewalt in Berlin zu distanzieren, von der man sich schon seit längerem übervorteilt und ausgenützt fühlte und der man auch die Schuld an der drohenden Niederlage gab.

Kurt Eisners Kampf für einen Verständigungsfrieden

In eine ähnliche Richtung schienen auch die außenpolitischen Aktivitäten des durch die Revolution ins Ministerpräsidentenamt gelangten Kurt Eisner (USPD, 1867-1919) zu zielen. Seit 1915 hatte er für einen sofortigen Frieden ohne Annexionen gekämpft. Daraus glaubte er nun einen außenpolitischen Führungsanspruch ableiten zu können. Er war sich sicher, aufgrund seiner Integrität für Deutschland erträglichere Friedensbedingungen aushandeln zu können. In diesem Sinne ist die von ihm verfasste und unterzeichnete Proklamation vom 10. November 1918 zu verstehen, in der er die Ententestaaten dazu aufforderte, "die revolutionäre Schöpfung der deutschen Demokratie" nicht durch ein schonungsloses Vorgehen gegen Deutschland zu gefährden. Dass dieser Vorstoß als Werben um einen Sonderfrieden für Bayern missdeutet werden konnte, hatte nicht nur mit Eisners Frontstellung gegen die auswärtige Politik der Reichsregierung, sondern wesentlich mit seinem gleichzeitigen Eintreten für eine föderalistische Umgestaltung des Deutschen Reichs zu tun. Nach seiner Auffassung war dieses in der Novemberrevolution untergegangen, musste also erst durch einen Staatsvertrag der deutschen Länder neu begründet werden.

Die Reaktionen im In- und Ausland

Das Ausland verhielt sich zurückhaltend gegenüber den bayerischen Friedensinitiativen und machte damit deutlich, dass man die bayerische Regierung nicht als legitimen Gesprächspartner ansah. Selbst Frankreich, das daran interessiert sein musste, einen Keil zwischen Reich und Länder zu treiben und auf dessen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau (1841-1929) sich Eisner wiederholt berufen hatte, versagte sich eine offizielle Reaktion, die Eisner und der deutschen Öffentlichkeit Entgegenkommen signalisiert hätte.

In Deutschland selbst provozierte Eisner mit seinem Vorstoß dagegen heftigen Widerstand. Vor allem die Regierung der Volksbeauftragten wehrte sich gegen seine außenpolitischen Alleingänge. Nach Eisners Ermordung verstummten die Gerüchte um den Abschluss eines Sonderfriedens allmählich. Ein Ende fanden sie freilich erst mit der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags am 28. Juni 1919 durch die Reichsminister Hermann Müller (SPD, 1876-1931) und Johannes Bell (Zentrum, 1868-1949).

Literatur

  • Dieter Albrecht, Von der Reichsgründung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges (1871-1918), in: Max Spindler (Begr.)/Alois Schmid (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. 4. Band, 1. Teil, München 2003, 318-438, hier 417-425.
  • Wolfgang Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur deutschen Innenpolitik 1918-1923 (Beiträge zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter 4), Berlin 1970.
  • Bernhard Grau, Kurt Eisner 1867-1919. Eine Biographie, München 2001.
  • Peter Grupp, Deutsche Außenpolitik im Schatten von Versailles 1918-1920, Paderborn 1988.
  • Henning Köhler, Novemberrevolution und Frankreich. Die französische Deutschlandpolitik 1918-1919, Düsseldorf 1980.
  • Allan Mitchell, Revolution in Bayern 1918/1919. Die Eisner-Regierung und die Räterepublik, München 1967.
  • Werner Gabriel Zimmermann, Bayern und das Reich 1918-1923. Der bayerische Föderalismus zwischen Revolution und Reaktion, München 1953.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Bernhard Grau, Sonderfriede, 1918/19, publiziert am 02.11.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Sonderfriede,_1918/19> (28.03.2024)