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Schloss Linderhof

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Blick auf die Hauptfassade von Schloss Linderhof mit dem davorliegenden Wasserparterre und dem Flora-Bassin. (© Bayerische Schlösserverwaltung, Veronika Freudling, München)

von Uwe Gerd Schatz

Das in den Ammergauer Alpen gelegene Schloss Linderhof ist eines der vielfältigsten und kunstvollsten Ensembles des 19. Jahrhunderts. König Ludwig II. von Bayern (1845–1886, reg. 1864-1886) ließ es nach seinen Vorstellungen und mit neuester technischer Ausstattung von 1869 bis 1880 durch den Architekten Georg von Dollmann (1830-1895) erbauen. Die Anlage ist das einzige Bauprojekt, welches zu Ludwigs Lebzeiten fertiggestellt werden konnte. Im Schloss entfaltet sich Neo-Rokoko, aber in einer phantasmagorischen Fülle, die alle Vorbilder des 18. Jahrhunderts weit übertrifft. Der Schlosspark vereinigt Motive des Barockgartens mit prächtigen Wasserparterres und des englischen Landschaftsgartens mit romantischen Bauten: Marokkanisches Haus, Maurischer Kiosk, Hundinghütte, Einsiedelei des Gurnemanz und die Venusgrotte.

Lage und Vorgeschichte

Im Graswangtal bei Ettal befand sich der 1479 urkundlich nachgewiesene Linderhof. Der Schwaighof gehörte dem Kloster Ettal und wurde bis 1815 bewirtschaftet. 1815 erwarb der bayerische Staat den Hof und nutzte ihn als Fohlenhof für das in Schwaiganger bei Murnau gelegene Militärgestüt. 1841 übernachtete Kronprinz Maximilian (1811-1864, König von Bayern 1848-1864), der Vater Ludwigs II. (1845 – 1886, reg. 1864-1886), erstmals während einer Wanderung auf dem Gut. Das bescheidene Nebengebäude des Gutshofes, später Königshäuschen genannt, diente ihm auch in den folgenden Jahren immer wieder als Übernachtungsmöglichkeit bei Jagdaufenthalten. Nach seiner Thronbesteigung 1848 wurde das Häuschen in bescheidenem Umfang modernisiert. Ludwig II., der die Anlage seit 1860 kannte, erwarb am 19. Mai 1869 das Gut und größere Flächen des Tales als Privatbesitz. Das Gestüt wurde aufgegeben.


Vorbilder

Kaiserliche Villa in Bad Ischl. (Foto: Sigmunds lizenziert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Im 19. Jahrhundert kam es auch für das Münchner Bürgertum in Mode in Villen im bayerischen Voralpenland, u.a. am Starnberger See, den Sommer zu verbringen. Auch die königliche Familie folgte diesem Beispiel und unterhielt mit den Schlössern in Berg am Starnberger See, den ehemaligen Klöstern Tegernsee und Berchtesgaden sowie Schloss Hohenschwangau mehrere Residenzen. Ein direktes Vorbild für einen villenartigen Sommersitz mit Landschaftsgarten in den Bergen hatte der Wiener Notar Josef Eltz (1788-1860) in den 1840er Jahren in Bad Ischl errichten lassen. Kaiser Franz Joseph I. von Österreich (1830-1916, reg. 1848-1916) erwarb dieses Haus und ließ es ab 1853 umfangreich zu seiner "Kaiserlichen Villa" ausbauen. In der damaligen Benennung Schloss Linderhofs als "Königliche Villa" spiegelt sich dieses Vorbild wider. Auch die Bauform der großbürgerlichen Villa des 19. Jahrhunderts mit ihrer inneren Erschließung und Raumanordnungen sind daran orientiert. Allerdings haben der Anspruch in der Ausgestaltung der Fassade und die Prachtentfaltung der Innenräume des Schlosses Linderhof mit diesen Vorbildern nichts mehr zu tun.

Hinter der herrschaftlich barocken Fassade des Schlosses entfaltet sich Neurokoko mit Inhalten der Zeit französischen Könige Ludwigs XIV. (1638-1715, reg. 1643-1715) und Ludwigs XV. (1710-1774, reg. 1715-1774). Auch das Bildprogramm der Räume ist Geschichte und Personen des Ancien Régime verpflichtet. Die Stil- und Ornamentformen zitieren jedoch süddeutsches Rokoko aus den Bauten der Wittelsbacher.

Hier ist der Typus der Maison de Plaisance Vorbild gewesen, das kleine, meist in einem Park gelegene Lustschloss, im 18. Jahrhundert in Frankreich entstanden und gerade in Süddeutschland mit besonders aufwendigen und qualitätvollen Beispielen vertreten. Die Amalienburg, 1734 bis 1739 im Park von Schloss Nymphenburg erbaut und auch die 1730 bis 1737 eingerichteten "Reichen Zimmer" in der Münchener Residenz, beide von François de Cuvilliés d.Ä. (1695-1768) für Kurfürst Karl Albrecht (1697-1745, reg. 1726-1745, seit 1742 röm.-dt. Kaiser) geschaffen, waren wichtige Vorbilder für Ornamentik, Stil und Mobiliar der Linderhofer Räume und beide Ludwig II. von Kindheit an bekannt. Ein so reiches und dichtes Ornament, vor allem mit so vielen vollplastischen Elementen, gibt es in Bauten des französischen Rokokos nicht. Der König schuf in Schloss Linderhof Räume von phantasmagorischer Fülle, die alle Vorbilder weit übertreffen. "Zweites Rokoko" oder "Neurokoko", also ein Wiederaufnehmen dieses Stils, gab es in Österreich seit etwa 1820, in Frankreich seit etwa 1840, aber beschränkt auf Raumgestaltung, als Dekorationsstil. Das in Linderhof entstandene "Neurokoko" ist durch die Intensität und Unbedingtheit Ludwigs II. eigenschöpferisch wie kein anderes und somit von unvergleichlicher genuiner Qualität. Ihm ging es nicht um stilvolle Dekoration, sondern um Beschwörung. Das unterscheidet ihn und damit seine Bauten grundsätzlich vom Historismus seiner Zeit.

Planungsgeschichte

Ludwigs II. Bauplanungen für Linderhof begannen im Herbst 1868 mit einer eigenhändig gezeichneten und beschrifteten Skizze zu einer "Kapelle" und einem "Pavillon". Die "Kapelle" sollte ein verehrendes, denkmalhaftes Zitat der Schlosskapelle von Versailles werden, der "Pavillon" im gleichen Sinne ein Konzentrat der wichtigsten Staatsräume von Schloss Versailles, also eine Reduktion auf die Mitte der riesigen Anlage. Dieser "Pavillon" hatte zunächst den Schwerpunkt einer Wohnung für den Bauherrn.

Schon im gleichen Jahr verlagerte sich dieser in die bekannte idealisierend-verehrende Richtung: diesen "Pavillon" eben als "Tempel des Ruhmes Ludwigs XIV.", als Denkmal, zu errichten, nicht zum Bewohnen.

So begann Ludwig II. die Planung einer separaten Wohnung. Daraus entstand nach und nach das Schloss Linderhof. Dessen Planungs- und Baugeschichte ist unter den Bauten Ludwigs II. in mehrfacher Hinsicht einzigartig. Die Planung ging von dem bestehenden Königshäuschen seines Vaters Max II. aus, das durch Anbauten erweitert wurde. Grundlage der anderen Bauprojekte war stets ein Neubau. Die Konzeption änderte sich während des Bauens nicht nur punktuell, sondern diametral: vom verdeckten Refugium in der Natur des weitgehend unbesiedelten Graswangtales zur repräsentativen Herrscherarchitektur. Dadurch ist die persönliche Entwicklung des Bauherrn in den Jahren ab 1871 in der Entwicklung des Projektes "Königliche Villa" Linderhof besonders deutlich manifestiert.

Dieselbe Entwicklung ließ das geplante "Tmeicos-Ettal" (ein Anagramm der Ludwig XIV. zugeschriebenen Devise "L’etat c’est moi"), also die ursprünglichen "Pavillon" und "Kapelle", von 1868 bis 1873 immer größer werden. 1873 war die volle Größe des Vorbilds Versailles erreicht, so dass die Anlage im Graswangtal nicht mehr Platz finden konnte. Ludwig II. erwarb als Bauplatz im selben Jahr die Insel Herrenchiemsee; dort wurde ab 1878 nach dem Konzept von 1873 gebaut.

Bei der Königlichen Villa ist hingegen die innere Entwicklung des Bauherrn nicht nur an den Planungen, sondern auch am Baufortgang abzulesen. Der Bau wuchs mit den Ansprüchen des Königs. Dadurch ist bei diesem Projekt auch der schöpferische Anteil Ludwigs II. am deutlichsten dokumentiert. Bei keinem anderen seiner Projekte gibt es auf Plänen und Entwürfen so viele Anmerkungen von seiner Hand oder nach seinem Diktat.

Nach mehreren baulichen Erweiterungen wurde 1874 das alte Königshäuschen zugunsten einer neuen Raumfolge abgetragen und 100 Meter weiter wiedererrichtet. Erst als alle nach und nach geplanten Räume fertiggestellt waren, wurde die Holzverkleidung des Schlosses durch die Steinfassaden ersetzt. 1884 befahl der König eine erhebliche Vergrößerung des Schlafzimmers, die bis 1886 nur baulich, jedoch nicht in der gesamten Einrichtung, vollendet werden konnte. Durch diesen erweiterten Raum erhielt die Nordfassade einen stark vortretenden Mittelrisalit.

Programm der Fassaden

Das Programm besteht im Kern aus lang, oft seit der Antike, tradierter Herrschafts- und Herrscherallegorie, ist aber im Einzelnen durch jüngere Allegoresen ergänzt. Im Zentrum steht das von zwei Fama-Figuren gehaltene bayerische Königswappen im Giebel der Hauptfassade als Abzeichen des Bauherrn. Bekrönt wird es, wie die gesamte Fassade, von einem monumentalen, das Himmelsgebäude tragenden Atlas, eine seit dem Hellenismus bekannte, besonders im Barock oft dargestellte Allegorie von Herrscherkraft und Herrscherlast gleichzeitig. Dem entsprechen in einem einfacheren Sinn die Hermen unten neben den Portalen, die den Balkon tragen. Seitlich des Wappens stehen in gleicher Höhe, jeweils zu zweit, mit entsprechenden Attributen, "Ackerbau" und "Handel" sowie "Wissenschaft" und "Industrie". In der Mittelnische darunter steht eine fast lebensgroße Victoria, also Personifikation des Sieges, des Erfolges, der Durchsetzung von Macht. Über ihr bekräftigen in der Mitte zwei Genien mit Lorbeerkränzen ihre Aussage. Daneben sind über den Doppelsäulen vier Putti mit den Attributen als "Musik, Plastik, Dichtkunst, Architektur" angebracht. Das Programm wird durch die alle Fassaden umziehenden Nischenfiguren erweitert und unterstützt. An der Hauptfassade sind das "Lehrstand, Wehrstand, Verwaltung, Nährstand". An der Ostfassade "Aurora", auf deren irdische Bezugsperson die Monogramme "L" in den seitlichen Balkongittern verweisen. Aurora, Göttin der Morgenröte, vorher von geringerer Bedeutung, war im französischen Absolutismus mit seinem ideologischen Bezug Herrscher – Sonne oft als Herrscherallegorie dargestellt worden. Unterstützt wird ihre Aussage hier durch die Nischenfiguren "Friede, Glückseligkeit". An der Westfassade steht zentral Apollo, seitlich begleitet von den beiden Musen Euterpe und Erato. An der Nordfassade verkörpern vier Nischenfiguren die Herrschertugenden "Beständigkeit, Gerechtigkeit, Großmut und Stärke".

Dieses Programm ergänzt die antikisch-barocke Herrscherallegorese spezifisch durch Inhalte des 19. Jahrhunderts. "Verwaltung" oder "Industrie" sind Neuentwicklungen, die genauso antikisch gewandet sind. Hier bezog Ludwig II. sich deutlich auf den Vater und besonders den Großvater Ludwig I. (1786-1868, reg. 1825-1848), an deren öffentlichen Bauten solche traditionell-innovativen Kombinationen von Herrscher- und Staatsallegorien erscheinen.

Eine Besonderheit bildet die Verwendung der Bandrustika an sämtlichen Pilastern und Säulen; diese hatte ihren zeitlichen Schwerpunkt in der Spätrenaissance, lag also nicht im geforderten Stil. Dieser Eklektizismus ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass durch die Anwendung von Rustizierung, im Grunde ja ein fortifikatorisches Motiv, über die gesamten Fassaden hinweg, nicht nur im Sockelgeschoss, die Repräsentanz von Staats- und Herrschermacht verstärkt werden sollte. Das Fassadenprogramm entspricht diesem Schwerpunkt. Die Fassaden des Schlosses Linderhof sind also mit historischen Motiven frei gestaltet. Eine Ausnahme bildet der Mittelrisalit der Hauptfassade, dessen Gestaltung mit Hermen, Volutengiebel, Wappen und bekrönendem Atlas den Wallpavillon des Dresdener Zwingers zitiert. Die dortigen seitlichen Ziergiebel sind in Linderhof auf den Risaliten der Seitenfassaden zitiert.

Für eine Maison de plaisance ist diese ausgeprägte Herrscher-Ikonografie nicht typisch. Es ist nicht weniger als die historische Darstellung der Regierungsepoche des Bauherrn als Goldenes Zeitalter des Glücks, Reichtums, der Kulturpflege, des Wohlstands, ergänzt durch Anforderungen und Ziele des modernen Staatssystems, wie Verwaltung, Bildung, Wohlfahrt. Dass ein solches Programm sich an einem rein privaten Gebäude in einem abgeschiedenen Gebirgstal findet und nicht an seinem Regierungssitz in seiner Residenzstadt, das verweist einzig und ohne Vergleich auf den Bauherrn Ludwig II. von Bayern.

Räume

Der beauftragte Hofarchitekt Georg von Dollmann (1830-1895) hatte im Zuge des Ausbaues gemäß der wachsenden Wünsche des Bauherrn zunächst eine in sich symmetrische, kleine dreiteilige Raumflucht mit Enfilade mit einem ovalen Mittelraum und zwei anschließenden hufeisenförmigen Kabinetten (Rosa Kabinett, Speisezimmer, Blaues Kabinett) anzulegen. Bereits kurz nach der Fertigstellung im November 1870 wurde diese Raumfolge auf der anderen Seite des entstehenden Hofes wiederholt (Gelbes Kabinett, Audienzzimmer, Lila Kabinett). Ein Schlafzimmer verband dann die beiden Fluchten im Norden miteinander. Die Erschließung erfolgte über eine Außentreppe und durch das Königshäuschen. Erst Abbau und Versetzen des alten Häuschens 1874 und das bis 1877 erfolgte Anfügen einer weiteren, diesmal größeren, dreiteiligen Raumflucht im Süden (Westliches und Östliches Gobelinzimmer und in der Mitte der Spiegelsaal) ermöglichte eine klare Innendisposition. An die Stelle des vorherigen "Cour", des schmalen Innenhofes, kam ein doppelläufiges Treppenhaus als zentrale Erschließung der nunmehr umlaufenden Raumflucht im Obergeschoss. Beidseits der zwei Zugangsräume, Vestibül und Treppenvorraum, wurden Funktionsräume angelegt: Tageszimmer für Diener und Adjutant, eine moderne Küche, Lagerräume, Heizung und Mechanik des Tischaufzug (Tischlein-deck-dich) für das darüber liegende Speisezimmer. Daneben wurde im Nordteil ein Ankleidezimmer und das Bad des Königs eingerichtet, das mit Szenen einer badenden Venus mit Nymphen ausgemalt ist. Das Badewasser kam durch eine Trinkwasserleitung direkt ins Schloss und wurde in einem separaten Ofen erhitzt. Diese Räume sind durch eine Tür in der Nordfassade und durch eine in der Wandverkleidung verdeckt eingefügte Türe hinter dem ersten Treppenabsatz auch von der Rückseite des Schlosses her zugänglich. Das Bad ist durch eine Wendeltreppe mit dem darüber liegenden Schlafzimmer verbunden.

Ikonologie

An der Gestaltung der Innenräume hatte Ludwig II. einen noch deutlich größeren Anteil als bei den Fassaden. Seine Bibliothek beweist die Fülle und Bandbreite seiner Studien. Es finden sich Stich- und Mappenwerke des 18. und 19. Jahrhunderts, historische und kunsthistorische Abhandlungen, kunsttheoretische Schriften, aber auch historische Romane. Zusätzlich ließ der König Bauaufnahmen und Fotografien anfertigen, wo keine Abbildungen zur Verfügung standen oder ihm vorhandenes Bildmaterial nicht informativ genug war. Außer französischen Schlossbauten, allen voran Versailles, finden sich in diesem Bestand auch die Residenzschlösser Ansbach, Bamberg, Bruchsal und Schwetzingen (beide Baden-Württemberg), Augustusburg bei Brühl (Nordrhein-Westfalen), Würzburg, ferner Schloss Sanssouci und der Dresdener Zwinger, die teilweise auf Verwandte, also Wittelsbacher, zurückgehen.

Schloss Linderhof und seine Ausstattung weist kein durchgängiges thematisch festes Raumprogramm auf. Die Häufigkeit erotischer Darstellungen und Themen, nicht nur im Schlafzimmer, entspricht dem verehrten Zeitalter des Ancien Régime. Die Porträts der höfischen Persönlichkeiten in den vier Kabinetten wurden vom Bauherrn exakt bestimmt und dienten der Vergegenwärtigung, auch der Personalisierung, der "historischen" Räume. Ein weiterer Schwerpunkt, von etwa gleicher Funktion, aber mit einem stärkeren Aspekt von Beschwörung, sind die zahlreichen historischen Szenen aus dem politischen Wirken der Bourbonenkönige Ludwig XIV., Ludwig XV. und Ludwig XVI. (1754-1793, reg. 1774-1793). Die Herrscher- und Herrschaftsikonographie des 18. Jahrhunderts wird, wie an den Fassaden, nur umfänglicher, angewandt: mit den Allegorien, die weltliche Herrschaft in die gottgeschaffene Weltordnung symbolisch einbinden, wie Jahreszeiten, Erdteile, Tierkreiszeichen, Elemente; mit den Allegorien der Herrschertugenden und positiven Herrscherthemen, wie Wissenschaft, Kunst, Frieden, Wohlstand. Im Audienz- oder Arbeitszimmer, in dem zwar nur wenige Audienzen stattfanden, sich aber ein Schwerpunkt der Tätigkeit eines konstitutionellen Monarchen abgespielt hat, nämlich das Bearbeiten von Aktenvorlagen, wird die traditionelle, aus dem Ancien Régime zitierte Herrscherallegorese deutlich durch gegenwärtige, auch persönliche, Aspekte ergänzt. Im Baldachin erscheinen Krone, Wappen und Insignien Bayerns, mithin von Ludwig II. selbst, der sich damit unmittelbar in die Kontinuität seiner großen, ersehnten Vorbilder stellt.


Die Parkanlage

Der Schlosspark vereinigt Elemente des italienischen Renaissancegartens, französischen Barockgartens und des englischen Landschaftsgartens. Der Renaissance und dem Barock entstammen die in der Mittel- und Querachse des Schlosses angelegten Terrassen mit Wasserbassins, die geometrischen Blumenbeete, die lange Kaskade mit Figurenbrunnen und die beiden Blickpunkte Pavillon und Venustempel. Von englischen Vorbildern des 19. Jahrhunderts (Picturesque garden) stammt die naturnahe, unregelmäßige Gestaltung des umgebenden Parks mit den exotischen Bauten.

Diese Parkbauten stammen teils aus der Orientmode, die auch Ludwig II. pflegte: Marokkanisches Haus und Maurischer Kiosk, teils aus der Begeisterung Ludwigs für die Musikdramen Richard Wagners (1813-1883), nämlich die drei im Park errichteten Bühnenbilder Hundinghütte (1. Akt der Walküre), Einsiedelei des Gurnemanz (3. Akt des Parsifal) und Venusgrotte (1. Akt des Tannhäuser).

Das Marokkanische Haus war ursprünglich auf einer Lichtung im Bergwald hoch über Linderhof aufgestellt. Es wurde nach dem Tod Ludwigs II. abgebaut und verkauft. Nach seiner Rückerwerbung 1994 wurde es an seiner jetzigen Stelle im Park platziert. Hundinghütte und Einsiedelei standen im Ammerwald nahe der Grenze zu Tirol. Nach dem Tod des Königs wurden sie beliebte Ausflugsziele. Die Hundinghütte brannte 1945 ab und die Einsiedelei verfiel im Laufe der 1960er Jahre. Beide Gebäude wurden an ihrer jetzigen Stelle im Park rekonstruiert; die Hundinghütte war 1990 fertiggestellt, die Einsiedelei 2000.

Die künstliche Venusgrotte ist der bergigen Umgebung oberhalb des Schlosses so eingefügt, dass sie von außen nicht zu erkennen ist. 1876/77 genau nach den Bühnenanweisungen Wagners errichtet, enthält sie einen riesigen gemalten Prospekt, der die erotische Szenerie des Venusbergs aus der Oper Tannhäuser zeigt. Um die vom König geforderte Beleuchtung mit blauem und rotem Licht erzeugen zu können entstand eines der ersten Elektrizitätswerke Bayerns. Auch der nahe gelegene Maurische Kiosk erhielt eine elektrische Beleuchtung.

Die Übergänge zum natürlichen Bergwald sind fließend gestaltet und er ist in den Park eingebunden. Kilometerlange Wege führen weiter in die Berge. Das Gebirge ist durch angelegte, wechselnde Blickachsen zu den umgebenden Bergen in dieses geniale Gesamtkunstwerk einbezogen. Der Park ist gleichsam ein schöpferisches Kompendium von Jahrhunderten europäischer Gartenkunst, eine der vielschichtigsten und qualitätvollsten Parkanlagen des 19. Jahrhunderts.

Projekte

Ludwig II. ließ im Graswangtal weitere Projekte planen. Anstelle des Venustempels sollte ein Theater errichtet werden, mit Innenausstattung nach dem Vorbild des Alten Residenztheaters in München. Hoch im Ammerwald wurde der Hubertuspavillon nach dem Vorbild der Amalienburg im Schlosspark Nymphenburg errichtet, der noch bis zum Rohbau gedieh und unvollendet nach Ludwigs Tod 1886 wieder abgerissen wurde. Ein mächtiger Byzantinischer Palast wurde schon 1869, später nochmals 1885 geplant. Ab 1886 kam noch das Projekt eines Chinesischen Sommerpalastes am Ufer des bereits in Tirol gelegenen Plansees hinzu.

Späterer Werdegang

Besucher vor Schloss Linderhof um 1960. Foto: Georg Fruhstorfer (1915-2003). (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv fruh-16571)

Ab 1. August 1886 wurde Linderhof für den Besucherverkehr geöffnet, um die persönlichen Schulden Ludwigs rascher abbezahlen zu können. Der Bau der Eisenbahnstrecke ins nahegelegene Oberammergau (1900 eröffnet) erhöhte die Besucherzahlen Linderhofs stark. Das Graswangtal wurde unter Prinzregent Luitpold (1821-1912, ab 1886 Prinzregent) wieder für Jagden genutzt, die unter Ludwig II. dort verboten waren. Für seine Aufenthalte benutze Luitpold das Königshäuschen als Jagdhaus; das nebenan gelegene Schloss blieb der öffentlichen Besichtigung vorbehalten. 1918 fiel die Schlossanlage Linderhof an den Freistaat Bayern und wird seitdem von der ehem. Krongutverwaltung, ab 1932 Bayerische Schlösserverwaltung, betreut. Seit den 1960er Jahren ist Linderhof ein Ziel des Massentourismus. Zwischen 1886 und 2013 besichtigten 40 Millionen Besucher das Schloss. Im Jahr 2018 waren es allein 437.122 Besucher. Kontinuierlich werden seit den 1990er Jahren alle Teile der Schlossanlage restauriert.

Literatur

  • Monika Bachmayr, Schloß Linderhof, Diss. masch. München 1977.
  • Georg Baumgartner, Königliche Träume. Ludwig II. und seine Bauten, München 1981.
  • Wolfgang Eichner (Red.), Das Marokkanische Haus im Schloßpark Linderhof. Dokumentation zur Wiedererrichtung und Restaurierung (Baudokumentationen der Bayerischen Schlösserverwaltung 2), München 1998.
  • Gerhard Evers, Ludwig II. von Bayern, Theaterfürst, König, Bauherr, München 1986.
  • Isabella Fehle, Der Maurische Kiosk in Linderhof von Karl v. Diebitsch, München 1987.
  • Rupert Hacker, Ludwig II. von Bayern in Augenzeugenberichten, München 1972.
  • Gerhard Hojer (Hg.), König Ludwig II.-Museum Herrenchiemsee. Katalog, München 1986.
  • Ludwig Hüttl, Ludwig II., König von Bayern. Eine Biographie, München 1986.
  • Heinrich Kreisel, Die Schlösser König Ludwigs II. von Bayern, Darmstadt 1954.
  • Andres Lepik/Katrin Bäumler (Hg.), Königsschlösser und Fabriken. Ludwig II. und die Architektur, Basel 2018.
  • Detta Petzet/Michael Petzet, Die Hundinghütte König Ludwigs II., München 1990.
  • Hans Rall/Michael Petzet/Franz Merta, König Ludwig II. – Wirklichkeit und Rätsel, München/Zürich 1986.
  • Hermann Rumschöttel, Ludwig II. von Bayern, München 2011.
  • Jean Louis Schlim, Ludwig II. Traum und Technik, München 2. Aufl. 2010.

Quellen

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Uwe Gerd Schatz, Schloss Linderhof, publiziert am 01.07.2024; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Schloss_Linderhof> (18.02.2025)