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Reichsreform (Weimarer Republik)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Karte von Walther Vogel (1880-1938) zur bundesstaatlichen Neugestaltung Deutschlands aus dem Jahre 1919. (aus: Walther Vogel, Deutschlands bundesstaatliche Neugestaltung, Berlin 1919)
Rekonstruktion des Planes Hugo Preuß' (1919) zur Auflösung Preußens und Bildung neuer Länder, vorgenommen durch Werner Münchheimer. (aus: Werner Münchheimer, Die Neugliederung Deutschlands. Grundlage-Kritik-Ziele und die Pläne zur Reichsreform von 1919-1945, Frankfurt a. Main 1949)

von Anke John

Bestrebungen seit Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung von 1919, die Gebietsgliederung des Deutschen Reichs und das staatsrechtliche Verhältnis der Länder zum Reich umzugestalten. Zur Debatte stand, ob der Bundesstaat oder ein Einheitsstaat die ideale Staatsform für das Reich darstellte, ob das Verhältnis zwischen dem Reich und Preußen neu zu regeln war und ob Länder mit weniger als einer Million Einwohnern aufzulösen seien. Die Reichsreform war ein durchgehendes Thema bayerischer Politik bis 1933, allerdings waren weder die auf eine Reföderalisierung ausgerichteten Vorschläge Bayerns noch andere Initiativen erfolgreich. Die nationalsozialistische Gleichschaltungspolitik ab 1933 gestaltete das Verhältnis Reich-Länder im unitaristisch-zentralistischen Sinn um.

Verfassungsgebung 1918/19

Erster Verfassungsentwurf von Hugo Preuß

Der Prozess, mit dem sich das Reich als republikanischer Bundesstaat konstituierte, umfasste die Übergangszeit zwischen November 1918 und Februar 1919 sowie die eigentlichen Verfassungsberatungen nach dem Zusammentritt der Nationalversammlung am 6. Februar. Auf der Reichskonferenz der deutschen Länder (25. November 1918) einigte sich der Rat der Volksbeauftragten mit den Revolutionsregierungen der Bundesstaaten über die Einberufung einer konstituierenden Nationalversammlung. Diese Entscheidung fiel gegen die Alternativen eines Zusammentretens des 1912 gewählten Reichstags und gegen eine Rätediktatur, aber auch gegen die Einrichtung eines provisorischen Präsidiums der Länder, wie es der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner (1867-1919, Ministerpräsident 1918/19) gefordert hatte. Das verfassungspolitische Primat lag so bei der provisorischen Regierung in Berlin. Der erste Verfassungsentwurf, den Hugo Preuß (1860-1925) vorlegte, schlug statt des alten Bundesratsmodells mit Regierungsvertretern eine Staatenhauslösung mit direkten Wahlen nach dem Vorbild des US-amerikanischen Senats bzw. des Schweizer Ständerats vor. Preuß' Vorschlag implizierte eine Aufteilung Preußens und eine Neugliederung des Reiches.

Staatenkonferenz am 25. Januar 1919

Die Bundesstaaten koordinierten ihre Politik in den Nachfolgeinstitutionen des Bundesrates, in der Staatenkonferenz und im Staatenausschuss. Sie verhinderten zwar das Vorhaben Preuß', das Reich in einen "dezentralen Einheitsstaat mit potenzierten Selbstverwaltungskörpern" umzugestalten. Die Idee sollte aber in vielen Varianten einer Reichsreform bis zum Ende der Weimarer Republik weiter diskutiert werden. Auf der Staatenkonferenz am 25.1.1919 in Berlin wurde die Rückverwandlung der geplanten Ländervertretung aus einer parlamentarischen zweiten Kammer (Staatenhauslösung) in eine dem alten Bundesrat ähnelnde Gesandtenkonferenz beschlossen, wie sie sich mit dem Reichsrat durchsetzte.

Verfassungskompromiss zwischen Reich und Ländern

Die Weimarer Reichsverfassung folgte dem Grundprinzip "Reichsrecht bricht Landrecht" (Art. 13,1) und räumte dem Reich gegenüber den Ländern erhebliche Not- und Ausnahmerechte ein. Mit der Diktaturgewalt des Reichspräsidenten und dem Instrument der Reichsexekution, das 1923 gegen Sachsen und 1932 gegen Preußen angewandt wurde, existierten bereits vor der sogenannten Gleichschaltung der Länder im März 1933 tiefe Einbruchstellen in die föderale Ordnung.

Im Zuge der Erzberger'schen Reichsfinanzreform (benannt nach Matthias Erzberger, 1875-1921) wurde 1919/20 eine Neuordnung der Staatsfinanzen durchgesetzt, die in der Praxis des Finanzausgleichs zu Lasten der Länder ging. Der steigende Finanzbedarf für die Kriegsfolgen und für die Aufwendungen der Reparationszahlungen war einer der Gründe, warum dem Reich ein Vorrang bei der Verfügung über die Staatseinnahmen zugebilligt wurde.

Die süddeutschen Länder verloren ihre "Reservatrechte", die ihnen Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898, reg. 1871-1890) 1871 in den Bereichen Militär, Post und Abgabenwesen eingeräumt hatte. Abgesehen von diesen Einschnitten in die föderale Ordnung aber waren die Länder immer noch mehr als bloße Selbstverwaltungseinheiten. Mit ihren Landesregierungen und Landesparlamenten besaßen sie eigene politische Gestaltungskraft.

Die Entkopplung von preußischer und Reichsregierung durch die Weimarer Reichsverfassung lief zudem auf eine Entprivilegierung des größten deutschen Landes hinaus. Preußen umfasste zwei Drittel der Bevölkerung und drei Fünftel des Reichsterritoriums, sollte aber nicht mehr als zwei Fünftel aller Stimmen im Reichsrat erhalten. Überdies fiel die Hälfte der preußischen Reichsratsstimmen den preußischen Provinzen zu.

"Zentralstelle für die Gliederung des Reiches"

Der Kompromiss zwischen unitarischen und föderalen Regelungen in der Weimarer Reichsverfassung führte dazu, dass Föderalisten und Unitarier nach einer Verfassungsreform der aus ihrer Sicht unpassenden Bestimmungen strebten. Artikel 18 der Verfassung ließ zudem den Weg zu einer Neugliederung des Reiches offen. Die von der Nationalversammlung 1920 ins Leben gerufene "Zentralstelle für die Gliederung des Reiches" ventilierte den Plan einer Auflösung Preußens und beschäftigte sich mit den Autonomiebestrebungen in den preußischen Provinzen. Gemessen am Neugliederungsauftrag der Weimarer Reichsverfassung agierte die beim Reichsministerium des Innern angesiedelte Kommission jedoch nahezu wirkungslos: Es wurden lediglich die Vereinigung Pyrmonts (1922) und Waldecks (1929) erreicht. Ihrem Wirken nicht anzurechnen sind der auf konföderalem Weg und mit Zustimmung des Reichsrates erfolgte Zusammenschluss der sieben kleinen thüringischen Länder (1. Mai 1920) und die Vereinigung Coburgs mit Bayern (1. Juli 1920). Die 1920 erfolgte Abtretung von Gebieten der bayerischen Pfalz (Saarpfalz) ging auf die im Versailler Vertrag vorgesehene Bildung des Saargebietes zurück.

Reichsreformpläne

Denkschriften

Nachdem die Revolutions- und Nachkriegszeit durch einen deutlichen Unitarisierungsschub gekennzeichnet war, wurde mit einer von Bayern ausgehenden Eingaben- und Denkschriftenkultur 1924 eine intensive Phase von Reichsreformbemühungen eingeleitet. Die Parteien und führende Politiker der Länderregierungen nahmen programmatisch Stellung. Außerdem traten kommunale Organisationen und wirtschaftliche Interessenverbände hervor, die mit dem dezentralisierten Einheitsstaat eine bessere Strukturfestigkeit des Reiches verbanden. So konkurrierte der polyzentrische Gedanke eines vernetzten Großstädtesystems mit Planungen von Wirtschaftsbezirken und Provinzen als neuen regionalen Einheiten. Mehrere Vorschläge aus der Beamtenschaft standen in der Tradition moderner Verwaltungsreformen. Aus der Jahrhundertbilanz eines doppelten Staatsunterganges 1806 und 1918 betrachtet, erwiesen sich vor allem die Ideen Karl Freiherr vom und zum Steins (1757-1831) als flexibel genug, um unterschiedlichen Zielen dienlich zu sein: Sie stützen nicht nur demokratische Selbstverwaltungstheorien, sondern auch das Ziel eines vermeintlich unpolitischen, jenseits parlamentarischer Formen operierenden Verwaltungsstaates.

Politisch einflussreich war der Bund zur Erneuerung des Reiches, der ein breites politisches Spektrum umfasste. Seine Anhänger wollten die Reichsreform auf die Zusammenfassung Nord- und Mitteldeutschland zu einem Reichsland beschränken. Dieses sollte von der Reichsregierung mitregiert werden und in seinen neu zu bildenden Provinzen (mitunter auch als Reichsländer bezeichnet) über eine entwickelte Selbstverwaltung verfügen. Das Reichsland-Konzept war Folie für die Verhandlungen zwischen Ländern und Reichsregierung auf der Länderkonferenz (1928-1930).

Programmatik und Politik der Parteien

Wie die jeweiligen Parteien zum Weimarer Bundesstaat standen, kam selten klar zum Ausdruck. Oft hing die Haltung politischer Abgeordneter ein und derselben Partei davon ab, ob sie dem Reichstag oder einem Landtag angehörten, und auf welcher Ebene sie glaubten, ihre politischen, sozialen, wirtschaftlichen und konfessionellen Ziele besser erreichen zu können. Die zahlreichen Konflikte zwischen Landes- und Reichsregierungen mit politisch gegensätzlichen Koalitionen zeigen, dass der Sinn für die Differenz von Verfassungsgrundsätzen und laufender Politik dabei oft wenig ausgeprägt war.

Zu den großen Konflikten, die Sozialdemokraten untereinander austrugen, gehörte die Auseinandersetzung um den Fortbestand Preußens. Die Affinitäten des Zentrums zu einer unitarischen Politik und zum preußischen Zentralismus führten nicht nur zur Abspaltung des bayerischen Flügels, der BVP, sondern sorgten mit Blick auf die föderalen Traditionen des Zentrums für reichlich Irritationen.

Die DNVP hielt trotz stabiler sozialdemokratischer Regierungsverhältnisse unter Ministerpräsident Otto Braun (1872-1955, reg. 1920-1921, 1921-1932/33) an dem Gedanken fest, dass Preußen europäische Macht und Kraftquell für das Reich sei und daher nicht behandelt werden sollte wie die anderen Weimarer Länder. Allgemein hoffte das rechtskonservative Lager mit der Reorganisation der bundesstaatlichen Ordnung eine Minderung von Parlamentsrechten zu erreichen. Dazu sollten die Länderparlamente abgeschafft und unabhängige Landesbürokratien gestärkt werden.

Programmatische Akzente für eine Reichsreform setzte vor allem die DDP. Das von Hugo Preuß entwickelte Konzept des "Dezentralisierten Einheitsstaates" wurde von anderen namhaften DDP-Politikern, wie dem Reichsinnenminister Erich Koch-Weser (1875-1944), aufgegriffen und in immer wieder neuen Versionen zur Geltung gebracht.

Vielfältige Konzepte vom Einheitsstaat

Die verbreitete Forderung nach dem Einheitsstaat ist interpretationsbedürftig, da unter diesem zeitgenössischen Begriff Vieles verstanden wurde. Dazu zählte auch die Vorstellung, mit der Abkehr vom heterogenen dynastischen Erbgut eine Festigung des republikanischen Bundesstaates erreichen zu können. Mit Niedersachsen-, Hessen- oder Mitteldeutschlandplänen flossen andere Kontinuitätsfiktionen in die Bundesstaatsdebatte ein, die sich auf historische Vorläufer stützten und damit Alternativen zur bestehenden Länderstruktur aufzeigten. Im Vergleich trafen gerade die Reichsreformideen, die sich auf das föderale Substrat der Weimarer Gesellschaft im Sinne verwurzelter regionaler Identitäten und einer dezentralen Staatsformung beriefen, auf eine breite Akzeptanz.

Unitarier knüpften dagegen - nicht zuletzt aus Mangel an historischen Traditionen - an den zeitgenössische Rationalisierungsdiskurs an. Mit diesem wurde die Vorstellung vom zeitlos gedachten ökonomischen Handeln auf eine freie und vermeintlich besonders effektive Formung politischer Gemeinwesen übertragen. Effizienz, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit waren dabei durchdringende Topoi unitarischer Reichsreformpläne, die der altliberalen Idee einer bürgernahen Verwaltung gegenüberstanden.

Aufnahme und Diskussion

Insgesamt mangelte es der Reichsreformdebatte an abwägenden Urteilen sowie an staatsjuristischem und innerparteilichem Konsens, der für eine Verständigung zwischen restaurativ denkenden Föderalisten und gegenwartsfixierten Reformern notwendig gewesen wäre. Zudem waren Bundesstaat und Einheitsstaat zunächst sehr abstrakte Begriffe. Sollten sich die Bürgerinnen und Bürger eine konkrete Anschauung vom Wesen föderaler und zentralistischer Ordnungen machen können, bedurfte es zunächst populär-alltagsweltlicher Vermittlungskonzepte und Reflexionshilfen. Stattdessen aber erzeugte die Thematisierung der Aufgaben-, Kompetenz- und Abgabenteilung zwischen Reich und Ländern oft den Eindruck einer hoch spezialisierten Fachdebatte. Das Interesse der breiten Öffentlichkeit an der Weimarer Reichsreform richtete sich so vornehmlich auf die für die meisten Menschen leichter vorstellbare territoriale Neugliederung.

Länderkonferenz 1928 bis 1930

Die Karikatur "Held und Bazille", erschienen in: Die Sonntagszeitung, Stuttgart 29.1.1928, thematisiert den Widerstand der bayerischen und württembergischen Regierungen gegen eine unitarische Reichsreform auf der Länderkonferenz 1928. (Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E 130b Bü 2135).
Karikatur aus dem Jahre 1928, die mit dem zeitgenössischen Effizienzversprechen für den Einheitsstaat wirbt. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv München MA 1943/103330; erschienen in: Süddeutsche Sonntagspost Nr. 4, 1928, 3).

Beratungen des Verfassungsausschusses

Von den regelmäßigen Zusammenkünften der Reichsregierung mit den Ministerpräsidenten über Fragen der föderalen Ordnung hat neben der Staatenkonferenz vom 25. Januar 1919 die sogenannte Länderkonferenz vom 16. bis 18. Januar 1928 Bedeutung erlangt. Sie setzte zur Lösung des Reich-Länder-Problems einen Verfassungsausschuss ein. Die zwanzig Mitglieder des Gremiums wurden zur Hälfte von der Reichsregierung, zur anderen Hälfte durch die Länder ernannt. Die preußische Regierung schickte nur einen Regierungsbeamten in die Verhandlungen. Sie blockierte so alle Versuche einer Aufteilung Preußens und hielt sich die Option für Anschlussverhandlungen mit benachbarten Ländern offen. Tragendes Motiv der preußischen Regierung Braun war es, über ein Großpreußen den deutschen Einheitsstaat zu verwirklichen, um so zu einer stabilen republikanischen Regierung im Reich zu gelangen. Um ihren Anspruch auf Eigenständigkeit zu artikulieren, organisierten Anhalt, Braunschweig, Oldenburg, Thüringen, die beiden Mecklenburg, Lippe und Lübeck 1929 und 1930 im Gegenzug eine kleine Länderkonferenz.

"Differenzierte Gesamtlösung"

Eine "Differenzierte Gesamtlösung", die der Verfassungsausschuss bis 1930 als weit gefasste Kompromissformel aushandelte, unterschied zwischen "Ländern neuer Art" (um norddeutsche Länder erweiterte preußische Provinzen) und "Ländern alter Art" (Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden). Da wesentliche Aspekte der Finanzverfassung und Neugliederungsfragen ausgespart blieben, konnte das Ergebnis sowohl in eine föderale als auch unitarische oder preußisch-hegemoniale Richtung politisch ausgestaltet werden. Eine Konkretion der Beschlüsse der Länderkonferenz unterblieb jedoch, da der Vorschlag nicht mehr ins legislative Verfahren kam und das öffentliche Interesse an einer Reform der bundesstaatlichen Ordnung Anfang der 1930er Jahre schwand.

"Kalte Unitarisierung"

Finanzpolitische Mediatisierung der Länder

Während der Zeit der Präsidialregierungen wurde die Abschaffung des Bundesstaates mit den Mitteln der außerordentlichen Gesetzgebung des Reichspräsidenten nach Artikel 48 eingeleitet. Das Kabinett Brüning (benannt nach dem Reichskanzler Heinrich Brüning [1885-1970, reg. 1930-1932]) hob durch die Dietramszeller Notverordnung vom 24. August 1931 das Budgetrecht der Landtage auf. Zudem sanken die Beteiligungsquoten der Länder an den Steuererträgen des Reiches dramatisch. Im Vergleich zur Gesamtsumme von 1925 erhielten die Länder 1931 nur noch 75,3 %, bzw. 1932 nur noch 56,1 %. Das Reich kürzte die zu verteilenden Mittel durch Vorwegnahmen zu seinen Gunsten, um die Aufwendungen für die Reparationszahlungen und die Langzeitarbeitslosigkeit während der Weltwirtschaftskrise zu bewältigen. Nachdem es 1927 die Arbeitslosenfürsorge von den Gemeinden übernommen hatte, war auch die Neuregelung des Finanzausgleichs zwischen Reich und Ländern als wichtiger Punkt einer Reichsreform unerledigt geblieben.

Reichsexekution gegen Preußen 1932

Mit der Reichsexekution gegen Preußen am 20. Juli 1932 war der entscheidende Präzedenzfall für die Absetzung einer Länderregierung durch die Reichsregierung geschaffen. Die sechstätigen Verhandlungen vor dem Leipziger Staatsgerichtshof über das staatsstreichartige Manöver der Regierung Papen (benannt nach dem Reichskanzler Franz von Papen, reg. 1932) wurden zum bedeutendsten Weimarer Verfassungsstreit. Die Verfassungsbeschwerden beruhten auf zwei Anträgen: Der erste Antrag (Preußen contra Reich) bezog sich auf die konkreten Vorgänge der Reichsexekution gegen Preußen, der zweite Antrag (Länder contra Reich) verlangte eine Begrenzung des Eingriffs in die bundesstaatliche Ordnung.

Das Urteil des Leipziger Staatsgerichtshofs

Das Gericht leitete aus der Weimarer Reichsverfassung selbst solche Eingriffsgrenzen ab: Artikel 17, der in allen Ländern parlamentarische Regierungen vorsah, sollte diktaturfest bleiben. Der so gewonnene Schutz der Länder vor Artikel 48 wurde indessen wieder zunichte gemacht, da die Maßnahmen der Diktaturgewalt des Reichspräsidenten nicht begrenzt wurden, mit deren Hilfe in diesem Fall den anerkannten bürgerkriegsähnlichen Zuständen nach der Aufhebung des SA-Verbotes in Preußen begegnet werden durfte. De facto bestätigte das Urteil sowohl die vom Reich eingesetzte kommissarische Regierung als auch die preußischen Minister der abgelösten, aber noch geschäftsführenden preußischen Regierung. Die so vorgenommene Teilung der preußischen Staatsgewalt war denkbar ungeeignet, die Zukunft Preußens und die föderale Ordnung zu sichern. Stattdessen trugen die von der "kalten Unitarisierung" und dem "Preußenschlag" ausgehenden reflektorischen Wirkungen dazu bei, das politische Klima der nationalsozialistischen Gleichschaltungspolitik vorzubereiten.

Bayerische Reichsreformpolitik

Konflikte mit dem Reich

Bayern war zunächst nicht bereit, die Minderung seines Status in der Weimarer Reichsverfassung hinzunehmen. Bis 1924 waren die Münchner Regierungen unter Berufung auf "unentziehbare Hoheitsrechte" der Länder dabei auch zum Verfassungsbruch bereit. 1920 ging es um die verhinderte Auflösung der bayerischen Einwohnerwehren, 1922 – nach den politischen Morden an Matthias Erzberger und Walther Rathenau (1867-1922) – um die Weigerung, das Republikschutzgesetz auszuführen. 1923 folgten die Verhängung des Landesausnahmezustandes, der mit der Reichsdiktaturgewalt konkurrierte, und die offene Rebellion, als die bayerische Regierung versuchte, sich der im Land stationierten Reichswehrtruppen zu bemächtigen. Ihren spektakulären Höhe- und Endpunkt erreichten die Konflikte mit dem Hitler-Putsch am 8. und 9. November.

Die allgemein als "bayerische Frage" bezeichneten Auseinandersetzungen mit den Reichsregierungen beeinträchtigten die Chancen für eine Reföderalisierung der Republik. Außerhalb Bayerns wuchs das Verständnis für eine reichsfixierte Staatspraxis. Symptomatisch dafür sind die Reaktionen auf die bayerische Denkschrift "Zur Revision der Weimarer Reichsverfassung", die 1924 noch vom Kabinett Knilling (benannt nach dem bayerischen Ministerpräsidenten Eugen von Knilling [1865-1927, Ministerpräsident 1922-24]) veröffentlicht wurde. Diese erste Denkschrift Bayerns zur Reichsreform berief sich auf die kaiserzeitliche Verfassungsautonomie der Bundesstaaten und stellte dem vermeintlich starken Zusammenhalt des monarchisch-konstitutionellen Föderativsystems eine schwache Bindekraft der Republik gegenüber.

Reföderalisierung

In der zweiten Denkschrift "Über die fortschreitende Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit der Länder unter der Weimarer Verfassung" von 1926 war von einer Wiederherstellung des kaiserzeitlichen Föderalismus dagegen nicht mehr die Rede. Das Kabinett Held präzisierte die bayerische Forderung einer Verfassungsrevision als Rückkehr zur geistig-politischen Grundeinstellung, mit der Bismarck an die Regelung des Verhältnisses von Reich und Bundesstaaten gegangen war. Ziel war eine verlässliche Abgrenzung von Länder- und Reichskompetenzen, die durch eine entsprechende Handhabung des geltenden Verfassungsrechts zu gewährleisten war. Der Länderkonferenz 1928 legte BVP-Ministerpräsident Heinrich Held (reg. 1924-1933) umfangreiches "Material zur Verfassungsreform" vor, das eine Liste mit Beschwerden gegen unitarische Initiativen enthielt. Die 1930 gefassten Beschlüsse lehnte die Münchner Regierung ab, da sie eine politische Dynamik hin zum gesamtdeutschen Einheitsstaat erwartete.

Verwaltungsreform und Reich-Länder-Finanzausgleich

Eine erkennbar defensive Reichsreformpolitik hielt die Münchner Regierungsstellen so in stetiger Beschäftigung. Einen ideologischen Impetus hatte die Verwaltungsreform, die die verbreitete Doktrin vom "billigeren Einheitsstaat" am bayerischen Exempel widerlegen sollte. Bayern profitierte vom umstrittenen Paragraph 35 des Finanzausgleichsgesetzes, der die steuerschwachen Länder (Pro-Kopf-Einnahmen unter 80 % des Reichsdurchschnitts der Einkommenssteuer) mit Zuschüssen aus dem Reichshaushalt begünstigte.

Neugliederung und Auflösung Preußens

Die für die föderale Ordnung problematische Größe Preußens und die Autonomiebestrebungen seiner Provinzen wurden in München lange unterschätzt und ignoriert. Ein Motiv aller bayerischen Staatsregierungen war dabei sicher die Sorge um die eigene territoriale Integrität in der Neugliederungsdiskussion: Großthüringen- und Mitteldeutschlandpläne betrafen das östliche Franken, Erwägungen über einen Rheinstaat die bayerische Pfalz, und der Aschaffenburger Raum gravitierte zum Rhein-Main-Raum mit dem Zentrum Frankfurt.

Nach der Reichsexekution gegen Preußen und der Ankündigung einer "Bereinigung der deutschen Landkarte" durch den Reichsinnenminister Wilhelm von Gayl (1879-1945, Rede zur Verfassungsfeier 1932) verfasste die Münchner Regierung eine letzte Denkschrift zur Verfassungs- und Reichsreform, wobei sie eine engere Verbindung zwischen Reich und Preußen hinzunehmen bereit war. Die bayerische Verfassungsbeschwerde beim Staatsgerichtshofs in Leipzig zielte nicht auf einen mit Preußen gemeinsamen Protest, sondern auf die Eingrenzung der Reichsdiktaturgewalt gegen die übrigen Länder.

Staatsrechtliche Theoriebildung

Souveränität und Bundestreue

Ankerpunkte im wissenschaftlichen Theorienstreit um die Grundlagen der föderalen Ordnung und die Kommentierung einer an der Weimarer Reichsverfassung orientierten Politik waren die Begriffe Souveränität und Bundestreue. Der Bundestreuegedanke wurde dabei nicht mehr wie ursprünglich als politischer Begriff der Bewahrung einzelstaatlicher Positionen verstanden, sondern auf der Basis einer rigiden Souveränitätsinterpretation zu Gunsten des Reiches neu bewertet. Politisch gesehen begünstigten separatistische Bestrebungen, innere Konflikte und Unruhen in der Revolutions- und Nachkriegszeit das Renommee einer starken Zentralgewalt. Einflussreiche Verfassungskommentatoren wie Gerhard Anschütz (1867-1948) und Heinrich Triepel (1868-1946) knüpften an das kaiserzeitliche Bundesstaatsdenken an und nahmen dabei eine dezidiert unitarische Haltung ein. In typischer Übersetzung spiegelte sich dies in dem Bekenntnis wider, dass im Notfall das Reich alles, die Länder nichts seien. Ins Extreme überdehnt wurde der Gedanke einer die Länder einseitig bindenden Treuepflicht von Carl Schmitt (1888-1985), der damit 1929 für ein weites Ermessen des Reichspräsidenten als "Hüter der Verfassung" eintrat.

Integrationslehre

In den späten 1920er Jahren flammte die wissenschaftliche Debatte um die Wesensmerkmale des Bundesstaates wieder auf. Der in München lehrende Staatsrechtler Hans Nawiasky (1880-1961), der die Münchner Regierung im Prozess des Staatsgerichtshofes "Preußen contra Reich" 1932 beriet, vertrat die altliberale Idee geteilter Souveränität, nach der das Charakteristische des Bundesstaates in seiner Unvollständigkeit besteht: Bund und Gliedstaaten bedürfen demnach der gegenseitigen Ergänzung und verfügen beide über Souveränität in ihren jeweiligen Kompetenzbereichen. Einen Neuansatz der Bundesstaatstheorie lieferte die Integrationstheorie Rudolf Smends (1882-1975). Smend griff auf den soziologischen Gedanken zurück, dass überindividuelle Einheiten durch Integration erzeugt und erhalten werden, und suchte so zu erklären, unter welchen Bedingungen der Bundesstaat ein sinnvolles politisches Gebilde sein könne.

Literatur

  • Wolfgang Benz, Süddeutschland in der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur deutschen Innenpolitik 1918-1923 (Beiträge zur historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter 4) Berlin 1970.
  • Arnold Brecht, Mit der Kraft des Geistes. Lebenserinnerungen zweite Hälfte 1927-1967, Stuttgart 1967.
  • Anke John, Der Weimarer Bundesstaat. Perspektiven einer föderalen Ordnung 1918-1933 (Historische Demokratieforschung 3), Köln/Weimar/Wien 2012.
  • Stefan Oeter, Integration und Subsidiarität im deutschen Bundesstaatsrecht. Untersuchungen zur Bundesstaatstheorie unter dem Grundgesetz (Jus publikum 33) , Tübingen 1998.
  • Gerhard Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik. 1. Band: Die Periode der Konsolidierung und Revision des Bismarckschen Reichsaufbaus 1919-1930, Berlin 1963.
  • Hagen Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung. Ein Biographie, Frankfurt am Main 1977.

Quellen

  • Gerhard Anschütz, Drei Leitgedanken der Weimarer Reichsverfassung. Rede, gehalten bei der Jahresfeier der Universität Heidelberg am 22. November 1922, 4.-6. Tausend, Tübingen 1923.
  • Otto Braun, Deutscher Einheitsstaat oder Föderativsystem?, Berlin 1927.
  • Bund zur Erneuerung des Reiches, Reich und Länder, Berlin 1928.
  • Gerhard Krebs, The Länderkonferenz (1928-1930) and the problem of federal reform in Germany, University of California 1937.
  • Hans Nawiasky, Grundprobleme der Reichsverfassung. Erster Teil: Das Reich als Bundesstaat, Berlin 1928.
  • Hugo Preuß, Gesammelte Schriften. 4. Band: Politik und Verfassung in der Weimarer Republik, hg. von Detlef Lehnert im Auftrag der Hugo-Preuß-Gesellschaft, Tübingen 2008.
  • Preußen contra Reich vor dem Staatsgerichtshof. Stenogrammbericht der Verhandlungen vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig vom 10. bis 14. und vom 17.10.1932, Berlin 1933.
  • Reichsministerium des Innern (Hg.), Die Länderkonferenz, Berlin 1928.
  • Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, in: Archiv des Öffentlichen Rechts 56 (1929), 161-237.
  • Rudolf Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, München 1928.
  • Karl Sommer, Der billigere Einheitsstaat, München 1928.
  • Walther Vogel, Deutschlands bundesstaatliche Neugestaltung, Berlin 1919.
  • August Weitzel, Die regionale Gliederung des deutschen Einheitsstaates, Berlin 1928.

Verwandte Artikel

Verfassungsreform, Reform der Reichsverfassung, Revision der Reichsverfassung, Reform der Weimarer Verfassung

Empfohlene Zitierweise

Anke John, Reichsreform (Weimarer Republik), publiziert am 02.01.2017; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Reichsreform (Weimarer Republik)> (28.03.2024)