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Preissingen, 1930-1936

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Einladung zum Egerer Preissingen 1930. (Privatbesitz)
Emanuel Kiem, gen. Kiem Pauli. [Bayerischer Landesverein für Heimatpflege]

von Josef Focht

In den Jahren 1930 bis 1936 wurden vor allem in Oberbayern (erstmals am 29./30. März 1930 in Egern), aber auch in anderen Teilen Bayerns und der Gottschee, einer ehemaligen deutschen Sprachinsel in Slowenien, mehrere Singwettbewerbe mit Volksliedern abgehalten. Die Preissingen prägten die regionale Volksliedsammlung und -pflege weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus.

Vorbilder und Begriff

Das Preissingen geht als musikalischer Wettstreit aus verschiedenen älteren und zeitgenössischen Wurzeln hervor: aus dem frühneuzeitlichen protestantischen Meistersang, dem deutschnationalen Chorwesen des 19. Jahrhunderts und der im frühen 20. Jahrhundert europaweit zu beobachtenden Ausprägung des instrumentalen oder vokalen Wertungsspiels in wettkampfartiger Konkurrenz.

Der Terminus des "Preissingens" lehnt sich an ältere Begriffe an, etwa an solche des mittelalterlichen Minnesangs ("Preislied", "Preisrede") oder des frühneuzeitlichen Meistersangs ("Preissingen"), die im Sinn einer Konkurrenz im Liedvortrag neu definiert werden. Als synonyme Veranstaltungstitel wurden auch "Wettsingen", "Volksliedersingen", "Ausscheidungssingen" oder "Heimatsingen" verwendet.

Konzept des Egerer Preissingens 29./30. März 1930

Das Anliegen des stilbildenden ersten Preissingens in Egern am Tegernsee war es 1930, "altes Volksliedgut, das sich in den bayerischen Bergen bei Bauern, Jägern, Flössern und Holzknechten usw. erhalten hat, zu sammeln und in geeigneter Weise wieder zu verbreiten" (Pressenotiz der Deutschen Stunde in Bayern, 5. März 1930).

Dieses Konzept fußte wesentlich auf der Volkslieddefinition des österreichischen Publizisten, Politikers und Lehrers Josef Pommer (1845-1918), die ab 1899 in der Zeitschrift "Das deutsche Volkslied" publiziert wurde. Sie fand auch in Teilen der Heimatkunstbewegung vor allem in München und Oberbayern zustimmende Aufnahme. Die aus der Heidelberger Romantik übernommene Volkslied-Idee wurde von Pommer im Sinne seiner chauvinistischen Bestrebungen der Erhaltung und Pflege der eigenen Kultur in den Kontext völkischer Ideologie gerückt sowie agrarromantisch, fremdenfeindlich, antisemitisch und rassistisch aufgeladen.

Persönlichkeiten und Trägerschaft

Die prägenden Persönlichkeiten dieser Preissingen, die von 1930 bis 1936 in nahezu allen Teilen Bayerns sowie in der Gottschee veranstaltet wurden, waren der unter dem Künstlernamen Kiem Pauli bekannte Münchner Schauspieler, Musiker und Volksliedsammler Emanuel Kiem (1882-1960) sowie der Münchner Musikwissenschaftler Prof. Kurt Huber (1893-1943). Ihre Zusammenarbeit begann bereits 1925 mit gemeinsamen Phonographen-Aufnahmen zur Dokumentation von Volksliedern in Oberbayern. Der von den Wittelsbachern geförderte Kiem zog sich jedoch bereits nach dem Egerer Preissingen aufgrund eines schwelenden Konflikts mit Huber weitgehend aus dem gemeinsamen Vorhaben zurück. In den verschiedenen Städten der Preissingen wurden jeweils örtliche Kontaktpersonen als Organisatoren und Berater bei der Auswahl der Gesangsgruppen hinzugezogen.

Als institutionelle Träger betätigten sich 1930 die "Deutsche Stunde in Bayern" (der Vorläufer des "Bayerischen Rundfunks") und die kulturpolitisch konservative "Deutsche Akademie – Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums" mit ihrer "Sektion für Deutsche Sprache, Literatur und Volkskunde", nach 1933 darüber hinaus örtliche Vereine und NS-Massenorganisationen, die den öffentlichen Erfolg der Veranstaltungen für sich nutzten.

Mediale und strukturelle Folgen

Das bei den Preissingen dokumentierte Liedgut wurde in mehreren regionalen Liederbüchern veröffentlicht (Kiem Pauli: Sammlung Oberbayerischer Volkslieder, 1934; Kurt Huber und Kiem Pauli: Altbayerisches Liederbuch für Jung und Alt, 1936; Kurt Huber und Ludwig Simbeck: Niederbayerisches Liederbuch, 1939).

Der große Publikumserfolg der Preissingen bewirkte zunächst eine Vereinnahmung der Volksliedpflege durch die NS-Kulturpolitik (Anordnung des bayerischen Kultusministers Hans Schemm [1891-1935] vom 6. Juni 1934: "Sammeln von Volksliedern, Kinderliedern und Volksmusik in Bayern") und langfristig eine bis in die Gegenwart wirksame Popularisierung und Institutionalisierung der Volksmusikpflege. Zu ihren Folgen zählt nicht nur die Einrichtung einer Volksmusik-Redaktion im nachmaligen Bayerischen Rundfunk, sondern auch das Konzept einer zensierenden Wiederverbreitung gesammelter Quellen, die Normierung regionaler vokaler Aufführungspraktiken (etwa im Drei- oder Viergesang) oder die Entdeckung des Laiengesangs bzw. des Dialektliedes für die Massenmedien (Rundfunk und Tonträger). Ausschlaggebend für den Erfolg der Preissingen waren nicht zuletzt die "Volkssender-Ausscheidungssingen", die 1936 – im Jahr der Olympischen Spiele von Berlin und Garmisch-Partenkirchen – vom Rundfunk mit der NS-Massenorganisation "Kraft durch Freude" durchgeführt wurden. Ihre Gewinner durften im Sinne der NS-Propaganda bei der Funkausstellung in Berlin auftreten.

Die Volkslieder-Preissingen im Überblick
1. Oberbayerisches Preissingen Egern 29./30. März 1930 Veranstalter: Deutsche Akademie, Organisator: Emanuel Kiem
Niederbayerisches Preissingen Landshut 20./21. Juni 1931 (mit vorausgehenden Ausscheidungssingen in Plattling und Landshut), Veranstalter: Deutsche Akademie, Deutsche Stunde in Bayern, Organisatoren: Hans Möginger, Hans Lehner
Volkslieder-Preissingen Traunstein 15./16. August 1931 Veranstalter: Deutsche Akademie, Deutsche Stunde in Bayern, Organisator: Berthold Heinrich Withalm (1893-1953)
Huosigauer Heimatlieder-Wettsingen Weilheim 30. August 1931 Veranstalter: Heimatverband Huosigau, Deutsche Akademie, Organisatoren: Robert Weyerer (1892-1969), Bruno Schweizer (1897-1959)
Unterfränkisches Volkslieder-Wettsingen Würzburg 7./8. Mai 1932 Veranstalter: Deutsche Akademie, Deutsche Stunde in Bayern
Volksliedersingen Mainburg 22. Juli 1933 Veranstalter: Volkstrachten-Verein Mainburg, Deutsche Akademie, Deutsche Stunde in Bayern, Organisator: Albert Fichtner (1903-1966)
Heimatsingen Freising 2. September 1933 Veranstalter: Stadt Freising, Deutsche Akademie
Volkslieder-Singen Starnberg 1934 geplant und wegen geringen Interesses entfallen Veranstalter: Volkstrachten-Verein Starnberg
Volksliedersingen Bayreuth 3. November 1934 Veranstalter: Gaurundfunkstelle Bayerische Ostmark/Deutsche Stunde in Bayern, Deutsche Akademie
Heimatlieder-Preissingen Penzberg 5. Mai 1935 Veranstalter: Stadt Penzberg, Heimatvereinigung Penzberg, Reichsbund Deutscher Rundfunkteilnehmer, NS-Kulturgemeinde
Volkslieder-Preissingen Kulmbach 3. Juli 1935 Veranstalter: Reichsverband Deutscher Rundfunkteilnehmer Gau Bayerische Ostmark, Deutsche Akademie, Organisator: Hans Möginger
1. Auslandsdeutsches Preissingen Gottschee 3./4. August 1935 Veranstalter: Deutsche Akademie, Organisatoren: Fritz Berthold, Hans Arco
Kinderpreissingen Burghausen 9./10. Mai 1936 Veranstalter: Deutsche Akademie, Deutsche Stunde in Bayern, Stadt Burghausen, Organisator: Emanuel Kiem
Volkssender-Ausscheidungssingen Berchtesgaden, Kempten, Kulmbach, Passau, Nürnberg, Donauwörth, Schweinfurt, Rottach-Egern, Bad Aibling und München 1936 Veranstalter: Deutsche Stunde in Bayern, NS-Organisation "Kraft durch Freude"

Literatur

  • Maria Bruckbauer, "... und sei es gegen eine Welt von Feinden!" Kurt Hubers Volksliedsammlung und -pflege in Bayern (Bayerische Schriften zur Volkskunde 2) München 1991.
  • Sepp Eibl, Oberbayerisches Preissingen 29. und 30. März 1930 in Egern am Tegernsee, Rosenheim 1980.
  • Edgar Harvolk, Eichenzweig und Hakenkreuz. Die Deutsche Akademie in München 1924-1962 und ihre volkskundliche Sektion (Münchner Beiträge zur Volkskunde 11), München 1990.
  • Iris Mochar-Kircher, Das echte deutsche Volkslied. Josef Pommer (1845-1918) – Politik und nationale Kultur. Frankfurt am Main u. a. 2004.
  • Maximilian Seefelder, Zwischen Instrumentalisierung und Liebhaberei. Volksmusikpflege und ihre Auswirkungen in Niederbayern (Materialien zur musikalischen Volkskultur in Niederbayern 8), Regensburg 2008.

Quellen

  • Berichte der Veranstalter über die Preissingen erschienen in Mitteilungen der Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und zur Pflege des Deutschtums, 1930ff.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Josef Focht, Preissingen, 1930-1936, publiziert am 12.12.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Preissingen,_1930-1936 (16.04.2024)