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NS-Ordensburg Sonthofen

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Panorama Sonthofens mit der geplanten Anlage der Ordensburg. Fotogravur von Ludwig Pfleghaar, 1935. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-026857)

von Franz Albert Heinen

Die Ordensburg Sonthofen (Lkr. Oberallgäu) wurde in den 1930er Jahren als Projekt des nationalsozialistischen Regimes errichtet. Initiator war der Reichsorganisationsleiter der NSDAP Robert Ley (NSDAP, 1890–1945). Die zunächst als "Schulungslager" oder "Schulungsburg" bezeichnete Anlage in Sonthofen sollte zusammen mit zwei parallel errichteten Schwesteranlagen der dreijährigen Ausbildung künftiger Parteifunktionäre dienen. Während der fortschreitenden Realisierung wurden der Anlage in Sonthofen mehrfach weitere Zweckbestimmungen zugewiesen: Nun sollte sie mit der Bezeichnung als "Ordensburg" unter anderem auch der Veranstaltung großer Parteitagungen dienen und zugleich regional einen architektonischen Leuchtturm der Staatspartei darstellen. Die Erweiterungen wurden bis zum Ende der NS-Herrschaft nur in wenigen Teilen realisiert. Die tatsächliche praktische Nutzung der Ordensburg Sonthofen bestand als Folge des ausbrechenden Weltkrieges in der Abhaltung diverser Funktionärstagungen sowie als provisorischer Hauptstandort der Adolf-Hitler-Schulen (AHS).

Parteischulung im NS-Staat

Robert Ley (NSDAP, 1890–1945) bei der Einweihung des Palas der Ordensburg Sonthofen am 23. Oktober 1937. Foto von Heinrich Hoffmann (1885-1957). (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-16145)}
Appell der HJ-Angehörigen im Innenhof der Ordensburg während der Abschlussprüfungen 1942 an der Adolf-Hitler-Schule (AHS). Foto von Heinrich Hoffmann. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-42986)

Kurze Zeit nach Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur 1933 wurde damit begonnen, das Schulungswesen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) zu professionalisieren und massiv auszubauen. Federführend zuständig war die Reichsorganisationsleitung unter Reichsleiter Robert Ley (NSDAP, 1890–1945), dem sowohl das Hauptschulungsamt, als auch das Hauptpersonalamt der NSDAP unterstand. Zunächst richtete sich der Schwerpunkt auf die Nachschulung bereits aktiver Parteimitglieder, ab Mitte der 1930er Jahre rückte dann der politische Funktionärsnachwuchs in den Fokus des Hauptschulungsamtes. Für diesen Zweck sollten "Ordensburgen" entstehen. Ihre Standorte waren Krössinsee (heute: Złocieniec, Polen), Vogelsang (Nordrhein-Westfalen) und Sonthofen (Lkr. Oberallgäu).

Leys mehrfach geänderte Vorgaben für die Schulung des hauptamtlichen Funktionspersonals der NSDAP sahen 1939 schließlich eine vierjährige Ausbildungszeit in einem rollierenden System vor. Das erste Jahr sollten die Teilnehmer in der Ordensburg am Krössinsee in Pommern zubringen. Dort war auch eine weitere Auslese vorgesehen, bei der bis zu 20 % der ursprünglichen Teilnehmer ausschieden. Im zweiten Lehrgangsjahr an der Ordensburg Vogelsang nahe Gemünd in der Eifel (Nordrhein-Westfalen) sollte die Vermittlung nationalsozialistischer Ideologie im Mittelpunkt stehen. Im dritten Lehrgangsjahr an der Ordensburg Sonthofen sollten neben der Vertiefung der ideologischen Ausrichtung Sport und die Unterweisung in den Aufgabengebieten der Parteiorganisation erfolgen. Ley hatte zeitverzögert den Bau einer nicht realisierten vierten "Ordensburg" an der historischen Marienburg in Westpreußen (heute: Malbork, Polen) in Auftrag gegeben, an der im vierten Lehrgangsjahr die abschließende praktische Vorbereitung auf die Einsätze in der Parteiorganisation geplant war.


Projektentwicklung, Bauausführung und Finanzierung

Die Zweckbestimmung der Einrichtung in Sonthofen als Ordensburg bildete den Endpunkt einer mehrjährigen Entwicklung mit erheblichen Brüchen. 1933 war zunächst der Bau von Schulungslagern für Kurzlehrgänge aller NSDAP-Mitglieder gefordert. Wenig später ließ sich Ley durch den Architekten Hermann Giesler (NSDAP, 1898–1987) zu einer Projektänderung bewegen: Nun sollten feste Steinbauten für die längerfristige Schulung des hauptamtlichen Parteipersonals entstehen. Giesler legte kurzfristig die Planung für einen Neubau in Sonthofen vor, dessen Realisierung Ley nach einer Ortsbesichtigung in Sonthofen am 24. Juni 1934 an Giesler vergab mit einer ersten Änderung der Konzeption: Statt Schulungslagern sollten nun Schulungsburgen ausschließlich für die Formung des hauptamtlichen Parteipersonals entstehen. Im Herbst 1935 ordnete Ley an, dass die Projekte als "Ordensburgen der NSDAP" bezeichnet werden und neben der Schulung weiteren Zwecken dienen sollten.

Die Baurealisierung bis Kriegsbeginn folgte den sich ändernden Planungsvorgaben Leys. Ab Herbst 1934 errichteten rund 300 Arbeiter auf dem Kalvarienberg eine kleine Internatsschule als sog. Schulungsburg. Richtfest war am 19. Oktober 1935. Ab 1936 sorgten Erweiterungen und Neuplanungen für die massive Ausweitung des Vorhabens. Nun sollte großzügige Staatsarchitektur mit Denkmalcharakter errichtet werden. Die Bauwerke sollten zusätzlich die Möglichkeit zur Durchführung von Großveranstaltungen der Partei bieten. Gefordert war der Bau einer Internatsschule für bis zu 1.000 Lehrgangsteilnehmer. Dadurch weitete sich das Bauprojekt auf das Vierfache der ursprünglich überplanten Fläche aus. 800 Handwerker kamen zum Einsatz. Es entstanden ein 43 Meter hoher Turmbau als sog. Palas mit Glockengeläute, Kommandantur, Bibliothek, Feuerwache, Burgwache, Heizung und Werkstätten. Hinzu kamen bis zum Ende aller Arbeiten 1941 ein großes Unterkunftsgebäude, ein Sportplatz, ein Turn- und Hallenbad sowie ein 109 Meter langer und 16 Meter breiter Speisesaal mit 1.500 Sitzplätzen.

Baustil und Baumaterial der Ordensburgen entsprach der Grundlinie der Heimatschutzarchitektur mit jeweils stark regionaltypischem Einschlag. Weitere Unterschiede ergaben sich aus den Vorlieben der für Vogelsang und Crössinsee bzw. Sonthofen zuständigen Architekten Clemens Klotz (NSDAP, 1886–1969) und Giesler. Letzterer bemühte sich in Sonthofen um warme, ansprechende Ausgestaltung der Räume mit viel sichtbarem Holz. Bei allen Ordensburg-Projekten war mit fortschreitender Zeit ein Trend zur Monumentalisierung erkennbar, der jedoch nur in Ansätzen realisiert wurde.

Bei der Finanzierung dieser Großbauten der NSDAP nutzte Ley seine Funktion als Chef der Deutschen Arbeitsfront (DAF). Er machte die DAF formell zur Bauherrin. Diese hatte sich bei der Zwangsauflösung der Gewerkschaften deren erhebliches Vermögen einverleibt. Die Finanzierung des Baus der Ordensburgern aus der DAF-Kasse sicherte Ley einen fast uneingeschränkten Entscheidungsspielraum.

Lehrgangsplanung und Praxis

Das Anforderungsprofil für die künftigen Lehrgangsteilnehmer hatte Ley detailliert vorgegeben. Sie sollten bei Kursbeginn etwa 25 Jahre alt sein und den Arbeits- und Wehrdienst bereits absolviert haben. Bei der Auslese spielte auch der Nachweis einer erfolgreichen Berufsausbildung oder eines Studiums eine Rolle. Speziell sollte das Reichsschulungsamt jedoch erprobte Aktivisten aus den Reihen der NSDAP und ihrer Vorfeldorganisationen berücksichtigen. Gefordert wurde von den Teilnehmern die dauerhafte innere Bindung an das Regime und der unbedingte Gehorsam gegenüber den Befehlen der Parteiführung. Den Anforderungen standen allerdings nur vage Ankündigungen möglicher Parteikarrieren gegenüber. Der Andrang der Interessenten hielt sich dementsprechend sehr in Grenzen. Statt der erhofften 1.000 Männer konnten nur 760 Kandidaten für die Auftaktlehrgänge gewonnen werden. In Sonthofen stand ihnen eine mindestens in Teilen durchaus wissenschaftliche Bibliothek mit rund 250.000 Bänden zur Verfügung.

Amtseinführung für Theodor Hupfauer (NSDAP, 1906–1993, Kommandant der Ordensburg Sonthofen ab 1942) 1941 auf der Ordensburg Sonthofen. In der Mitte sitzt Robert Ley, ganz links Hupfauers Vorgänger als Kommandant von Sonthofen, Robert Bauer (1898–1965). Foto von Heinrich Hoffmann. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-34193)

Ab 1937 wurden für Sonthofen Dutzende "Stammführer" verpflichtet. Dabei handelte es sich zumeist um in der politischen Praxis der NSDAP erfahrene Männer, die an der Ordensburg einen Parteidienstrang erhielten. Die Ränge reichten aufsteigend von sog. Gemeinschaftsführern über Kameradschafts- und Hundertschaftsführern bis zu den Bereitschaftsführern. An der Spitze der Ordensburg Sonthofen stand als Kommandant zunächst Robert Bauer (NSDAP, 1898–1965, Kommandant Juni 1936–Februar 1941), dann der Jurist Theodor Hupfauer (NSDAP, 1906–1993, Kommandant ab 1942). Hinzu kamen Lehrer für diverse Fachgebiete sowie bis 1939 mehrere hundert Frauen und Männer als Dienstpersonal, das bei der DAF angestellt war.

In der Ordensburg Vogelsang fanden zunächst zwei einjährige Kurzlehrgänge statt, um den dringendsten Personalbedarf der Parteiorganisation zu decken. Da der erste Lehrgang 1937 in der Anlage in Pommern begann, wären diese Männer planmäßig erst im Herbst 1939 nach Sonthofen gekommen. Wegen des im September 1939 beginnenden Weltkriegs wurde der fest geplante Lehrgang auf die Zeit nach dem Krieg verschoben. Das in Sonthofen bereitstehende Stammführer-Korps wurde zur Wehrmacht abkommandiert, ebenso das Personal der beiden Schwesteranlagen. Für die bis 1939 zustande gekommenen Lehrgänge wurden vorwiegend körperlich gesunde Männer im Alter von rund 25 Jahren ausgewählt. Die meisten gehörten bereits vor 1933 der NSDAP an. In der politischen Arbeit waren sie durch besonderen Eifer hervorgetreten. Sie brachten ein diffuses Gemisch an ideologischen Vorstellungen mit an die Ordensburgen. Diese noch sehr unterschiedlichen Positionen sollten auf eine vom Schulungsamt der NSDAP vorgegebene einheitliche Grundlinie ausgerichtet werden.

Die Beeinflussung der Lehrgangsteilnehmer verfolgte die Absicht, ein politisch einheitliches und effizient agierendes Werkzeug der NSDAP-Führung auf den unteren Ebenen der Parteiorganisation zu schaffen. Der irreführend verwendete Begriff der "Schulung" an den Ordensburgen erweckt den Eindruck, dass es um die Vermittlung von Faktenwissen ginge. Tatsächlich ging es jedoch um Gefühle statt um Wissen. Das Unterrichtsfach "Geschichte" suggerierte eine über die Jahrtausende angeblich bestätigte kulturelle Führungsrolle einer sog. arischen Rasse. Flankierend erhob die NS-Rassenlehre den Anspruch eines germanischen Herrschaftsauftrages über rassisch unterlegene Völker. Der Unterricht war durchgängig antisemitisch, antibolschewistisch und antidemokratisch geprägt. Die sich daraus ergebenden vermeintlich sicheren Erkenntnisse lösten bei den Zuhörern in erster Linie das Gefühl aus, selbst zur Herrschaft berufen zu sein. Die Überheblichkeit der als "Ordensjunker" bezeichneten Absolventen der Lehrgänge löste auch parteiintern heftige Kritik aus. Längerfristig hoffte Ley darauf, geeignetere Kandidaten für die Ordensburg-Lehrgänge aus den Absolventen der sog. Adolf-Hitler-Schulen (AHS) rekrutieren zu können. Alfred Rosenberg (NSDAP, 1892–1946) plante sogar eine weitere Stufe der Funktionärsformung an einer Art Partei-Universität: der sog. Hohen Schule der NSDAP am Chiemsee, die allerdings nicht realisiert wurde.

Mit dem deutschen Überfall auf Polen 1939 endeten die Lehrgänge an den Ordensburgen, die Mannschaften einschließlich der Stammführer kamen zur Wehrmacht. Viele wurden 1941 für das Ministerium für die besetzten Ostgebiete freigestellt; sie übernahmen Funktionen in der Besatzungsverwaltung der "Reichskommissariate" Ostland und Ukraine, wo sie an Schnittstellen zum Holocaust agierten. 

Funktionen

Tagungen

Adolf Hitler besucht für eine Tagung die Ordensburg Sonthofen. Burgkommandant Robert Bauer (1898–1965) begrüßt Hitler. Foto aus: Oberallgäuer Nationalzeitung Nr. 274 (25.11.1937), 2. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Bavar. 3022 i-77. 1937, 9-12)

Unter den nationalsozialistischen Ordensburgen fiel der Anlage in Sonthofen insofern eine Sonderrolle zu, als es dort zu keinem einzigen der vorgesehenen Lehrgänge kam. Vielmehr wurde die Immobilie dauerhaft für Nutzungen verwendet, die der aktuelle Bedarf der NSDAP bestimmte. Dazu gehörten beispielsweise bis 1941 die AHS, Tagungen von Partei und Wehrmacht und weitere Schulungen, wie etwa Eingliederungs-Kurse für deutschstämmige Umsiedler aus Ost- und Südosteuropa, die ab 1940 ins Reichsgebiet kamen. 

Statt der ursprünglich vorgesehenen Lehrgänge wurden zwischen Herbst 1937 und Sommer 1939 zahlreiche große Tagungen für Funktionäre der NSDAP und ihren Gliederungen mit bisweilen über 1.000 Teilnehmern in der Anlage in Sonthofen ausgerichtet. Praktisch die gesamte Riege der Reichsleiter und anderer Mächtiger des Regimes nutzten regelmäßig solche in dichter Folge stattfindenden Großveranstaltungen, um das hauptamtliche Parteipersonal auf die jeweils aktuell geforderten politischen Ziele zu verpflichten. Zu den Rednern gehörten neben Adolf Hitler (NSDAP, 1889–1945, Reichskanzler 1933–1945), der 1937 in Sonthofen sprach, auch Hermann Göring (NSDAP, 1893-1946, u. a. Reichsminister der Luftfahrt 1933-1945), Joseph Goebbels (NSDAP, 1897–1945, u. a. Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda 1933–1945), Heinrich Himmler (NSDAP, 1900–1945, u. a. Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei 1934–1945) und andere. Die Tagungen hatten die Funktion umfassender Befehlsausgaben an den Funktionärsapparat. Die bei solchen Tagungen, die auch in den Schwesteranlagen stattfanden, erteilten Aufträge an die Funktionäre prägten unmittelbar reichsweit die politische Praxis an der Basis. Die Propaganda rund um solche Veranstaltungen mit dem Spitzenpersonal der NSDAP trugen wesentlich zur Bekanntheit der Ordensburgen bei. 

Provisorischer Standort der Adolf-Hitler-Schulen (AHS)

Von Herbst 1937 bis 1945 diente die Sonthofener Anlage außerdem als provisorischer Hauptstandort der AHS. Ley und der Reichsjugendführer Baldur von Schirach (NSDAP, 1907–1974, Reichsjugendführer der NSDAP 1933–1940) hatten 1937 zunächst zehn dieser nationalsozialistischen Oberschulen initiiert, zwei weitere wurden in den Jahren 1941 und 1944 gegründet. Endgültig sollte jedem NS-Gau eine AHS zugeordnet sein. Sie traten in Konkurrenz zu den seit 1933 bestehenden Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (NPEA, auch: Napola). Vollmundig angekündigte Schulneubauten wurden nicht realisiert, so dass es bis 1945 bei Zwischenlösungen blieb. Die Schüler wurden nach einem Ausleseprozess mit zwölf Jahren aufgenommen. Ihren Abschluss sollten die Schüler mit 18 Jahren ablegen. Ley hoffte, ab den 1950er Jahren auch auf das ideologisch vorgeprägte Personalreservoir von AHS-Absolventen bei der Rekrutierung der Teilnehmer der Lehrgänge an den sog. Ordensburgen zurückgreifen zu können.

Zur Finanzierung der Schulen, die Ley am Reichserziehungsministerium und Reichsschatzmeister der NSDAP vorbei mit der Hitlerjugend (HJ) gegründet hatte, griff er wiederum auf die Kasse der DAF zurück. Allerdings überstiegen die Kosten für die Schulen im Laufe der Zeit auch die finanzielle Leistungsfähigkeit der DAF, so dass Ley zusammen mit von Schirach darum bemüht war, die Kosten sowohl der AHS als auch der Ordensburgen auf die Parteikasse der NSDAP abzuwälzen. Erst 1941 kam es bei einer Besprechung in Sonthofen zu einer grundsätzlichen Einigung mit dem Reichschatzmeister der NSDAP, Franz Xaver Schwarz (NSDAP, 1875–1947, Reichsschatzmeister der NSDAP 1925–1945). Parallel gab es Bestrebungen zur Auslagerung etlicher Schulen in ihre Heimatgaue, wo beschlagnahmte Altbauten provisorisch für den Schulbetrieb hergerichtet wurden. Die ersten Schulen verließen Sonthofen 1941, weitere folgten 1942. 

Zum Ende der Osterferien 1937 wurden für alle zehn Schulen Eingangsklassen mit je 30 Schülern gebildet. Gründungsstandort war für wenige Monate die Ordensburg Krössinsee. Als dort im Sommer 1937 der erste Regellehrgang bevorstand, zogen die AHS nach Sonthofen um, manche blieben dort bis 1945. Die Bezeichnung der Schulen war von verwirrender Vielfalt. Sie wurden einerseits durchnummeriert (Schulen 1 bis 10), andererseits trugen sie auch die Ortsnamen der geplanten endgültigen Standorte. Vielfach wurden sie auch mit den Namen der Entsende-Gaue bezeichnet.

Nummer Standortplanung 1937 Land Gaubezeichnung
1 Tilsit Preußen Ostpreußen
2 Potsdam Preußen Brandenburg
3 Waldbröl Preußen Köln-Aachen
4 Koblenz Preußen Moselland
5 Plauen Sachsen Sachsen
6 Weimar Thüringen Thüringen
7 Hesselberg Bayern Franken
8 Mittenwald Bayern München-Oberbayern
9 Heiligendamm Mecklenburg Mecklenburg
10 Landstuhl Bayern Westmark

Tabelle nach: Hülsheger, Adolf-Hitler-Schulen, 39.

Im Ausleseverfahren der Schüler spielten vorherige gute Schulleistungen eine Rolle, genauso Gesundheit und sportliche Leistungsfähigkeit. Schließlich ging es auch um charakterliche Eigenschaften: Gesucht wurden Jungen mit der Fähigkeit, andere zu führen. Die als Erzieher bezeichneten Lehrer wurden einem Auswahlverfahren nach nationalsozialistischen Kriterien unterzogen. So kamen vorwiegend völkisch orientierte, überwiegend sehr junge Lehrer an die AHS. Im weiteren Verlauf entstand an der Ordensburg Sonthofen eine eigens neu errichtete sog. Erzieherakademie für angehende AHS-Lehrer. Die Erzieher wie auch die Schulen insgesamt galten als sehr reformfreudig. Frontalunterricht war verpönt. Während des Krieges kamen vielfach Hilfserzieher zum Einsatz, die den ursprünglichen Erwartungen kaum mehr entsprachen. 1943 hatten alle AHS für rund 1.750 Schüler zusammen 707 Angestellte (Erzieher, Verwaltungspersonal und Lohnempfänger).

Schüler der Adolf-Hitler-Schule (AHS) auf der Ordensburg Sonthofen beim Chemieunterricht. Foto von Heinrich Hoffmann, 1943. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-45906)

Der Unterricht der AHS bot eine verschlankte Variante des üblichen Oberschul-Stoffs. Besonders in Geschichte, Biologie / Rassenkunde und dem Fach "Blick in die Welt" waren die Inhalte deutlich ideologisch bestimmt. Nachmittags war täglich Sport, häufig auch Wehrsport. An den AHS gab es auch musische und handwerkliche Erziehung. In Sonthofen bestanden je eine gut ausgestattete Holz- und Eisenwerkstatt. Intern galt das Prinzip der Selbstführung: Dem sog. Pimpf vom Dienst wurde Verantwortung für sich und andere übertragen, ältere Schüler übernahmen schulorganisatorische Aufgaben. Der Alltag war durch einen allgemein akzeptierten Ehrenkodex geregelt, der die Schüler unter anderem zur Wahrheit und zur Kameradschaft verpflichtete. Als Schuluniform diente die übliche HJ-Montur.

Der gleichförmige Tagesablauf war an den Wochentagen bis ins Detail geregelt: Aufstehen um 6.30 Uhr, wenig später Morgenappell, Frühstück, sechs Stunden Unterricht und Mittagessen. Nachmittags gab es Sport und Hausaufgabenzeit. Die Abende boten weiteren Raum zum freien Lernen, oder es gab Gemeinschaftsveranstaltungen, wie etwa musikalische Vorträge. Bisweilen fanden Filmabende statt: teils mit leichter Unterhaltung, teils bestimmt von Kriegspropaganda oder ideologischen Inhalten. Besuche in Heil- und Pflegeanstalten der Region sollten die angebliche Notwendigkeit nationalsozialistischer Rassenhygiene unterstreichen.

Die Schulen boten Ferienaufenthalte sowie die Möglichkeit zum Berg- und Segelflugsport. In den Ferien wurden die Schüler auch zu Landwirten oder in Fabriken zur Arbeit geschickt oder sie absolvierten in den Spielscharen der HJ Propaganda-Auftritte in den besetzten Ländern. Ältere Schüler kamen als Lagerführer in der Kinderlandverschickung (KLV) zum Einsatz.  

Zeugnisverleihung 1943 an der Adolf-Hitler-Schule (AHS) auf der Ordensburg Sonthofen. Foto von Heinrich Hoffmann. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-46113)
Zeugnis der Adolf-Hitler-Schule von 1943. Name des Schülers geschwärzt. (Foto: Franz Albert Heinen)

Möglich waren zwei Abschlüsse an den AHS: Das Abitur berechtigte zum Hochschulstudium; als höherwertig galt ein Abschluss mit "Diplom", das zusätzlich den weiteren Besuch von Parteischulen ermöglichen sollte, wie etwa die Ordensburg-Lehrgänge. Nach fünf Jahren AHS bat der älteste Jahrgang in Sonthofen um die Zulassung zum sog. Kriegsabitur und meldete sich geschlossen an die Front. Viele verloren dort ihr Leben. Im Herbst 1944 gab es vermehrt Wehrertüchtigung und Schanzeinsätze an allen AHS, gleichzeitig strebten zum Kriegsende hin die in den Gauen untergebrachten Schulen zurück nach Sonthofen, wo sich die Schüler auf mögliche Kampfeinsätze vorbereiteten. Zum Kriegsende gab es die letzten Opfer beim Kampfeinsatz vieler Schüler in Süddeutschland. Manche Schüler der AHS hatten nach dem Kriegsende Schwierigkeiten beim Versuch, wieder an ihre früheren Oberschulen in den Heimatorten zurückzukehren. Einige mussten ihre letzte Klasse wiederholen, andere wurden nicht angenommen. Gleichwohl machten viele ehemalige Schüler der AHS in der Nachkriegszeit beachtliche Karrieren. Exemplarisch seien hier die beiden späteren Schauspieler Wolfgang Grönebaum (1927–1998) und Eberhard "Hardy" Krüger (geb. 1928) erwähnt. Theo Sommer (geb. 1930) wurde für viele Jahre Herausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit". Andere engagierten sich stark in der Versöhnungspolitik, wie etwa der Architekt Helmut Morlok (1929–2017). 

Nutzung nach 1945

Mit dem Kriegsende bezogen für kurze Zeit französische Truppen die aufgegebene Anlage in Sonthofen, deren Bauten weitgehend unbeschädigt geblieben waren. Nach der Einrichtung der amerikanischen Besatzungszone entstand dort vorübergehend eine Schule für Hilfspolizisten des US-Militärs, nachfolgend wurden neu in der Besatzungszone eintreffende US-Soldaten in Kurzlehrgängen mit den Verhaltensregeln im Kontrollgebiet vertraut gemacht. Als die Immobilie nach dem Abzug der Amerikaner 1952 für neue Nutzungen frei wurde, errichtete die Bundeswehr dort mit der Bezeichnung "Generaloberst Beck-Kaserne" einen Bundeswehrstandort. Seit 2009 werden die Bauwerke umfassend für militärische Folgenutzungen renoviert.

Literatur

  • Barbara und Wolfgang Feller, Die Adolf-Hitler-Schulen. Pädagogische Provinz versus Ideologische Zuchtanstalt, Weinheim/München 2001.
  • Michael Früchtel, Der Architekt Hermann Giesler. Leben und Werk (1898–1987) (Studien aus dem Institut für Baugeschichte, Kunstgeschichte, Restaurierung mit Architekturmuseum), München 2008.
  • Hartmut Happel, N.S. Ordensburg Sonthofen. Nutzung und Bedeutung für Sonthofen - einst und jetzt, Immenstadt 2011.
  • Franz Albert Heinen, NS-Ordensburgen. Vogelsang, Sonthofen, Krössinsee, Berlin 2011.
  • Rainer Hülsheger, Die Adolf-Hitler-Schulen 1937–1945. Suggestion eines Elitebewusstseins, Weinheim/Basel 2015.
  • Stephan Kellner, Abgabe der Alliierten. Die Bibliothek der NS-Ordensburg Sonthofen in der Bayerischen Staatsbibliothek, in: Olivia Kaiser/Christina Köstner/Markus Stumpf (Hg.), Treuhänderische Übernahme und Verwahrung. International und interdisziplinär betrachtet (Bibliothek im Kontext 3), Göttingen 2018, 279-295.
  • Albert Moritz (Hg.), "Fackelträger der Nation". Elitebildung in den NS-Ordensburgen, Köln u.a. 2010.
  • Klaus Ring/Stefan Wunsch (Hg), Bestimmung: Herrenmensch. NS-Ordensburgen zwischen Faszination und Verbrechen, Dresden 2016. [Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung in Vogelsang IP]
  • Rolf Sawinski, Die Ordensburg Krössinsee in Pommern. Von der NS-Ordensburg zur polnischen Kaserne, Aachen 2004.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Ordensburg, Adolf-Hitler-Schule

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Empfohlene Zitierweise

Franz Albert Heinen, NS-Ordensburg Sonthofen, publiziert am 13.05.2019; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/NS-Ordensburg_Sonthofen> 25.04.2024