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Lebensborn

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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von Annemone Christians-Bernsee

Die Statue mit dem Titel „Stillende Mutter“ befindet sich auf dem ehemaligen Gelände des Lebensborn-Heims Hochland in Steinhöring (Lkr. Ebersberg). 1936 wurde es als erstes Heim des Vereins eingerichtet. (Kreisjugendring Ebersberg, Foto: Monika Lix)

Der Verein Lebensborn e. V. war eine Körperschaft der Schutzstaffel (SS) mit Sitz in Berlin bzw. ab 1938 in München, die zwischen 1935 und 1945 europaweit über 20 Heime für unverheiratete schwangere Frauen, junge Mütter und deren Kinder betrieb. Diese mussten den Maßstäben der nationalsozialistischen „Erb- und Rassenlehre“ genügen und als „wertvoll“ gelten. Mit dem Lebensborn trug die SS in spezifischer Weise zu den pronatalistischen Elementen der NS-Bevölkerungspolitik bei. Bis 1939 wurden sechs Lebensborn-Heime auf dem Gebiet des Großdeutschen Reichs eingerichtet, das erste 1936 im oberbayerischen Steinhöring (Lkr. Ebersberg). Weitere Heime unterhielt der Verein in von der Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges besetzten Ländern, vor allem in Norwegen, einzelne auch in Belgien, Frankreich sowie in den Niederlanden. Ab 1942 wirkte der Verein zudem aktiv an Raub und Verschleppung von Kindern aus den vom Deutschen Reich besetzten und annektierten Gebieten mit. Diese sollten „eingedeutscht“ und damit Teil der NS-"Volksgemeinschaft“ werden.

Gründung und Organisation des Lebensborns

Darstellung der Geburtenzahlen in den Heimen des Vereins Lebensborn e. V. in einem Schreiben an Gregor Ebner (NSDAP, 1892-1974) vom 7. Oktober 1943. Demnach sind bis Ende September 1943 insgesamt 5047 Kinder in den Heimen geboren worden. (Teilbestand 4.1.0., Akten von Einrichtungen des Lebensborn e. V., 82449210, ITS Digital Archive, Arolsen Archives)

Der Lebensborn e.V. wurde am 12. Dezember 1935 in Berlin begründet. Gründungsmitglieder waren zehn namentlich unbekannte SS-Führer, die die Gründung auf Veranlassung des Reichsführers SS, Heinrich Himmler (NSDAP, 1900-1945), durchführten. Der Verein wurde organisatorisch zunächst in das Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA) der SS eingebunden und im „Sippenamt“ als selbständige Hauptabteilung geführt. Erster Geschäftsführer wurde Guntram Pflaum (NSDAP, 1903-1945). Anfang 1938 wurde der Lebensborn aus dem RuSHA herausgelöst und dem Persönlichen Stab des Reichsführers SS angegliedert. Himmler berief die Vorstandsmitglieder des Vereins nun direkt. Im März 1940 ersetzte er Pflaum wegen mangelhafter Geschäftsführung durch den SS-Verwaltungsbeamten Max Sollmann (NSDAP, 1904-1978), der den Verein bis zu dessen Auflösung als alleiniger Vorstand führte.

Himmler trieb die Organisation von Förderangeboten insbesondere für ledige Mütter und deren Nachwuchs durch die SS aus zwei vorrangigen Motiven voran: Zum einen hatte er den Geburtenrückgang als drängendstes bevölkerungspolitisches Problem des Deutschen Reichs ausgemacht. Er verortete es in engem Zusammenhang mit den seit der Jahrhundertwende zunehmenden Schwangerschaftsabbrüchen. Dieser Entwicklung müsse man beikommen, indem man ledige Mütter und deren uneheliche Kinder unterstütze und entstigmatisiere. Himmler bewegte sich damit im Kontext der allgemeinen Rechtsdebatte über eine Reform der Unehelichenpolitik zu Gunsten unverheirateter Frauen, die hauptsächlich vom NS-politischen Wunsch nach Geburtenförderung getragen war. Sie blieb im „Dritten Reich“ allerdings aus.

Zum anderen waren seit der NS-Machtübernahme mehrere NS-Organisationen auf den Plan getreten, die sich der Betreuung lediger Mütter und deren Nachwuchs verschrieben, allen voran die NS-Volkswohlfahrt (NSV) mit ihrem 1934 gegründeten „Hilfswerk Mutter und Kind“. Mit der Vereinsgründung signalisierte Himmler den Anspruch der SS, aktiv in der NS-staatlichen Bevölkerungspolitik mitwirken zu wollen: Mit dem Lebensborn sollte das SS-Ideal einer sog. germanischen Elite in den öffentlichen Fürsorgeangeboten implementiert werden.

Vereinszweck, Mitgliedschaft und Finanzierung

Villa des Schriftstellers Thomas Mann (1875-1955) in der Poschingerstraße 1 in München, hier zu sehen während des Baus um 1910. Nach Manns Emigration 1933 wurde die Villa enteignet und diente dem Verein Lebensborn von 1938 bis 1940 als Zentrale. (Stadtarchiv München, DE-1992-FS-STR-2934, lizenziert durch CC BY-ND 4.0)
Die Räumlichkeiten in der Hermann-Schmid-Straße 5-7 beherbergten von 1910 bis 1942 das Krankenheim der Israelitischen Kulturgemeinde München. Im Jahre 1942 wurden die Gebäude für den Einzug von Lebensborn-Abteilungen geräumt, jüdisches medizinisches Personal sowie Patienten wurden im selben Jahr deportiert. Foto 1911. (Stadtarchiv München, DE-1992-FS-STB-0313, lizenziert durch CC BY-ND 4.0)

Der erstgenannte Vereinszweck lag darin, „erbbiologisch wertvolle, kinderreiche Familien zu unterstützen“. Dies tat der Verein, indem er ab 1937 Beihilfezahlungen an Familien von SS-Angehörigen mit fünf oder mehr Kindern leistete. Allerdings wurden diese Zuwendungen nur in wenigen Fällen tatsächlich ausgezahlt. Die Fürsorgeleistung diente vornehmlich dem karitativen Schein des Lebensborn, dessen Kernauftrag in der rassisch begründeten, selektierenden Geburtenförderung lag. Der hauptsächliche Zweck des Vereins waren Errichtung und Unterhalt von Entbindungs- und Mütterheimen, auch wenn dies in der Vereinssatzung vom 12. Dezember 1935 erst an zweiter Stelle genannt wurde. Die Aufnahme, Entbindung und Betreuung in den Heimen war werdenden Müttern vorbehalten, die den rassenbiologischen Anforderungen der SS entsprachen. Sie mussten also zum einen eine „arische“ Abstammung nachweisen, zum anderen als leistungsfähig und „erbgesund“ gelten.

Die Vereinsmitgliedschaft war für jeden hauptamtlichen SS-Führer obligatorisch. Von den weiteren SS-Mitgliedern wurde der Beitritt erwartet, außerdem konnte jeder Deutsche freiwilliges Mitglied werden. Die Mitglieder mussten Beiträge entrichten, die nach Kinderzahl, Dienstgrad, Einkommen und Alter gestaffelt waren. Ende 1938 zählte der Lebensborn nahezu 13.000 Mitglieder, von denen rund 8.000 der SS und etwa 4.000 der Schutzpolizei angehörten. Entgegen den Vorgaben der Vereinssatzung konnte sich der Lebensborn über die gezahlten Beiträge nie annähernd auskömmlich finanzieren und war daher auf weitere Ressourcen angewiesen. Neben der Abrechnung von Krankenkassenleistungen der werdenden Mütter waren dies vor allem Spenden von Staats- und Parteistellen, von Verbänden und Wirtschaftsbetrieben. Zudem profitierte der Verein von der Schenkung oder Überlassung von Immobilien, die er zur Einrichtung von Heimen oder für seine Verwaltung nutzte. Einige dieser Immobilien waren zu Gunsten des Lebensborns „arisiert“ oder aus anderen Gründen verfolgten Vorbesitzern entzogen worden. So verlegte der Verein seine Zentrale auf Betreiben Himmlers Anfang 1938 von Berlin nach München, wo sie die vormalige Villa des 1933 emigrierten Schriftstellers Thomas Mann (1875-1955) in der Poschingerstraße 1 (heute: Thomas-Mann-Allee 10) bezog.

Aufnahme, Heimbetrieb und Vormundschaft

Die Möglichkeit zur Aufnahme in ein Entbindungsheim des Lebensborn erhielten Verlobte und Ehefrauen von SS-Mitgliedern und Angehörigen der Polizei, ferner Frauen, die – so der ärztliche Leiter der Lebensborn-Heime, Gregor Ebner (NSDAP, 1892-1974), in seinem Tätigkeitsbericht Anfang 1939 - „den Auslesebedingungen der SS entsprechen und gezwungen sind – ihre Schwangerschaft und Geburt vor der Öffentlichkeit geheim zu halten“. Die Geheimhaltung erfolgte nicht automatisch, sondern auf Antrag der werdenden Mutter oder des Vaters. Dieser musste dem Lebensborn bekannt sein, da ohne die Vorlage ausführlicher Belege der Eignung beider Elternteile (u. a. NS-Ahnenpass, Erbgesundheitsbogen, ärztlicher Untersuchungsbogen, persönlicher Fragebogen) keine Aufnahme erfolgen sollte. Um die Geheimhaltung der Geburten zu gewährleisten, richteten die Heime eigene Meldestellen ein und umgingen damit die gesetzlichen Vorgaben zur Beurkundung am Meldeort der Mutter.

Die propagierten hohen selektiven Ansprüche entsprachen allerdings nicht der Praxis. 75 Prozent der Aufnahmeanträge wurden bewilligt. Bis Ende 1939 waren rund 1.200 schwangere Frauen in Lebensborn-Heimen aufgenommen worden, von denen die meisten verheiratet waren. Der Heimbetrieb offenbarte, dass die Programmatik der Gleichbehandlung von Ledigen und Verheirateten auf Widerstände stieß. So beschwerten sich nicht nur SS-Ehefrauen über eine nicht „standesgemäße“ Betreuung, auch Teile des Pflegepersonals lehnten die außereheliche Mutterschaft ab und verließen die Heime häufig kurz nach der Einarbeitung. Die Lebensborn-Heime litten insgesamt unter chronischem Mangel an Schwestern und Fachärzten.

Neben der ärztlichen Betreuung von Mutter und Kind boten die Heime Kurse in Säuglingspflege und Haushaltsführung an, zudem wurden „weltanschauliche Schulungen“ durchgeführt. Der Verein sorgte dafür, dass den ledigen Müttern der ihnen zustehende Unterhalt gezahlt wurde und vermittelte bei Bedarf Arbeitsplätze. Für unehelich geborene Kinder übernahm er die Vormundschaft, die der staatlichen Aufsicht möglichst entzogen werden sollte. Die Adoption war nicht das eigentliche Anliegen des Vereins, er stimmte insgesamt nur etwa 100 Adoptionen zu. Eine dauerhafte Heimerziehung der Kinder war ebenso wenig vorgesehen; diese nahm erst im Krieg größeren Umfang an.

Die Lebensborn-Heime im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten

Bis Kriegsbeginn 1939 unterhielt der Verein sechs Heime auf dem Gebiet des Deutschen Reichs, eines davon im okkupierten Österreich. In den ersten Kriegsjahren wurden im „Altreich“ weitere Heime eröffnet, um die zunehmende Zahl an nichtdeutschen Frauen betreuen zu können, die ein Kind von einem Wehrmachts- oder SS-Angehörigen erwarteten. Ab 1942 richtete der Lebensborn vor allem in Norwegen Heime ein. Die SS-Organisation bewertete den Nachwuchs nordeuropäischer Frauen als besonders „erwünscht“, da er dessen Ideal einer „nordischen Rasse“ zu erfüllen versprach. In Norwegen gab es in Relation zur Bevölkerungszahl die meisten Betreuungsplätze des Lebensborns. Einzelne Häuser öffneten in Luxemburg, Belgien und Frankreich. Die Kapazitäten der Heime waren sämtlich stark ausgelastet. Gleichzeitig wuchs die Verwaltung des Vereins, 1942 waren rund 220 Personen in der Münchner Zentrale beschäftigt, die neben der ehemaligen Villa Thomas Manns weitere Gebäude vormaliger Sozialeinrichtungen der jüdischen Gemeinde und Privatwohnungen jüdischer Bürgerinnen und Bürger in Beschlag genommen hatte.

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Tabellarische Auflistung
Name des Heims Ort Zeitpunkt der Errichtung
Hochland Steinhöring (Bayern) 1936
Harz Wernigerode/Harz (Sachsen-Anhalt) 1937
Kurmark Klosterheide (Brandenburg) 1937
Friesland Schwanewede (Niedersachsen) 1937
Pommern Bad Polzin (Polen) 1938
Ostmark (ab 1942 Wienerwald) Feichtenbach (Österreich) 1938
Taunus Wiesbaden (Hessen) 1939
Sonnenwiese (Kinderheim) Kohren-Sahlis (Sachsen) 1942
Schwarzwald (Kinderheim) Nordrach (Baden-Württemberg) 1942
Geilo Geilo (Norwegen) 1942
Godthaab bei Oslo (Norwegen) 1942
Hurdalsverk bei Eidsvoll (Norwegen) 1942
Klekken Hønefoss (Norwegen) 1942
Bergen Hop bei Bergen (Norwegen) 1943
Stalheim bei Voss (Norwegen) 1943
Stadtheim Oslo Oslo (Norwegen) 1943
Stadtheim Trondheim Trondheim (Norwegen) 1943
Moldegaard Os bei Bergen (Norwegen) 1943
Moselland (Kinderheim) Bofferdingen (Luxemburg) 1943
Ardennen Wegimont bei Lüttich (Belgien) 1943
Westland/Westwald Lamorlaye bei Chantilly (Frankreich) 1944
Franken I und II Ansbach-Schalkhausen (Bayern) 1944

Insgesamt wurden zwischen 1936 und 1945 in den Lebensborn-Heimen auf dem deutschen Reichsgebiet zwischen 8.000 und 9.000 Kinder geboren, etwa die Hälfte von ihnen unehelich. In den Heimen in Norwegen betreute der Verein nahezu 8.000 Kinder, die mehrheitlich unehelich geboren worden waren.

Lebensborn-Heime in Bayern

Das Lebensborn-Heim „Hochland“ in Steinhöring

Das ehemalige Lebensborn-Heim Hochland in Steinhöring (Lkr. Ebersberg) in einer Reportage aus der Nachkriegszeit. Foto: Georg Fruhstorfer (1915-2003), 1950. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv fruh-19235)

Als erstes Entbindungs- und Kinderheim wurde am 15. August 1936 in Steinhöring (Lkr. Ebersberg) das Heim „Hochland“ eröffnet. Es bot Platz für rund 50 Mütter und 100 Kinder. Das von der Caritas Ende der 1920er Jahre erworbene Anwesen war 1933 wegen Konkurses dem bayerischen Staat zugegangen, der es dem Lebensborn-Verein zunächst überließ, ihm dann im November 1937 verkaufte. Das bestehende Gebäude wurde aufwendig ausgebaut und 1938 noch einmal erweitert. Die Heimleitung übernahm Gregor Ebner, Himmlers Hausarzt, der ab 1940 im Kuratorium des Vereins für die ärztliche Betreuung sämtlicher Heime sowie die „weltanschauliche Ausrichtung“ von Müttern und Personal zuständig war.

Das „Heim Hochland“ galt als Musteranstalt für die weiteren Heime und hatte eine exponierte Stellung inne, zumal es ab 1938 in unmittelbarer Nähe der Münchner Vereinszentrale lag. Es beschäftigte 1939 rund 50 Personen. In den Kriegsjahren wurden dort auch Kriegsgefangene sowie Häftlinge der Konzentrationslager Dachau und Ravensbrück zur Zwangsarbeit (u. a. zum Küchen- und Reinigungsdienst) eingesetzt. 1944 wurde die zentrale Verwaltung kriegsbedingt von München nach Steinhöring verlegt. Anfang Mai 1945 erreichten amerikanische Soldaten das Heim und vollzogen damit die Auflösung des Lebensborn-Vereins. Die 162 dort noch befindlichen Kinder wurden Angehörigen zugeführt oder an Kinderheime vermittelt.

Die Kinderheime Franken I und II in Ansbach-Schalkhausen

Im Juli 1944 eröffnete der Lebensborn die zwei Kinderheime „Franken I“ und „Franken II“ am Bocksberg in Schalkhausen (Stadt Ansbach) sowie in zwei Gebäuden der Heil- und Pflegeanstalt Ansbach. Der Verein reagierte damit auf die zunehmende Überfüllung der bestehenden Heime und nutzte „Franken I“ und „Franken II“ vornehmlich als Ausweichanstalt für Säuglinge aus Heimen in luftkriegsgefährdeten Gebieten. In beiden Heimen wurden Häftlinge aus dem KZ Ravensbrück zur Zwangsarbeit eingesetzt, hauptsächlich weibliche Inhaftierte, die als Zeuginnen Jehovas verfolgt wurden. Bis zur Auflösung der Heime Anfang April 1945 lebten dort mindestens zwischen 30 und 50 Kinder. Sie wurden zunächst in das Heim Hochland in Steinhöring evakuiert, ebenso die dort untergebrachten Mütter, Angestellten und Häftlinge.

Der Lebensborn in Europa

1943 wurde bei Voss (in Norwegen) das Lebensborn-Heim Stalheim eingerichtet. Das Foto von 1925 zeigt das Gebäude des damaligen Stalheim-Hotels, das der Lebensborn später übernahm. (Bundesarchiv, N 1572 Bild-1925-118/Fleischhut, Richard/CC-BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)

Ab 1942 dehnte der Verein seine Tätigkeit auf die vom Deutschen Reich annektierten und besetzten Gebiete aus. Ziel war vor allem die „Germanisierung“ unehelich gezeugter Kinder der deutschen Besatzungsangehörigen. In Norwegen konnte sich der Lebensborn als Abteilung des Reichskommissariats für die besetzten norwegischen Gebiete so stark etablieren wie in keinem anderen europäischen Land. In der NS-Rassenlogik wurden Norweger gleichsam als „germanisches Urvolk“ kategorisiert, so dass die ca. 350.000 deutschen Besatzungssoldaten geradezu ermuntert wurden, Kinder mit norwegischen Frauen zu zeugen.

Im östlichen Europa entfaltete der Lebensborn ebenfalls einige Aktivität, und zwar im Rahmen sog. Eindeutschungsaktionen. Zumal in Polen wurden „volksdeutsche“ Waisenkinder sowie Kinder, die in Pflegefamilien oder bei deutsch-polnischen Eltern lebten, ohne Wissen der Eltern oder Erziehungsberechtigten nach Deutschland verschleppt. In „Lebensborn“-Heimen erhielten sie deutsche Namen, sollten ihrer polnischen Herkunft entfremdet und in deutsche Pflegefamilien vermittelt werden. Die Gesamtzahl dieser Eindeutschungsfälle lässt sich nicht gesichert beziffern. Die Eindeutschungspraxis wandte der Lebensborn auch in Norwegen, Tschechien und Jugoslawien an, hier wurden die Kinder zumeist im Zuge des Vorgehens gegen Partisanen von ihren Eltern getrennt. Insgesamt wird die Zahl an zur „Zwangsgermanisierung“ verschleppten nichtdeutschen Kindern auf bis zu 50.000 geschätzt.

Mythos und Nachgeschichte

Die Rezeption des Lebensborns war bereits während seines Bestehens mehrdeutig. Obwohl der Verein öffentlich für seine Angebote warb, haftete ihm ein geheimnisvoller und zweifelhafter Ruf an. Gerüchte von „Begattungsheimen“ und Züchtungsanstalten fußten auf diffusem Wissen über Zeugungsaufrufe und spezifische Praktiken in den Heimen, so z. B. die sog. Namensweihe. Bei der Zeremonie, die anstatt einer Taufe stattfand, musste sich die Mutter verpflichten, das Kind im nationalsozialistischen Sinn zu erziehen. Der Heimleiter besiegelte dies durch die „Weihung“ des Säuglings unter einem SS-Dolch und dem Singen des SS-„Treueliedes“.

Der mediale Umgang mit dem Lebensborn war in der direkten Nachkriegszeit und darüber hinaus davon geprägt, die Heime als SS-Bordelle und Zuchtanstalten zu skandalisieren. Die juristische Aufarbeitung stand dazu im krassen Gegensatz. Der achte der „Nürnberger Nachfolgeprozesse“ 1947/48 befasste sich zwar mit den Auslese- und Verschleppungsmaßnahmen des Vereins; die US-amerikanischen Richter wiesen ihm aber keine Verbrechen nach. In Verkennung der eigentlichen Programmatik beurteilten sie den Lebensborn als reine Fürsorgeinstitution. Die hauptsächlichen Akteure des Vereins wurden freigesprochen oder wegen ihrer SS-Mitgliedschaft mit Haftstrafen von wenigen Jahren belegt.

Für die Lebensborn-Kinder und Zwangsgermanisierten blieb die Aufarbeitung der eigenen Herkunft lange und oftmals ganz aus. Hierzu trugen die bewusste Vertuschung und die Vernichtung von Quellen ebenso bei wie die fehlende öffentliche und wissenschaftliche Beschäftigung. Letztere setzte erst Anfang der 2000er Jahre langsam ein: Die von Isabel Heinemann (geb. 1971) 2003 veröffentlichte Studie zum Rassen- und Siedlungshauptamt der SS stellt hier einen ersten Markstein dar. Den ersten umfassenden Forschungsband zum Lebensborn in München und Bayern legten Angelika Baumann (geb. 1954) und Andreas Heusler (geb. 1960) 2013 vor.

Literatur

  • Angelika Baumann/Andreas Heusler (Hg.), Kinder für den "Führer". Der Lebensborn in München, München 2013.
  • Thomas Bryant, Himmlers Kinder. Zur Geschichte der SS-Organisation „Lebensborn“ e.V. 1935-1945, Wiesbaden 2011.
  • Gisela Heidenreich, Das endlose Jahr. Die langsame Entdeckung der eigenen Biographie - ein Lebensborn-Schicksal, München 2002.
  • Isabel Heinemann, Rasse, Siedlung, deutsches Blut. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003.
  • Volker Koop, Dem Führer ein Kind schenken. Die SS-Organisation Lebensborn e.V., Köln/Weimar/Wien 2007.
  • Georg Lilienthal, Der "Lebensborn e.V.". Ein Instrument nationalsozialistischer Rassenpolitik, erweiterete Neuausgabe Frankfurt a. M. 2003.
  • Georg Lilienthal, Lebensborn, in: Werner E. Gerabek/Bernhard D. Haage/Gundolf Keil u.a. (Hgg.), Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin/New York u.a. 2005.
  • Dorothee Schmitz-Köster, "Deutsche Mutter, bist du bereit…". Der Lebensborn und seine Kinder, Berlin 2010.
  • Dorothee Schmitz-Köster, Lebenslang Lebensborn. Die Wunschkinder der SS und was aus ihnen wurde, München 2012.
  • Frank W. Steidler: Lebensborn e. V. der SS. Vom Gerücht zur Legende, in: Uwe Backes/Eckhard Jesse/Rainer Zitelmann (Hgg.), Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1990, 291-318.

Quellen

  • Bundesarchiv (Berlin) NS 19/329; NS 19/4004.
  • Institut für Zeitgeschichte (München) NO-4138.
  • International Tracing Service (Bad Arolsen) NS 1: Bestand Lebensborn e.V.
  • Staatsarchiv München Registratur S, SpkA K 328 (Spruchkammerverfahren Gregor Ebner); SpkA K 1030 (Lebensborn).

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Weiterführende Recherche

Empfohlene Zitierweise

Annemone Christians-Bernsee, Lebensborn, publiziert am 20.05.2022; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Lebensborn> (28.03.2024)