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Landstände der Fürstabtei Fulda

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Die Landstände der Fürstabtei Fulda tagten überwiegend im alten Rathaus und im hier abgebildeten Fuldaer Residenzschloss. Lithographie aus den Beständen des Verlegers Peter Franz Arnd (1792-1841). (Vonderau Museum Fulda, Inventar-Nr. II Ea 99)

von Berthold Jäger

Eine feste ständische Organisation bildete sich an der Fürstabtei Fulda erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts heraus. Im Drei-Kurien-Landtag (Ritterschaft, Stiftskapitel, Städte) ging es vor allem um Steuerfragen. Der erste Landtag wurde 1516 abgehalten. Dominierend waren in der Ständeversammlung bis zu ihrem Übergang in die Reichsunmittelbarkeit 1656 die Ritter. Im Einfluss ebenbürtig war das Stiftskapitel. Nach der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts setzte der Niedergang der Landstände ein. 1702 fand der letzte Landtag statt, 1761 wurde die ständische Kasse, in der die Steuereinkünfte verwaltet wurden, zu einer Nebenstelle der fürstlichen Finanzverwaltung.

Herrschaft im Territorium und über das Territorium

Die Äbte des 744 gegründeten Klosters Fulda, die seit dem frühen 12. Jahrhundert zum Reichsfürstenstand zählten, bauten im Hoch- und Spätmittelalter eine Territorialherrschaft auf. Deren Umfang und Geltungsbereich blieb jedoch lange fließend und musste gegenüber konkurrierenden Grundbesitzern und Herrschaftsträgern innerhalb des Territoriums erst noch durchgesetzt werden.

"Konkurrenz" erwuchs in erster Linie aus dem aus wenigen freiadligen Familien und zahlreichen Dienstmannen des Abtes herausgewachsene Niederadel ("Buchische Ritterschaft"). Dieser konnte sich auf mehr oder weniger umfangreichen Eigenbesitz, auf damit verbundene grundherrliche lokale Gerichtsbefugnisse, auf einen eigenen bevorrechteten Gerichtsstand im sogenannten Paradiesgericht und auf persönliche Freiheiten stützen. Dazu verfügte er im 13. und bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts über eine beachtliche, den Fürstäbten überlegene wirtschaftliche Potenz. Auch die aus Nebenklöstern hervorgegangenen Propsteien Andreasberg/Neuenberg, Michaelsberg, Petersberg, Johannesberg (alle rund um Fulda, Michaelsberg sogar in nächster Nähe des Hauptklosters gelegen), Blankenau (Vogelsberg), Allendorf (Werra), Höchst im Odenwald (alle Hessen), Holzkirchen (Lkr. Würzburg), Rohr (Thüringen), Solnhofen (Lkr. Weißenburg-Gunzenhausen), Thulba (Lkr. Bad Kissingen), Zella/Rhön (Thüringen), zeitweilig auch Frauenberg (bei Fulda), verfügten über teilweise beträchtlichen Grundbesitz und übten Herrschaftsrechte aus. In stark eingeschränktem Maße existierte zudem eine Selbstverwaltung in den Städten des Stifts, also in der Residenzstadt Fulda, in Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen), Hünfeld (Hessen), Geisa (Thüringen), Brückenau (Lkr. Bad Kissingen), Herbstein, Salmünster (beide Hessen) und (bis 1648) Vacha (Thüringen).

Herrschaft im Territorium wurde also keineswegs allein durch den Landesfürsten ausgeübt. Herrschaft über das "vorstaatliche" Territorium musste sich angesichts der Besitztümer und der Rechte der genannten Personengruppen im Zusammenwirken des Landesherrn mit diesen bevorrechteten Ständen verwirklichen, denn beide Seiten waren zu schwach, um sich dem anderen gegenüber durchzusetzen.

Ziel der Landesherren musste es sein, die Rechte der übrigen Herrschaftsträger im Lande zu beschneiden und einen weitgehend einheitlichen, zentral beherrschten und verwalteten, einem einzigen, nämlich dem Römischen Recht unterworfenen Untertanenverband zu schaffen. Abstrakt formuliert, strebten sie die Umwandlung des "Personenverbandsstaates" in einen "institutionellen Flächenstaat" an, welcher durch regelmäßige Steuern und Abgaben die Finanzierung der Landesherrschaft, des Hofstaates und des Verwaltungsapparates sichern konnte. Diesen Prozess der "Territorialisierung" trieben die Fürstäbte seit dem ausgehenden Mittelalter zielstrebig voran. Ritterschaft und Stiftskapitel, weniger die vom Fürstabt sehr viel stärker abhängigen Städte, waren dagegen bestrebt, ihre Eigenständigkeit zu betonen und abzusichern. Angesichts fortdauernder finanzieller Schwierigkeiten der Fürstäbte und neuer Anforderungen im ausgehenden 15. und im frühen 16. Jahrhundert (Reichskriege, Herrschaftskrisen im Territorium selbst, Bauernkrieg) wurde es unumgänglich, dass Wege zur finanziellen Absicherung der Landesherrschaft und gleichzeitig formelle Mitsprachemöglichkeiten der übrigen Herrschaftsträger gefunden werden mussten.

Wurzeln landständischer Vertretung im geistlichen Fürstentum Fulda

Die Wurzeln einer organisierten landständischen Vertretung im geistlichen Fürstentum Fulda lagen zum einen in den Hoftagen, d. h. den Zusammenkünften der Lehnsleute und der vornehmen geistlichen Würdenträger am Hof des Lehnsherrn.

Eine weitere Wurzel bilden die Einungsbewegungen (Zusammenschlüsse) der Ritterschaft - untereinander, aber auch mit Kapitel und Städten - im späten Mittelalter zur Aufrechterhaltung ihrer Privilegien. Nur zum Teil konnte der Fürstabt diese Einungen dadurch "entschärfen", dass er sich an ihre Spitze setzte.

Die dritte Wurzel liegt in der Mitwirkung des Stiftskapitels an verschiedenen Herrschaftsgeschäften, basierend

  1. auf dem Recht der Abtswahl.
  2. der Verpflichtung jedes neugewählten Abtes auf die "Ständige Wahlkapitulation" von 1395 (bzw. ihre Vorläufer) und die bei jeder Wahl zusätzlich ausgehandelten Wahlkapitulationen, welche die kapitelische Herrschaftsteilhabe immer neu festschrieben.
  3. der in der Benediktinerregel vorgeschriebenen Anhörung des Konvents bei wichtigen Fragen.

Herausbildung der Landständischen Organisation im Stift Fulda

Letztlich aber ist das Entstehen einer landständischen Vertretung im Stift Fulda nicht denkbar ohne den sich in Herrschaftszentralisierung (mit Behördenbildung), Juridifizierung und Fiskalisierung manifestierenden Territorialisierungsprozess am Ausgang des Mittelalters. Gleichzeitig ist der Prozess auch mit der Notwendigkeit erklärbar, sich beim steuerlichen Zugriff auf das grundsätzlich unantastbare Eigentum der dem Landesherrn nur mittelbar unterstehenden Untertanen des Adels und des Kapitels der Zustimmung der Betroffenen (und ihrer Herren) zu versichern. Dazu kamen elementare Herrschaftskrisen im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts und vermehrte Reichssteuerforderungen, die von den Landesfürsten auf die unmittelbaren wie mittelbaren Untertanen umgewälzt wurden.

Die Stationen im einzelnen waren:

  1. Die Herrschaftskrise 1516–1521. Sie wurde ausgelöst durch den Versuch Fürstabt Hartmanns II. Burggraf von Kirchberg (reg. 1513-1521/29), das Stift Hersfeld zu inkorporieren. Dies und die Veruntreuung bzw. Verschwendung von Geldern führte zu entschiedenem Widerstand des Adels, des Kapitels und der Städte und letztlich zur (reichsrechtlich sanktionierten) Bestellung eines Koadjutors in der Gestalt des jugendlichen Grafen Johann III. von Henneberg (reg. 1521/29-1541). In der langfristigen Abwesenheit Johanns kam es sogar zu einem ständischen Regiment. Die Stände erzwangen gegen seinen Willen die Einberufung von Landtagen, auf denen Hartmann Rechenschaft über sein Verhalten ablegen sollte.
  2. 1525 folgte mit dem Bauernkrieg eine erneute Herrschaftskrise. Der bäuerlichen und städtischen Erhebung stand Johann von Henneberg rat- und machtlos gegenüber. Die Niederwerfung des Aufstandes übernahm Landgraf Philipp von Hessen (reg. 1509-1567), der für seinen Einsatz anschließend erhebliche Entschädigungsgelder verlangte. Diese konnten nur durch Besteuerung der unmittelbaren Untertanen des Abtes und von Kapitel, Ritterschaft und Städten aufgebracht werden. Zur Durchsetzung der Steuerforderungen waren mehrere Land- und Rittertage zwischen 1527 und 1541 notwendig.
  3. Die dritte Komponente im Prozess der Herausbildung und Verfestigung der landständischen Organisation wurden die seit 1542 forcierten Reichssteuern. Die Reichssteuer, ursprünglich von den Reichsständen aus ihren Reichslehen aufzubringen, wurde durch Reichstagsbeschlüsse auf die Landsassen und Untertanen abgewälzt. Über die Einziehung und Aufteilung der Steuern hatten sich die Landesherren mit den Ständen auf Landtagen immer wieder neu zu verständigen und zu vergleichen. Die Landtagsabschiede, in denen die Vergleiche festgehalten und damit rechtswirksam wurden, waren immer in die Form "freiwilliger" und "einmaliger" Vereinbarungen gekleidet. Ständige Wiederholungen führten jedoch zu einem Gewöhnungseffekt und fast zu einem "Gewohnheitsrecht". Auf den Landtagsversammlungen ging es auch nicht mehr um die Berechtigung der Steuern an sich, sondern nur um ihre Höhe und um die Modalitäten ihrer Eintreibung.

Gestalt und Funktion der Landständischen Organisation

Die einander immer wieder abwechselnden Land- und Reichssteuerforderungen führten zum Aufbau einer festen landständischen Organisation mit Landtagen, Ausschüssen (der Ritterschaft vor allem) und einer ständischen Kasse (Landesobereinnahme). Der erste Landtag in Fulda wurde 1516 festgehalten.

Innerhalb der Landstände kamen der Ritterschaft und dem Stiftskapitel das größte Gewicht zu; die finanzielle Hauptlast bei der Steueraufbringung trugen hingegen die Städte und die landesfürstlichen Ämter.

Stiftskapitel

Die Bedeutung des Stiftskapitels beruhte nicht nur auf dem Recht, den Fürstabt zu wählen, ihn in wichtigen Fragen zu beraten, durch Wahlkapitulationen zu binden und während Sedisvakanzen die Regierung zu übernehmen. Seine Landstandschaft gründete vornehmlich in der Ausübung von Herrschaftsrechten in den propsteilichen Verwaltungsbezirken (vergleichbar den landesfürstlichen Ämtern). Die Propsteien wurden in der Regel von den kanonisch ältesten Kapitularen verwaltet. Die häufig verwandtschaftlich verflochtenen Kapitulare gehörten dem Adelsstand an und entstammten zum Teil eingesessenen Ritterfamilien.

An der Spitze des Kapitels stand der Dechant, dem auch innerhalb der Ständevertretung ein besonderes Gewicht zukam. Der Rechtsbeistand des Kapitels, der kapitularische Syndikus, hingegen übernahm die Vertretung der Auffassungen der Kapitulare nach außen, d. h. gegenüber den anderen Ständen.

Ritterschaft

Unter diesen anderen Ständen ragte die Ritterschaft besonders hervor. Die Berechtigung der einzelnen Adelsfamilien, auf Landtagen vertreten zu sein, beruhte auf dem Lehensverhältnis zum Fürstabt und den im Fuldaer Territorium gelegenen, um einen Adelssitz gruppierten Gütern, auf denen keine Dienste und Abgaben lasteten ("freiadlige Güter"). Entscheidend waren die Verfügung über einen im Stiftsgebiet gelegenen und vom Stift zu Lehen gehenden Rittersitz und die daraus ableitbaren Herrschaftsrechte über Land und Leute; das Votum auf dem Landtag kann als unmittelbares Annexum des Rittergutes gewertet werden. Der Kreis der landtagsberechtigten Adligen war erheblichen Schwankungen unterworfen. Ursachen dafür waren: Das natürliche Aussterben einzelner Familien; die Lehnsfolgepraxis im Stift Fulda, derzufolge es sowohl Mann- als auch Weiber- oder Kunkellehen (also in weiblicher Linie erbliche Lehen) gab; die Erbfolgeregelung innerhalb der Adelsfamilien, die häufig keine Beschränkungen auf Erstgeburtsrecht und lineare Erbfolge, sondern weibliche Erbfolge und Ausstattung der Töchter und ihrer Ehemänner mit Anteilen am Rittersitz als Heiratsgut vorsahen; die Bildung von Ganerbenverbänden.

Die wichtigsten Adelsfamilien des Stifts waren die:

  • von Berlepsch
  • von Boyneburg zu Lengsfeld
  • von Buchenau
  • von Buttlar
  • von Ebersberg gen. von Weyhers
  • von Eberstein
  • von Erthal
  • von Fischborn
  • von Haun
  • von Hutten
  • von Lautter
  • von Lüder
  • von Mansbach
  • von Merlau
  • von Mörle gen. Böhm
  • Riedesel zu Eisenbach
  • von Romrad
  • Schad zu Leibolz
  • von Schlitz gen. von Görtz
  • von der Tann
  • von Thüngen
  • von Trübenbach (Trümbach)
  • von Völkershausen
  • von Wildungen


Von Fulda lehnrührige, landtagsfähige adelige Burgen befanden sich in:

  • Borsch (Stadt Geisa, Wartburgkreis)
  • Buchenau (Gde. Eiterfeld, Lkr. Fulda)
  • Burghaun (Lkr. Fulda)
  • Buttlar (Stadt Geisa, Wartburgkreis)
  • Diedorf (Stadt Kaltennordheim, Wartburgkreis)
  • Dipperz (Lkr. Fulda)
  • Eichenzell (Lkr. Fulda)
  • Großenlüder (Lkr. Fulda)
  • Großentaft (Gde. Eiterfeld, Lkr. Fulda)
  • Ketten (Stadt Geisa, Wartburgkreis)
  • Langenschwarz (Gde. Burghaun, Lkr. Fulda)
  • Leibolz (Gde. Eiterfeld, Lkr. Fulda)
  • Mansbach (Lkr. Hersfeld-Rotenburg)
  • Mittelkalbach (Gde. Kalbach, Lkr. Fulda)
  • Motzlar (Gde. Schleid, Wartburgkreis)
  • Müs (Gde. Großenlüder, Lkr. Fulda)
  • Niederbieber (Gde. Hofbieber, Lkr. Fulda)
  • Niederkalbach (Gde. Kalbach, Lkr. Fulda)
  • Oberbimbach (Gde. Großenlüder, Lkr. Fulda)
  • Obererthal (Stadt Hammelburg, Lkr. Bad Kissingen)
  • Poppenhausen (Lkr. Fulda)
  • Römershag (Stadt Bad Brückenau, Lkr. Bad Kissingen)
  • Salmünster (Bad Soden-Salmünster, Main-Kinzig-Kreis)
  • Sarrod (Wüstung, Stadt Steinau a. d. Straße, Main-Kinzig-Kreis)
  • Schackau (Gde. Hofbieber, Lkr. Fulda)
  • Schlitz (Vogelsbergkreis)
  • Soden (Bad Soden-Salmünster, Main-Kinzig-Kreis)
  • Sodenberg (Stadt Hammelburg, Lkr. Bad Kissingen)
  • Steinau (Gde. Petersberg, Lkr. Fulda)
  • Stolzenberg (Bad Soden-Salmünster, Main-Kinzig-Kreis)
  • Tann (Lkr. Fulda)
  • Ürzell (Stadt Steinau a. d. Straße, Main-Kinzig-Kreis)
  • Ufhausen (Gde. Eiterfeld, Lkr. Fulda)
  • Uttrichshausen (Gde. Kalbach, Lkr. Fulda)
  • Völkershausen (Stadt Vacha, Wartburgkreis)
  • Wehrda (Gde. Haunetal, Lkr. Hersfeld-Rotenburg)
  • Wenigentaft (Gde. Buttlar, Wartburgkreis)
  • Weyhers (Gde. Ebersburg, Lkr. Fulda)
  • Windheim (Gde. Wartmannsroth, Lkr. Bad Kissingen)


Landtagsfähigkeit ergab sich aber auch aus dem Pfandbesitz landesherrlicher Burgen oder einzelner von diesen Burgen herrührenden Burglehen. Dies betraf Burgen in:

  • Brückenau (Bad Brückenau, Lkr. Bad Kissingen)
  • Geisa (Wartburgkreis)
  • Herbstein (Vogelsbergkreis)
  • Lauterbach (Vogelsbergkreis)
  • Lengsfeld (Stadtlengsfeld, Wartburgkreis)
  • Schildeck (Gde. Markt Schondra, Lkr. Bad Kissingen)


Die Buchische Ritterschaft schuf sich schon früh eine innere Organisation: Zentrum der ritterschaftlichen Politik waren Rittertage, ausführende Organe ritterschaftlicher Beschlüsse die Obleute, später Hauptleute und vier- bzw. achtköpfige Ausschüsse, die unabhängig von der landständischen Vertretung bestanden. Aber auch auf den Landtagen operierte man aus Kosten- wie aus Effizienzgründen mit kleineren Ausschüssen – nicht nur die Ritter. In den Ausschüssen dominierten Angehörige der führenden Familien innerhalb der Ritterschaft, so die von der Tann, von Schlitz gen. von Görtz, von Mansbach, von Buchenau, von Ebersberg gen. von Weyhers, von Boyneburg zu Lengsfeld, von Haun, von Trübenbach, von Mörle gen. Böhm zu Ürzell und von Völkershausen. Wenig aktiv waren hingegen die nach Franken und/oder Mainz orientierten Familien wie die von Erthal, die von Thüngen oder die von Hutten.

Die Politik der Ritterschaft aber war in hohem Maße ambivalent: Auf der einen Seite pochten die Ritter immer wieder auf ihrer Selbständigkeit ("Freiheit") und die Freiwilligkeit ihrer Zugeständnisse – in Form von Steuerbewilligungen und Steuerzahlungen ihrer Untertanen – an den Fürstabt; auf der anderen Seite wiesen sie sich durch diverse Verträge, die vom Geist "dissimulierender Einigkeit" geprägt waren und von den Vertragspartnern jeweils in ihrem Sinne ausgelegt wurden, als Landsassen, also als "Untertanen", aus. Über weite Strecken gleichzeitig verfolgten sie daneben das Ziel des Anschlusses an die Reichsritterschaft, vor allem seit Fürstabt Balthasar von Dernbach (reg. 1570–1576, 1602–1606) den zu großen Teilen protestantisch gewordenen "buchischen" Rittern durch die Verbindung von strikter Konfessionalisierung und Territorialisierung (Ersetzung protestantischer ritterschaftlicher "Beamter" durch katholische, Ablösung von alten Pfandschaften) ihre "Entbehrlichkeit" vor Augen gestellt hatte. Die Ritter verbündeten sich nicht nur mit Kapitel und Städten sowie dem Würzburger Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn (reg. 1573-1617) zu einer Amtsenthebung Balthasars 1576, sie verfolgten seitdem die Schiene Reichsunmittelbarkeit mit Nachdruck, waren doch die Reichsritter in den Augsburger Religionsfrieden von 1555 (und damit die freie Religionswahl) eingebunden. Erfolg sollten sie – nach einem 80-jährigen beispiellosen Zickzack-Kurs und mannigfachen Rückschlägen – 1656 haben, als Fürstabt Joachim von Gravenegg (reg. 1644–1671) sie mit dem "Würzburger Vertrag" aus dem Territorialverband "entließ": Obwohl sie sich in Verträgen mit dem Stift 1588, 1604, 1607 und 1627 sowie durch Steuerbewilligungen und Steuerlieferungen faktisch immer wieder als Landsassen ausgewiesen hatten und obwohl viele Kriterien der personalen und realen Zugehörigkeit zum Territorialstaat auf die Ritter angewendet werden konnten, war es dem Fürstabt nicht gelungen, seinen Adel in der Landsässigkeit zu halten.

Städte

Während die Ritter auf den Landtagen oft am lautstärksten ihre Position vertraten, exponierten sich die Städte in der Regel weit weniger. Grundlagen der Landstandschaft der Städte waren ihre rechtliche Hervorhebung gegenüber dem Umland (Stadtrechte) und ihre herrschaftlichen Befugnisse, ihre zwischenobrigkeitliche Stellung, die sich vor allem in der Steuerautonomie für ihre Bürger und in ihrer niederen Gerichtsbarkeit ausdrückte, und ihr unmittelbares Verhältnis zum Fürstabt. Dazu kam ihre wirtschaftliche Kraft.

Als Deputierte der Städte auf den Landtagen erscheinen Bürgermeister, Ratsmitglieder und Stadtschreiber. Innerhalb der Landständischen Organisation traten von ihnen nur die fuldischen Vertreter, allenfalls noch die hammelburgischen hervor. Der Einfluss der Residenzstadt war so dominierend, dass die anderen Städte ihre Interessenvertretung häufig von vornherein an sie delegierten.

Die ganz sporadisch auf den Landtagen auftretenden Kollegiatstifte (Hünfeld, Rasdorf, Großenburschla/Fulda) bildeten nur einen Anhang des Stiftskapitels, so dass in Fulda von einem "Drei-Kurien-Landtag" gesprochen werden kann.

Arbeitsfelder

Den einzelnen Landständen ging es auf den Landtagen vorrangig darum, ihre Privilegien, aus denen ihnen wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Vorteile erwuchsen, zu behaupten. Um die Wirtschaftskraft der Stände für die Landesherrschaft abzuschöpfen, wollten die Äbte deren Privilegien beschneiden. In diesem Spannungsfeld bewegte sich ständische Mitwirkung an der Herrschaftsausübung. Die ständische Partizipation entsprang weniger einem grundsätzlichen Bedürfnis nach Teilhabe an der Landesherrschaft als dem Wunsch nach Aufrechterhaltung der sozialen Strukturen und der lokalen Herrschaftsverhältnisse. Vor allem beim Stiftskapitel und bei der Ritterschaft ergab sich daraus der Anspruch auf Mitsprache in Landesangelegenheiten.

In der institutionalisierten Herrschaftsteilnahme der Stände dominierte eindeutig der finanzielle Bereich: Reichs-, Land- und Kreissteuern, Modalitäten ihrer Aufbringung und ihrer Verwaltung einschließlich der Kreditsicherung. Diese Verhandlungsgegenstände auf den Landtagen waren durch die Propositionen der Fürstäbte bzw. der Administratoren vorstrukturiert, sie entsprachen aber auch den Bedürfnissen der Stände.

Eine eigenständige Finanzverwaltung konnten die Stände nicht institutionalisieren. Der Landesherr behielt Einfluss auf die Landesobereinnahme (die Landeskasse), in der die Steuergelder zusammenflossen. Er war aber an die Mitwirkung der Stände gebunden, die in der Landesobereinnahme personell ein Übergewicht besaßen. Immer wieder versuchten sie über das Steuerbewilligungsrecht Einfluss auf die Rechnungsführung zu nehmen. Hatte die Landesobereinnahme die erhobenen Gelder an den Landesfürsten bzw. seine Kasse weitergeleitet, entfiel aber die Kontrolle über die Verwendung der Steuern. Den Ständen fehlte die Macht, das Finanzgebaren der Landesfürsten wirklich zu kontrollieren, geschweige denn zu steuern. Dennoch lag in der Finanzverwaltung und in der Kreditsicherung das Verdienst der fuldischen Stände im Prozess der Ausbildung des Territorialstaates. Deren wichtigste Funktion war die finanzielle Sicherstellung der Landesherrschaft.

Neben der Steuerproblematik verblassten alle weiteren Verhandlungsgegenstände auf den Landtagen. Religiöse Opposition der Stände, vor allem des Adels und der Städte im 16. Jahrhundert, kam auf den Landtagen wenig zum Tragen. Die Frage der Religion wurde zwar vom Adel geradezu als Gradmesser seiner Autonomie betrachtet und war entsprechend umkämpft, kam aber nach 1541 nicht mehr vor das Forum des Landtags. In ihren Gravamina hoben die Stände vor allem auf die Höherbesteuerung der Juden, die Einschränkung der Steuerfreiheit der Jesuiten sowie Beiträge der Landesherrschaft zu den Reichssteuern ab. Bei der Ausweisung der Juden 1671 aus Stadt und Land durch Fürstabt Bernhard Gustav von Baden-Durlach (reg. 1666/71-1677) waren die Landstände unter Federführung der Städte – selbst um den Preis finanzieller Kompensationen – die treibende Kraft, benötigten dazu aber nicht mehr das Forum des nunmehr ohne die Ritter agierenden Landtags. Auch den späten Triumph ihrer Agitation gegen die Jesuiten, deren Ausweisung 1773, erlebten sie nicht mehr unter den Vorzeichen einer aktiven Ständevertretung. So muss man eine starke Selbstbeschränkung der Stände konstatieren.

Niedergang und Erbe der Landständischen Organisation

Die landständische Organisation hat in der zweiten Hälfte des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihre volle Ausprägung erfahren. Danach begann der Niedergang, für den vor allem drei Faktoren verantwortlich waren:

  1. die Bewilligung langfristiger Sondersteuern im Dreißigjährigen Krieg, welche dann zu Dauereinrichtungen wurden und ständische Steuerbewilligungen überflüssig machten,
  2. das Ausscheiden der Ritterschaft aus dem Territorialverband 1656, der das Stiftskapitel als einzige mächtige Standesvertretung zurückließ,
  3. die Politik dieses Stiftskapitels, ständische Befugnisse in seine regelmäßigen vierteljährlichen Beratungen mit dem Fürstabt zu transponieren.


Durch diese Entwicklungen wurden die Stände entscheidend geschwächt; Landtage wurden seitdem nur noch sporadisch, nach 1702 gar nicht mehr einberufen – die Steuern wurden von außerordentlichen zu regelmäßigen, die landständische Steuerverwaltung zu einem Anhängsel der fürstlichen. Die Kapitelsitzungen bewahrten immerhin bis zur Säkularisation 1802/03 einen Rest der (auch vorher immer nur als eingeschränkt zu bezeichnenden) "Landesrepräsentation".

Literatur

  • Karl Grossart, Die Landstände der Reichsabtei Fulda und ihre Einungen bis zum Jahre 1410, Fulda 1912.
  • Berthold Jäger, Auseinandersetzungen und Zusammenarbeit, in: Otto Berge/Berthold Jäger/Thomas Martin, Zwischen Kreuz und Lilie. Beiträge zur Geschichte Fuldas, Fulda 1994, 49-52.
  • Berthold Jäger, Das geistliche Fürstentum Fulda in der Frühen Neuzeit: Landesherrschaft, Landstände und fürstliche Verwaltung (Schriften des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde 39), Marburg 1986.
  • Berthold Jäger, Der "Würzburger Vergleich" vom 15. Mai 1656 zwischen dem Stift Fulda und der Buchischen Ritterschaft. Die Verhandlungen aus der Sicht der fuldischen Unterhändler, in: Fuldaer Geschichtsblätter 67 (1991), 27-57.
  • Berthold Jäger, Grundzüge der fuldischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte vom Ausgang des Mittelalters bis zur Bistumserhebung 1752, in: Walter Heinemeyer/Berthold Jäger (Hg.), Fulda in seiner Geschichte. Landschaft, Reichsabtei, Stadt (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 57), Fulda/Marburg 1995, 201-225.
  • Berthold Jäger, Territorium und Verwaltung des Hochstifts Fulda, in: Geschichte und Aufgaben des Landkreises Fulda. Monographie 175 Jahre Landkreis Fulda, hg. vom Kreisausschuss des Landkreises Fulda, Schriftleitung Stefan Waldmann, Fulda 1996, 18-50.
  • Berthold Jäger, [Fulda, St. Salvator.] Wirtschaftliche, rechtliche und soziale Verhältnisse, in: Die benediktinischen Mönchs- und Nonnenklöster in Hessen, in Verbindung mit Regina Elisabeth Schwerdtfeger bearbeitet von Friedhelm Jürgensmeier und Franziskus Büll (Germania Benedictina 7), Sankt Ottilien 2004, 271-340.
  • Hans Körner, Der Kanton Rhön-Werra der Reichsritterschaft in Franken, in: Josef-Hans Sauer (Hg.), Land der offenen Fernen. Die Rhön im Wandel der Zeiten, Fulda 1976, 53-113.
  • Hans Alfons Simon, Die Verfassung des geistlichen Fürstentums Fulda unter besonderer Berücksichtigung der nachgelassenen Manuskripte von Eugen Thomas (1758–1813) (Veröffentlichungen des Fuldaer Geschichtsvereins 12), Fulda 1912.
  • Rüdiger Teuner, Die fuldische Ritterschaft 1510–1656 (Rechtshistorische Studien 18), Frankfurt am Main/Bern 1982.
  • Gerrit Walther, Abt Balthasars Mission. Politische Mentalitäten, Gegenreformation und eine Adelsverschwörung im Hochstift Fulda (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 67), Göttingen 2002.
  • Uwe Zuber, Staat und Kirche im Wandel. Fulda von 1752 bis 1830 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 93), Marburg/Darmstadt 1993.

Quellen

  • Gregor Richter (Hg.), Statuta maioris ecclesiae Fuldensis. Ungedruckte Quellen zur kirchlichen Rechts- und Verfassungsgeschichte der Benediktinerabtei Fulda (Veröffentlichungen des Fuldaer Geschichtsvereins 1), Fulda 1904.
  • Eugen Thomas, Sistem aller fuldischen Privatrechte. Ein Beitrag zur Sammlung teutscher Provinzialrechte und Verfassungen. 3 Bände, Fulda 1788–1790.

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Empfohlene Zitierweise

Berthold Jäger, Landstände der Fürstabtei Fulda, publiziert am 9.11.2016; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Landstände der Fürstabtei Fulda> (28.03.2024)