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Landsmannschaften (nach 1945)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Der Politiker Georg Baron Manteuffel-Szoege (CSU, 1889-1962) war von 1957 bis 1959 einer der beiden Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, der neuen Dachorganisation aller Vertriebenen-Verbände in Deutschland. (Foto von Wulf-Henrik v. Krosigk, lizensiert durch CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons)
Linus Kather (CDU, BHE/GB, NPD, 1893-1983) auf einer Veranstaltung des Bundes für Heimatvertiebene, 20. Juli 1949. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv).
Dr. Hans Lukaschek, Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (1949-1953), hier beim Schlesier Heimattreffen am 31.7.1949. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv)

von Matthias Stickler

Die Landsmannschaften bildeten sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus deutschsprachigen Vertriebenen und sind nach wie vor deren Interessenverbände. Sie sind nicht zu verwechseln mit den studentischen Landsmannschaften, die sich an den Universitäten bildeten (vgl. Coburger Convent). Die Vertriebenen schlossen sich nach ihrer Herkunft (z. B. Schlesien, Ostpreußen, Sudetenland) zusammen, um ihre Interessen gemeinsam auf politischer und gesellschaftlicher Ebene zu vertreten. Bereits wenige Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gründete sich in München der erste landsmannschaftliche Verband der späteren Bundesrepublik Deutschland. Die Landsmannschaften vertraten lange Zeit einen stark provinziell und nostalgisch anmutenden und in weltanschaulich-ideologischer Hinsicht sehr selektiven Kulturbegriff, was verschiedentlich (stark) kritisiert worden ist. In den vergangenen Jahren kämpften alle Landsmannschaften mit u. a. von der Demographie verursachtem Mitgliederschwund und versuchten, sich neu zu positionieren; diese Neu- bzw. Umorientierung schlägt sich seither auch in der Umbenennung einiger landsmannschaftlicher Verbände nieder.

Entstehung und Entwicklung bis zur Gründung des BdV 1957/58

Erste landsmannschaftliche Organisationen bildeten sich trotz der Tatsache, dass die Westalliierten solche Gründungen durch eine restriktive Lizenzierungspolitik zu verhindern suchten, bereits 1945. Als überregionale Dachverbände entstanden die Landsmannschaften seit Ende der 1940er Jahre, so die Landsmannschaften Ostpreußen und Pommern 1948, die Landsmannschaften Westpreußen und Berlin-Brandenburg 1949, die Landsmannschaft Schlesien, die Landsmannschaft der Oberschlesier, die Sudetendeutsche und die Deutsch-Baltische Landsmannschaft 1950. In der Republik Österreich entstanden für die 1950 ca. 300.000 "volksdeutschen Flüchtlinge", wie sie dort genannt wurden, seit den frühen 1950er Jahren ebenfalls Landsmannschaften, die sich am 11. September 1954 zur "Arbeitsgemeinschaft volksdeutscher Landsmannschaften Österreichs" - heute "Verband der volksdeutschen Landsmannschaften Österreichs" (VLÖ) - zusammenschlossen.

In der Bundesrepublik Deutschland gründeten sich am 9. April 1949 in Frankfurt die "Vereinigten Ostdeutschen Landsmannschaften" (VOL). Dieser Dachverband ging zurück auf den im Herbst 1946 auf Initiative des aus Schlesien stammenden katholischen Geistlichen Georg Goebel (1900-1965) entstandenen "Hauptausschuss für Ostvertriebene" (seit Mai 1948 "Gesamtvertretung der deutschen Ostvertriebenen"). Die führenden Repräsentanten der Landsmannschaften waren allesamt Persönlichkeiten, die bereits in der Zwischenkriegszeit in der alten Heimat herausgehobene Positionen bekleidet hatten. Zu ihnen zählten u. a.:

Lebensdaten Regionale Herkunft Parteienzugehörigkeit
Walter von Keudell 1884-1973 Brandenburg DNVP, CNBLP, NSDAP, CDU
Hans Lukaschek 1885-1960 Schlesien Zentrum, CDU
Ottomar Schreiber (auch: Otomaras Sreiberis) 1889-1955 Ostpreußen (Memelland) MVP
Rudolf Lodgman von Auen 1877-1962 Sudetenland DNP
Hans Schütz 1901-1982 Sudetenland DCSVP, SdP, NSDAP, CSU
Herbert von Bismarck 1884-1955 Pommern DNVP
Axel de Vries 1892-1963 Baltikum DbPE, NSDAP, FDP

Ursprünglich eine reine Versammlung der Sprecher bzw. Vorsitzenden ohne größere Verbandsorganisation und Mehrheitsprinzip, wandelten sich die VOL gegen den Widerstand insbesondere der Schlesier und der Sudetendeutschen in den nächsten Jahren zu einem echten Dachverband und gründeten am 18. August 1952 in Bad Kissingen den "Verband der Landsmannschaften" (VdL). Besonders umstritten war die Stimmverteilung in der Sprecherversammlung gewesen, forderten die großen Landsmannschaften doch eine Stimmenspreizung nach Mitgliederzahl. Letztlich einigte man sich auf eine Art Kuriensystem:

Gruppe Stimmenzahl Unterteilung (mit Stimmenzahl)
Schlesische 16 12 Landsmannschaft Schlesien, 4 Landsmannschaft der Oberschlesier
Sudetendeutsche 13
Nordostdeutsche 15 5 Landsmannschaft Ostpreußen, 3 Pommersche Landsmannschaft, 1 Landsmannschaft Westpreußen, 1 Deutsch-Baltische Landsmannschaft, 1 Landsmannschaft Weichsel-Warthe, 1 Landsmannschaft der Litauendeutschen, 2 Bund der Danziger, 1 Landsmannschaft Berlin-Mark Brandenburg
Südostdeutsche 8 jeweils 1 Karpatendeutsche Landsmannschaft Slowakei, Landsmannschaft der Deutschen aus Jugoslawien, Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, Landsmannschaft der Buchenlanddeutschen, Landsmannschaft der Banater Schwaben aus Rumänien, Landsmannschaft der Deutschen a. Ungarn, Landsmannschaft der Deutschen a. Rußland, Gemeinschaft der deutschen Umsiedler aus Bessarabien mit der Landsmannschaft der Dobrudschadeutschen

Die Gründung des VdL, der in den folgenden Jahren unter seinem langjährigen Vorsitzenden, dem Vorsitzenden der Deutsch-Baltischen Landsmannschaft und CSU-Bundestagsabgeordneten Georg von Manteuffel-Szoege (CSU, 1889-1962), zu einem schlagkräftigen Interessenverband wurde, verfestigte die seit 1949 bestehende organisatorische Spaltung der Vertriebenen. Es gab zwar mehrere Anläufe zur Fusion mit dem ebenfalls 1949 gegründeten "Zentralverband vertriebener Deutscher" (ZvD) unter dem Namen "Bund vertriebener Deutscher" (BvD), doch scheiterten diese endgültig 1953. Dass der ZvD im Jahr darauf sich demonstrativ in BvD umbenannte, war so gesehen ein Etikettenschwindel, welcher allerdings insofern eine gewisse Berechtigung hatte, als einzelne Landesverbände, so z. B. Hessen, von sich aus die Einigung mit den Landsmannschaften vollzogen hatten.

Hauptgrund für das Scheitern der Bemühungen waren neben der Problematik, dass die Landsmannschaften traditionell untereinander zerstritten waren, und persönlichen Animositäten zwischen einzelnen Handlungsträgern die Ambitionen des mächtigen ZvD-Vorsitzenden Linus Kather (CDU, GB/BHE, NPD, 1893-1983) auf das Amt des Bundesvertriebenenministers. Dass es am 27. Oktober 1957 (bzw. endgültig am 14. Dezember 1958) schließlich doch zur Gründung des nun "Bund der Vertriebenen. Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände" (BdV) genannten Einheitsverbandes kam, hängt maßgeblich damit zusammen, dass sich in beiden Verbänden die Erkenntnis durchsetzte, dass das bisher praktizierte Gegeneinander kontraproduktiv war. Kather war zuvor von seinem eigenen Verband weitgehend entmachtet worden und zog sich verbittert aus der Politik zurück.

Bei der inneren Organisation der Landsmannschaften unterscheidet man Gebietsgliederung und Heimatgliederung. Die Gebietsgliederung bezieht sich auf die heutige Bundesrepublik Deutschland, d. h. es existieren unterhalb des Bundesverbandes analog zum Verwaltungsaufbau der Länder Landes-, Bezirks-, Kreis- und Ortsverbände. Die Heimatgliederung orientiert sich an den früheren Verhältnissen in den Heimatgebieten, d. h. abgebildet werden die Heimatkreise bzw. Heimatorte der Mitglieder ohne Rücksicht auf deren heutigen Wohnort; damit sollte das Zusammengehörigkeitsgefühl der Vertriebenen in der neuen Heimat gestärkt werden. Für die Gegenwart ist festzustellen, dass insbesondere die Kreis- und Ortsverbände erhebliche Nachwuchsprobleme haben, weshalb deren Aktivitäten nicht selten einschlafen bzw. ihr Weiterbestehen in Frage gestellt ist; ähnliche Probleme haben auch viele Heimatkreis- und Heimatortsvereinigungen.

Bemerkenswert ist, dass die im VdL bzw. BdV zusammengeschlossenen Landsmannschaften von Anfang an insofern eine Art Alleinstellungsmerkmal besaßen, als die Gründung alternativer, ähnlich ausgerichteter Organisationen außerhalb des Dachverbands nicht gelang. Vertriebene, die - aus welchen Gründen auch immer - mit den bestehenden Landsmannschaften nichts zu tun haben wollten, ignorierten diese in der Regel; die Gründung von Konkurrenzorganisationen – zumeist Links- oder Rechtsabsplitterungen bestehender Vertriebenenorganisationen – erwies sich als nicht erfolgreich.

Programmatik und verbandspolitisches Auftreten

Aus organisationssoziologischer Sicht stellen Landsmannschaften - durchaus in Einklang mit ihrem Selbstverständnis - einen älteren Verbandstypus dar, der auffällige Gemeinsamkeiten mit vormodernen, ständischen Vereinigungen aufweist: Gruppenloyalitäten und Gemeinschaftsnormen stellen über den rationalen Vereinszweck und individuelle Nutzenerwägungen hinaus einen nicht zu unterschätzenden emotionalen Kitt dar, der ihnen teilweise bis heute Loyalität und Mobilisierbarkeit ihrer Mitglieder sichert. Der "landsmannschaftliche Gedanke" basiert, so Ingeborg Zeiträg, auf der Überlegung, dass die als gegeben angenommene "stammesmäßige" Zusammengehörigkeit der ostdeutschen Vertriebenen, losgelöst von der einstigen Heimat, den bis 1945 vorhandenen sozialen Beziehungen und dem fortschreitenden Generationenwandel, auch in der Bundesrepublik aufrechterhalten werden muss, um eine Assimilation unmöglich zu machen.

Unter Integration verstanden die Landsmannschaften denn auch vor allem die Aufrechterhaltung der Sonderstellung der Volksgruppe. Die gern gebrauchte Unterscheidung zwischen Erlebnis- und Bekenntnisgeneration ist Ausdruck dieser Bemühungen. Mit der Schaffung eines erblichen Vertriebenenstatus im Bundesvertriebenengesetz von 1953, dessen sichtbarer Ausdruck der Vertriebenenausweis war, wurde dieses Selbstverständnis gleichsam bundesgesetzlich anerkannt. Erst das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (KfbG) von 1992 beendete diese Praxis. Eine wichtige Wurzel des landsmannschaftlichen Gedankens waren Erfahrung und Denkweise derjenigen Vertriebenen, die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in einer Minderheitensituation gelebt hatten, etwa die Deutschbalten, die Westpreußen, die (Ost-)Oberschlesier, v. a. aber die Sudetendeutschen. Dies zeigt insbesondere der Begriff "Volksgruppe", der ursprünglich nur von den auslandsdeutschen Minderheiten verwendet wurde. Von wichtiger Bedeutung für das Wir-Gefühl der Landsmannschaften war die Vorstellung von einer "stammesbedingten Eigenheit", die auf besondere Stammeseigenschaften bzw. –tugenden rekurrierte und durch die Darstellung eines gruppenspezifischen Brauchtums- und Kulturbildes symbolisiert wurde. Letztlich stellt dieses Selbstverständnis überwiegend eine Konstruktion ex post dar, zumal in den Landsmannschaften häufig auf keineswegs altehrwürdige, sondern dem nationalistisch aufgeladenen Zeitgeist der 1920er und 1930er Jahre verpflichtete Traditionen zurückgegriffen wurde.

Der von den Landsmannschaften vertretene Kulturbegriff trug zudem stark provinzielle und nostalgische Züge und war gerade auch in weltanschaulich-ideologischer Hinsicht sehr selektiv. So wurde beispielsweise das reiche jüdische Erbe des ehemaligen deutschen Ostens in der landsmannschaftlichen Erinnerungskultur überwiegend ausgeblendet, ebenso – sieht man von Ausnahmen wie der sudetendeutschen Seliger-Gemeinde ab – spezifisch linke Traditionen. Der Nutzbarmachung der landsmannschaftlichen Identität für politisches Handeln bzw. der Einforderung von Loyalität gegenüber den Zielen der Vertriebenenverbände diente die Propagierung einer spezifischen Gruppenmoral, die an überindividuelle hohe Ziele (Dienst an der Nation, an der Menschheit) appellierte und gleichzeitig moralische Kräfte ("Heimattreue", "Opfersinn") freisetzen sollte. Dem landsmannschaftlichen Wir-Gefühl korrespondiert notwendigerweise die Sphäre der nicht zur Landsmannschaft Gehörenden bzw. derjenigen, die den Zielen der Landsmannschaft ablehnend gegenüberstehen: Im Verhältnis zu den westdeutschen Einheimischen wurde die Vermutung, man vertrete partikulare Interessen, zurückgewiesen und vielmehr der Gedanke der nationalen Avantgarde betont, d. h. die Repräsentanten der Landsmannschaften nahmen für sich in Anspruch, gleichsam stellvertretend für die Gesamtnation und im gesamtdeutschen Interesse zu handeln. Damit verbunden war eine massive Frontstellung gegenüber Kritikern der Verbandspolitik.

Der Anspruch der Landsmannschaften, die deutschen Ostgebiete bzw. deren vertriebene Bewohner in ihrer regionalen Vielfalt zu repräsentieren und so eine gesamtdeutsche Aufgabe wahrzunehmen, bedeutete im Kern nichts anderes, als dass diese sich als quasi Zwangsorganisationen verstanden, der sich die "Schicksalsgefährten" weder entziehen konnten noch durften. Rein rechtlich gesehen waren die Landsmannschaften dagegen bürgerliche Vereine, die lediglich für ihre Mitglieder sprechen konnten, und das waren bereits Mitte der 1950er Jahre mit Ausnahme der Deutsch-Baltischen Landsmannschaft durchweg weniger als 30 % der jeweiligen Klientel. Von Anfang an ging deshalb das Bestreben der Landsmannschaften dahin, ihren Status in irgendeiner Form öffentlich-rechtlich abzusichern. Obgleich dies misslang, gestalteten die Landsmannschaften ihre innere Organisation dennoch staatsähnlich (bzw. exilregierungsähnlich) aus und hielten weiterhin an ihrem Alleinvertretungsanspruch fest.

Fortgesetzt wurden trotz der Gründung des BdV 1959 Bemühungen, unterhalb der öffentlich-rechtlichen Ebene zu einer engeren Zusammenarbeit der Landsmannschaften zu kommen. So existierte auch unter dem Dach des BdV weiterhin eine ständige Arbeitsgemeinschaft der Sprecher der Landsmannschaften. Ebenso fanden nach 1959 die auf den in der früheren VdL-Satzung festgeschriebenen Gruppen aufbauenden Lagerbildungen unter den Landsmannschaften eine Fortsetzung: auf der einen Seite die Sudetendeutschen mit ihrem südostdeutschen Anhang, auf der anderen Seite die reichsdeutschen mit ihrem nordostdeutschen Anhang. Nicht immer eindeutig zuzuordnen waren die selbstbewussten und gut organisierten Deutschbalten und Oberschlesier. Die Westpreußen und die Landsmannschaft Weichsel-Warthe standen ein wenig am Rande, ebenso die ganz kleinen Landsmannschaften (etwa die Russland- oder die Bessarabiendeutschen).

Wegen grundlegender Meinungsverschiedenheiten im Hinblick auf die Reichweite der territorialen Ansprüche der Landsmannschaften im Fall einer Revision der "Potsdamer Grenzen" Deutschlands verschärfte sich seit den späten 1950er Jahren der Gegensatz zwischen den – bezogen auf die Grenzen von 1937 – "reichsbezogenen" Landsmannschaften und der Sudetendeutschen Landsmannschaft immer mehr. Deshalb gründeten die reichsbezogenen Landsmannschaften 1959 die "Arbeitsgemeinschaft ostdeutscher Provinzen", später "Ständiger Rat der ostdeutschen Landesvertretungen" - einen anfangs lockeren Zusammenschluss der Landsmannschaften Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Berlin-Mark Brandenburg, Schlesien und Oberschlesien, der als Interessenvertretung aber zunehmend an Einfluss gewinnen konnte. Wie der Name bereits sagt, baute der Rat auf den einzelnen parlamentsähnlichen Landesvertretungen auf und stellt damit den Versuch dar, unterhalb der staatsrechtlichen Ebene so etwas wie eine parlamentarische Vertretung der Deutschen aus den Oder-Neiße-Gebieten aufzubauen.

Landsmannschaften in Bayern

Die "Sudetendeutsche Hilfsstelle", die am 12. Juli 1945 in München gegründet wurde, war die erste landsmannschaftliche Gründung in Deutschland überhaupt. Die Entwicklung der Landsmannschaften in Bayern entspricht zwar grundsätzlich der im Bund, es gibt allerdings auch ein paar charakteristische Unterschiede: Zu nennen ist hier insbesondere der große Anteil sudetendeutscher Heimatvertriebener im Freistaat (1950 ca. 53 % aller in Bayern lebenden Vertriebenen), was zur Folge hatte, dass die Sudetendeutsche Landsmannschaft (SL) seit den 1950er Jahren eine gleichsam privilegierte Stellung in Bayern besitzt, die insbesondere in der seit 1954 bestehenden Schirmherrschaft Bayerns über die Sudetendeutschen ihren Ausdruck findet. Die Integration der sudetendeutschen Sozialdemokraten hatte für die Geschichte der bayerischen SPD weitreichende Folgen, weil das sozialdemokratische Milieu insbesondere in Altbayern dadurch gestärkt wurde.

Weitere wichtige Vertriebenengruppen in Bayern waren bzw. sind die Schlesier (1950 ca. 24 %) und die Ostpreußen (1950 ca. 5 %). Der Landsmannschaft Ostpreußen gelang es 1978, ein Patenschaftsabkommen mit dem Freistaat Bayern abzuschließen, wobei aber die SL durch gezielte Lobbyarbeit durchzusetzen verstand, dass ihre Sonderstellung davon nicht berührt wurde. Von 1993 bis 2007 hielt die Landsmannschaft Schlesien ihr alle zwei Jahre traditionell in Hannover stattfindendes Deutschlandtreffen in Nürnberg ab, weil die von 1990 bis 2003 in Niedersachsen regierende SPD zur Landsmannschaft auf Distanz gegangen war; Niedersachsen hatte 1950 die Patenschaft über die Landsmannschaft Schlesien übernommen. Die Stadt Dinkelsbühl (Lkr. Ansbach) schloss am 25. Mai 1985 ein Partnerschaftsabkommen mit der in München ansässigen Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, welches ideell alle Siebenbürger Sachsen einschließt. Bereits seit 1951 finden in der mittelfränkischen Stadt alljährlich zu Pfingsten die Heimattage der Siebenbürger Sachsen statt.

Generell lässt sich sagen, dass die Landsmannschaften in Bayern seit den späten 1950er Jahren die besondere Unterstützung und Förderung der CSU genossen. Dies geschah, nachdem diese auf die mit ihr um die gleichen Wähler konkurrierende Bayernpartei (BP) keine Rücksicht mehr nehmen musste, mit dem Ziel, im Wettbewerb mit SPD und BHE das von den Landsmannschaften repräsentierte Wählerpotential zu gewinnen und dauerhaft zu sichern. Die Fernwirkungen dieser Politik sind bis heute spürbar.

Ausblick

Bei den Landsmannschaftern ist seit den 1960er Jahren ein ähnlicher Bedeutungs- und Mitgliederverlust zu beobachten wie beim Dachverband BdV insgesamt. Dennoch erwies sich das landsmannschaftliche Organisationsprinzip bis heute in gewissem Sinne als tragfähig. Der Hauptgrund dafür dürfte in dem erwähnten emotionalen Kitt zu sehen sein, den der "landsmannschaftliche Gedanke" einem Teil der Vertriebenen und ihren Nachkommen immer noch bietet, die nicht nur eine bloße Interessenvertretung, sondern Anschluss an eine "Heimatfamilie" (Ingeborg Zeiträg) suchen. Wohl vor allem deshalb existieren die Landsmannschaften nach wie vor. Als Akteure im politischen System spielen sie heute - sieht man von Ausnahmen wie etwa der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Bayern ab - keine tragende Rolle mehr. In jüngster Zeit wird das überkommene landsmannschaftliche Selbstverständnis vereinzelt hinterfragt bzw. neu interpretiert: So benannte sich die in Darmstadt ansässige Deutsch-Baltische Landsmannschaft 2006 in Deutsch-Baltische Gesellschaft um; die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen heißt seit 2007 "Verband der Siebenbürger Sachsen".

Literatur

  • Pertti Ahonen, After the expulsion. West Germany and Eastern Europe 1945-1990, Oxford/New York 2003.
  • Jutta Faehndrich, Eine endliche Geschichte. Die Heimatbücher der deutschen Vertriebenen (Visuelle Geschichtskultur 5), Köln 2011.
  • Bernhard Fisch, Wir brauchen einen langen Atem. Die deutschen Vertriebenen 1990-1999. Eine Innenansicht, Jena 2001.
  • Michael Schwartz, Funktionäre mit Vergangenheit. Das Gründungspräsidium des Bundesverbandes der Vertriebenen und das "Dritte Reich", München 2013.
  • Matthias Stickler, "Ostdeutsch heißt Gesamtdeutsch" - Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzungen der deutschen Vertriebenenverbände 1949-1972 (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 46), Düsseldorf 2004.
  • Matthias Stickler, Vertriebenenintegration in Österreich und Deutschland - ein Vergleich, in: Michael Gehler/Ingrid Böhler (Hg.), Verschiedene europäische Wege im Vergleich. Österreich und die Bundesrepublik Deutschland 1945/49 bis zur Gegenwart. Festschrift für Rolf Steininger zum 65. Geburtstag, Innsbruck 2007, 416-435.
  • Manfred Max Wambach, Verbändestaat und Parteienoligopol. Macht und Ohnmacht der Vertriebenenverbände, Stuttgart 1971.
  • Ingeborg Zeiträg, Die Selbstdarstellung der deutschen Vertriebenenverbände als Reflex ihrer gesellschaftlichen Situation, Diss. Hamburg 1970.

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Matthias Stickler, Landsmannschaften (nach 1945), publiziert am 18.02.2013; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Landsmannschaften_(nach_1945)> (29.03.2024)