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Ländliche Sozialstruktur in Altbayern (Spätmittelalter/Frühe Neuzeit)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Ergolding bei Landshut mit Piflas und Albing sowie der Isar im Vordergrund, um 1689. Neben dem Dorf prägten Weiler und Einödhof das ländliche Siedlungsgefüge in Altbayern. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Plansammlung 21234)

von Martin Hille

Obwohl sich die Auflösung der hochmittelalterlichen Fronhofsverbände mancherorts weit über das 13. Jahrhundert hinzog, bildeten Dorf, Weiler und Einzelhof längst die dominanten Siedlungsformen Altbayerns. Darüber hinaus wuchs der Anteil jener Anweseninhaber, die nicht mehr allein von der Landwirtschaft leben konnten, sondern Zusatztätigkeiten im Saisonhandwerk und Tagwerk nachgehen mussten. Seit dem ausgehenden Mittelalter bürgte sich für diesen Teil der ländlichen Gesellschaft die Sammelbezeichnung "Söldner" ein, im Gegensatz zu den "Bauern", die ihren Lebensunterhalt meist allein aus der Landwirtschaft bestreiten konnten. Quer zu diesen beiden Hauptgruppen des Dorfes verliefen die vielfältigen rechtlichen und sozialen Trennlinien, wenngleich diese ab dem 15. Jahrhundert etwas an Schärfe verloren.

Quellen- und Forschungsstand

Während die ländlichen Sozialstrukturen Altbayerns für das Spätmittelalter weitgehend unerforscht sind, liegen für die Frühe Neuzeit mittlerweile zahlreiche Regional- und Lokalstudien vor. Hervorzuheben sind für Ober- und Niederbayern die Beiträge von Helmut Rankl, Pankraz Fried (1931-2013), Rainer Beck (geb. 1950) und Renate Blickle. Für die weniger erforschte Oberpfalz haben besonders die Studien von Walter Hartinger (geb. 1940) wichtige Erkenntnisse geliefert.

Obwohl die Palette der einschlägigen Quellen recht breit ist, fließen in diese weit überwiegend die Aussagen der verschiedenen dörflichen Herrschaftsträger ein. Neben dem Vogtei-, Patronats-, Grund-, Gerichts- und Hofmarksherrn zählten dazu der Landes- und Lehensherr sowie der Pfarrer. Diese führten Traditionsbücher, Urbare, Stifts-, Saal- und Lehenbücher, aber auch Zehnt-, Musterungs- , Steuer- und Herdstättenregister, Steuerbeschreibungen, Pfarrmatrikeln, Seelenbeschreibungen sowie Brief- und Gerichtsprotokolle.

Als kritische Editionen liegen zunächst spätmittelalterliche Urbare und Rechnungsbücher des Herzogs und der Prälatenklöster vor, besonders im Rahmen der Reihe "Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte". Allerdings erlauben diese Amtsbücher nur begrenzte Rückschlüsse auf die ländlichen Sozialstrukturen und den ländlichen Alltag. Umso wichtiger erscheinen ländliche Rechtsquellen, allen voran Editionen von Dorf-, Gemeinde- Ehaft- und Hofmarksordnungen aus dem 14. bis 17. Jahrhundert. Nachdem die umfassende Sammlung ländlicher Rechtsquellen Altbayerns von Heinz Lieberich (1905-1999) im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen ist, haben die jüngeren Editionen von Hartinger und Fried zumindest teilweise Ersatz geschaffen.

Kriterien sozialer Differenzierung auf dem Land im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit

Kennzeichnend für das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit war die starke Differenzierung der Landbewohner nach ihrem Rechtsstatus, ihren sozialen Rollen innerhalb der Dorfgemeinschaft sowie ihrer Positionierung gegenüber den verschiedenen Herrschaftsträgern. Dementsprechend definierte sich die soziale Stellung der "Leute und Hintersassen" nicht allein über Besitz und Vermögen, sondern auch über die Leiherechte und den Grad der Teilhabe an der "Gmein".  

Der Einfluss der Leiherechte auf die soziale Position der Stelleninhaber

Am besten gestellt waren in dieser Hinsicht die Eigentümer der frei eigenen Güter, die noch im 18. Jahrhundert besonders häufig in den kleinen Gerichten um Ingolstadt und um Regensburg begegnen. Kennzeichnend für diese Stellen war die Freiheit von Abgaben an einen Lehens- oder Grundherrn. Außerdem verfügten die Freieigner frei über ihren Besitz, konnten ihn also teilen, veräußern und vererben. Auch die Inhaber der Bauern- oder Beutellehen hatten das Recht der freien Vererbung und Teilung, während Kriegsdienste - mit Ausnahme der Reichsgrafschaft Haag - schon im 15. Jahrhundert kaum eine Rolle mehr spielten. Wie auf den freieigenen Gütern lasteten auf den Beutellehen keine regelmäßigen Geld- und Naturalabgaben, wenngleich bei jedem Besitzwechsel sowie beim Tod des Lehensherrn das sogenannte "Lehenreich" und die Verwaltungsgebühren anfielen. Auffällig viele Bauernlehen konzentrierten sich im 18. Jahrhundert in der mittlerweile wittelsbachisch gewordenen Reichsgrafschaft Haag, entlang von Vils und Rott sowie im Pfleggericht Neuötting.

Schlechter gestellt als die Freieigner und Lehner war die breite Mehrzahl jener Bauern und Söldner, die einem Grundherrn unterstanden und ihre Anwesen zu Erbrecht, Leibrecht, Frei- oder Neustift innehatten. Am günstigsten war das Erbrecht, dessen Hauptverbreitungsgebiet im 18. Jahrhundert in den kurfürstlichen Kastenämtern Landshut, Straubing, Burghausen und Wasserburg lag. Da eine Einziehung des Anwesens und eine sukzessive Heraufsetzung der Abgaben beim Besitzwechsel kaum möglich war, konnte sich der Erbrechtler gegenüber seinem Grundherrn besser positionieren als etwa der Freistifter. Bei letzterer, jederzeit kündbaren Form der Hofvergabe mit beliebiger, meist einjähriger Leihfrist waren die Holden weitgehend von der Gunst ihres Herrn abhängig. Seit dem 15. Jahrhundert auch als "Herrengunst" oder "Herrengnad" bezeichnet, ließen sich bei der Freistift zudem Abgabenerhöhungen leichter durchsetzen.

Dagegen handelte es sich bei der seit dem 16. Jahrhundert ausbreitenden Sonderform der "Veranleiten Freistift" laut Bayerischen Landrecht von 1616 um eine Besitzgerechtigkeit mit Brief und Siegel. Außerdem gewährleistete der Gesetzgeber im Fall der Abstiftung den Fortbestand der Erbansprüche der Nebenerben sowie die Auszahlung ihrer Abfindungsforderungen. Der Status des Veranleiten Freistifters näherte sich in dieser Hinsicht dem des Erbrechtlers, ansonsten blieb er weiterhin stark von der Gunst seines Herrn abhängig.

Während ein Großteil der Hofstellen bis weit ins 14. Jahrhundert freistiftweise verliehen wurde, war dies im 18. Jahrhundert noch vornehmlich in den Gerichten am Lechrain zwischen Rain (Lkr. Donau-Ries) und Schongau (Lkr. Weilheim-Schongau) der Fall. Ansonsten waren zahlreiche Herren, allen voran der Landesherr, zwischenzeitlich zur Vergabe von Erb- oder Leibrecht (Leibgeding) übergegangen. Während das auf Lebenszeit des Grundholden vergebene Leibrecht im 18. Jahrhundert besonders in den alpennahen Regionen verbreitet war, dominierten die auf Lebenszeit des Herrn genutzten Neustift-Güter in den Grundherrschaften der Ortskirchen.

Insgesamt kennzeichnete die bayerische Agrarverfassung noch im 18. Jahrhundert die Dominanz schlechter, nicht-erblicher Besitzrechte. Dagegen hatte die Mehrzahl der Untertanen im Erzstift Salzburg, der gefreiten Grafschaft Tirol, der Fürstpropstei Berchtesgaden und in den ostfränkischen Territorien teilweise schon vor dem 16. Jahrhundert die Erblichkeit der Güter erlangt.

Unterschiedliche Positionen innerhalb der Gemeinde und gegenüber den Herren

Mehr oder weniger eng mit dem Besitzrecht hing die jeweilige Position innerhalb der Gemeinde und gegenüber dem Grund-, Vogtei-, Patronats-, Zehnt- und Leibherrn zusammen. Dies galt im Besonderen für das 13. und 14. Jahrhundert, als die Landesherrschaft noch nicht so stark ausgebildet war. So nahmen gerade in den Grundherrschaften der Prälatenklöster die sogenannten Ammänner, Amtmänner oder Güterpröpste eine herausgehobene Stellung ein. Als unterstes Glied der grundherrlichen Verwaltung stellten sie nicht selten den größten Bauern im Dorf mit einem breiten Aufgabenfeld von der Überwachung der grundherrlichen Abgabenverpflichtungen, über die Einholung des Zehnten bis zur Bekanntgabe grundherrlicher Anordnungen am Stifttag ("Bauding").

Darüber hinaus konnte der Amtmann eine Schlüsselrolle innerhalb der Dorfgemeinde spielen, insbesondere bei der Abstimmung der Gemeindenutzungen von Wald, Weide und Flur sowie der Weisung des Rechts im Rahmen des "Ehhaftteiding". So hing der jeweilige Status der Anweseninhaber auch vom Grad ihrer Teilhabe an der dörflichen "Gmein" sowie ihrer Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der "Rechtler" respektive der "nachpaurn" oder "nachbarn" ab. Umgekehrt standen diejenigen am untersten Ende der dörflichen Hierarchie, die nicht zu dieser Gemeinschaft gehörten, und damit auch von den Gemeindenutzungsrechten an Wald, Weide, Wegen und Wasser ausgeschlossen blieben.

Güterbezeichnungen und soziale Gliederung im 14. und 15. Jahrhundert

Insgesamt kannten gerade das 14. und 15. Jahrhundert keine festen Kriterien sozialer Differenzierung – weder in personeller, dinglicher noch beziehungsrechtlicher Hinsicht. Dafür listen die Urbare und Stiftsbücher sowie die Dorf- und Hofmarksordnungen eine Vielfalt von Berufen und Funktionen auf. Neben Dienern, Amtleuten, Maiern, Sedlmaiern, Hubern, Lehensleuten, Erbleuten, Zensualen und Freistiftern begegnen darin ferner unter anderem Eigenleute, Söldner, Fischlehner, Bierlehner, Hintersassen und Inleute. Über das 18. Jahrhundert hinaus korrespondierten diese Funktionen oft mit den Bezeichnungen der Anwesen, auf denen diese ausgeübt wurden. So begegnen in den Quellen neben dem Maierhof, Sedelhof und Amtshof ferner die Fisch- und Bierlehen. Hinzu kommt die Hube, der Halbhof, der Viertelhof und das Lehen sowie seit dem 14. Jahrhundert immer häufiger die Sölde.

Für eine angemessene Veranlagung und Verteilung der seit dem 15. Jahrhundert wachsenden Steuer-, Scharwerks- und Verteidigungslasten durch die landesherrlichen Amtsträger erwies sich diese Vielfalt der Güterkategorien als eher ungeeigneter Parameter. Nicht von ungefähr gingen die ersten Initiativen zur Systematisierung und Vereinheitlichung der Hoftypen von der herzoglichen Bürokratie aus. So folgten die Güterklassifikationen in den Amtsbüchern der Herzöge von Bayern-Landshut wahrscheinlich erstmals 1445 dem sogenannten "Hoffuß". Dieser setzte ein Raster vom Hof über die Hube oder Halbhof, das Lehen oder Viertel bis zur Sölde. In den folgenden Jahrhunderten wurde dieses Klassifikationsschema weiter ausdifferenziert, bis sich im späten 17. Jahrhundert ein Parameter vom 1/1-Hof bis zum 1/32- Hof durchsetzte.

Schriftlichen Niederschlag fand dieser Prozess nur in den landesherrlichen Steuer- Scharwerks- und Musterungsregistern, während die grundherrlichen Stifts-und Saalbücher teilweise noch im 18. Jahrhundert die älteren Güterkategorien aufführten. Darüber hinaus ist nach wie vor umstritten, auf welchen Kriterien das Hoffußsystem basierte. Insgesamt geht die Tendenz der neueren Forschung dahin, den Hoffuß weniger als Besitzgröße, denn als Besitzeinheit zu begreifen, die je nach Standort und Ertrag sehr unterschiedliche Flächenausstattungen aufweisen konnte.

Das Vordringen der Landesherrschaft in das ländliche Sozialgefüge

Obschon die meisten Dorfbewohner mehreren Herren zugleich dienten, konnte sich der Landesherr bereits im Lauf des 13. Jahrhunderts vielerorts als stärkster Herrschaftsträger durchsetzen. Als wichtigstes Instrument dienten offenbar die umfassenden Vogtei- und Hochgerichtsbarkeitsrechte ausgestorbener und verdrängter Edelfreiengeschlechter. Seit dem 14. und besonders seit dem 15. Jahrhundert drang die Herzogsgewalt dann auch in den Bereich der geistlichen und adeligen Grundherrschaften vor.

In der Folge traten die "Leute", respektive "Hintersassen", der verschiedenen Herren in ein unmittelbareres Verhältnis zur Landesherrschaft. Vor dem Hintergrund der Wittelsbacher Hauskriege zwischen 1394 und 1447, den Hussitenkriegen (1419-1436) sowie der wachsenden Türkengefahr beschleunigte sich dieser Prozess. Symptomatisch hierfür war nicht nur die zunehmende Heranziehung der Dorfbewohner zu militärischen Aufgaben im Rahmen des Landesaufgebots, sondern auch die stärkere Belastung durch landesherrliche Scharwerksleistungen und Steuern.

Damit einher ging ein Normierungs- und Kodifizierungsprozess, der seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts durch das Landrecht vorangetrieben wurde. Die älteren Hofrechts- und Gemeindeverbände wurden schrittweise vom Landrecht ausgehöhlt, ein Prozess der mit dem Allgemeinen Landrecht von 1616, das den nieder- und oberbayerischen Rechtskreis vereinte, einen ersten Höhepunkt erreichte.

Ländlicher Strukturwandel im Zeichen der Söldenansiedlung

Vieles deutet darauf hin, dass die Kategorien "Nahrung" und "Eigentum"  für die soziale Stellung des Landmanns seit dem 15. Jahrhundert noch an Bedeutung gewannen. Besonders der entstehende Finanz- und Steuerstaat begann ein scharfes Auge auf den ländlichen Eigentums- und Ressourcentransfer zu werfen. So standen die ländlichen Eigentumsstrukturen schon seit dem 13. Jahrhundert im Zeichen von Hofteilungen sowie eines Anstiegs der Kleinstelleninhaber, allen voran der Söldner. Indes sind die Hintergründe dieses Phänomens bis heute nicht eingehender erforscht worden. Besser sieht es mit unserer Kenntnis für das 16. bis 18. Jahrhundert aus. Demnach trieb das starke Bevölkerungswachstum zwischen der Mitte des 15. Jahrhunderts und dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges den Prozess der Söldenkolonisation wesentlich voran. Während die klösterlichen Grundherrn dazu tendierten, viele neue Kleinstellen aus größeren Gütern herauszubrechen, kam es besonders in den Pfleggerichten entlang des Lechs und westlichen von München zu Ansiedlungen großen Stils auf Gemeindeland.

Im Rentamt München lag der Söldenanteil im Jahr 1596 den Berechnungen Rankls zufolge bei 58 %, in den Rentämtern Straubing, Landshut und Burghausen dagegen bei 49,5, 47,8 und 37,2 %.  Am höchsten fiel die Söldenquote um 1600 mit 76 bis 98 % in den Gerichten Donaustauf und Stadtamhof bei Regensburg aus, wo damals der Weinbau noch eine wichtige Rolle spielte. Dicht darauf folgten die Landgerichte entlang des Lechs zwischen Rain und Schongau sowie die Donaugerichte Abensberg und Neustadt mit 60 bis 75 %. Deutlich niedriger - bei nur 17 bis 30 % - lag die Quote der Kleinstelleninhaber in den alpennahen Gerichten Tegernsee, Aibling und Rosenheim. Relativ niedrige Söldenanteile von 24 bis 34 % wurden ferner für die Gerichte des Bayerischen Waldes zwischen Kötzting (Lkr. Cham) und Grafenau (Lkr. Freyung-Grafenau) ermittelt.

Schwerpunkte der Söldenansiedlung vom 14. bis 18. Jahrhunderts bildeten die zahlreichen adeligen und geistlichen Hofmarken Altbayerns. Plan der Hofmark Eismannsberg im Landgericht Sulzbach aus dem 16. Jahrhundert (Ausschnitt). Fürstentum Pfalz-Neuburg. (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Plansammlung 7133)

Als Schwerpunkt der Söldenverdichtung kristallisiert sich der westlich der Linie Kelheim-Moosburg-Ebersberg und entlang der Donau verbreitete Siedlungstyp des Haufendorfs heraus. Ganz vorne standen die Hofmarksdörfer als Mittelpunkte adeliger, geistlicher und landesherrlicher Grundherrschaften, nachdem sich die Verdichtung des Landgewerbes sowie des Tag- und Handwerks schon im 14. Jahrhunderts auf diese Orte konzentriert hatte.

Bereits vor der Mitte des 14. Jahrhunderts muss die Zahl der Kleinstellen vielerorts so hoch gewesen sein, dass das Oberbayerische Landrecht von 1346 Ansiedlungsbeschränkungen verordnete. Inwieweit der bald darauf einsetzende Bevölkerungsrückgang infolge der schweren Pestwellen ab 1348/51 eine vorläufige Unterbrechung der Söldenkolonisation bewirkte, ist bislang nicht eingehender untersucht worden. Immerhin liefern die jüngeren Studien und Editionen von Rolf Kießling (geb. 1941), Michael Toch (geb. 1946), Bernhard Lübbers (geb. 1976) und Hermann Lickleder (geb. 1944) gewichtige Indizien für eine weitgehende Verschonung der altbayerischen und ostschwäbischen Territorien vom Schwarzen Tod der Jahre 1348/51. Wie schwer die Bevölkerungsverluste nach der zweiten und dritten Pestwelle von 1356 und 1380 ausfielen, wurde dagegen kaum untersucht. Dafür konnten von Heinrich Rubner (1925-2017) Abwanderungen vom Land in die aufblühenden Städte nachgewiesen werden. Im Fall der ländlichen Siedlungen der Münchner Schotterebene beschränkte sich dieser Drang in die Städte allerdings nur auf die Jahrzehnte von 1340 bis 1400. Spätestens ab Mitte des 15. Jahrhunderts muss die Bevölkerung in den meisten Landregionen Altbayerns wieder stärker gestiegen sein, ein Trend, der sich im 16. Jahrhundert fortsetzte und bis zum Dreißigjährigen Krieg ungebrochen anhielt.

Seit dem 16. Jahrhundert unterscheiden die Quellen immer häufiger zwischen den "Bausöldnern" einerseits und den "Leersöldnern" andererseits. Während Erstere oft einen bescheidenen Ackerbau betrieben, besaßen Letztere bestenfalls ein kleines Haus samt Garten, jedoch keine Äcker und Wiesen. Von den Leersöldnern nicht scharf zu trennen waren die sog. "Inleute". Zum Teil handelte es sich um Austrägler, Tagelöhner und Witwen, die mit auf den bäuerlichen Anwesen lebten, wie dies in der frühen Neuzeit häufig in den Gerichten entlang von Lech und Donau der Fall war. Im Unterschied dazu bewohnten die Inleute in den ostbayerischen Streusiedlungsgebieten oft ein eigenes Nebengebäude, das einem größeren Erbrechtshof zugeordnet war.

Gerade in den letzten Jahrzehnten vor dem Dreißigjährigen Krieg stieg die Zahl der Leersöldner und Inleute beträchtlich an und verschärfte das Problem der Landarmut. Dies galt besonders für die Gerichte entlang des Lechrains, wo sowohl der Anteil der Leersöldner als auch der Inleute überproportional hoch lag. Schätzungsweise ein gutes Fünftel sämtlicher altbayerischen Haushalte auf dem Land scheint um 1620 völlig besitzlos gewesen zu sein. Nach 1648 scheint sich die Lage der Bausöldner, zum Teil auch der Leersöldner, punktuell verbessert zu haben. Dies war besonders in solchen Regionen der Fall, wo die Bevölkerungsrückgänge hoch ausgefallen waren (wie in den Gerichten entlang des Lechrains und nordwestlich von München). So profitierten viele Kleinbauern und Tagwerker der Landgerichte Landsberg und Schrobenhausen von höheren Löhnen und besseren Zuerwerbsmöglichkeiten, während die Preise für Äcker und Wiesen sowie Getreide niedriger lagen als vor dem Dreißigjährigen Krieg.

Viele Kleinstelleninhaber scheinen diese Vorteile genutzt zu haben und über den Erwerb preiswerter, oft verödeter Acker- und Wiesenflächen in die bodenbesitzende Schicht aufgestiegen zu sein. Inwieweit sich dieser soziale Aufstieg im späten 17. und im frühen 18. Jahrhundert fortsetzte, konnte bislang nicht geklärt werden. Immerhin liegen einige Indizien in dieser Richtung für die Klosterhofmarken und Klostergerichte des Pfaffenwinkels und des Pfleggerichts Landsberg vor. Parallel zum barocken Bauboom um 1700 stiegen dort die Erbauszahlungen der Söldner weiterhin stärker an als die der Inhaber der Höfe, Huben und Lehen.

Bauern und Söldner als die beiden Hauptgruppen des frühneuzeitlichen Dorfes

Die Abbildung zeigt diverse bäuerliche Gerätschaften, u.a. Pflug, Egge, Leiterwagen. Abb. aus: Franciscus Philippus Florinus, Oeconomus prudens et legalis, Nürnberg 1750, 554. (Bayerische Staatsbibliothek)

Von den Söldnern deutlich zu unterscheiden ist die Bauernschaft. Dazu gehörten jene Hausväter, die Pferde besaßen, Spanndienste für den Hoch- und Niedergerichtsherrn leisteten und oft die volle Teilhabe an der "Gmein" hatten. Meist fielen darunter die Inhaber der Höfe, Halbhöfe, Huben, Lehen und Viertelhöfe, aber auch die Wirte und Müller. Demgegenüber waren die Söldner meist nur dann teil- oder vollberechtigte Mitglieder der Gemeinde, wenn sie über eine ausreichende "Nahrung" verfügten sowie den dazugehörigen Grund und Boden.

Auch in den Gemeindeführungsorganen sowie den seit dem 15. Jahrhundert aufkommenden Obmannschaften behaupteten die Bauern ihre Vorrangstellung gegenüber den Söldnern. Darüber hinaus nahmen die größeren Landwirte neben dem Pfarrer eine Schlüsselstellung innerhalb der Kirchengemeinde ein. So tauchen in den Quellen seit dem frühen 14. Jahrhundert die sogenannten "Zechpröpste" auf, die das Stiftungsvermögen der Ortskirche verwalteten. Über die Deckung des Sachbedarfs für die Kirchengebäude und den Gottesdienst hinaus diente dieses auch als ländliche Sparkasse sowie der Vorstreckung mehr oder weniger umfangreicher Agrarkredite.

Fazit: Das reine Bauerndorf als Ausnahmefall

Das reine Bauerndorf als Ausnahmefall. Eines der vielen Bilder aus dem „Hausbuch“ des Martinsbucher Pfarrers Franz Xaver Prechtl von 1793 zeigt die Sölde des Zimmerers und dahinter ein Tagwerkerhaus. Abb. aus: Franz Xaver Prechtl: Ansichten aus dem Hausbuch der Pfarrei Martinsbuch. Martinsbuch 1793, Nr. 35, 261. (Bischöfliches Zentralarchiv Regensburg, Matrikel Martinsbuch Bd. 35, S. 261)

Oft ging mit der Söldenansiedlung ein Prozess gewerblicher Verdichtung einher. Seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert erfasste dieser vornehmlich die adeligen und geistlichen Hofmarken, also jene Sprengel der Grundherrschaften, in denen der Grundherr zugleich die niedere Gerichtsbarkeit ausübte. In der Folge scheinen sich die Unterschiede zwischen den gewerblichen Zentren in den Städten und Märkten und den umliegenden Dörfern und Herrschaftssitzen zunehmend verwischt zu haben. Voll zum Durchbruch kam dieser überregionale Trend zur "Territorialisierung des Gewerbes" (Eckart Schremmer) im 15. Jahrhundert. Parallel veränderte sich die Zusammensetzung der Einwohnerschaft der Dörfer. Schon im 16. Jahrhundert bestand diese oft mehrheitlich aus Hand- und Tagwerkern, Inleuten, kleinen Gewerbetreibenden und Nebenerwerbslandwirten. Dafür war das reine Bauerndorf umso seltener anzutreffen, ein Phänomen, das in der Frühen Neuzeit für viele Regionen Mitteleuropas charakteristisch war. Neben Schwaben und Ostfranken sind die klassischen Weinbauregionen Süd- und Mitteldeutschlands hervorzuheben, die schon aufgrund ihrer spezifischen Arbeitsverfassung einen hohen Anteil von Tagelöhnern sowie Klein- und Kleinststelleninhabern aufwiesen.

Literatur

  • Rainer Beck, Unterfinning. Ländliche Welt vor Anbruch der Moderne, München 1993.
  • Renate Blickle, Agrarische Konflikte und Eigentumsordnung in Altbayern 1400-1800, in: Winfried Schulze (Hg.), Aufstände, Revolten, Prozesse. Beiträge zu ländlichen Widerstandsbewegungen im frühneuzeilichen Europa (Geschichte und Gesellschaft. Bochumer Historische Studien 27), Stuttgart 1983, 166-187.
  • Renate Blickle, "Spenn und Irrung" im "Eigen Rottenbuch". Die Auseinandersetzungen zwischen Bauernschaft und Herrschaft des Augustiner-Chorherrenstifts, in: Peter Blickle u. a. (Hg.), Aufruhr und Empörung? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, München 1980, 69-145.
  • Pankraz Fried, Herrschaftsgeschichte der altbayerischen Landgerichte Dachau und Kranzberg im Hoch- und Spätmittelalter sowie in der frühen Neuzeit (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 1), München 1962.
  • Hermann Grees, Ländliche Unterschichten und ländliche Siedlung in Ostschwaben (Tübinger Geographische Studien 589), Tübingen 1975.
  • Gerhard Hanke, Die Sozialstruktur der ländlichen Siedlungen Altbayerns im 17. und 18. Jahrhundert, in: Richard van Dülmen (Hg.), Gesellschaft und Herrschaft. Forschungen zu sozial- und landesgeschichtlichen Problemen vornehmlich in Bayern. Festschrift für Karl Bosl zum 60. Geburtstag, München 1969, 219-269.
  • Martin Hille, Ländliche Gesellschaft in Kriegszeiten. Bäuerliche Subsistenz zwischen Fiskus und Feudalherrschaft am Beispiel des oberbayerischen Pfleggerichts Weilheim und des Klostergerichts Benediktbeuern (Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte 117), München 1997.
  • Stephan Kellner, Die Hofmarken Jettenbach und Aschau in der frühen Neuzeit (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 10), München 1986.
  • Klaus Kopfmann, Die Hofmark Eurasburg. Ein Beitrag zur Geschichte der bayerischen Hofmark (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 24), München 2005.
  • Friedrich Lütge, Die bayerische Grundherrschaft. Untersuchungen über die Agrarverfassung Altbayerns im 16.-18. Jahrhundert, Stuttgart 1949.
  • Michael Mitterauer, Formen ländlicher Familienwirtschaft, Historische Ökotypen und familiale Arbeitsorganisation im österreichischen Raum, in: Josef Ehmer (Hg.), Familienstruktur und Arbeitsorganisation in ländlichen Gesellschaften, Wien u. a. 1986, 185-323.
  • Andreas G. Ott, Die Arbeitsverfassung der bayerischen Grundherrschaft. Vom 10. bis zum 14. Jahrhundert (Berliner Juristische Universitätsschriften Grundlagen des Rechts 6), Berlin 1997.
  • Helmut Rankl, Landvolk und frühmoderner Staat in Bayern 1400-1800 (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 17), München 1999.
  • Rainhard Riepertinger, Aschheim und Dornach. Eine Mikroanalyse zweier altbayerischer Dörfer bis zum Jahr 1800 (Studien zur bayerischen Verfassungs- und Sozialgeschichte 18), München 2000.
  • Heinrich Rubner, Die Landwirtschaft der Münchner Ebene und ihre Notlage im 14. Jahrhundert, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 51 (1964), 433-453.
  • Rudolf Schlögl, Bauern, Krieg und Staat. Oberbayerische Bauernwirtschaft und frühmoderner Staat im 17. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 89), Göttingen 1988.
  • Eckhart Schremmer, Standortausweitung der Warenproduktion im langfristigen Wirtschaftswachstum. Zur Stadt-Land-Arbeitsteilung im Gewerbe des 18. Jahrhunderts, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 50 (1972), 1-40.

Quellen

  • Die ländlichen Rechtsquellen aus den pfalz-neuburgischen Ämtern Höchstädt, Neuburg, Monheim und Reichertshofen vom Jahre 1585, bearb. von Pankraz Fried und Franz Genzinger (Veröffentlichungen der Schwäbischen Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für Bayerische Landesgeschichte 5 b), Sigmaringen 1983.
  • Die Urbare Abt Hermanns von Niederaltaich, 2 Bde., bearb. von Josef Klose (Quellen und Erörterungen zur Bayerischen Geschichte NF 43), München 2003.
  • Walter Hartinger, "... wie von alters herkommen...". Dorf-, Hofmarks-, Ehehaft- und andere Ordnungen in Ostbayern, 3 Bde. (Passauer Studien zur Volkskunde 14, 16 u. 20), Passau 1998-2002.
  • Herrmann Lickleder, Das Prämonstratenserstift Osterhofen im Spätmittelalter. Urbar- und Kopialbuch 1440. Studien zur Rechts-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Deggendorfer Geschichtsblätter 9), Deggendorf 1988.
  • Bernhard Lübbers, Die ältesten Rechnungen des Klosters Aldersbach 1291-1373/1409 (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte NF 47,3), München 2009.
  • Oberösterreichische Weistümer, IV. Teil. Nach Vorarbeiten von Rudolf Büttner, hg. von Herta Eberstaller u. a. (Österreichische Weistümer 15), Graz/Köln 1960, 3-134 [Innviertel].
  • Michael Toch, Die ältesten Rechnungsbücher des Klosters Scheyern 1339-1363 (Quellen und Erörterungen zur bayerischen Geschichte NF 36,3), München 2000.

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Weiterführende Recherche

Landbevölkerung, Bauern

Empfohlene Zitierweise

Martin Hille, Ländliche Sozialstruktur in Altbayern (Spätmittelalter/Frühe Neuzeit), publiziert am 10.12.2019; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Ländliche_Sozialstruktur_in_Altbayern_(Spätmittelalter/Frühe_Neuzeit)> (16.04.2024)