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Kriegs- und Zwangswirtschaftsstellen, 1915-1924: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Version vom 17. Oktober 2019, 09:40 Uhr

von Helmut Braun

Die kriegsbedingten wirtschaftlichen Probleme führten bereits im Winter 1914/15 zu Preissteigerungen und Versorgungsengpässen bei Lebensmitteln. Daher entstanden 1915 auf Kommunal-, Landes- und Reichsebene Preisprüfungsstellen und erste Behörden zur Zwangsbewirtschaftung von Lebensmitteln, denen bis 1917 zahlreiche vergleichbare Einrichtungen für weitere Rohstoffe folgten. Angesichts der nach Kriegsende 1918 weiterhin angespannten wirtschaftlichen Lage blieben die Preisprüfstellen und Zwangswirtschaftsstellen teilweise bis 1924 bestehen.

Hintergrund

Bald nach Kriegsausbruch 1914 hatten sich alle Hoffnungen auf einen raschen deutschen Sieg und damit auf ein frühes Kriegsende zerschlagen. Gleichzeitig war das Deutsche Reich immer mehr von wichtigen Einfuhrgebieten für industrielle Rohstoffe und insbesondere auch Lebensmitteln abgeschnitten worden. Wurden zunächst nur Höchstpreisvorschriften erlassen, zeigten sich jedoch im Winter 1914/15 im Deutschen Reich Versorgungsschwierigkeiten, welche die staatlichen Stellen mit der Beschlagnahme und Bewirtschaftung von Brotgetreide zu bekämpfen versuchten. Angesichts der Verknappung weiterer Waren und Preissteigerungen in den folgenden Monaten wurden bei weiteren Lebensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs staatliche Preiskontrolle und Zwangsbewirtschaftung eingeführt.

Anfänge auf kommunaler Ebene

Schon am 4. August 1914 hatte der Bundesrat den Erlass von Höchstpreisvorschriften ermöglicht. Die Festlegung von Höchstpreisen hatte jedoch die Folge, dass sich die Preise in Richtung dieser Obergrenzen entwickelten. Das Gesetz gegen übermäßige Preissteigerungen vom 23. Juli 1915 schrieb daher vor, in Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern Preisprüfungsstellen einzurichten, die paritätisch von Herstellern, Händlern und Verbrauchern besetzt wurden. In kleineren Gemeinden blieb die Einrichtung fakultativ. 1919 bestanden in Bayern 53 derartige örtliche Stellen.

Die kommunalen Preisprüfungsstellen hatten die Aufgabe, aus ihrer Kenntnis der Marktlage heraus auf der Grundlage von Erzeugungs-, Verarbeitungs- und sonstiger Gestehungskosten die den jeweiligen örtlichen Verhältnissen angemessenen Preise zu ermitteln. Daneben sollten sie Polizei und Gerichte bei der Überwachung des Handels zur Einhaltung von Höchstpreisvorschriften unterstützen, gutachterlich vor Gerichten und Verwaltungen tätig werden und die Bevölkerung über die Preisentwicklung und deren Ursachen aufklären. Ferner übernahmen die Kommunalverbände seit Februar 1915 auch die Zwangsbewirtschaftungen von Mehl.

Friedrich Zahn (1869-1946). (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv port-011960)

Die Bayerische Landespreisstelle

Zur Bekämpfung übermäßiger Preissteigerungen wurden jenseits der Befugnisse von Polizei und Gerichten im Rahmen der Kriegswirtschaftsstellen weitere Preisprüfungsstellen auf Reichs- und Landesebene errichtet.

In Umsetzung dieser Vorschriften wurde gegen Ende des Jahres 1915 in Bayern die Bayerische Landespreisprüfungsstelle für Lebensmittel gegründet, die neben eigenen Preisbeobachtungen und gutachterlichen Tätigkeiten insbesondere die kommunalen Preisprüfungsstellen zu beraten und zu unterstützen hatte. Wegen ihrer Verbindung zur Wirtschaftsstatistik wurde die Landespreisprüfungsstelle dem Bayerischen Statistischen Landesamt unter dem Vorsitz von Friedrich Zahn (1869-1946) angegliedert. Durch die rasche Zunahme der dirigistischen Landesstellen verlagerte sich ihre Tätigkeit von den Lebensmitteln hin zu den Gegenständen des Lebensbedarfs. Aufgrund der Wirren nach Kriegsende und der bis 1923 zur Hyperinflation anschwellenden Geldentwertung wurde der Zuständigkeitsbereich dieser Preisüberwachungsstelle auf alle Gegenstände und Leistungen des täglichen Bedarfs erweitert. Mit der Einführung der neuen, nun stabilen Reichsmark 1924 wurde diese Einrichtung langsam aufgelöst.

Stempel des Bayerischen Kriegswucheramtes. (Gemeinfrei via Wikimedia Commons)

Das Bayerische Kriegswucheramt

Im Dezember 1916 entstand als weiteres kriegswirtschaftliches Instrument das Bayerische Kriegswucheramt. Diese Stelle sollte überhöhte Preise ermitteln und polizeilich gegen Kriegswucherer vorgehen. Sie konnte dabei auch Strafen verhängen. Daneben sollte sie ab 1917 bis 1919 den Schleichhandel überwachen. Wegen Kompetenzüberschneidungen mit der Bayerischen Landespreisprüfungsstelle wurden beide Ämter seit Januar 1919 von Dr. Zahn in Personalunion geführt. Im Oktober 1919 wurde dann das Kriegswucheramt neu organisiert: Die mit wirtschaftlichen Mitteln Preisauswüchse bekämpfende Betriebsrevisionsabteilung des Kriegswucheramtes wurde mit der nun umbenannten Landespreisstelle verschmolzen. Sie unterstand seit April 1919 dem neu geschaffenen Landwirtschaftsministerium, blieb aber an das Statistische Landesamt angebunden. Die rein polizeiliche Bekämpfung und Bestrafung von Wucherverfehlungen als Teil des Kriegswucheramtes wurde unter dem Namen Landeswucherabwehrstelle bis 1924 als selbständige Stelle im Landwirtschaftsministerium weitergeführt.

Bayerische Landesstellen zur Zwangsbewirtschaftung

Bei Gütern, die einer direkten Beschlagnahme zum Ausgleich zwischen Überschuss und Bedarf unter den einzelnen Kommunalverbänden unterlagen, erfolgte die Zwangsbewirtschaftung einschließlich der Steuerung der Ausfuhr aus Bayern durch Landesstellen wie der 1915 errichteten Landesvermittlungsstelle für Brotgetreide und Mehl, die 1917 zur Landesgetreidestelle wurde. Eine im Frühjahr 1915 vom bayerischen Landwirtschaftsrat eingerichtete Landesverteilungsstelle für Futtermittel wurde im Dezember 1915 zur Landesfuttermittelstelle umgewandelt; 1917 ging daraus die Landessaatstelle hervor. Angesichts der immer weiter gehenden Zwänge der kriegswirtschaftlichen Güterverteilung folgten 1916 eine die Landesversorgung zentral lenkende Bayerische Fleischversorgungsstelle und eine Bayerische Landesfettstelle für Speisefett, Milch und Käse. Die 1916 errichtete Bayerische Lebensmittelstelle bewirtschaftete durch ihre Unterabteilungen Eier, Kartoffeln, Zucker, Honig usw. 1917 schließlich folgte eine Bayerische Landesbrennholzstelle. Eine weitere Kriegsstelle war die Staatliche Vermittlungsstelle für militärische Lieferungen, die militärische Auftraggeber mit entsprechenden Anbietern koordinierte.

Bis 1919 unterstanden die meisten dieser Kriegswirtschaftsstellen dem Innenministerium, danach dem neu errichteten Landwirtschaftsministerium und dem Handelsministerium. Ab November 1918 beschäftigte sich eine eigene Landesstelle mit der Verwertung von Heeresgut, die 1919 an das Reichsschatzministerium überging. Weitere Zwangswirtschaftsstellen bestanden beim Kriegsministerium sowie auf Reichsebene, da Bayern nicht alle Güter selbst bewirtschaftete. Erst nach der Stabilisierung der Währung 1924 konnten die letzten Zwangswirtschaftsstellen aufgelöst werden.

Übersicht bayerischer Kriegs- und Zwangswirtschaftsstellen

Name Bestand Bemerkung
Landespreisstelle 1915-1925 Bis 1919: Bayerische Landespreisprüfstelle
Landeswucherabwehrstelle 1916-1924 bis 1919: Bayerisches Kriegswucheramt
Beirat für das Ernährungswesen im Staatsministerium des Inneren 1916-1921
Landesgetreidestelle 1915-1923 bis 1917: Landesvermittlungsstelle für Brotgetreide und Mehl
Gersten-Verwertungsgesellschaft m.b.H. 1915-1918 Privatwirtschaftliche Organisation zur Gerstenzwangsbewirtschaftung, 1918 die Aufgaben von der Landesgetreidestelle übernommen
Bayerische Landesfettstelle 1916-1924 Vorläufer sind 1915 die Verteilungsstelle für Erzeugnisse der Milchwirtschaft und die Butterzentrale für Bayern
Bayerische Fleischversorgungsstelle 1916-1920 Nachfolgeorganisation ist das Landesamt für Viehverkehr (1920-1926)
Zugochsenvermittlungsstelle 1916-1920
Fleischeinfuhr- und Verwertungsgesellschaft m.b.H. 1918-1921 Privatwirtschaftliche Organisation
Bayerische Lebensmittelstelle 1916-1920
dazu gehörten
- Eierversorgungsstelle 1916-1920
- Landeszuckerstelle 1916-1920
- Landesstelle für Gemüse und Obst 1917-1920
- Landeskartoffelstelle 1915-1920 1916 der Lebensmittelstelle angegliedert
- Landesstelle für Fischversorgung 1916-1920
- Honigvermittlungsstelle 1916/17-1920
- Produktionsreferat
- Verteilungsreferat
Bayerische Landesfuttermittelstelle 1915-1922
Bayerische Landessaatstelle 1917-1920 aus der Landesfuttermittelstelle ausgegliedert
Bayerische Heu- und Strohverteilungsstelle 1915-19191 bis 1917: Bayerische Heuverteilungsstelle sowie Bayerische Heubezugsstelle
Bayerische Landeskohlenstelle 1917-1924 bis 1919: Amtliche Verteilungsstelle für den Kohlenbergbau im rechtsrheinischen Bayern
Bayerische Landesbrennholzstelle 1917-1921
Bayerische Kleinbeleuchtungsstelle 1918-1919 Bewirtschaftung der Karbidbeleuchtung
Rohstoffwirtschaftsstelle 1915-1923
Landesstelle für Textilien 1919-? bis 1919 beim Kriegsamt. 1920 Angliederung einer Landesbekleidungsstelle
Kriegs-Flachsbau-Gesellschaft m.b.H., Abt. Bayern 1917-1921
Staatliche Vermittlungsstelle für militärische Lieferungen 1916-1919 1919 überführt in die Bayerische Landesauftragsstelle (Selbstverwaltete Körperschaft, getragen von den Wirtschaftsverbänden, Handels- und Handwerkskammern)
Verwertungsstelle für Heeresgut 1918-1919 1919 vom Reich übernommen

Literatur

  • Gerhard Hetzer, Erinnern und Vergessen. Die bayerischen Kommunalverbände und ihr Schriftgut, in: Archive in Bayern 4 (2008), 13-40
  • Fridolin Solleder, Kriegsstellen und Kriegswirtschaftsstellen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, in: Archivalische Zeitschrift 40 (1931), 153-188.
  • Wilhelm Volkert (Hg.), Handbuch der bayerischen Ämter, Gemeinden und Gericht 1799-1980, München 1983, 278-282.

Quellen

  • Friedrich Merz u. a., Die Bayerische Landespreisstelle, in: Zeitschrift des bayerischen Statistischen Landesamtes 52 (1920), 159-192, hier 162-164.
  • Friedrich Bretzfeld, Die Bayerische Landespreisstelle. Ein Rückblick über ihre Entwicklung und ihre Tätigkeit, in: Zeitschrift des bayerischen Statistischen Landesamtes 57 (1925), 3-15.
  • Archivalische Überlieferung: Die Akten der Landesstellen wurden nach ihrer Auflösung an das Bayerische Hauptstaatsarchiv abgegeben. Im Januar 1945 verbrannten sie bei den Bombenangriffen auf München vollständig.

Empfohlene Zitierweise

Helmut Braun, Kriegs- und Zwangswirtschaftsstellen, 1915-1924, publiziert am 08.11.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kriegs- und Zwangswirtschaftsstellen, 1915-1924> (28.03.2024)