• Versionsgeschichte

Kabinett Knilling, 1922-1924

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Version vom 14. Oktober 2020, 13:10 Uhr von imported>Rittenauerd
Ministerpräsident Eugen von Knilling (1865-1927). (aus: Amtliches Jahrbuch des Bayerischen Landtags, München 1921, 155).
Heinrich Oswald (1866-1945), Staatsminister für Soziale Fürsorge. (aus: Amtliches Jahrbuch des Bayerischen Landtags, Münchens 1925, 137)
Wilhelm Krausneck (1875-1927), Staatsminister für Finanzen. Abb. aus: Das Bayerland, Jahrgang 31 vom Mai 1920, 302. (Bayerische Staatsbibliothek, 4 Z 40.173-31)

von Heinz Hürten

Das vom 8. November 1922 bis zum 5. Mai 1924 (geschäftsführend bis 2. Juli) amtierende Kabinett unter Eugen Ritter von Knilling (BVP, 1865-1927) wurde wie auch das Vorgängerkabinett von der Bayerischen Volkspartei (BVP), dem Bayerischen Bauernbund (BB) und der Bayerischen Mittelpartei/Deutschnationalen Volkspartei (BMP/DNVP) getragen. Mit Knilling wurde erneut ein hoher Beamter Ministerpräsident. In die Amtszeit des Kabinetts fielen das Krisenjahr 1923 mit dem Hitlerputsch sowie der Abschluss der Verträge mit den Wittelsbachern und den Kirchen.

Bildung des Kabinetts

Nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Hugo Graf von Lerchenfeld auf Köfering und Schönberg (1871-1944) am 2. November 1922 wählte der Landtag am 8. November 1922 mit 86 von 143 Stimmen den BVP-Abgeordneten Eugen Ritter von Knilling (1865-1927) als Nachfolger.

Eugen Ritter von Knilling hatte als Jurist im bayerischen Staatsdienst - seit 1902 im Kultusministerium - Karriere gemacht. Von 1912-1918 war er Kultusminister gewesen und als solcher 1916 geadelt worden. Seit 1920 gehörte er zwar dem bayerischen Landtag an, war jedoch stärker von seiner Tätigkeit im öffentlichen Dienst als von seiner kurzzeitigen Zugehörigkeit zum Parlament geprägt. Er setzte damit nach Gustav von Kahr (BVP, 1862-1934) und Lerchenfeld die Reihe der "Beamtenministerpräsidenten" fort.

Zusammensetzung und Träger

Knilling übernahm alle amtierenden Minister des Kabinetts Lerchenfeld und stellte seine Regierung am 9. November 1922 im Landtag vor. Getragen wurde die Regierung weiterhin von der Bayerischen Volkspartei, dem Bayerischen Bauernbund und der Bayerischen Mittelpartei. Das seit dem 24. Juli 1922 verwaiste Ministerium für Handel, Industrie und Gewerbe übertrug Knilling am 15. November 1922 dem parteilosen, BMP-nahen Wilhelm Ritter von Meinel (1865-1927), der zuvor bereits die Geschäfte des Ressorts geführt hatte.

Ministerium Minister Lebensdaten Besonderheiten
Äußeres und Ministerpräsident Eugen Ritter von Knilling, BVP 1865-1927 1912-1918 Kultusminister
Inneres Franz Schweyer, BVP 1868-1935
Kultus Franz Matt, BVP 1860-1929
Finanzen Wilhelm Krausneck, BVP 1875-1927
Justiz Franz Gürtner, BMP/DNVP 1881-1941 1932-1941 Reichsjustizminister, ab 1937 NSDAP
Soziale Fürsorge Heinrich Oswald, BVP 1866-1945
Landwirtschaft Johann Wutzlhofer, BB 1871-1936
Handel, Industrie und Gewerbe Wilhelm von Meinel, parteilos 1865-1927
Johann Wutzlhofer (1871-1936), Landwirtschaftminister. (aus: Amtliches Jahrbuch des Bayerischen Landtags, München 1921, 193)
Franz Gürtner (DNVP, 1881-1941), 1922-1932 Staatsminister der Justiz. (Bayerische Staatsbibliothek, Bildarchiv hoff-1466)

Politische Probleme

Erfolgreich konnte die Regierung Knilling die Verhandlungen mit dem Haus Wittelsbach über die Regelungen der offenen Vermögensfragen zu Ende führen. Die am 24. Januar 1923 getroffene Vereinbarung, die die Errichtung der Wittelsbacher Landesstiftung und des Wittelsbacher Ausgleichsfonds vorsah, bestätigte der Landtag am 9. März 1923.

Bestimmend auf die Regierungsarbeit wirkten neben der Inflation der im Januar 1923 beginnende "Ruhrkampf", der vor allem die seit 1918 französisch besetzte Pfalz betraf.

Konflikte mit der nationalen Rechten und dem Reich im Krisenjahr 1923

Zentrales Problem der bayerischen Innenpolitik war die Kontrolle der "Vaterländischen Verbände", die als Sicherheit gegen linksradikale Umsturzversuche gesehen wurden, aber noch mehr ein vom Staat nicht zu kontrollierendes Potential "nationaler" Bestrebungen bildeten. Angesichts drohender Zusammenstöße anlässlich des Parteitags der NSDAP am 27./28. Januar 1923 verhängte die Staatsregierung am 26. Januar den Ausnahmezustand (bis 5. Februar 1923). Auch der Versuch Adolf Hitlers (1889-1945), am 1. Mai 1923 einen Umzug von SPD und KPD in München gewaltsam zu verhindern, konnte von den Staatsorganen unter Einsatz der Reichswehr vereitelt werden.

Der infolge der Hyperinflation unausweichliche Abbruch des "Ruhrkampfes" durch die Reichsregierung am 26. September 1923 schuf jedoch eine politische Nähe der Regierung zu den "Vaterländischen Verbänden". Angesichts der "Kapitulation" der nach ihrer Meinung von der Linken bestimmten Reichsregierung (I. Kabinett Stresemann) sah das Kabinett eine Gefährdung der Reichseinheit durch linksradikale Kräfte, zu deren Abwehr nun die "Vaterländischen Verbände" unverzichtbar schienen. Als diese ihre internen Zwistigkeiten überwanden und sich in Hitler eine politische Gesamtleitung schufen (Übernahme der Leitung des Deutschen Kampfbundes am 25. September 1923), rief die Regierung am 26. September 1923 erneut den Ausnahmezustand aus und übertrug die gesamte vollziehende Gewalt dem Generalstaatskommissar v. Kahr.

Weil der Reichspräsident am gleichen Tage den Ausnahmezustand für das ganze Reich erklärte, bestanden für Bayern zwei Sonderrechtsordnungen nebeneinander, was unvermeidlich zu einem neuen Konflikt mit dem Reich führte. Er fand seinen ersten Höhepunkt in der Weigerung des bayerischen Landeskommandanten Otto von Lossow (1868-1938), einen Befehl des Chefs der Heeresleitung zu vollziehen, und der nachfolgenden "Inpflichtnahme" der bayerischen 7. Division für den Freistaat Bayern.

An den Plänen des Generalstaatskommissars, im Einvernehmen mit den "Vaterländischen Verbänden" im Reich eine "nationale Diktatur" zu errichten, war die Regierung nicht beteiligt. Hitler erklärte sie sogar bei seinem Putschversuch im Bürgerbräukeller am 8. November 1923 für abgesetzt und ließ den Ministerpräsidenten sowie die Minister Gürtner und Wutzlhofer in Haft nehmen, während die Minister Matt, Oswald und Krausneck in Freiheit blieben. Sie erließen einen Aufruf an die Münchner Bevölkerung, den Putschisten nicht zu gehorchen, und begaben sich (ohne Krausneck) zur Sicherung ihrer Handlungsfreiheit nach Regensburg. Mit der raschen Niederschlagung des Hitlerputsches am 9. November 1923 war auch die Stellung des Generalstaatskommissars erschüttert, der allerdings aus innenpolitischen Rücksichten noch bis zum 18. Februar 1924 mit beschränkten Befugnissen im Amt blieb.

Separatismus in der Pfalz

Parallel zur Krise in München verschärfte sich die Lage in der Pfalz: Nach dem Abbruch des passiven Widerstandes im Ruhrgebiet und aufgrund der Spannungen zwischen Bayern und dem Reich verstärkten sich die separatistischen Tendenzen. Die am 12. November 1923 von Franz-Josef Heinz (1884-1924) in Speyer ausgerufene "Autonome Pfalz" fand nur wenig Unterstützung; Heinz wurde am 9. Januar 1924 ermordet. Angestoßen wurde das Attentat durch das bayerische Pfalzkommissariat.

Entspannung 1924

Nach dem Ende der Inflation durch die Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 entspannte sich die wirtschaftliche Situation zusehends. Der Konflikt mit dem Reich konnte nach längeren Verhandlungen gelöst werden. Nach dem skandalumwitterten Abschluss des Hitlerprozesses am 1. April 1924 trat das Republikschutzgesetz in Bayern in Kraft; die bayerischen Volksgerichte wurden abgeschafft. Hinsichtlich des Landeskommandanten erhielt Bayern durch die "Homburger Vereinbarung" vom 14. Februar 1924 geringfügige Zugeständnisse. Im Zuge der Verhandlungen mit dem Reich hatte die Regierung eine Denkschrift zur Revision der Reichsverfassung im föderalistischen Sinne überreicht, die bei den späteren Diskussionen um die Reichsreform eine wichtige Rolle spielte.

Weil der seit 1920 amtierende bayerische Landtag sich am 21. Februar 1924 selbst aufgelöst hatte, um der veränderten innenpolitischen Lage im Parlament die entsprechende Repräsentanz zu ermöglichen, war die Regierung Knilling bis zu den Wahlen am 6. April ohne parlamentarische Kontrolle. In diese Zeit fiel auch die Unterzeichnung des neuen Konkordats am 29. März 1924. Von Nuntius Eugenio Pacelli (1876-1958, ab 1939 Papst Pius XII.) als "Musterkonkordat" angelegt, brachte es angesichts des Übergangs der Staatsgewalt aus der Hand eines katholischen Königs in die einer parlamentarischen Regierung naturgemäß eine Reduzierung des bis dahin starken staatlichen Einflusses auf die Kirche. Verhandlungen mit den beiden evangelischen Landeskirchen im rechtsrheinischen Bayern und der Pfalz kamen aus Paritätsgründen alsbald in Gang. Alle Verträge mit den Kirchen wurden dann unter der Nachfolgeregierung Held vom Parlament am 15. Januar 1925 gemeinsam akzeptiert. Der Abschluss des Konkordats bedeutete auch einen verfassungspolitischen Erfolg, insofern es als völkerrechtlicher Vertrag die Eigenstaatlichkeit Bayerns bekräftigte, nachdem das Reich keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhob.

Neuwahlen und Rücktritt des Kabinetts am 5. Mai 1924

Parallel zur Landtagswahl am 6. April 1924 (Pfalz: 4 Mai) fand ein von der BVP initiierter Volksentscheid zur Reform der bayerischen Verfassung statt. Wahl und Volksentscheid endeten mit einer Niederlage der BVP. Gewinner waren die radikale Rechte (Völkischer Block 17,1 %) und Linke (KPD 8,3 %). Die Regierungsparteien sowie SPD und DDP verloren Stimmen; die BVP sackte von 39,4 % auf 32,8 % ab. Die Reichstagswahlen vom 4. Mai 1924 brachten der BVP ein ähnliches Ergebnis. Knilling trat darauf am 5. Mai 1924 zurück. Wegen Schwierigkeiten bei der Bildung der Nachfolgeregierung blieb das Kabinett noch bis 2. Juli 1924 geschäftsführend im Amt.

Literatur

  • Harold J. Gordon jr., Hitlerputsch 1923. Machtkampf in Bayern 1923-1924, Frankfurt am Main 1971.
  • Heinz Hürten, Revolution und Zeit der Weimarer Republik, in: Handbuch der bayerischen Geschichte, begr. v. Max Spindler, neu hg. v. Alois Schmid. 4. Band, 1. Teil, München 2003, 439-498.
  • Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. 4. Band, Stuttgart u. a. 1981; 7. Band, Stuttgart 1984.
  • Franz Menges, Vom Freistaat zur Reichsprovinz (1918-1933), in: Manfred Treml (Hg.), Geschichte des modernen Bayern. Königreich und Freistaat, München 3. Auflage 2006, 161-286.
  • Karl Schwend, Bayern zwischen Monarchie und Diktatur, München 1954.
  • Wolfgang Zorn, Bayerns Geschichte im 20. Jahrhundert, München 1986.

Quellen

Weiterführende Recherche

Verwandte Artikel

Empfohlene Zitierweise

Heinz Hürten, Kabinett Knilling, 1922-1924, publiziert am 07.05.2007; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Kabinett_Knilling,_1922-1924 (28.03.2024)