• Versionsgeschichte

Hugo von Trimberg: Der Renner

Aus Historisches Lexikon Bayerns

Reiterdarstellung als Titelblatt einer Renner-Handschrift des 15. Jahrhunderts. Der Reiter gilt als Sinnbild der Dichtung. (Bayerische Staatsbibliothek Cgm 7375, fol. 1)
Darstellung des Geizes in der illustrierten Renner-Bearbeitung durch Johannes Vorster. (Universitätsbibliothek Heidelberg, cpg 471, fol. 16r)
Titelblatt der Druckausgabe von 1549. Exemplar aus Beständen des Münchner Jesuitenkollegs. (Bayerische Staatsbibliothek)

von Rudolf Kilian Weigand

Umfangreiche christliche Lebenslehre des Bamberger Schulmeisters Hugo von Trimberg (ca. 1235-nach 1313) in über 24.000 Versen. Hugo verfasste mehrere deutsche und lateinische Schriften. "Der Renner" ist das einzige überlieferte deutschsprachige Werk Hugos. Als eine der erfolgreichsten mittelalterlichen Dichtungen in deutscher Sprache erlebte "Der Renner" bis ins 18. Jahrhundert eine ununterbrochene Rezeption.

Leben

Ein "rector scholarum" Hugo (ca. 1235-nach 1313) tritt in einigen Bamberger Urkunden (vgl. u. a. Regesta Boica V, 31) an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert als Zeuge auf. In mehreren lateinischen Schriften nennt sich der Autor "Hugo de Verna, villa cis Herbipolim". Die gleiche Person figuriert in der deutschen Dichtung der "Renner" unter dem Namen "Huc von Trimberc".

Die Angaben lassen erschließen, dass Hugo um 1235 in dem fränkischen Dorf Oberwerrn (Gde. Niederwerrn, Lkr. Schweinfurt) geboren sein dürfte. In Würzburg, wohl am Neumünsterstift, erfuhr er seine Schulbildung. Vermutlich 1260 erlangte er die Position eines Schulmeisters am Stift St. Gangolf und Maria in der Bamberger Teuerstadt; eine feste Pfründe war mit dieser Stelle aber nicht verbunden, Hugo war für seinen Lebensunterhalt auf die Besoldung durch den Scholaster des Stifts und die Abgaben seiner Schüler angewiesen. Da er einen großen Haushalt mit bis zu zwölf Personen zu versorgen hatte, bemühte er sich um Nebeneinkünfte; zu diesem Zwecke kopierte und sammelte er Bücher, nahezu 200 ("Renner" V. 16.645 ff.), die er im Alter gewinnträchtig zu verkaufen hoffte. Doch er betätigte sich nicht nur als Kopist, sondern auch selbst als Dichter: In seinem umfassenden Alterswerk, dem "Renner", spricht er (V. 25) von sieben deutschen und (V. 27) viereinhalb lateinischen "büechelîn", also mindestens zwölf eigenen Schriften, die aus seiner Feder geflossen seien. Nach 1313 gibt es keine Angaben mehr zu ihm. Ein genaueres Todesdatum ist jedoch nicht bezeugt.

Werke

Von den genannten zwölf Schriften Hugos sind uns nur fünf namentlich bekannt, vier davon erhalten. Drei lateinische Werke kennen wir mit Namen und Inhalt:

  1. Ein Kalenderheiligengedicht unter dem Titel "Laurea Sanctorum" ist das älteste aller erhaltenen Werke Hugos. Zu 200 Heiligen liefert er den Namen, verbunden mit einer Fürbitte, die er so reich wie nur möglich zu variieren trachtet (Selbstnennung V. 408ff.).
  2. Das "Solsequium" (Sonnenfolger, eine Art des Wegerichs) besteht aus einer Sammlung von 166 Exempeln zur Predigtausschmückung (Selbstnennung im Prolog V. 4).
  3. "Registrum multorum auctorum" (Selbstnennung V. 3) nennt Hugo eine Schulliteraturgeschichte in 848 Versen; "Solsequium" und "Registrum" fungierten indirekt auch als Quellen für den "Renner".

Von einem vierten Werk, genannt "Codicellus multarum litterarum", wissen wir aus der Aufzählung im "Registrum" (V. 843 f.) lediglich den Namen. Dazu kommen 61 von Hugo verfasste Zusatzverse als Epilog zur "Vita BMV rhythmica", die Hugo kopieren ließ, sie werden von 5 Hss. überliefert. Für das kleine lateinisch-deutsche Gedicht "Von der Jugend und dem Alter" (40 Langzeilen in 2 gemischten Strophen; hg. Ehrismann, "Renner", 4. Band, S. 1-3), das oft zusammen mit dem "Renner", aber auch separat überliefert wird, ist Hugos Autorschaft ebenfalls gesichert.

Das literarische Hauptwerk, der "Renner"

Der "Renner" ist das einzige erhaltene deutsche Werk Hugos, eine moraldidaktische christliche Lebenslehre in 24.611 zumeist paargereimten Versen. Umrahmt wird der "Renner" von einem allegorischen Prolog (V. 1-268, dabei V. 1-36 in drei zwölf-zeiligen Strophen) und einem autorbezogenen Epilog (V. 24.284-24.611). In seinem ersten Teil (V. 269-18.000) bietet der "Renner" eine nach den sechs bzw. sieben Hauptsünden in sechs "distinctiones" gegliederte Sündenlehre ("hôchfart" = "superbia" V. 269-4.367, "gîtikeit" = "avaritia" V. 4.368-9.431, "frâz" = "gula" -11.726, "unkiusche" = "luxuria" -13.963, "zorn" und "nît = "ira et invidia" -15.946, "lazheit" = "acedia" -18.000). Als zweiter Teil schließt sich eine Heilslehre an, die aus der Betrachtung der Hl. Schrift (V. 18.001-19.160) und der wunderbar geordneten Natur (19.161-20.346) zu einem von "riuwe" bestimmten christlichen Leben hinführen will (V. 20.347-24.283).

Der Titel ist auf die mehrfach verwendete Formulierung "Nu sul wir aber vürbaz rennen, und unsern herren baz erkennen" (V. 4.365f. u. ö.) zurückzuführen. Dahinter steht das Bild eines eigenwillig über das Land rennenden, sich der Führung des Reiters bzw. Dichters immer wieder entziehenden Pferdes (V. 13.925-940). Im Prolog wird, ausgehend vom "locus amoenus", eines auf der Heide über einer Quelle und einem Dornstrauch stehenden Birnbaums, eine weit gespannte Baumallegorie entwickelt, an die Hugo zu Beginn der einzelnen "distinctiones" immer wieder anknüpft. Dabei beschränkt er sich ausschließlich auf moralische Ausdeutung, klassifiziert seine Dichtung sogar als Predigt (V. 2.008: "Swie vil wir predigen, schrîben, tihten..."), will aber nicht in Konkurrenz zu gelehrten Geistlichen, "pfaffen", treten (V. 20.639f: "Daz zimt pfaffen und münchen wol, Ein leie niht tiefe predigen sol"). Immer wieder bilden vielfältige Beispielerzählungen (Fabel, Legendarisches, historische Exempla etc.), die er z. T. auch in seinen lateinischen Werken verwendet, den Ausgangspunkt für längere moralische Ausdeutungen. Durch geschickte Verschränkung dieser auf die narrativen Elemente folgenden Moralisationsketten entsteht ein Argumentationskomplex, der eine scharfe Abgrenzung der Einzelteile nahezu unmöglich macht, andererseits erlaubt, an vielen verschiedenen Stellen Einschnitte zu setzen.

Hugo bezieht die Hauptsünden auf die mittelalterliche Ständegesellschaft seiner Zeit und unterwirft die einzelnen Stände einer harschen Kritik. Adel und Geistlichkeit kritisiert er ebenso wie die habgierigen Emporkömmlinge, die adeliges Gebaren nachahmen (v. a. die Ausführungen zu "halpritter" V. 1.459-1.712). Ritterlich-höfischer Kultur steht er verständnislos gegenüber (etwa V. 11.567ff.), sie spiegelt für ihn nur den Verfall der alten, jedoch vergessenen Weltordnung. Für die Armen und Machtlosen aber hegt Hugo Sympathie.

Mit der Beschreibung der Eigenarten verschiedener deutscher Dialekte (V. 22.253 ff.) und dem besonderen Lob seiner fränkischen Heimat (V. 22.308-22.324) zeigt er Verständnis für regionale Eigenheiten.

Entstehung

Hugo hat den "Renner", sein großes Alterswerk, nicht in einem Zug gedichtet, sondern über Jahrzehnte daran gefeilt. Die Zeitangaben in den verschiedenen Handschriften bezeugen einen ersten Abschluss um 1293 (vgl. Varianten zu V. 18.930) und eine spätere Version von 1300 (vgl. V. 24.562), letzte Nachträge beziehen sich aber noch auf Vorgänge in Rom 1313 (V. 17.188).

Der Autor selbst gab mindestens zwei unterschiedliche Fassungen seiner Lehrdichtung in Umlauf (Autorversionen B und A mit geringfügigen Abweichungen im Versbestand und wenigen Formulierungsvarianten). Hugos ursprüngliche Einteilung des Textes in "distinctiones" in der Textform B wird einzig in der Handschrift B1 (Berlin, SBPK, mgf 17), und dort auch nur unvollständig überliefert. Eine Handschrift der Textform A wurde vom Würzburger Protonotar Michael de Leone (gest. 1355) mit einer neuen Gliederung in 42 ungleichmäßige Kapitel versehen, welche nun die Mehrheit der Textzeugen (35 der heute noch erhaltenen mindestens 66 Handschriften) aufweist.

Verbreitung und Rezeption

Mit seinen zahlreichen Abschriften gehört der "Renner" zu den erfolgreichsten mittelalterlichen Dichtungen in deutscher Sprache. Im Zuge der Überlieferung wurden über die Einteilung hinaus weitere Redigierungsarbeiten vorgenommen. So lässt sich eine im Text gekürzte, aber dafür bebilderte Fassung in 15 Handschriften nachweisen (Bz). Die Illustrationen verbildlichen zumeist die eingeflochtenen Exempelerzählungen. Eine eigenwillige Fassung der A-Version mit Umgestaltung des Sündenschemas stellt die ebenfalls illustrierte Bearbeitung durch den Nürnberger Gerichtsschreiber Johannes Vorster (gest. 1444) in der Heidelberger Handschrift cpg 471 von 1425 dar.

1549 legte Cyriakus Jakob zum Bock in Frankfurt eine Druckausgabe vor und widmete sie dem Pfalzgrafen Friedrich II. (dem Weisen, reg. 1544-1556), der sich 1545/46 dem lutherischen Bekenntnis angeschlossen hatte. Der Drucker folgte dabei, abgesehen von einer gründlichen und durchgängigen sprachlichen Modernisierung, getreu seiner handschriftlichen Vorlage, die dem Überlieferungszweig B (Distinktionenfassung) zuzurechnen ist und der Pariser Handschrift P (Bibl. Nat., cod. ms. all. 116) nahesteht. Als Exemplar stand ihm nach eigener Aussage ein Kodex zur Verfügung, den ihm der Vater des Pfalzgrafen, Philipp der Aufrichtige (reg. 1476-1508), überlassen hatte. Dieses Exemplar ist nicht erhalten und mit keiner der heute in Heidelberg befindlichen "Renner"-Handschriften identisch.

Im 18. Jahrhundert lobten Johann Christoph Gottsched (1700-1766), Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769) und Johann Gottfried Herder (1744-1803) unabhängig von einander den "Renner". Gotthold Ephraim Lessing (1722/29-1781) nannte ihn ein "merkwürdiges Gedicht", brachte seine geplante Ausgabe aber nicht zum Abschluss.

Editionen und Forschungsstand

Der Druck durch den Historischen Verein Bamberg von 1833/34 war die erste moderne Wiedergabe des Textes. Die Ausgabe von Gustav Ehrismann (1855-1941) aus dem Jahr 1911 bedürfte eine gründlichen Revision. Hierfür ist die Forschung weit vorangetrieben. Ergänzend zur vorliegenden Darstellung der Überlieferung wären freilich auch Untersuchungen zu thematischen Kernpunkten und zur poetischen Technik notwendig.

Literatur

  • Helmut Birkhan, Hugos von Trimberg "Der Renner", in: ders. (Hg.), Geschichte der altdeutschen Literatur im Licht ausgewählter Texte. Lehrhafte Dichtung zwischen 1200 und 1300. Vorlesung im SS 2005 / 8, Wien 2005, 51-63.
  • Horst Brunner, Deutsche Literatur. In: Peter Kolb/Ernst-Günther Krenig (Hg.), Unterfränkische Geschichte. 2. Band: Vom hohen Mittelalter bis zum Beginn des konfessionellen Zeitalters, Würzburg 1992, 547-573; zu Hugo 558f.
  • William F. Carroll, "Der welsche Gast" Thomasins von Zerclaere und "Der Renner" Hugos von Trimberg. Perspektiven des Fremden in der didaktischen Literatur des 13. Jahrhunderts, in: Wolfgang Harms (Hg.), Fremdes wahrnehmen - fremdes Wahrnehmen. Studien zur Geschichte der Wahrnehmung und zur Begegnung von Kulturen in Mittelalter und früher Neuzeit, Stuttgart 1997, 137-152.
  • Inés de la Cuadra, Der "Renner" Hugos von Trimberg. Allegorische Denkformen und literarische Traditionen (Germanistische Texte und Studien 63), Hildesheim 1999.
  • Jutta Goheen, Mensch und Moral im Mittelalter. Geschichte und Fiktion in Hugo von Trimbergs "Der Renner", Darmstadt 1990.
  • Henrike Lähnemann, Der "Renner" des Johannes Vorster. Untersuchung und Edition des cpg 471. Tübingen/Basel 1998.
  • Lutz Rosenplenter, Zitat und Autoritätenberufung im Renner Hugos von Trimberg. Ein Beitrag zur Bildung der Laien im Mittelalter, Frankfurt am Main 1982.
  • Bernhard Schemmel, Hugo von Trimberg, in: Gerhard Pfeiffer (Hg.), Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte VII A: Fränkische Lebensbilder. 4. Band, Würzburg 1971, 1-26.
  • Dietrich Schmidtke, Die künstlerische Selbstauffassung H. von Trimbergs, in: Wirkendes Wort 24 (1974), 325-339.
  • Rudolf Kilian Weigand, Der "Renner" des Hugo von Trimberg. Überlieferung, Quellenabhängigkeit und Struktur einer spätmittelalterlichen Lehrdichtung (Wissensliteratur im Mittelalter 35), Wiesbaden 2000.
  • Rudolf Kilian Weigand, Halbritter und Schildknechte. Zur Kategorisierung und Illustrierung sozialer Randgruppen im ›Renner‹ des Hugo von Trimberg. In: Die Präsenz des Mittelalters in seinen Handschriften. Ergebnisse der Berliner Tagung in der Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, 6.-8. April 2000. Hg. von Hans-Jochen Schiewer/Karl Stackmann, Tübingen 2002 , S. 83-105.

Quellen

  • Gustav Ehrismann (Bearb.), Der "Renner" des Hugo von Trimberg (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart), Tübingen 1911 [ND Berlin 1970].
  • Angelika Strauß (Bearb.): Das "Solsequium" des Hugo von Trimberg. Eine kritische Edition (Wissensliteratur im Mittelalter 39), Wiesbaden 2002.
  • Karl Langosch (Bearb.), Das "Registrum Multorum Auctorum" des Hugo von Trimberg (Germanische Studien 235), Berlin 1942 [Neudruck Nendeln 1969], 259-268.
  • Anton Jäcklein, Hugo von Trimberg. Verfasser einer "Vita Mariæ rhythmica", in: Programm Bamberg 1901, 3-47 (mit überholten Schlussfolgerungen zu Hugos Autorschaft), Text 31-33. K. Langosch (wie Registrum), 259-268.

Weiterführende Recherche

Externe Links

Empfohlene Zitierweise

Rudolf Kilian Weigand, Hugo von Trimberg: Der Renner, publiziert 01.03.2010; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Hugo_von_Trimberg:_Der_Renner (29.03.2024)