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Handwerk in Schwaben (Spätmittelalter/Frühe Neuzeit)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Der Gerber, Tab. XXVI, 64. Seite. (aus: Paul von Stetten, der Mensch in seinen verschiedenen Lagen und Ständen für die Jugend geschildert, Nachdruck Nördlingen 1998).
Der Weber, Tab. XXIV, 56. Seite. (aus: Paul von Stetten, der Mensch in seinen verschiedenen Lagen und Ständen für die Jugend geschildert, Nachdruck Nördlingen 1998).
Der Papiermacher und Kartenmacher, Tab. XXXVII a, 105. Seite. (aus: Paul von Stetten, der Mensch in seinen verschiedenen Lagen und Ständen für die Jugend geschildert, Nachdruck Nördlingen 1998).
Der Buchdrucker, Tab. XXXVII b, 107. Seite. (aus: Paul von Stetten, der Mensch in seinen verschiedenen Lagen und Ständen für die Jugend geschildert, Nachdruck Nördlingen 1998).

von Anke Sczesny

Im ostschwäbischen Handwerk dominierten seit dem 14. Jahrhundert das Textil- und Bekleidungsgewerbe und die Lederverarbeitung. Organisiert waren die Handwerker seit dem 14. Jahrhundert in Zünften. Zunächst beherrschte das städtische Handwerk mit wichtigen Zentren wie Augsburg, Nördlingen, Kempten oder Kaufbeuren das Geschehen, dem allerdings bereits im 15. Jahrhundert und besonders seit dem 17. Jahrhundert das Landhandwerk Konkurrenz machte. Im Zuge der Industrialisierung, der Zunahme von Manufakturen und der Einführung der Gewerbefreiheit 1869 wurde das Handwerk als führender gewerblicher Sektor abgelöst.

Definition

Handwerk, handwerkliche Arbeit bzw. Gewerbe bezeichnen im Gegensatz zur landwirtschaftlichen Ur- und industriellen Massenproduktion die Produktion von Sachgütern, mithin auch Dienstleistungen. Ein Kriterium ist dabei die zum "Zwecke des Erwerbs als unmittelbare Einnahmequelle betriebene dauerhafte Tätigkeit"; sie konnte aber auch mit landwirtschaftlicher Tätigkeit gekoppelt sein.

Spätestens seit dem 12. Jahrhundert waren die meisten städtischen Handwerker in mehr oder minder rudimentären Organisationen mit eigenen Handwerkerordnungen verfasst, die zum Teil auch aus religiösen Bruderschaften erwuchsen. Im Vordergrund dieser Ordnungen standen gewerbliche und arbeitsrechtliche Funktionen im Gegensatz zu den politisch-administrativen Funktionen der sich im 14. Jahrhundert herausbildenden Zünfte. Freilich ist eine scharfe Trennung von Zunft und Handwerk kaum möglich, wie allein schon der Begriff des "Zunfthandwerks" verdeutlicht.

Mit dem Aufstieg des Handwerks als eigene Berufsgruppe in den Städten bildeten sich Handwerkerviertel heraus, die auch Einfluss auf die städtebaulichen Entwicklungen hatten - wie beispielsweise in Augsburg mit der Ausweitung der Jakober Vorstadt als Zentrum der Weberwohnsitze.

Entwicklung von Handwerk und Gewerbe bis zur Frühen Neuzeit

Zunächst hatten die städtischen Handwerke die Nachfrage ihrer lokalen Gemeinde und der bäuerlichen Bevölkerung des Umlandes zu decken (Nahrungsmittelgewerbe, metallverarbeitenden Gewerbe, Baugewerbe, allgemeines Gewerbe für den täglichen Bedarf). In der ostschwäbischen Textillandschaft (vgl. dazu Kießling, Textilgewerbe) dominierten seit dem 14. Jahrhundert das Leinen-, Barchent- und Wollweberhandwerk sowie das lederverarbeitende Gewerbe. So waren in der Reichsstadt Augsburg im Jahre 1475 von 2.239 Zunfthandwerkern 550 Webermeister und ca. 300 Meister im lederverarbeitenden Gewerbe zu finden, während der Bäcker-, Brauer- und Metzgerzunft jeweils mehr als 100 Meister zuzurechnen waren. Im Zuge der gewerblichen Verdichtung in der Textilwirtschaft nahm v. a. im Ravensburger, Memminger, Kaufbeurer und Kemptener Raum die Zahl der Papiermacher zu, welche die Reste aus den Spinnereien und zerschlissene Textilien verarbeiteten. Damit etablierte sich ein neues Handwerk. In Kempten ist eine Papiermühle bereits für das Jahr 1477 belegt; ferner handelte Kempten mit Salz und Schmiedeerzeugnissen. Schließlich ist mit dem Bevölkerungswachstum vor dem Dreißigjährigen Krieg auch mit einem deutlichen Anstieg der Handwerker im Baugewerbe zu rechnen. Augsburg konnte sich im 16. Jahrhundert zusätzlich durch die Buchdruckerei und das Gold- und Silberschmiedegewerbe einen Namen machen. In Ulm schließlich verzeichnete der Ochsenhandel nach Ungarn im 16. Jahrhundert einen Aufschwung. Im Gegenzug wurde Leder von dort importiert, da das Ulmer Handwerk diese Nachfrage nicht befriedigen konnte.

Infolge wirtschaftlicher Krisenerscheinungen noch vor dem Dreißigjährigen Krieg nahmen die Spannungen innerhalb des Textilhandwerks und weiterer Gewerbe zu, die einerseits zu einer breiten Schicht armer Alleinmeister und einer sie dominierenden schmalen Schicht wohlhabender, mit Gesellen und Lehrlingen arbeitender Meister führte. Andererseits führte die innerstädtische Konkurrenz zu restriktiveren Reglementierungen, ein Handwerk betreiben zu können. Dazu zählten schärfere Zulassungsbedingungen zum Handwerk und zur Zunft sowie die Ausgrenzung nicht gelernter Handwerker, sog. Störhandwerker bzw. Pfuscher.

Während Juden in spezifischen Berufen und im Handel ihr Auskommen finden mussten, war Frauen die Ausübung eines Handwerks mit Ausnahme der Fortführung der Werkstatt des verstorbenen Mannes in der Regel nicht gestattet. Meist durfte die Witwe das Gewerbe so lange fortführen, bis sie wieder heiratete oder ihr Sohn das Handwerk übernahm. Auch wurde es für die Gesellen immer schwieriger, nach den sog. Ersitzjahren eine Meisterstelle zu besetzen, so dass die Heirat von Meisterwitwen zunahm. Ein probates Mittel, um den Unterschied zwischen "Arm" und "Reich" zu nivellieren, war die Beschränkung der Produktionsmittel, wie beispielsweise im Weberhandwerk die Begrenzung der Webstuhlanzahl. Dahinter stand das Konzept der "gerechten Nahrung", also der Gleichstellung in der Produktion und im Einkommen, das allen Meistern ein standesgemäßes Auskommen sichern sollte. Allein die vielen Artikel in den Handwerksordnungen belegen aber auch, dass es sich hier um ein normatives und immer wieder zu formulierendes Ziel handelte, nicht um eine real existierende Wirtschaftsordnung.

Als zunehmend scharfe Konkurrenz zum städtischen Handwerk erwies sich schließlich seit dem 15. Jahrhundert das ländliche Handwerk, dem zwar zunächst die (akzeptierte) Funktion der Zulieferung und der "stillen Reserve" zukam, dessen Eigengewicht sich jedoch vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg enorm verstärkte. Ab dem 17. Jahrhundert führte dies zu einer Verzunftung des Landhandwerks.

Strukturelle Veränderungen im Handwerk bis zum Ende des Alten Reiches

Strukturelle wirtschaftliche Veränderungen wie der Niedergang des Barchentgewerbes seit Anfang des 17. Jahrhunderts (vgl. Kießling, Textilgewerbe) und die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges hatten eklatante Auswirkungen auf Bevölkerung und Handwerk. So schrumpfte in der Reichsstadt Augsburg die Zahl der Weber infolge des Krieges um 80 %, die Einwohnerzahl dagegen "nur" um 50-60 %. Wenn auch die Produktionsleistung im Textilgewerbe von vor dem Krieg nicht mehr erreicht werden konnte, so führte doch die Innovation des Kattundrucks seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert zu einem neuerlichen Aufschwung im Textilhandwerk und bot in Augsburg bis zu 700 Webern ein geregeltes Einkommen. Auch in Kaufbeuren konnte sich der Kattundruck, wenn auch in geringerem Maße, etablieren. Der im Textilgewerbe seit Ende des 17. Jahrhunderts aufstrebende Raum Günzburg verzeichnete um 1810 neben 55 Webern 69 Lodner in der Stadt Günzburg. Im Goldschmiedehandwerk stieg die Zahl der Augsburger Meister von 160 im Jahre 1661 auf 275 in der Mitte des 18. Jahrhunderts. In Göggingen, einem heutigen Stadtteil Augsburgs, dominierten die Uhrmacher und damit auch die Uhrgehäusemacher. Ferner formten sich neue Handwerke wie die Seidenbandherstellung oder die Strumpfwirkerei. Letzterem wurde im Jahre 1740 nach größeren Widerständen durch die Strumpfstricker eine eigene Handwerksordnung verliehen. Im Allgäu und vor allem in Lindenberg (Lkr. Lindau) bot ab der Mitte des 18. Jahrhunderts die Strohhutflechterei, aus Italien kommend, vielen Heimarbeitern Einkommensmöglichkeiten. In Ulm schließlich siedelte sich mit dem - zwar nicht unbedingt erfolgreichen - Tabakanbau eine bis ins 19. Jahrhundert erhebliche Pfeifenherstellung an.

Die schon vor dem Dreißigjährigen Krieg existierenden scharfen Regulierungen und die Kontingentierung in der Produktion erschwerten einen Wandel im Handwerk, zumal neben das schon seit dem späten Mittelalter bestehenden Verlagssystem nun auch die Gründung von Manufakturen trat. Wenn sich diese auch oft nicht über längere Zeiten halten konnten, bedeuteten sie doch eine den Zunftzwängen diametral gegenüberstehende Betriebsform. Nicht-Gelernte und auch Frauen konnten dort arbeiten. Durch Mechanisierung und Zentralisierung der Arbeitskräfte führte dies letztlich in die Zeit der (vor-)industriellen Betriebe.

Vor allem das Landhandwerk trat seit der Mitte des 17. Jahrhunderts - befördert durch die Territorialherren, die am einsetzenden Wirtschaftsaufschwung partizipieren wollten - in scharfe Konkurrenz zum städtischen Handwerk. Nicht zuletzt belegen dies die vielen Klagen gegen die Zulassung von auf dem Land produzierten Waren auf den städtischen Markt. Ein weiteres Indiz für die Verselbständigung des Landhandwerks sind die Gründungen von ländlichen Zünften. Sie erlaubten den Mitgliedern einerseits den Zugang zum städtischen Markt; durch den Nachvollzug des städtischen Zunftzwanges zwischen den Territorien ermöglichten sie andererseits erst den Absatz der Waren. Die Ausbreitung des Handwerks auf dem Lande geschah infolge zweier Entwicklungen: Zum einen machten die ländliche Bevökerungszunahme und die deswegen nicht mehr ausreichenden landwirtschaftlichen Nutzflächen den Selden ein Zusatzeinkommen durch ein Gewerbe notwendig. Zum anderen kam es zu einer Emanzipation von städtischen Abhängigkeiten im Hinblick auf die Deckung alltäglicher Bedarfsartikel.

Die Auswertung der sog. Montgelas-Statistiken, die um 1810 für Stadt, Markt und Land erstellt wurden, ergibt einerseits, dass im ostschwäbischen Textilrevier fast alle städtischen Handwerke - mit Ausnahme von Spezialberufen - auch auf dem Land zu finden waren. Andererseits hatte sich die ursprüngliche Hierarchie der Produktionsstandorte Stadt, Markt und Land eingeebnet. Um den genannten Zeitpunkt waren zwei Drittel aller erfassten Handwerker auf dem Land angesiedelt. Im Bereich der Weber arbeiteten sogar drei Viertel im ländlichen Raum. Mit der Zunahme von Manufakturen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, der beginnenden Industrialisierung und der Einführung der Gewerbefreiheit 1869 wurde das Handwerk als führender Wirtschaftssektor abgelöst.

Literatur

  • Mark Häberlein, Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, in: Günther Grünsteudel/Günter Hägele/Rudolf Frankenberger (Hg.), Augsburger Stadtlexikon, Augsburg 2. Auflage 1998, 146-161.
  • Albert Haug, "Tabak-Mühlen" - Anfänge und Geschichte der Ulmer Tabakindustrie, in: Ulm und Oberschwaben 53/54 (2007), 398-494.
  • Rolf Kießling/Anke Sczesny, Ostschwabens Gewerbe um 1800: Die Montgelas-Statistik, in: Hans Frei/Pankraz Fried/Rolf Kießling (Hg.), Historischer Atlas von Bayerisch-Schwaben, 2. Auflage 5. Lieferung, Augsburg 2010, Karte 11, 8.
  • Rolf Kießling, Das Textilgewerbe, in: Walter Pötzl (Hg.), Bauern – Handwerker – Arbeiter. Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Der Landkreis Augsburg 4), Augsburg 2001, 150-171.
  • Heinrich Letzing, Die Augsburger Handwerksgeschichte im Spiegel ihrer Quellen und Literatur, Augsburg 1999.
  • Johannes Mordstein, Ländliche Zünfte im Ries. Ein vergessenes Kapitel der Geschichte, in: Rieser Kulturtage 16 (2006), 539-565.
  • Eckart Schremmer, Handel und Gewerbe bis zum Beginn des Merkantilismus, in: Max Spindler (Begr.)/Andreas Kraus (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. 3. Band, 2. Teil: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 3. Auflage 2001, 539-570.
  • Eckart Schremmer, Handel und Gewerbe zur Zeit des Merkantilismus, in: Max Spindler (Begr.)/Andreas Kraus (Hg.), Handbuch der bayerischen Geschichte. 3. Band, 2. Teil: Geschichte Schwabens bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, München 3. Auflage 2001, 570-589.
  • Knut Schulz, Störer, Stümpler, Pfuscher, Bönhasen und "Fremde". Wandel und Konsequenzen der städtischen Bevölkerungs- und Gewerbepolitik seit der Mitte des 16. Jahrhunderts, in: Helmut Jäger/Franz Petri/Heinz Quirin (Hg.), Civitatum Communitas. Studien zum Europäischen Städtewesen. Festschrift für Heinz Stoob zum 65. Geburtstag (Städteforschung A 21/2), Köln/Wien 1984, 683-705.
  • Anke Sczesny, Nahrung, Gemeinwohl und Eigennutz im ostschwäbischen Textilgewerbe der Frühen Neuzeit, in: Robert Brandt/Thomas Buchner (Hg.), Nahrung, Markt oder Gemeinnutz? Werner Sombart und das vorindustrielle Handwerk, Bielefeld 2004, 131-154.
  • Anke Sczesny, Von Handwerkern, Zünften und Bauern. Gewerbe und Gesellschaft im ländlichen Ostschwaben der Frühen Neuzeit, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben 95 (2002), 139-158.
  • Anke Sczesny, Zwischen Kontinuität und Wandel. Ländliches Gewerbe und ländliche Gesellschaft im Ostschwaben des 17. und 18. Jahrhunderts (Oberschwaben. Geschichte und Kultur 7), Epfendorf 2002.
  • Christine Werkstetter, Frauen im Augsburger Zunfthandwerk. Arbeit, Arbeitsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse im 18. Jahrhundert (Colloquia Augustana 14), Berlin 2001.
  • Wolfgang Zorn, Ein neues Bild der Struktur der ostschwäbischen Gewerbelandschaft im 16. Jahrhundert, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 75 (1988), 153-187.

Quellen

  • Johannes Mordstein (Bearb.), Die ländlichen Zunftordnungen in Ostschwaben während der Frühen Neuzeit. Dokumentation, in: Rolf Kießling (Hg.), Stadt und Land in der Geschichte Ostschwabens (Augsburger Beiträge zur Landesgeschichte Bayerisch-Schwabens 10), Augsburg 2005, 351-412.

Weiterführende Recherche

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Gewerbe

Empfohlene Zitierweise

Anke Sczesny, Handwerk in Schwaben (Spätmittelalter/Frühe Neuzeit), publiziert am 29.11.2011; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Handwerk in Schwaben (Spätmittelalter/Frühe Neuzeit)> (28.03.2024)