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Glaspalast, München

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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Außenansicht des Münchner Glaspalastes, 1854; Fotographie von Franz Hanfstaengl. (Stadtmuseum München, Fotosammlung)

von Klaus Bäumler

Ursprünglich temporäres Ausstellungsgebäude für die Allgemeine Deutsche Industrieausstellung 1854, errichtet 1853/54 nach Plänen von August von Voit (1801-1870). Vorbild für die Glas-Eisen-Konstruktion am Alten Botanischen Garten war der Crystal Palace in London. In der Folgezeit spielte der Glaspalast als Ausstellungs- und Veranstaltungsort Münchens eine herausragende Rolle. Sowohl der Ruf Münchens als progressiver Wirtschafts- und Messestandort als auch seine Bedeutung als "Stadt der Kunst und der Künstler" wurde durch den Bau wesentlich geprägt. In der Nacht zum 6. Juni 1931 brannte der Glaspalast vollständig aus. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 entstand als "Neuer Glaspalast" das "Haus der Deutschen Kunst" an der Prinzregentenstraße nach Plänen von Paul Ludwig Troost (1878-1934).

Der Bauherr: König Max II.

König Max II. (1811-1864, reg. 1848-1864) steht im Bewusstsein der Öffentlichkeit oft im Schatten seines Vaters Ludwig I. (1786-1868, reg. 1825-1848), der auch nach seiner Abdankung 1848 sein Bauprogramm für "Isar-Athen" auf Kosten der Kabinettskasse vollendete. Max II. förderte in seiner kurzen Regierungszeit (1848-1864) Wissenschaft, Bildung und Technik, befasste sich schon als Kronprinz mit Architektur. Die Lösung der sozialen Frage sah er in der Industrialisierung Bayerns. Seine Entscheidung, die Erste Allgemeine Deutsche Industrieausstellung im Juli 1854 in München durchzuführen, ist als Teil einer fortschrittlichen Wirtschaftspolitik zu sehen. Der hohe programmatische Anspruch und die Herausforderung für Industrie und Handwerk Bayerns werden dadurch deutlich, dass für das neu zu errichtende Ausstellungsgebäude, den Glaspalast, der in London zur Weltausstellung 1851 nach den Plänen von Joseph Paxton (1801-1865) errichtete Crystal Palace als Vorbild diente.

Standortentscheidung: Botanischer Garten

Situationsplan des Glaspalastes im Botanischen Garten. (aus: Amtlicher Bericht über die allg. Ausstellung deutscher Industrie- und Gewerbs-Erzeugnisse zu München im Jahre 1854. Mit 16 lithographischen Tafeln, München 1855, Blatt I a, Ausschnitt)

Obwohl zehn verschiedene Standorte zur Wahl standen, hätte die Standortfrage im Spannungsverhältnis zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Technik und Natur extremer nicht entschieden werden können. Karl Friedrich von Martius (1794-1868), Direktor des Botanischen Gartens und einer der angesehensten Naturforscher seiner Zeit, konnte den massiven Eingriff in den Botanischen Garten nicht verhindern. Er beantragte deshalb 1854 seine Versetzung in den Ruhestand. Ausschlaggebend für die Standortentscheidung war das Votum des Chemikers Justus von Liebig (1803-1873), der von Max II. als "Nordlicht" 1852 nach München berufen worden war. Der Erfinder des Mineraldüngers setzte sein Prestige als "Hoffnungsträger" für den Aufschwung der bayerischen Landwirtschaft erfolgreich ein.

König Max II., dessen Liebe zur Natur vielfach dokumentiert ist, bedauerte im Nachhinein, seine Zustimmung gegeben zu haben. In letzter Minute versuchte er, den Botanischen Garten zu retten, der unter seinem Großvater, König Max I. Joseph (1756-1825, reg. 1799-1825), von Friedrich Ludwig von Sckell (1750-1823) in den Jahren 1808/1812 als Einrichtung der Königlichen Akademie der Wissenschaften angelegt worden war. Angesichts des entschiedenen Widerstands seiner Ministerialadministration war die Standortentscheidung nicht mehr zu revidieren. In diesem Zusammenhang ist es als Akt städtebaulicher "Wiedergutmachung" zu sehen, wenn auf Einladung von Max II. im Oktober 1853 der renommierte preussische Gartenkünstler und Stadtplaner Peter Joseph Lenné (1789-1866) nach München kam. Neben königlichen Planungsaufträgen für Parkanlagen in Feldafing am Starnberger See und Hohenschwangau hatte Lenné für München einen Stadtentwicklungsplan ("Schmuck- und Grenzzügeplan München") zu entwerfen, in dem das Stadtgrün nach den Vorgaben Max II. Vorrang einnahm.

Der Architekt: August von Voit

August von Voit (1801-1870) studierte an der Akademie der bildenden Künste in München bei Friedrich von Gärtner (1792-1847) Architektur, dessen Lehrstuhl er als sein Nachfolger in den Jahren 1840-47 inne hatte. 1847 wechselte Voit als Chef der Obersten Baubehörde in die Staatsbauverwaltung. Seine Münchner Hauptwerke, die Neue Pinakothek (1846-1853), der Wintergarten für Max II. auf der Residenz (1852-1853), das Chemische Laboratorium für Justus von Liebig (1852-1855), der Glaspalast (1853-1854), bei dessen Ausführung er eng mit Ludwig Werder (1808-1885) zusammenarbeitete, und das Botanische Museum mit Gewächshäusern (1859-1865) sind aus dem Stadtbild verschwunden. Als einzige Schöpfung Voits in München hat sich ein Brunnen erhalten, den er für den Glaspalast entworfen hatte. Dieser Brunnen steht seit 1973 auf dem Weissenburger Platz in Haidhausen.

Architektur und Baukonstruktion

Blick in die Haupthalle der Industrie-Ausstellung, 1854. Fotographie von Franz Hanfstaengl. (Stadtmuseum München, Fotomuseum)
Blick in die Haupthalle der Industrie-Ausstellung, 1854. Fotographie von Franz Hanfstaengl. (Stadtmuseum München, Fotomuseum)

Entgegen dem von historischen Leitbildern geprägten Architekturverständnis entwickelte Voit einen neuen, wegweisenden Stil des Ingenieurbaus mit klarer Formensprache. Das ästhetische Erscheinungsbild von Fassade und Innenraum war bestimmt durch offen erkennbare Funktion und Konstruktion. Die außerordentlich kurze Planungs- und Bauzeit von nur neun Monaten, durch den Eröffnungstermin am 15. Juli 1854 vorgegeben, schloss die Errichtung eines 240 m langen und bis zu 60 m breiten Ausstellungsgebäudes in traditioneller Bauweise und Gestaltung aus. Angesichts des geplanten Bauvolumens waren die hierfür erforderlichen Mengen von Holz und Ziegelsteinen so kurzfristig nicht verfügbar. Voit entschied sich in Anlehnung an den Crystal Palace in London für eine vorgefertigte, genormte Glas-Eisen-Konstruktion in Rasterbauweise. Die innovative Verwendung von Gusseisen und Glas hatte er auf der Grundlage der Vorarbeiten des Civil-Ingenieurs Franz Jakob Kreuter (1813-1889) bereits beim Bau des Wintergartens für König Maximilian II. erprobt.

Bauausführende Firma war das Nürnberger Unternehmen Cramer-Klett, das in Süddeutschland damals führend auf dem Gebiet der Eisenkonstruktion war und bereits eine Reihe derartiger Projekte (z. B. Großhesseloher Brücke, Wintergarten Maximilians II.) errichtet hatte.

Nutzungsgeschichte (1854-1931)

Plakat der 2. Münchener Jahresausstellung von Kunstwerken aller Nationen, 1890. (Münchner Stadtmuseum, Graphische Sammlung)

König Max II. entschied sich nach der Industrieausstellung für den Fortbestand des Glaspalasts, den viele Zeitgenossen als "Zierde der Stadt" und in Bezug auf die Architektur als "wahres Kunstwerk" würdigten. Der multifunktional nutzbare Glaspalast entwickelte sich zum Mittelpunkt des kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben Münchens. Entgegen der ursprünglichen Absicht wurde der Glaspalast nicht als Gewächshaus genutzt, da die erforderliche Heizung fehlte. Die Kunstausstellungen, die ab 1889 jährlich hier stattfanden, begründeten den Ruf Münchens als "Stadt der Kunst". Fester Bestandteil im Münchner Kulturleben waren die Blumenausstellungen, die der Gartenarchitekt Max Kolb (1829-1915) alljährlich von 1858 bis 1890 gestaltete. Weiter wurden Ausstellungen, Veranstaltungen und Kongresse zu den unterschiedlichsten Themen durchgeführt (Landwirtschaft, Kunstgewerbe, Geflügel- und Kaninchenzucht, Konditorei, Obst und Hopfen). Hervorzuheben ist die "Erste Deutsche Elektro-technische Ausstellung" im Jahr 1882, die Oskar von Miller (1855-1934) organisierte. Mit dieser Ausstellung begann die "Popularisierung der modernen Elektro-Technik". Das gleichzeitig durchgeführte Experiment einer Fernübertragung von Strom über eine Distanz von 57 km von Miesbach in den Glaspalast legte den Grundstein für eine dezentrale Energieversorgung und die damit verbundene wirtschaftliche Entwicklung Bayerns.

Die Planungen des Architekten Gottfried Semper (1803-1879) und König Ludwigs II. (1845-1886, reg. 1864-1886), das Festspielhaus für Richard Wagner (1813-1883) in den Glaspalast einzubauen, scheiterten (Habel, Festspielhaus, 92-101).

Brand vom 6. Juni 1931

Blick über die Trümmerstätte zum Justizpalast. (aus: Glaspalast-Katastrophe München 1931, S. 16)

In der Nacht zum 6. Juni 1931 stand der Glaspalast in Flammen. 3.000 Kunstwerke wurden vernichtet, darunter sämtliche 110 Gemälde der Ausstellung deutscher Romantiker. Unersetzliche Werke von Caspar David Friedrich (1774-1840), Karl Blechen (1798-1840), Ludwig Richter (1804-1884), Otto Runge (1777-1810) und Carl Rottmann (1797-1850) gingen verloren. Die Brandursache konnte auch gerichtlich nicht geklärt werden. Die Polizei führte den Brand auf Selbstentzündung von Putzmaterial zurück, die Regierung von Oberbayern nahm Brandstiftung an (Axel Winterstein, Heiße Kontroverse um die Brandursache, Münchner Stadtanzeiger vom 5./6. Juni 1996 Nr. 23).

Nur fünf Jahre später brannte 1936 in London der Crystal Palace vollständig aus. Fachleuten war die besondere Gefährdung der Glas-Eisen-Konstruktionen bekannt. Ohne Einteilung in Brandabschnitte, ohne ausreichende Löschwasserversorgung und mit einer Fülle von Ausstellungseinbauten war jeder Löschversuch zum Scheitern verurteilt.

Planungen 1931-1933

Entwurf von Professor Adolf Abel, TH München, für den "Neuen Glaspalast" im Alten Botanischen Garten, Mai 1932; links vorne der Justizpalast, rechts der bogenförmige Verlauf der Sophien-Straße. (aus: Neuer Glaspalast München. Vorentwurf von Professor Adolf Abel, München 1932,15)

Auf Druck der Münchner Künstlerschaft lobte das Kultusministerium bereits 1932 einen Architektenwettbewerb für ein neues Ausstellungsgebäude im Alten Botanischen Garten aus. Die Ausführungsplanung wurde nicht den Preisträgern Clemens Böhm und Eduard Feldpausch übertragen, sondern dem Architekten Adolf Abel (1882-1968), Professor an der Technischen Hochschule in München. Mit der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten in Bayern im März 1933 stoppte Adolf Hitler (NSDAP, 1889-1945) das Projekt. Paul Ludwig Troost (1878-1934) erhielt den Auftrag, unter dem Arbeitstitel "Neuer Glaspalast" das "Haus der Deutschen Kunst" an dem von Hitler favorisierten Standort, der repräsentativen Prinzregentenstraße am Südrand des Englischen Gartens, zu planen.

Die Brandbrache des Glaspalasts im Alten Botanischen Garten wurde nach den Plänen Troosts in den Jahren 1935-1937 zur öffentlichen Gartenanlage (mit Neptunbrunnen, Ausstellungspavillon und Parkcafé) umgestaltet.

Gesamtwürdigung

Die Erste Allgemeine Deutsche Industrieausstellung 1854 selbst war kein großer Erfolg, da wenige Tage nach der Eröffnung in München die Cholera ausbrach, der nahezu 3.000 Menschen zum Opfer fielen. Der für diese Ausstellung errichtete Glaspalast erfüllte aber in den 80 Jahren seines Bestehens wichtige Funktionen im künstlerischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben der Stadt München. Er begründete den Ruf Münchens als "Stadt der Kunst und der Kultur" und ermöglichte als multifunktionales Ausstellungsgebäude den Aufstieg Münchens zum Ausstellungs- und Messestandort sowie zur Kongressstadt. Seine prominente Lage in der von Ludwig I. geschaffenen Kunst- und Museumslandschaft der Maxvorstadt hatte hieran wesentlichen Anteil. Mit dem Bau des Glaspalasts gab König Max II. wichtige Impulse zur Entwicklung moderner Ingenieurbaukunst und für eine neue Ästhetik in der Architektur, die erst Anfang des 20. Jahrhunderts allgemein gültig wurde. Im Gegensatz dazu setzte sich der von Max II. geförderte Baustil, den er in der Maximilianstraße verwirklichen ließ, nicht durch.

Literatur

  • Wolf Bachmann, Die Attribute der bayerischen Akademie der Wissenschaften 1807-1827 (Münchener Historische Studien, Abteilung Bayerische Geschichte 8), Kallmünz 1966, 145 ff.
  • Wend Fischer, Die andere Tradition. Architektur in München von 1800 bis heute (Ausstellungsreihe der Bayerischen Rückversicherung "Erkundungen"), München 1981, 49 ff.
  • Vom Glaspalast zum Gaskessel. Münchens Weg ins technische Zeitalter (Arbeitsheft 3 des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege), München 1978.
  • Heinrich Habel, Festspielhaus und Wahnfried. Geplante und ausgeführte Bauten Richard Wagners, München 1985.
  • Christoph Hölz, Glaspalast, in: Winfried Nerdinger (Hg.), Zwischen Glaspalast und Maximilianeum. Architektur in Bayern zur Zeit Maximilians II., 1848-1864, München 1997, 120-125.
  • Volker Hütsch, Der Münchner Glaspalast 1854-1931. Geschichte und Bedeutung, München 1981.
  • Sigrid von Moisy, Martius in München. Streiflichter aus dem häuslichen und geselligen Leben in: Jörg Helbig (Hg.), Brasilianische Reise 1817-1820. Carl Friedrich Philipp von Martius zum 200. Geburtstag, München 1994, 85-105.
  • Eugen Roth, Der Glaspalast in München. Glanz und Ende, München 1971.
  • Klaus Jürgen Sembach/Volker Hütsch, Industriedenkmäler des 19. Jahrhunderts in Bayern, München 1990, Bildtafeln 1-20.

Quellen

Weiterführende Recherche

Externe Links

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Empfohlene Zitierweise

Klaus Bäumler, Glaspalast, München, publiziert am 18.12.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Glaspalast,_München> (29.03.2024)