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Geistliche Schulaufsicht (19./20. Jahrhundert)

Aus Historisches Lexikon Bayerns

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von Lydia Großpietsch

Aufsicht über das Volksschulwesen durch einen Geistlichen in fachlichen, aber auch in Glaubens- und Sittlichkeitsfragen, zurückgehend auf die entscheidende Rolle der Kirchen im Bildungswesen bis weit in die Neuzeit. Die Lehrerschaft kritisierte die geistliche Schulaufsicht schon früh. Abgeschafft wurde sie in Bayern aber erst zum 1. Januar 1919, als eine der ersten Maßnahmen der Regierung Eisner durch Kultusminister Johannes Hoffmann (SPD, 1867-1930).

Geschichte

Die geistliche Schulaufsicht fußte auf der in ganz Mitteleuropa dominierenden Bildungsrolle der Kirchen. Unter dem Einfluss staatskirchlicher Ideen und des aufgeklärten Ideals des Priesters als Volkserzieher wurde sie um 1800 in Bayern gesetzlich festgeschrieben. Nach der Aufhebung des Geistlichen Rats 1802 lag die oberste Leitung über das Schulwesen ab 1803 zuerst beim geheimen Ministerialdepartement und anschließend bei dessen Nachfolgeinstitution, dem Kultusministerium. Die Oberaufsicht lag bei der jeweiligen Kreisregierung, Kammer des Innern. Die Kreisregierung wiederum ernannte die Bezirksschulinspektoren, und zwar bis 1873 regelmäßig aus den Dekanen des Ruralkapitels und den Pfarrern. Die Lokalschulinspektion stand stets unter dem Vorsitz des Ortsgeistlichen, sei er katholisch oder evangelisch. In den Stadtbezirksschulinspektionen hatte der Pfarrer des Bezirks oder ein anderer Geistlicher Sitz und Stimme.

Katholischerseits wurde die geistliche Schulaufsicht im Konkordat von 1817 erneut bestätigt, in dem Max I. Joseph (1756-1825, reg. 1799-1825, ab 1806 König von Bayern) und Papst Pius VII. (1742-1823, Papst 1800-1823) übereingekommen waren, dass es Aufgabe der katholischen Bischöfe sei, über die Glaubens- und Sittenlehre zu wachen. Den Bischöfen, und in ihrer Vertretung den jeweiligen Ortspfarrern, wurde damit die Aufsicht über das gesamte allgemeinbildende Schul- und Erziehungswesen zugestanden. In den evangelischen Gebieten wurde diese Aufgabe vom Staat den evangelischen Geistlichen übertragen. Alle Lehrer waren damit fachlich, aber auch hinsichtlich ihres sittlichen und staatsbürgerlich-politischen Verhaltens der Kontrolle der Geistlichkeit unterstellt.

Titelblatt einer Kampfschrift gegen die Geistliche Schulaufsicht von 1919 des liberalen Volksschullehrers Jakob Beyhl (1862-1927).

Abschaffung der geistlichen Schulaufsicht

Schon bald nach ihrer gesetzlichen Einführung im frühen 19. Jahrhundert wurden erste Forderungen seitens der Lehrerschaft nach einer Abschaffung der geistlichen Schulaufsicht laut, ohne dass dies politische Konsequenzen nach sich gezogen hätte. Obwohl die Geistlichkeit ihr Recht bzw. ihre Pflicht zur Beaufsichtigung recht unterschiedlich wahrnahm, lehnte die Mehrzahl der Lehrer, von denen viele auch zu Mesner- und Chordiensten verpflichtet waren, diese dienstliche Beaufsichtigung durch die in der Regel pädagogisch nicht ausgebildeten Pfarrer ab. Die Abschaffung war auch die wichtigste Forderung bei der Gründung des Bayerischen Volksschullehrervereins 1861, sie wurde politischerseits von den Sozialdemokraten und den Liberalen, aber auch von einigen katholischen Lehrerbildnern (z. B. vom Inspektor des Schullehrerseminars in Eichstätt, Raymund Schlecht [1811-1891], bereits 1849) unterstützt. Umgesetzt wurde diese Forderung 1868 in Österreich und einigen kleineren deutschen Staaten. In Preußen, wo 1872 die geistliche Schulaufsicht nur eingeschränkt worden war, und den meisten anderen deutschen Ländern behielten die Geistlichen ihre Kompetenzen.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass im November 1918 in der ersten Verlautbarung der Provisorischen Regierung Eisner zu kultur- und bildungspolitischen Fragen der sozialdemokratische Kultusminister Johannes Hoffmann (1867-1930), ein ehemaliger Lehrer, die Schaffung eines Volksschulgesetzes mit fachmännischer Schulaufsicht ankündigte. Als erster Schritt hierzu erfolgte am 16. Dezember 1918 eine Verordnung, mit der die geistliche Schulaufsicht zum 1. Januar 1919 aufgehoben wurde.

Protest der Bischöfe gegen die Aufhebung der Geistlichen Schulaufsicht vom 18. Dezember 1918. (aus: Franz August Schmitt, Die neue Zeit in Bayern, München 1919, 44)

Reaktion der Kirchen auf die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht

Offiziell reagierten die katholischen Würdenträger, und hier insbesondere der Münchner Erzbischof Michael von Faulhaber (1869-1952), aber auch die Bayerische Bischofskonferenz, heftig gegen die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht. Intern war man aber durchaus bereit, sich mit dieser Einschränkung kirchlicher Kontrollbefugnis anzufreunden. Die evangelischen Kirchen rügten ebenso nachdrücklich wie die katholischen Bischöfe die Form der Aufhebung, da die Kirchen von dem Erlass vorab nicht informiert worden waren. Der Sache nach waren sie mit der Aufhebung jedoch ebenso grundsätzlich einverstanden.

Neuregelung der Schulaufsicht

Nach der neuen Regelung durch Johannes Hoffmann blieb die Ortsschulaufsichtsbehörde, der der einzelne Volksschullehrer unterstand, als Amt erhalten. Sie wurde jedoch dem Einfluss des jeweiligen Ortsgeistlichen dadurch entzogen, dass der Vorsitz der Ortsschulbehörde vom 1. Januar 1919 an auf den jeweiligen Bürgermeister oder seinen Stellvertreter überging.

Verankerung der Neuordnung im Reichsrecht

Gesetzeskraft erlangte die Abschaffung der geistlichen Schulaufsicht schließlich durch Art. 144 der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919, der bestimmte: "Das gesamte Schulwesen steht unter Aufsicht des Staates; ... Die Schulaufsicht wird durch hauptamtlich tätige, fachmännisch vorgebildete Beamte ausgeübt." Diese Bestimmung der Reichsverfassung veranlasste Hoffmanns Nachfolger Franz Matt (BVP, 1860-1929) am 29. Juli 1920 zu einer Verordnung, in der eine beachtliche Autonomie für die aus dem Volksschullehrerstand zu berufenden Kreisschulräte festgeschrieben war. Diese Verordnung wurde von der Staatsregierung in den Folgejahren jedoch nur zögerlich umgesetzt.

Dokumente

Literatur

  • Peter Kern, Kirche, Staat und Geistliche Schulaufsicht. Schule als Terrain politischer Dilatorik, in: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 45 (1978), 76-92.
  • Lydia Schmidt, Kultusminister Franz Matt (1920-1926). Schul-, Kirchen- und Kunstpolitik in Bayern nach dem Umbruch von 1918 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 126), München 2000, 141-160.

Weiterführende Recherche

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Empfohlene Zitierweise

Lydia Großpietsch, Geistliche Schulaufsicht (19./20. Jahrhundert), publiziert am 06.11.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Geistliche_Schulaufsicht_(19./20._Jahrhundert) (13.10.2024)